Die Bundeswehr im Kalten Krieg

Die Bundeswehr wuchs nach ihrem Aufbau in ihre Rolle als militärische Macht in Mitteleuropa hinein. Doch ihre von Anfang an beabsichtigte Stärke von rund 500.000 Mann erreichte sie erst Ende der 1960er-Jahre.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Panzern und Hubschraubern im Gelände

Die Bundeswehr entsteht

Es begann am 2. Januar 1956: Die ersten Soldaten traten ihren Dienst bei den Lehrkompanien der Luftwaffe in Nörvenich, der Marine in Wilhelmshaven sowie beim Lehrbataillon des Heeres in Andernach an. Kriegsgediente Unteroffiziere und Offiziere trafen hier auf Freiwillige, die den Krieg nur noch aus Erzählungen oder ihrer Kindheit kannten.

Aus diesen Truppenteilen stammten die ersten Ausbilder für die Bataillone und Schulen der Streitkräfte. Alle Offiziere hatten sich zuvor einer Überprüfung durch den Personalgutachterausschuss zu stellen – diejenigen, die für Verwendungen ab dem Dienstgrad Oberst vorgesehen waren, sogar einer mündlichen Befragung.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Soldaten in Marschkolonne auf dem Kasernengelände Andernach

Auf dem Kasernengelände in Andernach marschieren die ersten Wehrpflichtigen der damals noch jungen Bundeswehr

Bundeswehr/Baumann


Aufwuchs nur mit der Wehrpflicht möglich

Nur mit Freiwilligen konnten die neuen Streitkräfte der NATO in weniger als fünf Jahren jedoch niemals 500.000 Mann bereitstellen. Dies ging nur mit einer Wehrpflicht. Der Bundestag beschloss sie 1956 mit einer Grundgesetzänderung; sie galt ab dem 1. April 1957. Jeder männliche Bundesbürger hatte fortan nach Artikel 12a des Grundgesetzes in den Streitkräften Dienst zu leisten, wenn er nicht nach Artikel 12 des Grundgesetzes den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigerte. Dann hatte er Ersatzdienst zu leisten.

Rekruten für das Panzergrenadierbataillon 281 kommen mit ihrem Gepäck am Bahnhof an, in Neuburg an der Donau 1959

Rekruten für das Panzergrenadierbataillon 281 kommen mit ihrem Gepäck am Bahnhof an, in Neuburg an der Donau 1959

(c) 1959 Bundeswehr / IMZ-Bildarchiv


Aufstellung: Plan und Realität

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß

Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (r.), hier mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (l.), war für den Aufstellungsprozess der jungen Bundeswehr prägend

Bundeswehr/Günther Oed

Der Aufbau der Bundeswehr im Kalten Krieg erfolgte zuerst in Ausbildungsverbänden, Schulen und wenigen Truppenteilen, die gleichzeitig eine Lehr- und Kaderbildungsfunktion hatten. Allein 1956 stellte die Bundeswehr 56 Einheiten auf. Dennoch dienten in den Streitkräften Ende 1956 nur rund 7.700 Soldaten.

Die Ausrüstung stammte weitgehend von den neuen Partnernationen: Insbesondere die USA stellten der Bundeswehr kostenlos einige Hundert Kampfpanzer der Typen M-47 und M-48, Artilleriegeschütze sowie Kampf- und Trainingsflugzeuge zur Verfügung.

Der ehrgeizige Aufstellungsplan war jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Es fehlte an Kasernen, Personal und Wohnungen für die Soldaten an den neuen Standorten. Bundesverteidigungsminister Theodor Blank trat deswegen bereits 1956 zurück. Sein Nachfolger wurde der CSUChristlich-Soziale Union-Politiker Franz Josef Strauß. Er verwarf die Aufstellungsplanungen der Bundeswehrführung und entschied sich für das Prinzip „Qualität vor Quantität“. Tatsächlich erreichte die Bundeswehr deswegen erst in den 1960er-Jahren eine annähernde Stärke von 500.000 Mann.

