Die Geschichte des Heeres

Die Geschichte des Heeres ist Kernbestandteil der Geschichte der Bundeswehr. Seit 1950 mit der Gründung des Amtes Blank erlebte das Heer als größte Teilstreitkraft zahlreiche Reformen, die sich aus den außen- und sicherheitspolitischen Veränderungen jeweils ergaben. Das Heer war von Anfang an in die Strukturen der NATO eingebunden.

Fünf Kampfpanzer fahren nebeneinander über ein Feld.

Das Amt Blank

Am 26. Oktober 1950 wurde Theodor Blank zum Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen ernannt und das sogenannte Amt Blank gegründet. Fast fünf Jahre später, am 7. Juni 1955, wurde es in das Bundesministerium für Verteidigung umgewandelt, Theodor Blank als erster Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland vereidigt. Im Ministerium wurde die Abteilung V Heer aufgestellt. Sie umfasste drei Unterabteilungen für die Aufgabenbereiche Führung und Ausbildung, Organisation sowie Logistik.

Kurze Zeit später, am 12. November 1955, war es dann endlich soweit. Theodor Blank stellte in einer improvisierten Zeremonie in der ehemaligen Bonner Ermekeilkaserne die ersten 101 Freiwilligen in den Dienst der Bundeswehr. Fortan gilt dieses Datum als ihr Gründungstag. Anfang 1956 wurden als erste Truppenteile der Bundeswehr sieben Lehrkompanien in Andernach für das Heer aufgestellt. Der Aufbau der zunächst zwölf Truppenschulen des Heeres begann am 1. Juli 1956. Im Verlauf der Geschichte wurde das Heer über mehrere Heeresstrukturen den stetig wechselnden Rahmenbedingungen der Politik angepasst.

Die ministerielle Abteilung V Heer erarbeitete eine völlig neue Heeresstruktur. Die ersten Planungen für diese Heeresstruktur 1 waren insgesamt sehr großzügig. Der für die NATO-Unterstellung vorgesehene Teil allein des Heeres sollte 320.000 Soldaten umfassen. Hinzu kamen das Truppenamt, die Schulen des Heeres und die ortsfesten Depoteinrichtungen.

Die Heeresstruktur 1 (1956 bis 1958)

Die organisatorische Gliederung des Heeres in der Heeresstruktur 1 orientierte sich teilweise am USUnited States-amerikanischen Vorbild. Jedes der drei nationalen Korps sollte vier Divisionen führen. Dabei waren je sechs Panzer- und Grenadierdivisionen geplant.

Ebenfalls 1956, am 5. Oktober, wurde das Gesetz über den zwölfmonatigen Wehrdienst verabschiedet, sodass die ersten 10.000 Wehrpflichtigen am 1. April 1957 in die Kasernen einrückten. Unter dem neuen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wurde der Friedensumfang des Feldheeres Ende 1956 aber auf zunächst 195.000 Soldaten reduziert.

Bereits kurz nach dem Beginn des Heeresaufbaus musste 1958 die Struktur neu überdacht werden, weil sich die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen geändert hatten. Die Einführung von taktisch-nuklearen Gefechtsfeldwaffen bei den sowjetischen Streitkräften erforderte, die Bundeswehr auf diese neue Qualität der Bedrohung auszurichten.

Die Heeresstruktur 2

Die mit bis zu 28.000 Mann sehr großen Divisionen der Heeresstruktur 1 erschienen für den Einsatz unter atomaren Bedingungen als zu schwerfällig. Die Wirkung gegnerischer Atomwaffen musste so gering wie möglich gehalten werden. In den Mittelpunkt der Überlegungen rückte daher der Gedanke einer beweglich geführten Verteidigung mit der Fähigkeit zu reaktionsschnellen Gegenangriffen. Es mussten folglich kleinere und mobilere Verbände geschaffen werden.

