Starke Reserve

Ausgebildet, ausgestattet, abrufbereit - Die neue Strategie der Reserve definiert den Handlungsrahmen

Ausgebildet, ausgestattet, abrufbereit - Die neue Strategie der Reserve definiert den Handlungsrahmen

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
8 MIN

 

Jahrestagung der Reserve 2019

Die Bundesverteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, hält eine Rede im Rahmen der Jahrestagung der Reserve der Bundeswehr 2019 im Maritim Hotel in Berlin, am 18.10.2019

Bundeswehr/Jonas Weber


Die Reserve gewährleistet den Aufwuchs unserer Bundeswehr, die Reserve verstärkt die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr und die Reserve erhöht die Durchhaltefähigkeit unserer Bundeswehr - das gilt insbesondere mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung.“

Mit diesen Worten beschrieb Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 18. Oktober 2019 die Aufgabenschwerpunkte der Reserve der Bundeswehr. Sie tat dies in ihrer Rede zur Einführung der unmittelbar zuvor durch sie gezeichneten Strategie der Reserve vor nahezu 400 Soldatinnen und Soldaten sowie Reservistinnen und Reservisten während der Jahrestagung der Reserve der Bundeswehr. Damit hatte die Ministerin das „Wozu“ für die Reserve umrissen. Die neue Strategie der Reserve erklärt das „Was“ und „Wie“. Sie definiert neun sogenannte Kernelemente. Dabei handelt es sich um ineinander verflochtene Grundsätze des Reservewesens der Bundeswehr, die nur in ihrer Gesamtheit funktionieren.

Kernelement Reserve Grafik

Kernelemente der Strategie der Reserve

Bundeswehr/Catharina Delfou

Das aus dem Weißbuch von 2016 und der Konzeption der Bundeswehr von 2018 abgeleitete Fähigkeitsprofil der Bundeswehr legt dar, dass die Nationale Ambition 2032, das heißt, was die Bundeswehr 2032 leisten können will, nur unter Berücksichtigung einer im Umfang ambitionierten, einsatzbereiten und verfügbaren Reserve realisierbar ist. Damit reiht sich die Strategie der Reserve in den Kreis der für die Zukunft der Bundeswehr relevanten Grundsatzdokumente ein. Die enge Verflechtung von Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und Strategie der Reserve wird zudem in ihrer Ausrichtung auf das Jahr 2032 deutlich - die Strategie der Reserve ist eine „Vision Reserve 2032 plus“.

Eine einsatzbereite Reserve kann nur unter Betrachtung von verschiedenen Handlungsfeldern gewährleistet werden: Rahmenbedingungen, Strukturen, Personal, Material und Infrastruktur, Ausbildung sowie Mentalität und Kommunikation.

Rahmenbedingungen

Die internationale Ordnung verändert sich. Die neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen führen in Deutschland zu einer Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Geostrategisch hat sich Deutschland von einem Frontstaat im Kalten Krieg zu einem Transitland und einer logistischen Drehscheibe im Herzen Europas mit erheblicher Relevanz für die Handlungsfähigkeit der NATO gewandelt. Dies bedeutet Herausforderungen im Rahmen des Host Nation Supports und beim Schutz des eigenen Landes. Deutschland bekennt sich zur Übernahme von mehr Verantwortung bei der Mitgestaltung einer multipolaren Ordnung. Das schließt die Bereitstellung angemessener militärischer Kräfte als Teil eines glaubwürdigen Beitrages zur Friedenssicherung in Europa und in der Welt ein. Die neue Strategie der Reserve legt den Grundstein für ein festes Fundament, auf dem die neue Qualität der Reserve als integraler Bestandteil der Bundeswehr aufgesetzt werden soll.

Soldat im Gewehr im Feuerkampf.