Ein Liniendiagramm zur Anzahl der Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr von 1959 bis 2014.

Im Kalten Krieg stieg die Truppenstärke der Bundeswehr rasant an. Ihren höchsten Wert erreichte sie nach der Wiedervereinigung. Das Ende des Kalten Krieges erlaubte es, die Anzahl der Soldaten und Soldatinnen zu verringern.

Bundeswehr

Und noch etwas fehlte den Streitkräften 1956: ein sinnvoller Name. Im zuständigen Ausschuss des Bundestages wurden Begriffe wie Wehrmacht - abgelehnt wegen der historischen Belastung -, Bundeswehr - spricht Luftwaffe und Marine nicht an - und andere Begriffe diskutiert. Eine zeitgenössischer Karikaturist ließ Rumpestilzchen um das Feuer tanzen und ließ ihn ausrufen: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Bundeskraftwehrstreitmacht heiß!„ Schlussendlich ehielten die Streitkräfte 1956 den Namen „Bundeswehr“.


Massive personelle Verstärkung

Massive personelle Verstärkung erhielt die Bundeswehr in der Aufbauphase durch die Reduzierung des Bundesgrenzschutzes. Der Bundestag beschloss 1956, dass diese Bundespolizei Personal zur Aufstellung der 1. Grenadierdivision (Hannover) und der 2. Grenadierdivision (Marburg) abzugeben habe. Der Grenzschutz See trat komplett in die neu aufzustellende Bundesmarine über. Insgesamt erhielt die Bundeswehr so rund 10.000 ausgebildete Soldaten aller Dienstgrade.

Auftrag: Landes- und Bündnisverteidigung

Mit der Aufstellung und Ausbildung übernahmen die Verbände und Geschwader der Bundeswehr zugleich ihren militärischen Auftrag im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung. Im Rahmen der „Foreward Strategy“ (deutsch: „Vorwärtsstrategie“), die die NATO in ihrem Dokument MC 14/1 festschrieb, sollte diese Verteidigung von Anfang an unmittelbar hinter der innerdeutschen Grenze beginnen.

Dennoch galt innerhalb der NATO bis 1954 noch der Grundsatz, die Verteidigung Europas erst am Rhein zu organisieren. Dagegen konnten ab 1956 deutsche Spitzenmilitärs und Politiker zunehmend durchsetzen, dass die Bündnisverteidigung immer auch eine Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland an seiner sein Ostgrenze, dem Eisernen Vorhang sein müsse.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Kampfpanzern Typ M 48 und Hubschraubern Typ Sikorsky H-34 G beim Manöver „Panthersprung“

In Nordhessen, unweit der Zonengrenze, führt die Bundeswehr im Jahre 1967 das Manöver Panthersprung durch. Hier mit Kampfpanzern vom Typ M 48 und Sikorsky H-34 G-Hubschraubern

Bundeswehr/Thomas Höpker

Die Hochphase des Kalten Krieges

Seit 1957 galt in der NATO die Strategie der „Massiven Vergeltung“ (MC 14/2). Das Bündnis wollte mit ihr einen Krieg verhindern: Die Gegenseite müsste im Kriegsfall mit dem sofortigen und massiven Einsatz von Nuklearwaffen rechnen. Deutsche Militärs bezeichneten diese Strategie wegen ihrer abschreckenden Wirkung auch als eine „Lebensversicherung“ für die Bundesrepublik.

Die „Massive Vergeltung” war jedoch keine Strategie zur Kriegführung, sie diente der Kriegsverhinderung. Die NATO verfügte weder über ein Konzept noch über ausreichende konventionelle Mittel, um auf regionale oder begrenzte Konflikte angemessen zu reagieren. Die „Massive Vergeltung“ enstand sowohl aus dem Irrglauben, die Bombe allein könne Kriege verhindern, als auch falschen Vorstellungen, Atomstreitkräfte wären billiger als konventionelle Potenziale. In den USA ging das geflügelte Wort „More Bang for the Buck“ um - mehr Wirkung für weniger Geld. Und hinter diese Redewendung stand auch das Interesse technologischer Konzerne insbesondere in den USA, immer neue komplexe Waffensysteme, vor allem Bomber, zu verkaufen.

