Geschichte

Vor dem Weltenbrand – Die Kuba-Krise 1962

Vor dem Weltenbrand – Die Kuba-Krise 1962

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Herbst 1962: Die Sowjetunion stationiert Kurz- und Mittelstreckenraketen auf Kuba. Die Vereinigten Staaten antworten mit einer Seeblockade. „Krieg ist seit Montag möglich“ – titelt die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Münchener „Abendzeitung“ fragt: „Gibt es Krieg?“ Die Kuba-Krise ist der Höhepunkt des Kalten Krieges.

Der kubanische Premierminister Fidel Castro zu Besuch beim sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow am 7. Mai 1962

Fidel Castro zu Besuch in Russland. Hier ist er mit Nikita Chruschtschow auf einem Tagesausflug nahe Moskau am 7. Mai 1962.

picture alliance/ZUMAPRESS.com/KPA

Wenige Stunden nach der Ankündigung der USUnited States-Seeblockade gegen Kuba am 22. Oktober 1962 werden in Deutschland wieder Lebensmittel gehamstert. Menschen umlagern Radio- und Fernsehgeräte – sie sind gierig nach Nachrichten. Ein Run auf Barrengold setzt ein. Fluchtgeld ergießt sich in breitem Strom in die Schweiz. Die Börsenkurse fallen in den Keller. Apotheken und Drogerien melden große Nachfrage nach Verbandskästen, Brandsalben und Medikamenten. In Deutschland geht die Angst um. Besorgte Eltern rufen ihre in Berlin studierenden Kinder nach Westdeutschland zurück. Für Beamte des zivilen Bevölkerungsschutzes gilt Dauerbereitschaft.

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In den Herbsttagen vom 14. bis 28. Oktober 1962 prallen die USA und die Sowjetunion aufeinander. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, hat heimlich vor der Haustür der USA auf Kuba Kurz- und Mittelstreckenraketen stationieren lassen. Mit nuklearen Sprengköpfen können sie ohne Vorwarnzeit die Metropolen der USUnited States-Ostküste erreichen. Eine bis dahin nicht gekannte Bedrohung. USUnited States-Präsident John F. Kennedy antwortet mit der Blockade Kubas. Die Welt schaut in den atomaren Abgrund.

Die Kuba-Krise im Überblick

Chronik der Kuba-Krise

Infografik: Ideenhaus/Michael Zimmermann; Screenshot: Ideenhaus/Google Earth

Chruschtschow will mit den Raketen auf Kuba die USUnited States-Amerikaner zu einer nachgiebigeren Haltung in Europa bewegen. Er hofft so, dass die USA die DDR anerkennen, einen Abschluss eines Friedensvertrages mit beiden deutschen Staaten zu erreichen und eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa errichten zu können. Der reibungslose Bau der Berliner Mauer 1961 und die Hinnahme des Mauerbaus durch die USUnited States-Amerikaner, Briten und Franzosen haben Chruschtschow zu dieser Hoffnung verleitet und sein politisches Selbstbewusstsein gestärkt.

Gelungenes Krisenmanagement

John F. Kennedy am Schreibtisch beim Unterzeichnen des Erlasses über das Verbot der Lieferung von Angriffswaffen an Kuba

John F. Kennedy unterzeichnet am 23. Oktober 1962 einen Erlass über das Verbot der Lieferung von Angriffswaffen an Kuba

Foto: Alamy Stock Photo/American Photo Archive

Die beiden Hauptakteure Kennedy und Chruschtschow stammen aus denkbar gegensätzlichen Verhältnissen. Der mit 44 Jahren bis dahin jüngste USUnited States-Präsident ist Sohn eines erfolgreichen Unternehmers, Multimillionärs und Diplomaten. Er studiert in London, Harvard und Stanford. Chruschtschow ist mehr als 20 Jahre älter. Er entstammt einer ukrainischen Bergarbeiterfamilie, wird Maschinenschlosser und bildet sich auf einer Arbeiterfakultät der Kommunistischen Partei. Eines ist beiden gemeinsam: Sie tragen Verantwortung für ihre Nationen. Den Zweiten Weltkrieg haben beide am eigenen Leib erlebt: Kennedy ist als Schnellboot-Kommandant im Pazifik gegen die Japaner im Einsatz und wird schwer verwundet. Chruschtschow organisiert in der Ukraine den Partisanenkampf gegen die deutsche Wehrmacht, seit 1943 im Rang eines Generalleutnants.