Der Einsatz der Reservisten wird überwiegend auf Dienstposten erfolgen, die ihrer während der aktiven Dienstzeit erworbenen Qualifikation entsprechen

Bundeswehr/Detlef Schachel

Dabei bestätigt sie den Grundsatz der Freiwilligkeit des Reservistendienstes außerhalb des Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfalls. „Wir sind beim Grundsatz geblieben, dass wir niemanden zwingen wollen, aber möglichst viele überzeugen wollen“, betonte die Ministerin während der Jahrestagung der Reserve, und bettete das Thema in eine gesamtgesellschaftliche Diskussion ein: „Ich will die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes davon überzeugen, dass es richtig ist, sich für unser Land zu engagieren.“ In diesem Zusammenhang betonte sie zugleich auch die Bedeutung der Reservistinnen und Reservisten als Mittler für die Bundeswehr in der Gesellschaft. Es gelte deutlich zu machen, dass die Bundeswehr ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Dafür werde man diskutieren, argumentieren, werben und manchmal auch streiten müssen, „um ein Verständnis dafür zu schärfen, dass die Reserve ein unverzichtbarer Teil unserer nationalen Sicherheitsvorsorge ist und bleibt.“

Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen einer funktionierenden Reserve gehört, bei Anbahnung einer Krise unbefristete Übungen von Reservisten und Reservistinnen möglich zu machen und damit reaktions- und handlungsfähig zu sein. Zudem wird es für den Aufwuchs der Streitkräfte mit beorderten Reservisten im Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfall unabdingbar sein, die Wirksamkeit der Dienstleistungs- beziehungsweise Wehrüberwachung zu gewährleisten. 

Erforderliche gesetzliche Anpassungen sind zu prüfen und falls erforderlich einzuleiten.

Strukturen und Personal

Um tragfähige Strukturen zu erreichen (derzeit liegt der Stand der Beorderung in der Verstärkungs- und Territorialen Reserve bei unter 50 Prozent, derzeit in der Territorialen Reserve allerdings deutlich darüber) und um Reservistinnen und Reservisten vor dem Hintergrund der Freiwilligkeit der Reservistendienstleistungen für ihren Dienstposten zu qualifizieren, soll eine Grundbeorderung eingeführt werden. Dabei handelt es sich um die grundsätzliche Einplanung aller wehrdienstfähig aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten für einen Zeitraum von sechs Jahren. Damit wird das Ziel verfolgt, die personelle Grundlage für den zügigen Aufwuchs in einem möglichen Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfall zu schaffen. Im Dialog soll mit den ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten – seien es Freiwillig Wehrdienst Leistende (FWDLFreiwillig Wehrdienstleistende) oder Zeit- oder Berufssoldatinnen und -soldaten – zeitgerecht ein möglichst passgenauer Übergang vom aktiven Dienst in den der Reserve gestaltet werden. Dabei sollen Dienstposten in der Reserve identifiziert werden, die der Qualifikation der ausscheidenden Soldatin beziehungsweise des ausscheidenden Soldaten entsprechen. So soll sich der während seines aktiven Dienstes beispielsweise als Maschinengewehrschütze ausgebildete und eingesetzte Soldat auch in der Reserve als Maschinengewehrschütze wiederfinden.

Soldaten mit Maschinengewehr im Feuerkampf.

Die Ausbildung und Ausstattung der Reserve werden sich verändern

Bundeswehr/Detlef Schachel

Ob in einem Ergänzungstruppenteil seines aktiven Verbandes, zum Beispiel bei den Gebirgsjägern in Berchtesgaden, bei den RSU-Kräften in Nordrhein-Westfalen oder bei den Objektschützern der Luftwaffe in Schortens in Niedersachsen wird vom Bedarf abhängen, aber auch die persönlichen Präferenzen der ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten berücksichtigen. Die künftigen Reservistinnen und Reservisten sollen zugleich auch für freiwillige Reservistendienste motiviert und gewonnen werden. Zwar ist der künftige Reservist Fachmann auf seinem Gebiet (in unserem Beispiel Maschinengewehrschütze), jedoch ist zumindest das Inübunghalten seiner Fertigkeiten während der Grundbeorderung anzustreben. Dies gilt umso mehr für die Ausbildung im Team, also im Verbund mit anderen Reservistinnen und Reservisten seines Beorderungstruppenteils. Für den Übergang in die Reserve muss der Grundsatz gelten: „Aus dem aktiven Dienst zu entlassen, heißt für die Reserve zu gewinnen“. Die beorderten Reservistinnen und Reservisten sollen sich freiwillig und verlässlich für Übungen in ihrer Verwendung verfügbar halten. Dafür bedarf es gezielter Attraktivitätsfaktoren wie ein modernes Arbeitsumfeld, flexible Arbeitszeitmodelle, die weitere Flexibilisierung administrativer Verfahren oder auch Anerkennung zivilberuflicher Qualifikationen für den Dienst in der Reserve beziehungsweise für während des Reservistendienstes erworbener Bundeswehr-Abschlüsse. 

