Das Stauffenberg-Attentat und die Bundeswehr
Am 20. Juli 1944 versuchte eine Gruppe von Offizieren um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den Diktator Adolf Hitler zu töten. Der Anschlag und der anschließende Staatsstreich misslangen, viele Beteiligte wurden hingerichtet. Dennoch ist dieser Tag bis heute von zentraler Bedeutung für die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten.
„Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“ – mit diesem feierlichen Gelöbnis bekräftigen Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr ihr Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Hunderttausendfach ist der Eid seit Gründung der Bundeswehr geleistet worden. Heute finden durchschnittlich rund 150 Gelöbnisse im Jahr statt. Doch ein Tag ist sowohl für die Streitkräfte als auch für die deutsche Gesellschaft von besonderer Bedeutung: der 20. Juli.
An diesem Gedenktag wird der Jahrestag des Deutschen Widerstandes begangen. Gewürdigt wird der aussichtsreichste Versuch deutscher Militärs, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und damit auch das millionenfache Sterben im Zweiten Weltkrieg zu beenden. Auch wenn der Anschlag scheiterte: Die Gruppe um Stauffenberg hatte bewiesen, dass sich auch Militärangehörige dem Kadavergehorsam gegenüber den Nationalsozialisten entziehen und ihrem moralischen Gewissen folgen konnten.
Ihr Beispiel wurde deshalb im Nachkriegsdeutschland identitätsstiftend für die neu gegründete Bundeswehr. Die Gruppe um Stauffenberg wurde zum Vorbild für alle Soldatinnen und Soldaten. Das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“, der seinem Land und seinen Menschen aus eigenem Antrieb verantwortungsvoll dient, ist heute zum Ideal aller Soldatinnen und Soldaten geworden. Alle Angehörigen der deutschen Streitkräfte sind angehalten, Befehle auf ihre Rechtmäßigkeit zu hinterfragen und ihren Dienst im Einklang mit dem eigenen Gewissen zu versehen. Diese wichtige Säule des Konzeptes der „Inneren Führung“ ist zum Markenkern der Bundeswehr geworden.
Widerstandskämpfer in Uniform
Der militärische Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist untrennbar mit der Gruppe Stauffenberg und dem Attentat vom 20. Juli 1944 verbunden. Seine Ursprünge reichen allerdings bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück. Generaloberst Ludwig Beck hatte schon im Sommer 1938 als Generalstabschef des Heeres auf die Generalität eingewirkt, um Hitlers Kriegspläne zu verhindern – allerdings ohne Erfolg, wie wir heute wissen. Sein Rücktritt als Generalstabschef war dennoch ein Signal.
Als sich das Kriegsgeschehen immer mehr gegen das nationalsozialistische Regime zu wenden begann, drängte Generalmajor Henning von Tresckow auf ein Attentat auf Hitler mit anschließendem Militärputsch. Die zentrale Figur der militärischen Opposition an der Ostfront wollte damit beweisen, „dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat“.
Mitte 1942 nahmen die Pläne zur Tötung Hitlers konkrete Formen an. Mehrere Anschlagsversuche schlugen aber fehl. Ab Herbst 1943 übernahm dann Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg die Planungen für das Attentat und den sich daran anschließenden Umsturzversuch. Am 20. Juli 1944 reiste Stauffenberg zum Hauptquartier der Wehrmacht für die Ostfront nach Ostpreußen, wo eine Lagebesprechung mit Hitler stattfinden sollte.
Stauffenberg deponierte einen Sprengsatz mit Zeitzünder im Besprechungsraum. Er war in einem Aktenkoffer verborgen. Stauffenberg verließ den Raum, kurz bevor dieser gegen Mittag durch die Explosion von einem Kilogramm Sprengstoff verwüstet wurde. Es gab 13 Schwerverletzte, von denen vier später ihren Verletzungen erlagen. Hitler selbst wurde aber nur leicht verletzt.
Stauffenberg kehrte nach Berlin zurück, um den Umsturz – das Unternehmen „Walküre“ – zu versuchen. Mehrere Militärverbände standen bereit, um die Machtzentralen der Nationalsozialisten zu besetzen und die Führung im Land zu übernehmen. Der Oberst war überzeugt, dass Hitler tot sei. Als die Nachricht kam, der Diktator habe überlebt, war der Umsturzversuch gescheitert.