Die Kuba-Krise 1962

Zwar zeigte die Kuba-Krise 1962, dass die nukleare Abschreckung die Sowjetunion von Expansionsbestrebungen abbringen konnte. Allerdings nutzte die Sowjetunion an anderer Stelle verschiedene Möglichkeiten, um ihren Einfluss auszuweiten. Dasselbe galt für die USA. Bei den Kriegen und Konflikten im arabischen Raum wie auch in Südostasien und Afrika sollte der Ost-West-Konflikt schon bald eine wichtige Rolle spielen.

Der Wechsel der NATO zur Strategie der „Flexiblen Antwort“ 1967/68 bedeutete für die Bundeswehr zunächst ein Umdenken und eine Reduzierung der Aufgaben, die vorrangig auf die nukleare Gefechtsführung abzielten. Die Verteidigungsplanung stützte sich nun verstärkt auf konventionelle Mittel. Mit dieser Strategie begann die NATO auch den Entspannungsdialog mit der Sowjetunion: Der Harmel-Bericht der NATO von 1967 beschrieb Sicherheit als das Ergebnis glaubwürdiger Verteidigungsbereitschaft und dem Willen zur Entspannung.

Vorneverteidigung am Eisernen Vorhang

Die NATO plante die Bündnisverteidigung mit dem „General Defense Plan“. Ausgehend vom NATO-Oberbefehlshaber Europa (SACEURSupreme Allied Commander Europe ) wurden regelmäßig Pläne erstellt und überarbeitet, welche die Aufgaben der Truppenteile im Krieg definierten. In diesem Rahmen waren den deutschen und den alliierten Landstreitkräften in der Bundesrepublik spezielle Verteidigungszonen zugewiesen, in denen die (national geführten) Armeekorps Seite an Seite eingesetzt werden sollten.

Im Gegensatz zu den national geführten Korps der Landstreitkräfte waren sämtliche Luftstreitkräfte der NATO und die deutschen Marineverbände direkt in die NATO-Strukturen eingebunden: Alle Kampfverbände der Luftwaffe wie auch die Kräfte der Luftraumüberwachung waren somit von Anfang an NATO Command Forces und dem Bündnis schon zu Friedenszeiten voll unterstellt. Dies beinhaltete auch einen Schichtdienst in ständiger Alarmbereitschaft.

Eine Karte zeigt die Gefechtsstreifen der NATO-Verbündeten nahe der innerdeutschen Grenze im Kalten Krieg

Geteiltes Land: Die Bundesrepublik und die DDR waren „Frontstaaten“ gegnerischer Bündnisse. Bei einem Angriff sollte der Westen Deutschlands grenznah verteidigt werden.

Bundeswehr

Die größte Bundeswehr

Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem F-104F Starfighter der Bundeswehr auf dem Rollfeld

Ein F-104F Starfighter der Bundeswehr löst bei der Landung den Bremsschirm aus. Der Starfighter war eines der Trägersysteme im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Bundeswehr

Bundeswehr/Storz

In den 1980er-Jahren besaß die Bundeswehr 12 Heeresdivisionen mit 36 Brigaden und weit mehr als 7.000 Kampf-, Schützen- und sonstigen Panzern, 15 fliegende Kampfverbände in Luftwaffe und Marine mit rund 1.000 Kampfflugzeugen, 18 Flugabwehrraketenbataillone sowie Marineverbände mit circa 40 Raketenschnellbooten, 24 U-Booten sowie einigen Zerstörern und Fregatten.

