Vielfalt nutzen: Gewinn durch individuelle Potenziale
Vielfalt nutzen: Gewinn durch individuelle Potenziale
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„Inclusive Leadership“ oder „Inklusives Führen“ gilt als Schlüsselelement eines modernen Diversity Managements und ist Grundlage einer inklusiven Organisationskultur. Nur selten wird jedoch ausreichend kommuniziert, was sich hinter diesem vermeintlichen „Modebegriff pseudomoderner HR-Abteilungen“ verbirgt. Worte und Begriffe können viel transportieren.
In diesem Fall ist es das Wort Inklusion, welches Haltung, Werte und Normen vermittelt, die sich alle in der Inneren Führung wiederfinden. Warum bedarf es dann eines neuen Konzepts?
Der Begriff der Inklusion wird im deutschen Sprachgebrauch oft sehr undifferenziert genutzt und auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderung begrenzt. Die eigentliche Bedeutung geht jedoch weit darüber hinaus. Sie zeugt von einer bestimmten Auffassung des Vielfaltsbegriffs und verdeutlicht eine andere Zielsetzung als zum Beispiel die Begriffe Integration und Repräsentation.
Von der Integration zur Inklusion
Der Begriff Integration geht von einer homogenen Mehrheit aus, in die etwas Anderes, Fremdes integriert wird. Meist wird dieser Prozess mit einer gewissen Anpassungserwartung verknüpft. Hinter den Begriffen der Repräsentation sowie Integration steckt eine Vielfaltsauffassung, die Menschen nach bestimmten Merkmalen in Kategorien oder gar Minderheiten einteilt: beispielsweise nach sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft oder religiöser Zugehörigkeit. Diese Gruppen gilt es in eine Mehrheitsgesellschaft zu integrieren oder für eine ausreichende Repräsentation und Teilhabe zu sorgen. So wichtig diese Sichtweise hinsichtlich potenziell marginalisierter Gruppen ist, sie fördert eine inklusive Organisation nicht nachhaltig genug. Das häufig erwähnte Zitat der Vielfaltstrainerin Vernā Myers fasst den Unterschied gut zusammen:
Diversity is being invited to the party – inclusion is being asked to dance!“
Ähnlich beschreibt Beatrice Achaleke in ihrem Buch „Vielfalt statt Einfalt“ die Inklusion als eine WG, in die eine neue Mitbewohnerin einzieht: Diese Mitbewohnerin bringt natürlich Gepäck mit. Nun kommt es darauf an, wie die anderen reagieren: Laden sie sie ein, ihre Sachen zum WG-Hausstand beizusteuern oder gehen sie davon aus, dass schon alles vorhanden ist und die Mitbewohnerin ihr Gepäck ungeöffnet in den Keller stellt? Inklusion umschreibt genau diesen Umstand: aus Unterschieden Stärken formen, aus Heterogenität mehr als nur die Summe ihrer Einzelteile werden zu lassen. Und – vor allem – zu akzeptieren, dass sich auch eine vermeintliche Mehrheit durch den Prozess verändert, Neues lernt und vor allem profitiert. Im Zentrum der Inklusion steht also ein wertschöpfender Gedanke. Dies wirft die Frage auf: Welchen wirklichen Mehrwert kann Vielfalt liefern?
Der „Business Case“ Diversity
Der Mehrwert von Vielfalt wird inzwischen sogar als „Business Case“ definiert. Die Förderung von Talenten mit unterschiedlichen Hintergründen sei demnach „sowohl eine Frage der Gerechtigkeit als auch eine Business-Priorität“, so Julia Sperling von der Unternehmensberatung McKinsey im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2018, die den Zusammenhang von Vielfalt und Geschäftserfolg untersuchte. Diese und andere Untersuchungen zeigen Zusammenhänge zwischen diversen Führungsetagen und Gewinnmargen auf, belegen die höhere Effektivität und Innovationsfähigkeit von heterogenen Teams und den Einfluss von Vielfalt auf die Anpassungsfähigkeit und Risikominimierung von Firmen. Trotz des besonderen Auftrags der Bundeswehr und der elementaren Unterschiede zu Wirtschaftsunternehmen lohnt ein Blick darauf, diese Studien als konkreten Mehrwert einer heterogenen Belegschaft und eines bewussten Umgangs damit zu identifizieren.