Der sowjetische Führer verfolgt mit der Stationierung von Offensivwaffen auf Kuba im Wesentlichen neben seinen europäischen drei weitere Ziele: das von Fidel Castro geführte sozialistische Kuba gegen eine erneute Invasion von außen zu sichern, einen politischen Vorposten in der amerikanischen Hemisphäre zu etablieren und eine zusätzliche nukleare Option gegenüber den Vereinigten Staaten zu gewinnen. Bereits 1961 haben die USA eine geheime Operation „Invasion in der Schweinebucht“ durchgeführt, um mithilfe von Exilkubanern die sozialistische Revolutionsregierung unter Fidel Castro zu stürzen. Das Unternehmen endet in einem Fiasko. Kuba festigt daraufhin sein sozialistisches System und schließt sich noch enger an die Sowjetunion an.

Der Bau von Abschussrampen für Raketen auf Kuba ist für den Kreml darüber hinaus die einzige waffentechnische Möglichkeit, der strategischen Überlegenheit der USA zu begegnen. Damit will Moskau einen teuren und für sich wirtschaftlich katastrophalen Rüstungswettlauf vermeiden.

Mehrere militärische Optionen hat Kennedy als Antwort zur Auswahl: Blockade, Bombardierung der Raketenbasen oder Invasion. Der USUnited States-Präsident wählt die von seinem Verteidigungsminister Robert McNamara vorgeschlagene Seeblockade. Grund: Sie lässt sich mit dem geringsten Maß an Gewalt ausführen.

Kuba in Quarantäne

Karikatur mit Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy

Karikatur: Chruschtschow und Kennedy sitzen Arme drückend auf Raketen und drohen, den Abschuss der Raketen auszulösen

Illustration: SZ Photo

Am Abend des 22. Oktober spricht Kennedy im Fernsehen zur Nation. Er gibt die Erkenntnisse über die sowjetischen Stützpunkte auf Kuba bekannt und erläutert die davon ausgehenden Gefahren. Der Aufbau der Raketen stelle „eine absichtliche, provokante und ungerechtfertigte Veränderung des Status quo dar, die von unserem Land nicht hingenommen werden kann“. Zur Überraschung der ganzen Welt verkündet John F. Kennedy eine maritime Quarantäne von offensivem Rüstungsmaterial um Kuba. Zugleich ruft er die Vereinten Nationen und Chruschtschow dazu auf, eine Bedrohung des Weltfriedens zu verhindern.

Das USS Landungsschiff Terrebonne Parish (LST-1156) in Windmill Beach, Guantanamo Bucht, Kuba, während der Kuba-Krise 1962

Das USSUnited States Ship Landungsschiff Terrebonne Parish (LST-1156) in Windmill Beach, Guantánamo-Buchtt, Kuba, während der Kuba-Krise 1962

Alamy Stock Photo/GRANGER – Historical Picture Archive

McNamara befiehlt umfangreiche Truppenbewegungen im Süden der USA. Kampf- und Transportfliegergeschwader der Luftwaffe werden nach Florida verlegt. Das Heer mobilisiert zwei Luftlandedivisionen. Die Marineinfanterie verstärkt die Besatzung des USUnited States-Flottenstützpunktes Guantánamo auf Kuba. Mehr als 40 Schiffe der USUnited States-Navy laufen in die Karibische See aus. Fernaufklärer vom Typ U2 setzen ihre Einsätze fort. Mit ihren Luftaufnahmen hat die Besatzung einer U2 am 14. Oktober 1962 Gewissheit über den Bau der Basen für atomare Kurz- und Mittelstreckenraketen auf Kuba gebracht. Die strategischen Luft- und Raketenstreitkräfte der USA sind in höchster Alarmbereitschaft.

