Militärhistorie

Warum Soldaten Eide leisten: Die lange Vorgeschichte des Gelöbnisses der Bundeswehr

Die Germanen schworen sich gegenseitigen Beistand. Die römischen Legionäre riefen die Götter an und hofften auf deren Segen. Die Geschichte militärischer Eide ist lang und hat gerade in Deutschland auch ihre dunklen Seiten. Deshalb sollte die Bundeswehr ursprünglich ohne Diensteid auskommen – ein militärgeschichtlicher Überblick.

Eine schwarz-weiß Aufnahme aus dem Jahr 1993, bei dem ein feierliches Gelöbnis zu sehen ist.

Oberst Dr. Sven Lange ist der Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Er ist als Militärhistoriker vertraut mit der Geschichte militärischer Traditionen und Brauchtümer in Deutschland. Er weiß, wie die Bundeswehr zu ihrer Gelöbnisformel gekommen ist. 

Kriegersippen und Legionäre

Schon die Germanen und die römischen Legionäre haben bereits Eide geleistet, erklärt Lange. „Die freien, waffenfähigen germanischen Krieger schworen dem gewählten Heerführer ihr Treue und Gefolgschaft im Kriegsfall.“  Der Eid band Eidgeber und Eidnehmer gleichermaßen. „Kern dieser Eide war die gegenseitige Schutz- und Beistandspflicht“, erklärt der Historiker.

Römische Legionäre hingegen mussten ein sogenanntes „sacramentum militare“ schwören. Diese Individualeide wurden jährlich auf die Götter geschworen. Sie dienten den Soldaten als kameradschaftliches Versprechen untereinander. „Das sacramentum hatte aber auch politische Aspekte und galt im Kaiserreich dem jeweiligen Kaiser“, ergänzt Lange.

Ritter waren durch Lehnseide persönlich zum Militärdienst verpflichtet. Die Söldner des 16. Jahrhunderts hatten eine solche Bindung nicht und konnten den „Arbeitgeber“ wechseln, wenn dies eine bessere Besoldung bedeutete. Ihr Eid war daher in erster Linie ein Treue- und Gehorsamsversprechen sowie eine Verpflichtung auf die jeweils geltenden Militärgesetze (Kriegsartikel). „Mit ihrer Eidesleistung unterwarfen sich die geworbenen Söldner dem Kriegsrecht, ein Rücktritt war nun nicht länger möglich. Die Vereidigung war also vor allem ein wichtiger Rechtsakt“, erklärt Lange.

Soldaten als Schwurgemeinschaft

Im 19. Jahrhundert trat die juristische Bedeutung der Eidesleistung mehr und mehr in den Hintergrund. Mit Einführung der Wehrpflicht und eines einheitlichen Militärstrafrechtes begründete der Eid nicht länger den Soldatenstatus. Stattdessen wandelte sich der Fahneneid immer mehr zu einer hauptsächlich moralischen Verpflichtung.

Eine Schwarz-Weiß-Zeichnung von Soldaten mit Pickelhaube, die auf einem Marktplatz angetreten sind

Ab dem 19. Jahrhundert unverzichtbar für das Etablieren eines Gemeinschaftsgeistes: Der militärische Eid wird mehr und mehr zum Initiationsritus für neue Soldaten (Symbolbild)

Bundeswehr/stock.adobe.com/Erica Guilane-Nachez

„Der eigentliche Sinn des Fahneneides lag in der hohen Verbindlichkeit eines vor Gott beschworenen Versprechens“, erklärt Oberst Lange. „Die disziplinierende Bindewirkung des Eides sollte der Desertion entgegenwirken und Gehorsam sichern.“

Aus der Kaserne in die Öffentlichkeit

„Dass der Fahneneid in der Öffentlichkeit geschworen wird, war nicht immer so“, macht Lange deutlich. Mit dem Aufkommen stehender Heere wurde es üblich, die Truppen auf den Exerzierplätzen und in den Kasernenhöfen zu vereidigen. Erst das Kaiserreich begann die Vereidigung von Soldaten öffentlich und unter wachsender Anteilnahme der Bevölkerung zu zelebrieren. In der Reichswehrzeit fanden die Vereidigungen generell nur noch innerhalb der Kasernen statt.

Während die Vereidigung zunächst eine interne Zeremonie war, an der neben den Soldaten und ihren Vorgesetzten lediglich noch die Militärgeistlichen teilnahmen, wurde die Eidesleistung ab dem 19. Jahrhundert immer öffentlicher. „Nachdem der Eid seine rechtliche Funktion weitgehend eingebüßt hatte und zum Initiationsritus geworden war, diente die Vereidigung immer mehr der Sichtbarmachung der soldatischen Gemeinschaft gegenüber der Öffentlichkeit“, erklärt der Militärhistoriker.

Fahneneid als Propagandaspektakel

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden die öffentlichen Vereidigungen zum Propagandaspektakel. Der Eid der Wehrmacht, der „unbedingten Gehorsam“ forderte, begründete ein persönliches Verpflichtungsverhältnis des einzelnen Soldaten zu Hitler. So dienten die öffentlichen Vereidigungen als Instrument der ideologischen Gleichschaltung.

