Nationale Krisen- und Risikovorsorge

Von der Evakuierungsoperation bis zum Hochwasser: Bundeswehr als Helfer in der Not

Der Schutz Deutscher hat „überragende Bedeutung für die Auftragserfüllung der Bundeswehr“ – so steht es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2023. Zwecks Nationaler Krisen- und Risikovorsorge stehen Kräfte bereit, falls Staatsangehörige im Ausland in eine Notlage geraten. Im Inland unterstützt die Truppe bei Heimatschutz oder Amtshilfe.

Viele Menschen liegen und sitzen dicht an dicht im Transportflugzeug A400M. Vorne sitzt ein Soldat.

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Der in den Verteidigungspolitischen Richtlinien verankerte Schutzauftrag der Truppe bringt mit sich, dass jederzeit Kräfte für nationale Krisen- und Risikovorsorge bereitstehen müssen, um „nationale Beiträge zu Rettung und Rückführung, Geiselbefreiung sowie Evakuierung aus krisenhaften Lagen der Bundesregierung zu leisten“.

Aus diesem Schutzauftrag habe man abgeleitet, dass ein Nationales Risiko- und Krisenmanagement zum Schutz deutscher Staatsangehöriger im Ausland, kurz NatRKM, geschaffen werden müsse, erklärt Oberstleutnant i. G. Thomas S.* vom Referat Nationale Krisenvorsorge aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Schwielowsee. Das Nationale Risiko- und Krisenmanagement umfasse dabei sowohl die Risiko- und Krisenvorsorge als auch die Krisenreaktion.

Im Ausland: Schutz deutscher Staatsangehöriger in Notlagen

„Das bezieht sich ausschließlich auf deutsche Staatsangehörige im Ausland in krisenhaften Situationen“, so der Experte, der im Einsatzführungskommando Evakuierungsoperationen der Streitkräfte plant. Beispielsweise hielten sich bei der Evakuierungsoperation im Sudan 2023 deutsche Staatsangehörige in einer Krisenregion auf und waren nicht mehr in der Lage, diese zu verlassen, weil die Fluggesellschaften ihre Flüge eingestellt hatten. In so einem Fall trägt das Auswärtige Amt die Verantwortung für den Schutz dieser Menschen. Die Bundeswehr evakuierte damals Deutsche und weitere zu schützende Personen anderer Nationen aus dem Sudan.

Im Rahmen der Dauereinsatzaufgabe im nationalen Risiko- und Krisenmanagement unterstützt die Bundeswehr das Auswärtige Amt dabei, Staatsangehörige wieder auf deutschen Boden oder in sichere Drittländer zu bringen. Durchführungsverantwortung für militärische Evakuierungsoperationen hat dabei die Bundeswehr, die Federführung liegt jedoch beim Auswärtigen Amt.

Evakuierungsoperationen und Rettungsmissionen, Befreien von Geiseln und Entführten 

Diese nationale Dauereinsatzaufgabe umfasst drei Einzelaufgaben: Dazu zählen neben den Evakuierungsoperationen deutscher Staatsangehöriger, die im Ausland in Not geraten, die sogenannten Rettungsmissionen: In diesem Fall sind Bundeswehrangehörige oder deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger im Ausland in eine Isolationslage geraten – beispielsweise, weil sie innerhalb einer Krisenlage versucht haben, zum Evakuierungspunkt zu kommen, an dem durch die Bundeswehr evakuiert wird.

Gelinge es ihnen nicht, den Abholpunkt zu erreichen, komme die Bundeswehr ins Spiel, sagt Oberstleutnant S. „Dann sprechen wir von einer Rettung. Dann kann es im Extremfall auch sein, dass wir den deutschen Staatsangehörigen mit Spezialkräften retten müssen.“ Dritte Einzelaufgabe sei das Befreien von Geiseln und Entführten im Rahmen einer Befreiungsoperation durch die Spezialkräfte, sogenannte Hostage Release Operations.

Begonnen habe alles mit dem Genozid in Ruanda 1994, als die deutsche Bundesregierung sich an die belgische Staatsführung habe wenden müssen, um die Evakuierung deutscher schutzbedürftiger Staatsangehöriger aus Ruanda mithilfe der belgischen Streitkräfte zu veranlassen, erläutert der Oberstleutnant.