Für die Heeresstruktur 2 setzte die Neukonzeption deshalb vor allem bei der Struktur der Divisionen an. Als kleinerer Grundbaustein innerhalb der Division wurde die Brigade eingeführt. Diese verfügte im Gegensatz zu den Kampfgruppen schon im Frieden organisch über Verbände und Einheiten. Dies erleichterte zum einen das Zusammenwirken im Gefecht der verbundenen Waffen und reduzierte zum anderen den Aufwand beim Herstellen der Einsatz- und Verteidigungsbereitschaft.

Ende 1959 waren elf Divisionen mit insgesamt 27 Brigaden aufgestellt. Der Personalumfang des Heeres betrug rund 148.000 Mann. Die Grenadierdivisionen waren in Panzergrenadierdivisionen umbenannt worden.

Unter anderem die verschärfte Bedrohungslage nach dem Bau der Berliner Mauer ab dem 13. August 1961 führte zur Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate ab dem 1. April 1962.

1969 gliederte der Führungsstab des Heeres erneut um. Entsprechend der zunehmenden Ausstattung des Heeres mit Hubschraubern wurde für die Aufgabe Luftbeweglichkeit ein eigenes Referat geschaffen.

Fünf Soldaten auf Straße

Soldaten einer Jägerkompanie trainieren den Ortskampf im Juni 1971.

Bundeswehr/Günther Oed


Die Siebzigerjahre

Mitte der Siebzigerjahre veränderte sich die Bedrohungssituation. Während bei den strategischen Atomwaffen zwischen den USA und der UdSSRUnion der Sozialistischen Sowjetrepubliken ein Gleichgewicht bestand, war es der Sowjetunion gelungen, ihr Übergewicht im Mittelstreckenbereich zu vergrößern.

Am 12. Dezember 1979 reagierte die NATO mit einem Doppelbeschluss, der eine Modernisierung der nuklearen Mittelstreckenraketen ab 1983 bei einem gleichzeitigen Verhandlungsangebot an die Sowjetunion zur beiderseitigen Begrenzung der Mittelstreckensysteme vorsah.

Der Führungsstab des Heeres reagierte auf diese Entwicklung in zweifacher Weise. Zum einen wurde neues Wehrmaterial, wie die Panzerabwehrlenkraketen Hot und Milan und der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, eingeführt und neue Waffensysteme, insbesondere der Kampfpanzer Leopard 2, der Flugabwehrpanzer Roland und der Panzerabwehrhubschrauber, entwickelt.

Seit Mitte der Sechzigerjahre machte sich der Führungsstab des Heeres Gedanken darüber, wie die bestehende Struktur des Heeres den Rahmenbedingungen der neuen NATO-Strategie der flexiblen Erwiderung (Flexible Response) angepasst werden könnte.

Die Heeresstruktur 3

Das Verhältnis von Kampfverbänden zu Kampfunterstützungstruppenteilen sollte verbessert werden und es galt, die nicht erfolgte Ausrüstung mit atomaren Gefechtsfeldwaffen durch die Ausrüstung mit konventionellen Flächenfeuerwaffen auszugleichen. Vor dem Hintergrund steigender Betriebskosten und begrenzter Haushaltsmittel hieß das Stichwort für die Heeresstruktur 3 Spezialisierung bei abgestufter Präsenz. Zur Anpassung der Großverbände an das jeweilige Gelände ihres Einsatzraumes wurde das Jägerkonzept entwickelt.

Zwei Panzergrenadierdivisionen sollten ihre Brigaden in Jägerbrigaden, also leichte Infanterieverbände, umgliedern und so zu Jägerdivisionen werden. Dadurch wurden der Anteil an Panzer- und Panzergrenadierverbänden verringert und so die Betriebskosten reduziert. Weitere Einsparungen sollten durch das Konzept der abgestuften Präsenz erzielt werden. Während die Brigaden voll präsent blieben, wurden die Korps- und Divisionstruppen in Teilen als Reserve aufgestellt.

Ende 1971 gliederte sich das Feldheer in vier Panzer-, vier Panzergrenadier- und zwei Jäger- sowie je eine Gebirgs- und Luftlandedivision.

Das Konzept der folgenden Struktur war ausgelegt auf größere Beweglichkeit beim Ansatz der Kräfte und sollte ein schnelleres Bilden und Verlagern von Schwerpunkten im Gefecht ermöglichen.