Klar ist auch, dass die Arbeitgeber beziehungsweise Dienstgeber unserer Reservistinnen und Reservisten einzubeziehen sind. Sie gilt es, gezielt zu informieren und für deren Unterstützung bei der Freistellung für den Reservistendienst zu werben. In diesem Zusammenhang gibt es vielversprechende Ansätze in einem Pilotprojekt „Bundeswehr und Wirtschaft“ in Hessen. Hier soll dem aus Sicht der Arbeitgeber vorherrschenden „Bundeswehr-Wirrwarr“ an Ansprechpartnern in der Region entgegengewirkt werden, indem die Leiter der Kreis- beziehungsweise Bezirksverbindungskommandos quasi als das Gesicht der Bundeswehr in der Region fungieren. Da sie selbst Reservisten sind und zudem im zivilen Leben als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber unterwegs sind, kann die Kommunikation auf Augenhöhe stattfinden.

Planungshorizont

Die Grundbeorderung kann in einem oder in zwei Abschnitten durchgeführt werden, insbesondere dann, wenn die für den Beorderungsdienstposten erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb der sechs Jahre verblasst sind. Dann ist ein Wechsel auf einen Dienstposten in der Reserve vorgesehen, der weniger spezielle Forderungen beinhaltet. Nach Ende der sechs Jahre in der Grundbeorderung kann der Reservist wunschgemäß und bei entsprechendem Bedarf beordert bleiben, muss sich dann jedoch für Reservistendienste zur Ausbildung und Inübunghaltung verpflichten. Alternativ wechselt er in die Allgemeine Reserve.

Soldat im Gespräch mit zivilen Gästen bei einem Tag der offenen Tür.

Die Rolle der Reserve als Mittler für die Bundeswehr in der Gesellschaft fördert die Verankerung in der Gesellschaft

Bundeswehr/Detlef Schachel

Die Ausgestaltung und damit das in Kraft setzen der Grundbeorderung wird Zeit in Anspruch nehmen. Dazu gehört auch, die derzeit bereits beorderten Reservisten in dieses System zu integrieren. Zudem ist absehbar, dass ein Mehr an Reservistinnen und Reservisten auch ein Mehr an aktivem Personal erforderlich macht, um ein zeitgemäßes Management in Reservistengelegenheiten zu realisieren. Die Planungen gehen von jährlich rund 15.000 ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten aus, die dann abzüglich derjenigen bei denen Unabkömmlichkeitsgründe vorliegen, für die Reserve zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wird auch zu prüfen sein, ob die derzeit 4.500 Stellen Res pro Jahr (entspricht zirka 1,64 Millionen Dienstleistungstagen) den zukünftigen Bedarf decken werden.

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte während ihrer Rede auf der Jahrestagung der Reserve, dass „die Reserve so aufgestellt, ausgebildet und ausgestattet wird und werden muss“, dass sie ihre Rolle erfolgreich übernehmen kann, „auch unter Gefechtsbedingungen“.

„Das muss uns etwas wert sein“, betonte die Ministerin weiter, denn eine gute Einbindung der Reserve gäbe es nicht zum Nulltarif.