Viele Soldaten steigen aus einem Flugzeug und laufen über ein Flugfeld

Gelandet im Fliegerhorst Wunstorf: Soldatinnen und Soldaten kehren von der militärischen Evakuierungsoperation in Kabul zurück nach Deutschland

Bundeswehr/Jana Neumann

Aus dieser Erfahrung heraus habe man später das Kommando Spezialkräfte in Calw aufgestellt und sich darüber Gedanken gemacht, inwieweit die Bundeswehr im Ausland tätig werden könne, um deutsche Staatsangehörige zu schützen. Die sogenannte Bundeswehr-Operation Libelle mir deutschen Fallschirmjägern, als Deutsche im März 1997 aufgrund bürgerkriegsähnlicher Unruhen aus der albanischen Hauptstadt Tirana evakuiert werden mussten, sei ein weiteres prägendes Ereignis vor diesem Hintergrund gewesen, sagt der Evakuierungsplanungs-Experte.

Oberstleutnant i.G. Thomas S.
Wir können für jedes Land weltweit innerhalb weniger Tage eine Evakuierungsplanung erstellen und Kräfte entsenden.

Daraufhin habe man das Nationale Risiko- und Krisenmanagement geschaffen. Der Name des zuständigen Referats „Nationale Krisenvorsorge“ im Einsatzführungskommando sei etwas irreführend und werde im Zuge der Bundeswehrreform geändert. Denn: „Die Krisenvorsorge ist nur ein kleiner Ausschnitt dabei.“

Im Rahmen dieser Vorsorge schickt man unter Führung des Auswärtigen Amts sogenannte Krisenvorsorgeteams an die deutschen Auslandsvertretungen, um präventiv ihre Resilienz vor Ort zu stärken. Diese verschaffen sich einen Überblick: Wie ist die Auslandsvertretung personell aufgestellt? Welche Krisenpläne gibt es? Wo befinden sich Krankenhäuser und kritische Infrastruktur? Wie kommt man am schnellsten zum Flugplatz? Dazu zählt auch die Erkundung der An- und Abmarschwege. Die gesammelten Daten der Krisenvorsorgeteams sind wertvolle Beiträge für Eventualfallplanungen. Diese dienen der Krisenvorsorge und sind Grundlage für eine reale Evakuierungsoperation.

„Alle Operationen werden ressortgemeinsam vorbereitet und können grundsätzlich in nationaler Verantwortung durchgeführt werden. Wann immer möglich, sind wir aber bemüht, diese multinational zu koordinieren oder lageabhängig in Kooperationen durchzuführen“, so der Oberstleutnant vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr.

Acht Krisenvorsorgeteams fahren im Regelfall pro Jahr in unterschiedliche Länder in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium der Verteidigung. Entweder handelt es sich dabei um Länder mit aktuellen Krisenlagen oder um Länder, die man über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr besucht hat. Die Vorsorgeteams sind dabei ressortübergreifend zusammengesetzt aus Mitarbeitenden des Auswärtigen Amtes, der Bundespolizei und der Bundeswehr. Vor Ort überprüfen die Teams Krisenpläne und sammeln Daten, die Grundlage für die Planung einer Evakuierungsoperation sind.

Alle fünf bis acht Jahre besuchen die Krisenvorsorgeteams fast jedes Land außerhalb Europas, wo es möglicherweise zu Evakuierungsoperationen kommen könnte. So kann der Planer von Evakuierungsoperationen auf Daten zugreifen, die maximal acht Jahre alt sind. Im besten Fall handelt es sich um Daten, die erst im Vorjahr erhoben wurden – so wie bei der Evakuierungsoperation aus dem Sudan 2023, wo kurz vor der Evakuierung ein Krisenvorsorgeteam im Land war.

Eventualfallplanungen dienen dazu, sich ideal auf eine mögliche Evakuierung vorzubereiten. Zum Beispiel ist eine Eventualfallplanung im Libanon im Juni 2023 erstellt worden. Im Oktober 2023 ist man dann wirklich in die reale Evakuierungsplanung eingestiegen. Ähnlich verhielt es sich mit der Luftevakuierungsoperation in Kabul in Afghanistan 2021. Damals flog die Bundeswehr insgesamt 5.340 Menschen aus mindestens 45 Nationen vom 16. bis zum 26. August aus Kabul aus. Dabei handelte es sich um deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger, Ortskräfte und ihre Angehörigen sowie weitere gefährdete Personen. Nur ein halbes Jahr zuvor hatte man die Eventualfallplanung entworfen: Was würde passieren, wenn wir aus Afghanistan evakuieren müssten? 