Die Heeresstruktur 4

Die gravierendsten Veränderungen der Heeresstruktur 4 traten auf Brigade- und Bataillonsebene ein. Hier sollten – unter der Beibehaltung des hohen Präsenzgrades – kleinere Kampfverbände und -einheiten in größerer Zahl und eine somit höhere Führerdichte entstehen. Die Zahl der Kampftruppenbataillone in den Brigaden erhöhte sich von drei auf vier und es entstanden gemischte Panzer- und Panzergrenadierbataillone.

Das Feldheer der Heeresstruktur 4 umfasste drei Korps mit zwölf Divisionen. Die 2. und 4. Jägerdivision wurden zu Panzergrenadierdivisionen umgegliedert und die 1. und 7. Panzergrenadierdivision in Panzerdivisionen umgewandelt. Die insgesamt 38 aktiven Brigaden teilten sich auf in 17 Panzer-, 15 Panzergrenadier-, drei Luftlande- und eine Gebirgsjägerbrigade sowie die ab 1982 der NATO zugewiesenen aktiven Heimatschutzbrigaden 51 in Eutin und 56 in Neuburg an der Donau.

Mit der sich verändernden sowjetischen Politik unter Präsident Michael Gorbatschow entspannte sich der Ost-West-Konflikt grundlegend.

Die Heeresstruktur 5 und die Wiedervereinigung

In der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre zeichneten sich weitreichende Änderungen von Struktur und Umfang der Bundeswehr ab. Der damalige Streitkräfteumfang von 495.000 Soldaten wäre aufgrund der geburtenschwachen Geburtsjahrgänge nur bei einer Verlängerung des Grundwehrdienstes zu halten gewesen. Dementsprechend hatte der Deutsche Bundestag bereits im April 1986 die Verlängerung des Wehrdienstes von 15 auf 18 Monate ab dem 1. Juni 1989 beschlossen.

Parallel bahnte sich ein weit grundlegenderer Wandel an. Das erfolgreiche Treffen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Michael S. Gorbatschow im Juli 1990 im Kaukasus legte die Modalitäten der deutschen Wiedervereinigung fest. Für die nunmehr gesamtdeutsche Bundeswehr belief sich der personelle Friedensumfang aber auf höchstens 370.000 Soldaten. Die erforderliche Reduzierung war bis Ende 1994 – dem geplanten Abschluss des Abzuges der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland – zu vollziehen. Nach den Jahren des Aufbaus der Streitkräfte und immer nur kurzen Zeiten der Konsolidierung standen die Bundeswehr und damit auch das Heer erstmals vor einer Phase des Abbaus bei gleichzeitigem Umbau der Streitkräfte.

Wehrdienst verkürzt

Mit der deutschen Wiedervereinigung und dem neu festgelegten Personalumfang für die Bundeswehr waren die bis dahin für die Heeresstruktur 5 geplanten Stärken überholt. Der Friedensumfang des gesamtdeutschen Heeres war bis Ende 1994 auf etwa 255.000 Soldaten zu reduzieren. Als angemessener Anteil des Heeres auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wurde den Planungen ein Umfang von etwa 40.000 Soldaten zugrunde gelegt. Darüber hinaus waren zwei weitere Faktoren in die Planung einzubeziehen:  Zum einen wurde die Dauer des Wehrdienstes ab 1990 von 15 auf zwölf Monate verkürzt. Zum anderen galt es, die nationale Führungsfähigkeit des Heeres sicherzustellen.

Binationale Verbände

Die Anzahl der Brigaden sollte von 48 auf 26 Kampfbrigaden mit unterschiedlichem Präsenzgrad verringert werden. Die Verteidigungskreiskommandos sollten aufgelöst und gleichzeitig die Zahl der Verteidigungsbezirkskommandos von 29 auf 46 erhöht werden.

Die Erweiterung des Aufgabenspektrums der Bundeswehr, die angestrebte Multinationalität der Korpsstäbe, aber auch Mittelkürzungen führten Ende 1992 zu einer Nachsteuerung bei der Heeresstruktur 5.