Allein ihr materieller und personeller Beitrag zu den Landstreitkräften und zur integrierten Luftverteidigung der NATO in Mitteleuropa betrug rund 50 Prozent. Damit stellte die Bundeswehr im Kalten Krieg nach den USUnited States-Streitkräften in Europa bereits seit den 1970er-Jahren die größten westeuropäischen Streitkräfte – weit vor der britischen und auch der französischen Armee.

Hervorstechend war dabei auch der Modernisierungsschub, den die Bundeswehr ab Ende der 1970er Jahre erlebte: Der Kampfpanzer Leopard 2, neue LKw, der Jagdbomber Tornado und die Fregatte Klasse 122 wurden eingeführt. Diese Systeme und neue Panzerabwehrminen und -raketen sorgten für eine erheblich gesteigerte militärische Leistungsfähigkeit der Bundeswehr.

In Friedenszeiten verfügte die Bundeswehr zeitweilig über fast 495.000 Soldaten. Im Krieg wären es durch die Einberufung von Reservisten rund 1,3 Millionen Soldaten gewesen.

Abschreckung durch Nuklearwaffen

Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem Artillerie-Feldraketenwerfer 762 Honest John der Bundeswehr

Die Bundeswehr wurde ab 1957 mit dem amerikanischen Artillerie-Feldraketenwerfer vom Typ Honest John ausgerüstet

Bundeswehr/Strak

Angesichts der konventionellen Überlegenheit des Warschauer Pakts blieb die NATO jedoch auf die Abschreckung durch Nuklearwaffen angewiesen. Sie signalisierten: Ein Angriff auf die NATO war kaum zu gewinnen, ja noch nicht einmal zu realisieren.

Im Rahmen der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ verfügte die Bundeswehr von 1956/57 bis 1990 über verschiedene Trägersysteme für nukleare Munition. Neben den Jagdbombern vom Typ Lockheed F-104G Starfighter und seinem Nachfolger, dem Panavia 200 Tornado, zählten dazu vor allem verschiedene Artilleriesysteme: Feld- und Panzerhaubitzen 203mm und 155mm, Kurz- und Mittelstreckenraketen vom Typ Honest John, Sergeant, Lance oder Pershing Ia. Die Munition für diese nuklearen „Sonderwaffen“ befand sich unter der Kontrolle der USUnited States-Streitkräfte in Europa.

Die Bedeutung der Bundeswehr im Kalten Krieg

Ohne die Bundeswehr mit ihren rund 500.000 Soldaten wäre eine NATO-Landes- und Bündnisverteidigung in Mitteleuropa nie glaubhaft gewesen. Auch nicht eine Politik der Entspannung, die wiederum auf dieser militärischen Absicherung basierte.

Die Bedeutung der Bundeswehr für das Bündnis bestand nicht allein in ihrer Größe und Schlagkraft. Sie wurde auch durch die Vergabe hoher Kommandoposten an deutsche Generale unterstrichen: Die Bundeswehr stellte seit 1966/67 den Alliierten Oberbefehlshaber Mitteleuropa (Commander in Chief Central Europe, CINCENT) und ab 1976 den Befehlshaber der 4. Alliierten Taktischen Luftflotte sowie bereits seit Ende der 1950er-Jahre den Stellvertretenden Chef des Stabes für Planung im NATO-Hauptquartier Europa (SHAPESupreme Headquarters Allied Powers Europe). Drei deutsche Generale waren bis 1990 Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, des höchsten militärischen Gremiums der NATO.

Literatur:

Martin Rink: Die Bundeswehr 1950/55–1989 (= Militärgeschichte kompakt. 6). DeGruyter Oldenbourg, München 2015, ISBN 978-3-11-044096-6.

Rudolf J. Schlaffer, Marina Sandig: Die Bundeswehr 1955–2015. Sicherheitspolitik und Streitkräfte in der Demokratie. Analysen, Bilder und Übersichten. Rombach, Freiburg im Breisgau 2015, ISBN 978-3-7930-9836-2.v

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