Schwerpunkt Verstärkungsreserve

Auch der Schwerpunkt wird sich ändern. Wenngleich die Beorderungen in der Personalreserve (Spiegeldienstposten) als planerische Vorsorge zur Kompensation personeller Vakanzen und vor allem zur Deckung eines temporär erhöhten Bedarfs ein Faktor bleiben werden, gilt die verstärkte Aufmerksamkeit künftig der Verstärkungsreserve zum Herstellen der vollen Einsatzbereitschaft der Streitkräfte durch Aufwuchs. Diese Kräfte, im Kern die Ergänzungstruppenteile der Truppenreserve sowie die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte und die Territorialen Verbindungsorganisation der der Streitkräftebasis zugeordneten Territorialen Reserve, sind zur Erfüllung ihres Auftrages mit dem dafür erforderlichem Großgerät, Fahrzeugen und Material auszustatten. Eine identische Ausstattung zur aktiven Truppe wirkt sich in vielfacher Weise positiv aus (Ausbildung, Ersetzbarkeit, Logistik, Personal, Kosten, Motivation). Dem ist insbesondere beim Umfang künftiger Beschaffungen Rechnung zu tragen. Hier wird die Forderung, wonach Reserve immer mitzudenken ist, besonders greifbar.

Gruppe von Soldaten im Stellungskampf mit Handgranaten.

Im Rahmen der Reserveübung Haffschlag des nichtaktiven Panzergrenadierbataillon 908 wird der Angriff auf ein Stellungssystem geübt

Bundeswehr/Marco Dorow

Um den Schwung der neuen Strategie der Reserve nicht zu verlieren, muss es gelingen, möglichst rasch erkennbare Fortschritte zu erreichen. Dies kann mit dem Pilotprojekt zur Aufstellung eines Landesregiments in Bayern als Speerspitze der Reserve realisiert werden. Dort soll im Herbst 2020 das Leistungsvermögen dieses Verbandes im Zuge einer Großübung unter Beweis gestellt werden. Die Einrichtung eines regionalen Ausbildungsstützpunktes Reserve auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken soll für die Ausbildung der Territorialen Reserve Modellcharakter haben. Die Einrichtung solcher Ausbildungsstützpunkte in den Regionen folgt der Absicht, die An- und Abreisewege für die Reservistinnen und Reservisten zur Ausbildung möglichst kurz zu halten. Damit kann mehr wertvolle Zeit für die Ausbildung genutzt und der Reservistendienst attraktiver gestaltet werden.

Umsetzung

Das Thema Reserve soll im Schwerpunkt vom Kompetenzzentrum für Reservistenangelegenheiten der Bundeswehr kommuniziert werden. Dazu dient eine Onlinepräsenz der Reserve unter dem Dach von bundeswehr.de und das noch im Aufbau befindliche Extranet, vornehmlich für Fachinformationen. Ein Bürgertelefon wird ebenso wie eine Reservisten-App zum Kommunikationsportfolio der Reserve gehören. Die Res-App soll über die Funktionen Information, Chat und Stellenbörse verfügen. 

Die Ziele und Forderungen der Strategie werden in einen Implementierungsplan umgesetzt, der als ministerielle Arbeitsgrundlage dient. In ihm sind Einzelmaßnahmen mit der damit verbundenen Zielsetzung formuliert sowie Zuständigkeiten und Zeitlinien für die Umsetzung benannt. Der Implementierungsplan wird im Zuge eines jährlichen Fortschrittsberichtes evaluiert, auch in seinen Verknüpfungen mit dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr.

All die Veränderungen, die mit der Umsetzung der Strategie der Reserve anstehen, müssen gut und breit kommuniziert werden. Nur wer die Ziele kennt, kann sich auf dem Weg zu ihrer Erreichung aktiv einbringen. 

Der Grundstein ist gelegt, das Fundament für den Aufbau einer einsatzbereiten Reserve nimmt Form an.


Dieser Artikel ist erschienen in „if„ – Zeitschrift für Innere Führung, Nr. 1/2020

von Detlef  Schachel

Weitere Informationen zur Strategie der Reserve

Die Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer hat auf der Jahrestagung der Reserve am 18. Oktober 2019 in Berlin die neue Strategie der Reserve als Folgepapier der Konzeption der Reserve von 2012 in Kraft gesetzt. 

Die Ziele und Vorgaben der Strategie der Reserve werden schrittweise und im Einklang mit der Entwicklung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr mit Ausrichtung auf das Jahr 2032+ umgesetzt. Dafür bildet ein Implementierungsplan die Grundlage der weiteren Arbeit.

Strategie der Reserve

Hintergründe, Informationen und Artikel über die Strategie der Reserve der Bundeswehr.

Weiterlesen