Die Heeresstruktur 5 (N) bedeutete den Wegfall der Territorialkommandos und damit den Verzicht auf eine Fusionierung von Korps- und Territorialkommandos im Frieden. Gleichzeitig wurden die Korps zu Trägern der Multinationalität im Heer. Das II. Korps wurde im April 1993 in das II. Deutsch-Amerikanische Korps umgewandelt. Das I. Korps wurde im August 1995 aufgelöst und an seiner Stelle das I. Deutsch-Niederländische Korps aufgestellt. Einer der beiden geplanten taktisch-operativen Divisionsstäbe wurde gestrichen, der verbleibende zum „Kommando Luftbewegliche Kräfte“ umgegliedert und mit der truppendienstlichen Führung der drei Luftlandebrigaden betraut.

Drei Spähpanzer Luchs fahren auf Straße.

Patrouille von Fahrzeugen des gepanzerten Einsatzverbandes in Bosnien-Herzegowina.

Bundeswehr / BMVg


Das Heer der Zukunft (2000/2003 bis 2006)

Die „Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf“ und das „Heer der Zukunft“ setzten fort, was sich in den Jahren zuvor schrittweise entwickelt hatte: von einer Bundeswehr, die innerhalb 48 Stunden an der Landesgrenze die Verteidigung gegen einen mechanisierten Gegner aufnehmen sollte, hin zu weltweiten Einsätzen im Rahmen des internationalen Konfliktmanagements. Der Wandel zu einer „Armee im Einsatz“ war strukturell abzubilden. Der offizielle Startschuss für die Reform des Heeres fiel am 21. Juli 2000 mit der Herausgabe der Weisung zur Ausplanung der Streitkräfte der Zukunft.

Die politischen Vorgaben des Verteidigungsministers forderten vom Heer das Beherrschen des folgenden Aufgabenspektrums:

  • Bündnis- und Landesverteidigung,
  • Krisen- und Konfliktmanagement,
  • Spezialoperationen,
  • Katastrophen- und Hilfseinsätze.

Den Kern der Reform bildete die strukturelle Ausrichtung des Heeres auf die wahrscheinlichsten Einsätze. Zur Unterstützung von Bündnispartnern außerhalb Deutschlands wurde vom Heer gefordert, sich mit Kräften in der Größenordnung einer verstärkten Mechanisierten Division zu beteiligen (Große Operation). Alternativ zu dieser Großen Operation soll das Heer im Rahmen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung Kräfte bis zu einer Stärke von 10.000 Soldatinnen und Soldaten in zwei gleichzeitigen Einsätzen (Mittlere Operation) über einen langen Zeitraum bereitstellen können.

Zur nationalen Vorsorge für Rettungs- und Evakuierungsoperationen deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, zum Schutz eigener Truppen vor terroristischer Bedrohung sowie für Einsätze zum Zweck der humanitären Hilfe und Katastrophenhilfe waren darüber hinaus Kräfte in Stärke von etwa 1.000 Soldatinnen und Soldaten vorzuhalten (Kleine Operation).

Das Heer verliert 40 Prozent seines Personals

Die Neuausrichtung der Bundeswehr von Grund auf bedeutete für das Heer eine Konzentration auf die Kernaufgaben. Unterstützungsaufgaben wurden an die neuen Organisationsbereiche Streitkräftebasis (SKBStreitkräftebasis) und Zentraler Sanitätsdienst (ZSanDstBwZentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr) der Bundeswehr abgegeben. SKBStreitkräftebasis und Zentraler Sanitätsdienst entlasten die Teilstreitkräfte von allen nicht einsatzbezogenen Aufgaben im Grundbetrieb sowie von nationalen territorialen Aufgaben. Sie erfüllen neben ihrem jeweiligen Einsatzauftrag die Funktion von Servicebereichen.

Die neue Aufgabenverteilung wirkte sich unmittelbar auf die Personalumfänge aus. Während im „Neuen Heer für neue Aufgaben“ noch etwa 225.000 Soldaten dienten, betrug der Umfang im „Heer der Zukunft“ nur noch 134.000 Soldatinnen und Soldaten. Das Heer verlor 40 Prozent seines Personals und hatte gleichzeitig den Umfang schnell verfügbarer Einsatzkräfte zu erhöhen.