Stauffenberg und weitere militärische Widerstandskämpfer wurden um 23 Uhr verhaftet und kurz nach Mitternacht im Hof des Bendlerblocks exekutiert. Neben Oberst Stauffenberg starben der General der Infanterie Friedrich Olbricht, Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant Werner von Haeften. Generaloberst Ludwig Beck wurde zur Selbsttötung gezwungen. Rund 200 weitere Militärangehörige wurden in den nächsten Monaten wegen ihrer Beteiligung an dem Attentat hingerichtet oder in den Tod getrieben. Bis der Zweite Weltkrieg beendet war, starben noch viele Millionen Menschen.
Bedeutung für die Tradition der Bundeswehr
Die Gruppe um Stauffenberg handelte aus Verantwortung für Deutschland und für das Leben der ihnen anvertrauten Soldaten. Sie wollten das verbrecherische Regime von innen stürzen, um weitere Opfer in einem sinnlos gewordenen Krieg zu vermeiden. Sie wollten die Herrschaft des Rechtes wiederherstellen und Deutschland perspektivisch die Rückkehr in die Gemeinschaft der Völker ermöglichen.
Allen Beteiligten handelten aus Überzeugung. Ihnen war bewusst, dass ihr Vorhaben auch ihr eigenes Leben kosten könnte. Das Attentat vom 20. Juli 1944 und der Umsturzversuch zeigten, dass das mörderische nationalsozialistische Regime auch in Militärkreisen keinen bedingungslosen Rückhalt genoss. Die Bundeswehr würdigte den Mut der Gruppe Stauffenberg schon bald nach ihrer Gründung und machte das Gedenken an den 20. Juli 1944 zu einem zentralen Bestandteil ihres Traditionsverständnisses – auch gegen den Widerstand in Teilen der Bevölkerung, die den Anschlag als Verrat ansah.
Staatsbürger in Uniform
Mit dem Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes bekräftigen alle Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr, dass sie sich ihrer Verantwortung als „Staatsbürger in Uniform“ voll bewusst sind. Direkt nach der Gründung der Bundeswehr erschien 1957 das erste „Handbuch Innere Führung“, das den Widerstand gegen den Nationalsozialismus würdigte und einen direkten Bezug zum Traditionsverständnis der neuen deutschen Streitkräfte herstellte.
Durch die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der deutschen Streitkräfte sollten Soldaten in die Lage versetzt werden, dem Selbstverständnis der Bundeswehr als Spiegel der Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Durch die Konfrontation mit den Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, aber auch durch die Orientierung an soldatischen Vorbildern wie Oberst von Stauffenberg werden die Rekrutinnen und Rekruten ermutigt, ihrem moralischen Urteil zu vertrauen und ihren Gehorsam von ihrem Gewissen leiten zu lassen. Mit dem Feierlichen Gelöbnis zum Jahrestag des Attentats am 20. Juli 1944 unterstreicht die Bundeswehr dieses Traditionsverständnis.
Eid vor historischer Kulisse
Das zentrale feierliche Gelöbnis der Bundeswehr wird alljährlich auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks abgehalten, des Sitzes des Verteidigungsministeriums in Berlin. Dieser Ort wurde im Bewusstsein um seine historische Bedeutung gewählt, denn im Bendlerblock wurde der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 geplant – und hier fand er auch sein blutiges Ende. Auch befindet sich die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in unmittelbarer Nachbarschaft. Mehrere hundert Rekrutinnen und Rekruten werden vom Verteidigungsminister in Anwesenheit führender Politiker des Deutschen Bundestags auf ihre Verantwortung für das Gemeinwesen eingeschworen.
Zwischen 2008 und 2011 und dann noch einmal 2013 fanden die Gelöbnisse öffentlich auf dem Platz der Republik direkt am Reichstagsgebäude statt, dem Machtzentrum der Demokratie in Deutschland. Damit wurde die Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee und die Integration der Streitkräfte in die Mitte der Gesellschaft in besonderem Maße betont.