Auch die Führungsspitze der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sah in Vereidigungszeremonien vor allem Propaganda-Ereignisse. „Die Nationale Volksarmee (NVANationale Volksarmee) führte die Zeremonie zum Beispiel gezielt in Fabriken durch“, erklärt Lange. Zwischen Fließbändern und Produktionsstätten sollte so die ideologische Einbindung der Streitkräfte in die werktätige Gesellschaft besonders deutlich werden.

Anders beim feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr: Ihre Soldatinnen und Soldaten sind als Staatsbürger in Uniform immer auch selbst Teil der Gesellschaft. Gelöbnisse in der Öffentlichkeit und mit zivilen Gästen verdeutlichen das zusätzlich. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bekennen sich beim Gelöbnis zu ihren Pflichten – gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und gegenüber dem deutschen Volk. „Eid und Gelöbnis der Bundeswehr verpflichten nicht auf eine Person oder eine politische Ideologie“, so der Historiker. Er ergänzt: „Stattdessen gelten sie unserer freiheitlichen Rechtsordnung sowie dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland gegen äußere Bedrohung.“

Eidesformeln der Vergangenheit

„Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und gelobe, dass ich als tapferer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten will.“

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich Volk und Vaterland allzeit treu und redlich dienen und als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“

Ich schwöre,
der Deutschen Demokratischen Republik,
meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen
und sie auf Befehl der Arbeiter- und Bauernregierung
gegen jeden Feind zu schützen.
Ich schwöre,
an der Seite der Sowjetarmee und der Armeen
der mit uns verbündeten sozialistischen Länder
als Soldat der Nationalen Volksarmee
jederzeit bereit zu sein,
den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen
und mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen.
Ich schwöre,
ein ehrlicher, tapferer, disziplinierter
und wachsamer Soldat zu sein,
den militärischen Vorgesetzten
unbedingten Gehorsam zu leisten,
die Befehle mit aller Entschlossenheit zu erfüllen
und die militärischen und staatlichen Geheimnisse
immer streng zu wahren.
Ich schwöre,
die militärischen Kenntnisse gewissenhaft zu erwerben,
die militärischen Vorschriften zu erfüllen
und immer und überall die Ehre unserer Republik
und ihrer Nationalen Volksarmee zu wahren.
Sollte ich jemals diesen meinen feierlichen Fahneneid verletzen,
so möge mich die harte Strafe des Gesetzes unserer Republik
und die Verachtung des werktätigen Volkes treffen.

Kein Diensteid bei der Bundeswehr?

Eid und Gelöbnis verpflichten die Soldatinnen und Soldaten auf das Grundgesetz und dessen zentrale Werte. Dass das so ist, geht auch auf den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und seine Regierung zurück.

Trauerfeier

Alle waren zunächst dagegen: Als 1954 über die Wiedereinführung eines Fahneneides diskutiert wurde, sprachen sich das Amt Blank, der Sicherheitsausschuss, das Parlament und der Verteidigungsausschuss gegen eine Wiedereinführung aus (Symbolbild)

Bundeswehr/Steiner

„Nach dem Zweiten Weltkrieg galt der Eid durch die missbräuchliche persönliche Verpflichtung der Wehrmacht auf Adolf Hitler als entwertet. Eine erneuter ,Zwangseid' galt als unzumutbar“, erklärt Oberst Lange. „Als Folge dessen beabsichtigte man, die Soldaten künftig nur durch Handschlag und nicht durch eine feierliche Vereidigung zu verpflichten.“ 

Die Beamten waren der Ausschlaggeber

„Mit dem ersten Entwurf des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) änderte sich diese Haltung“, so der Militärhistoriker. Er erklärt: „Das Hauptargument war, dass die Verpflichtung der Soldaten nicht weniger rechtlich bindend sein dürfe als die der Beamten. Für die gab es nämlich bereits einen Diensteid.“ Mit dieser Begründung stimmten sowohl der Verteidigungsausschuss als auch der Bundestag im Jahr 1955 für die Einführung eines Diensteides für Berufs- und Zeitsoldaten. Wehrpflichtige mussten dagegen nur ein Gelöbnis ablegen.

„Erstmalig in der deutschen Militärgeschichte war damit ein Dualismus, also die Unterscheidung zwischen vereidigten und unvereidigten Soldaten, gesetzlich festgelegt“, erklärt Lange. Wehrdienstleistende konnten Soldaten sein ohne einen Diensteid geschworen zu haben. Selbst wenn sie ihr Gelöbnis nicht sprechen wollten, mussten sie dennoch ihren Wehrdienst leisten. „Substanziell begründen Eid und Gelöbnis kein Rechts- oder Dienstverhältnis“, erklärt Lange. „Sie zielen auf die religiösen und moralischen Kräfte, die ein bloßer Rechtsakt nicht erfassen kann.“ Auch heute können freiwillig Wehrdienstleistende ihr Gelöbnis verweigern, werden dann aber nicht befördert. Nur Soldaten auf Zeit müssen ihren Diensteid schwören, um als Soldatin oder Soldat dienen zu können.

Eine Portaitaufnahme von Oberst i.G. Sven Lange.
Oberst Sven Lange, Kommandeur Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften Bundeswehr/Jonas Weber
„Durch den Eid und das feierliche Gelöbnis soll sich der Soldat der Bundeswehr moralisch verpflichten, seinen Dienst an Volk und Staat unter allen Umständen so standhaft, zuverlässig und mit so hohem sittlichen Ernst zu leisten, wie es ihm sein Gewissen vorschreibt.”