Allerdings wurden mit der Übertragung von Aufgaben auch mehr als 50.000 Heeressoldatinnen -und soldaten an Streitkräftebasis und Sanitätsdienst abgegeben. In den „Streitkräften der Zukunft“ trugen 190.000 Soldatinnen und Soldaten, und damit auch der überwiegende Teil der Soldatinnen und Soldaten der SKBStreitkräftebasis, die Uniform des Heeres. Die 190.000 Heeresuniformträger verteilten sich wie folgt auf die Organisationsbereiche der Streitkräfte:

  • Heer: 134.000 Soldatinnen und Soldaten
  • Streitkräftebasis: 37.000 Soldatinnen und Soldaten
  • Zentraler Sanitätsdienst: 19.000 Soldatinnen und Soldaten
Soldaten laufen durch afghanische Ortschaft.

Afghanistan 2009: Soldaten machen sich auf den Weg nach Faisabad.

Bundeswehr/Dana Kazda


Das Neue Heer (2003/2006 bis 2010)

Die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPRVerteidigungspolitische Richtlinien) vom 21. Mai 2003 beurteilten die sicherheitspolitische Lage Deutschlands so, dass eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte weder damals noch auf absehbare Zeit zu befürchten war. Die sicherheitspolitische Lage erforderte vielmehr eine auf Vorbeugung und Eindämmung von Krisen und Konflikten zielende Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die das gesamte Spektrum sicherheitspolitischer Optionen umfasste und auf dem gemeinsamen Handeln mit Verbündeten und Partnern aufbaute.

Das Einsatzspektrum der Bundeswehr hatte sich grundlegend verändert. Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung standen im Vordergrund. Die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angriff als allein strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr entsprach nicht länger den sicherheitspolitischen Erfordernissen. Nur für diesen Zweck bereitgehaltene Fähigkeiten waren daher nicht mehr benötigt. Die am 1. März 2004 erlassene Weisung zur Weiterentwicklung der Streitkräfte setzte daher als Ziel eine einsatzorientierte, differenzierte Ausrichtung der Streitkräfte, um streitkräftegemeinsam im multinationalen Umfeld operieren zu können.

Asymmetrische Bedrohung

Die Reform des Heeres bis 2010 hin zum „Neuen Heer“ war Teil der Transformation der Bundeswehr. Die wesentlichen Gründe für die Veränderungen lagen in der Globalisierung von Konflikten, der zunehmend asymmetrischen Bedrohung in Einsätzen, der Gleichzeitigkeit von Gefecht, Friedensstabilisierung und humanitärer Hilfeleistung in einem Einsatzraum, der steigenden Zahl zu erwartender Einsätze in urbaner Umgebung aber auch den begrenzten finanziellen Möglichkeiten.

Im Vergleich zum „Heer der Zukunft“ wurde das „Neue Heer“ noch konsequenter auf die Auslandseinsätze ausgerichtet und optimiert. Das Heer umfasste in der neuen Struktur noch 83.500 Soldaten.

Das Heer 2011

Das Stationierungskonzept 2011 der Bundeswehr hatte auch Folgen für das Heer. Das Konzept legte fest, wo und in welchem Umfang die Bundeswehr in Deutschland künftig Standorte mit wie vielen Dienstposten unterhalten wird. Der damalige Verteidigungsminister, Thomas de Maizière, stellte es im Oktober 2011 dem Bundeskabinett vor. Das Konzept war neben der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland zum 1. Juli 2011 ein weiterer grundlegender Reformschritt im Zuge der 2010 beschlossenen Neuausrichtung der Bundeswehr.

Für das Heer folgte daraus: Die Struktur von Heeresführungskommando und Heeresamt wird aufgegeben. Stattdessen entstehen das Kommando Heer in Strausberg bei Berlin als oberstes Führungskommando. Das Heer wird geführt durch den Inspekteur des Heeres. Erstmals in seiner Geschichte ist er truppendienstlich dem Generalinspekteur der Bundeswehr nachgeordnet. Das Amt für Heeresentwicklung in Köln sowie das neu ausgeplante Ausbildungskommando Heer in Leipzig übernehmen Aufgaben des bisherigen Heeresamtes. Der Generalinspekteur der Bundeswehr wird truppendienstlicher Vorgesetzter des Inspekteurs des Heeres.