Kennedy und seine Berater im Nationalen Sicherheitsrat handeln nach tage- und nächtelangen Krisensitzungen, nicht zuletzt aus innenpolitischen Motiven. Die USA befinden sich im Wahlkampf zu den Kongresswahlen 1962. Kennedy steht unter Druck, kämpft um seine Popularität. Der Wahlkampf kennt vornehmlich nur ein Thema: „What about Cuba?“ Präsident und Sicherheitsrat müssen eine Flut von nationalen Emotionen, Kommunisten-Angst und Wahl-Hysterie in ihre Entscheidungen einkalkulieren. Im Raum steht der Vorwurf republikanischer Senatoren, Kennedy toleriere durch Nichtstun den Bau der Raketenbasen auf Kuba.

Sowjet-Frachter drehen bei

Nach der Verkündung der Blockade hält die Welt den Atem an. Bis zu 25 Frachter des Ostblocks mit Ziel Kuba zählt die USUnited States-Aufklärung. 16 von ihnen brechen ihre Fahrt am 24. Oktober ab. Sie drehen bei und kehren wenige Tage später um. Nur einmal inspizieren die Amerikaner während der ganzen Kuba-Krise ein fremdes Schiff. Es ist der von den Sowjets gecharterte Frachter „Marcula“. Fünf Offiziere des USUnited States-Zerstörers „Joseph P. Kennedy jr.“ gehen an Bord. Sie müssen den libanesischen Frachter unter der Flagge Panamas passieren lassen. Kein U-Boot der Roten Flotte in der Karibik bekommt den Befehl zum Angriff auf USUnited States-Kriegsschiffe. Chruschtschow lenkt ein, da er fest davon überzeugt ist, dass die USA eine Invasion auf Kuba planen. Doch nur so lange, bis er merkt, dass auch Kennedy vor einem Kriegsbefehl zurückschreckt. Vor diesem Hintergrund erhöht Chruschtschow seine Forderungen, die er über Radio Moskau verbreiten lässt.

Die „Fizik Kurchatov“ bringt nach überstandener Krise sowjetische Raketen von Kuba zurück in die Sowjetunion

Sowjetischer Frachter „Fizik Kurchatov“ bringt nach überstandener Krise sowjetische Raketen zurück in die Sowjetunion

Gamma-Keystone/Getty Images/Keystone-France

Über den Kontrahenten schwebt das Damoklesschwert des Nuklearkrieges. Es bewegt beide, auch mit ihren konventionellen Mitteln äußerst vorsichtig umzugehen. Chruschtschow stoppt die Schiffe, lässt den Bau der Raketenbasen aber mit zunehmender Intensität fortsetzen. Die Politik Kennedys droht in eine Sackgasse zu geraten. Da trifft am 26. Oktober ein Brief des Kremlchefs beim Präsidenten ein. Chruschtschow betont Friedenswillen und bietet den Abzug der Sowjets von Kuba an.

Bedingung: Die USA müssen versichern, Kuba nicht anzugreifen. Gleichzeitig übermittelt der Kremlchef Kennedy über die sowjetische Botschaft in Washington ein gleich lautendes Angebot. Die Enttäuschung folgt auf dem Fuß, da einen Tag später Radio Moskau einen sehr aggressiven Brief Chruschtschows an Kennedy verbreitet. Der Kremlchef koppelt darin den möglichen Abzug der russischen Raketen aus Kuba an einen Abzug amerikanischer Jupiter-Raketen aus der Türkei. Aus Sicht der Sowjetunion haben die USA 1958 mit der Stationierung von nuklearen Mittelstrecken-raketen in Europa ein gefährliches Spiel begonnen. In England stationieren sie 60 Raketensysteme vom Typ THOR, in Italien 30 Raketensysteme und in der Türkei 15 Raketensysteme vom Typ Jupiter.