Man unterscheidet zwischen robusten Evakuierungen, den sogenannten militärischen Evakuierungsoperationen (MilEvakOp) und diplomatischen Evakuierungen. Bei Ersteren ist die Bundeswehr unter Federführung des Auswärtigen Amtes durchführungsverantwortlich. Bei Letzteren findet die Evakuierung ohne bewaffnete Streitkräfte statt – zum Beispiel aufgrund einer Versorgungsknappheit in einem Land. Dann entscheidet das Auswärtige Amt, deutsche Staatsangehörige zu evakuieren. Es schickt aber keine Soldatinnen und Soldaten, sondern angemietete Flugzeuge beziehungsweise bittet die Bundeswehr um Bereitstellung von Flugzeugen aus der Flugbereitschaft. Ein Bespiel für eine diplomatische Evakuierung aus jüngerer Zeit ist die Coronapandemie: Zu Beginn der Pandemie wurden deutsche Staatsangehörige aus Wuhan in China ohne den Einsatz von bewaffneten Streitkräften ausgeflogen.

Der Bundestag muss gemäß Artikel 87a des Grundgesetzes dem Einsatz bewaffneter Kräfte zustimmen, sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt. Gegebenenfalls erfolgt die Zustimmung nachträglich.

Im Inland: Amtshilfe, Heimatschutz und Unterstützung von Partnernationen

Im Inland ist das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr für die nationalen territorialen Aufgaben im Rahmen der Krisenvorsorge verantwortlich. In Friedenszeiten fällt darunter zum Beispiel die Amts- und Katastrophenhilfe wie im Falle der Flutkatastrophe an der Ahr oder der umfänglichen Unterstützungsleistungen in der Coronakrise. Aber auch der Aufbau und die Ausbildung von Reservistinnen und Reservisten des Heimatschutzes und der territorialen Reserve zählen zu den Aufgaben des Territorialen Führungskommandos sowie die Unterstützung von Partnernationen während ihrer Verlegung durch Deutschland (Host Nation Support). 

Zur Krisenvorsorge der Bundeswehr zählt auch die Bewältigung der nationalen territorialen Aufgaben. Dazu gehören der Heimatschutz, die Unterstützung von Partnernationen während ihrer Verlegung durch Deutschland, in der Militärsprache als Host Nation Support bezeichnet, sowie die Koordination des Aufmarsches von Kräften auf deutschem Staatsgebiet. 

Diese Aufgaben liegen in der Verantwortung des Nationalen Territorialen Befehlshabers. Diesem sind neben den regulären 22 Dienststellen des Kommandobereiches bei Bedarf auch Soldatinnen und Soldaten anderer Bereiche der Bundeswehr unterstellt. Das heißt, dass im Falle von schweren Unglücken oder Naturkatastrophen, bei denen die Bundeswehr durch den zuständigen Krisenstab zur Hilfe gerufen wird, der Nationale Territoriale Befehlshaber alle in der Amtshilfe eingesetzten Soldatinnen und Soldaten führt – auch wenn sie zum Heer oder der Luftwaffe gehören.

Außerdem unterstützen die Streitkräfte bei einem sogenannten Inneren Notstand. Gemäß Artikel 87a Absatz 4 des Grundgesetzes ist der Einsatz von Streitkräften durch die Bundesregierung zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes möglich. In diesem Fall können die Streitkräfte zwecks Unterstützung beim Schutz ziviler Objekte sowie bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer eingesetzt werden.

Auch für die Überwachung und Sicherung des deutschen Luft- und Seeraumes mit Alarmrotten ist die Truppe im Rahmen einer Dauereinsatzaufgabe zuständig: Die Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe überwachen den Luftraum Deutschlands mit Radarflug- und Leitzentralen, den sogenannten Einsatzführungsbereichen. Jagdflugzeugverbände stehen bereit, um im Alarmierungsfall innerhalb weniger Minuten ein fliegendes Flugzeug abfangen zu können. Darüber hinaus zählt die Überwachung kritischer Weltrauminfrastruktur zu den Aufgaben der Bundeswehr. Verantwortlich dafür ist das Weltraumkommando, eine Kommandobehörde der Luftwaffe. 