Bedeutende Merkmale der Struktur waren: Der Militärmusikdienst und die ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrtruppe gingen in der Streitkräftebasis auf. Die Heeresfliegertruppe gab ihre Transporthubschrauber CH-53 an die Luftwaffe ab. Die Heeresflugabwehrtruppe wurde aufgelöst. Das Konzept der luftbeweglichen Infanteriebrigade wurde in der Division Schnelle Kräfte realisiert. Die Jägertruppe setzte ihren Aufwuchs im Heer fort. Mit dem Wegfall des Jägerregimentes 1 entstanden drei neue Jägerbataillone.

Schützenpanzer Puma auf Übungsplatz

Im Juni 2015 wird der erste Schützenpanzer Puma an das Deutsche Heer übergeben.

Bundeswehr/Marco Dorow


Bündnis- und Landesverteidigung nach der Krimkrise 2014

Nach der Annexion der Krim 2014 durch Russland und dem NATO-Gipfel in Wales verlagerte das Heer seinen Schwerpunkt verstärkt hin zur Bündnis- und Landesverteidigung. Als eine der ersten Streitkräfte in Europa stellte das Heer eine multinationale Battlegroup unter deutscher Führung in Litauen. Zeitgleich befanden sich bis 2021 knapp ein Fünftel der Soldatinnen und Soldaten des gesamten Heeres in Einsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen und anerkannten Missionen. Mit der Bereitstellung von Streitkräften und Technik für die Mission Enhanced Forward Presence an der Ostflanke der NATO und die Schnelle Eingreiftruppe der NATO, Very High Readiness Joint Task Force (VJTFVery High Readiness Joint Task Force ), setzt das Heer alles daran, das Bündnis zu stärken und die europaweite Kooperation voranzutreiben.

Während sich die Auslandseinsätze durch ein hohes Maß an Planbarkeit auszeichnen, muss sich das Heer nun in der Landes- und Bündnisverteidigung mit ähnlichen teils schwer berechenbaren Szenarien auseinandersetzen, die die Struktur und die Geschichte der Landstreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland bis in die Neunzigerjahre prägten. Durch das Ende des Afghanistan-Einsatzes im Sommer 2021 und die veränderte politische und strategische Lage in Osteuropa seit 2014 wandelt sich das Heer erneut. Es erfindet sich aber nicht neu, sondern nimmt wieder das in den Fokus, was über Jahrzehnte sein Hauptauftrag war: die Landesverteidigung – und aus der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland als NATO-Mitglied heraus die Bündnisverteidigung.

Für die Landes- und Bündnisverteidigung im 21. Jahrhundert kann es aber nicht einfach ein Zurück in alte Strukturen geben. Scheinbar altbekannte politische oder strategische Herausforderungen verlangen im 21. Jahrhundert neben bewährten Rezepten auch innovative Ansätze wie die Anpassung der Führungsorganisation des Heeres. Von den Landstreitkräften wird in Zukunft erwartet, dass es den Führungsauftrag am Boden wahrnimmt. Dazu gehört auch, einsatzfähige, einsatzbereite und schlagfertige Großverbände am Boden aufstellen und führen zu können.

Landesverteidigung ist ohne eine starke Reserve schwierig. Auch deshalb kommt der Reserve des Heeres eine neue Bedeutung zu. Bereits bei der Einstellung in den aktiven Dienst werden künftig die Soldaten zum Dienst in der Reserve verpflichtet.

Weiter wird ein neues, großes und komplexes Vorhaben Realität: die Digitalisierung der landbasierten Operationen, das digitale Heer. Ziel ist es, zukunftsorientierte, langfristige und tragfähige Lösungen zu schaffen, um mit der zunehmenden Digitalisierung des Gefechtsfeldes Schritt halten zu können.