 Im Brief vom 27. Oktober 1962 schreibt Chruschtschow an Kennedy: „Ihre Raketen stehen in Großbritannien, in Italien und sind gegen uns gerichtet. Ihre Raketen stehen in der Türkei. Sie sind beunruhigt über Kuba. Sie sagen, das beunruhigt Sie, weil es nur 150 Kilometer vor der Küste der Vereinigten Staaten von Amerika liegt. Aber die Türkei grenzt an unser Land; unsere Wachposten patrouillieren hin und her und können einander sehen. Meinen Sie denn, Sie hätten das Recht, Sicherheit für Ihr Land zu verlangen und den Abzug der Waffen zu fordern, die Sie offensiv nennen, uns aber dasselbe Recht nicht zuzugestehen? Sie haben vernichtende Raketenwaffen, die Sie offensiv nennen, in der Türkei stationiert, buchstäblich in nächster Nähe unseres Landes. Wie lässt sich denn die Anerkennung unserer gleichwertigen militärischen Stärke mit so ungleichen Beziehungen zwischen unseren großen Staaten vereinbaren? Das ist unvereinbar.“

Verhandlungen im Verborgenen

Kennedy und seine Berater beschließen, diesen zweiten „öffentlichen“ Brief offiziell zu ignorieren. Sie reagieren nur auf den ersten. Gleichzeitig nimmt Justizminister Robert F. Kennedy Geheim-verhandlungen mit dem Sowjetbotschafter Anatoli Dobrynin auf. Der Bruder des Präsidenten stellt Moskau den Abzug der USUnited States-Raketen aus der Türkei in Aussicht. Dies dürfe jedoch nicht offizieller Bestandteil der Verhandlungen zur Krisenbewältigung werden. Chruschtschow akzeptiert. Seine Antwort kommt am 28. Oktober 1962 gegen neun Uhr morgens: die Arbeiten an den Stützpunkten werde eingestellt, die Waffen „die Sie als offensiv bezeichnen“ werden abgebaut und in die Sowjetunion zurückgebracht.

An diesem Sonntag ist die Kuba-Krise beendet. Zwei Jahre nach der Kubakrise und ein Jahr nach dem tödlichen Attentat auf USUnited States-Präsident Kennedy werden die Jupiter-Raketen aus der Türkei abgezogen. UNUnited Nations-Generalsekretär U Thant bezeichnet die Kuba-Krise als „gefährlichste Konfrontation der beiden Weltmächte“ in der bis dahin 17-jährigen Geschichte der UNOUnited Nations Organization. Eine Konsequenz der Krise ist der „Heiße Draht“ zwischen Washington und Moskau. Er wird 1963 installiert – damit die beiden Supermächte mit­einander reden können, bevor die Welt am Abgrund steht.

Schlussfolgerungen für heute

Über 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges wird erneut ein „Heißer Draht“ eingerichtet. Es ist eine Initiative des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Kommunikationskanäle per Fernschreiber und Telefon verbinden die Generalstäbe Russlands und der NATO seit 2015. Ursache für ihre Installation ist die Ukraine-Krise im Dezember 2014. Etwa eine Woche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird 2022 zusätzlich eine direkte Verbindung zwischen dem Europa-Hauptquartier der USUnited States-Streitkräfte und Russland installiert.

Fazit

Der Ukrainekrieg hat in Deutschland ähnliche Ängste und Besorgnisse ausgelöst wie die Kuba-Krise. Nur jetzt ist es ein heißer Krieg: Soldaten fallen und werden verletzt, Zivilisten getötet, Dörfer und Städte zerstört, Kriegsverbrechen verübt. Der „Heiße Draht“ könnte genutzt werden, um einen Waffenstillstand und einen Friedensvertrag zu verhandeln, wenn der politische Wille in Moskau vorhanden wäre. Aber auch, um den Einsatz taktischer Nuklearwaffen zu vermeiden, bevor die Welt wieder vor einem atomaren Abgrund steht.

von Uwe Brammer

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