Zum Aufgabenspektrum der Truppe zählen auch Such- und Rettungsmaßnahmen auf Nord- und Ostsee oder an Land mit dem sogenannten SARSearch and Rescue-Dienst (Search and Rescue), also dem Such- und Rettungsdienst der Bundeswehr. Er unterstützt Einsätze und ist gleichzeitig Teil des nationalen SARSearch and Rescue-Dienstes der Bundesrepublik Deutschland. Auch bei Not- und Katastropheneinsätzen leisten sie Hilfe und kommen häufig bei der Rettung und Bergung ziviler Unfallopfer zum Einsatz.

Regelmäßig helfen Soldatinnen und Soldaten im Inland gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes. Darin heißt es in Absatz 1: „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.“ Das bedeutet für die Bundeswehr, dass sie verpflichtet ist, Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden auf Anfrage zu unterstützen. Dies kann bei einem Hochwasser wie zum Beispiel im Ahrtal, der Suche nach Vermissten oder auch bei der Waldbrandbekämpfung der Fall sein. Um diese Unterstützung gewährleisten zu können, beteiligt sich die Bundeswehr zur Sicherheitsvorsorge regelmäßig an Übungen. 

Ein Transporthubschrauber CH-53 fliegt über ein Waldgebiet und entleert einen Wasserbehälter

Rettendes Nass: Bei einem Waldbrand in der Sächsischen Schweiz über Bad Schandau entleert ein Transporthubschrauber CH-53 Löschwasser aus dem Wasserbehälter Smokey. Die Bundeswehr leistet mit dem Löscheinsatz Amtshilfe.

2022 Bundeswehr/Anne Weinrich
Mehrere Soldaten verlegen gemeinsam Sandsäcke

Gemeinsam gegen die Fluten: Soldaten verlegen Sandsäcke während der Hochwasserhilfe in Sachsen-Anhalt.

Bundeswehr/Katharina Zollonz

Im Cyberraum: Abwehr von virtuellen Angriffen

Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Zeitenwende gehört es zunehmend auch zur Krisenvorsorge der Bundeswehr, für die Verteidigung im Cyberspace gewappnet zu sein. Aber bereits vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stellten Cyberangriffe staatliche wie nicht staatliche Organisationen vor erhöhte Sicherheitsherausforderungen: Seit 2010 gibt es die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Übung Locked Shields, an der jedes Jahr bis zu 20 Nationen teilnehmen. Das Besondere an der Übung: Die Soldatinnen und Soldaten werden mit „Live Fire“ konfrontiert. Das bedeutet, dass die Teilnehmenden in Echtzeit Cyberangriffe abwehren müssen. Dadurch lernen sie moderne ITInformationstechnik-Technologien und Angriffsmethoden kennen und auf Bedrohungen zu reagieren.

Darüber hinaus sind der internationale Terrorismus oder hybride Angriffe verstärkt in das Blickfeld der Streitkräfte gerückt und zählen zur gesamtstaatlichen Krisenvorsorge und Steigerung der Resilienz.

Im Katastrophenfall ist es vor allem wichtig, dass Hilfeleistungen ineinandergreifen und somit nichts doppelt veranlasst oder anderes vergessen wird. Wohngebiete zu evakuieren, Hilfsbedürftige unterzubringen oder Transporte zu organisieren – auf all das muss sich die Bundeswehr als ein wichtiger Baustein der nationalen Krisenvorsorge vorbereiten. Dieses gilt natürlich auch für Polizei, Feuerwehr und Hilfsorganisationen.

Dieses Zusammenspiel wird bei der länderübergreifenden Krisenmanagementübung LÜKEX erprobt, die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe organisiert wird. Seit 2004 findet sie alle zwei Jahre statt. Krisenstäbe aus Bund und Ländern lernen hierbei, ihre Maßnahmen besser aufeinander abzustimmen. Den Rahmen bilden unterschiedliche Szenarien, beispielsweise ein simulierter Engpass bei der Strom- und Wasserversorgung.