Ein erstes Schlagwort ist die Zustimmung (Consent). Wenn sich jeder Einzelne wertgeschätzt und integriert fühlt und somit als Teil eines Ganzen, steigt nicht nur die Mitarbeiterbindung, was Kosten durch Abwanderung mindert. Vor allem verändert sich die Beziehung sowohl zum Arbeitgeber als auch zum Auftrag. Das Gefühl der „ownership“, also für den eigenen Beitrag zum Erreichten, steigt. Darauf aufbauend kann einerseits echte Loyalität und Verbundenheit entstehen. Andererseits steigen die intrinsische Motivation und das Engagement ebenso wie das Gemeinschaftsgefühl und die Kohäsion.
Wichtig ist auch der Effekt von Vielfalt auf die inhaltliche Arbeit (Content). Jede Gruppe von Menschen ist in Wahrnehmung und Entscheidungsfindung von verschiedenen Effekten beeinflusst. Eine wichtige Rolle spielen dabei entscheidende kognitive Verzerrungen, die sogenannten „unconscious biases“. Unter anderem hindern uns zum Beispiel Verlustaversion, Autoritätsbias, Status-quo-Bias und Gruppendenken daran, in jeder Situation eine gute und valide Entscheidung zu treffen. Je homogener eine Gruppe, umso stärker sind diese Effekte, sie können also durch Vielfalt abgemildert werden. Innovationsfähigkeit und Resilienz nehmen dann zu, Entscheidungsträger werden fundierter beraten, Risiken besser abgewogen und alle Sichtweisen eingebunden.
Auch auf der intrapersonellen Ebene (Competence) führt ein bewusster Umgang mit Vielfalt zu positiven Effekten. Neben Toleranz, Teamfähigkeit und Neugier wird beispielsweise auch die Ambiguitätstoleranz geschult, also die Fähigkeit, unsichere Situationen und unterschiedliche Rollen und Erwartungen sowie Widersprüche aushalten zu können, ohne dabei die Handlungssicherheit zu verlieren. Im Sinne der Inneren Führung würden diese Kompetenzen zum lebenslangen Lernen, zur Reflexionsfähigkeit und zur Persönlichkeitsbildung beitragen.
Neben der bereits erwähnten Mitarbeiterbindung durch Arbeitszufriedenheit hat sich zudem gezeigt, dass ein aktives und modernes, aber auch authentisches Diversity Management die Entscheidung vieler Talente für oder gegen einen Arbeitgeber beeinflusst. Dieser Erwartungshaltung potenzieller Mitarbeiter dürfen sich Wettbewerber im Ringen um die vielfach raren Fachkräfte (Competition) nicht verschließen.
Die genannten Schlagworte machen deutlich: Vielfalt kann durchaus auch zum Auftrag der Bundeswehr, zum inneren Gefüge und zur Einsatzbereitschaft einen wertvollen Beitrag leisten. Unter dem Eindruck der Loblieder auf die Vielfalt seitens der Forschung sowie der positiven Erfahrungsberichte aus der Wirtschaft entsteht oft fälschlicherweise der Eindruck, die genannten Positiveffekte stellten sich von ganz alleine ein, sobald man für ein Mindestmaß an Vielfalt in der eigenen Institution sorgt. Doch ist es weniger die Vielfalt an sich, als der bewusste und gelenkte Umgang mit dieser Vielfalt, der dieses Potenzial zur Entfaltung bringt. Es bedarf eines aktiven und bewussten Handelns gemäß einem ganzheitlichen Konzept, das sowohl die Organisationskultur, die Führungskultur als auch die individuelle Ebene betrachtet. Grundlegend sind dabei folgende Leitfragen:
- WAS: Welches Grundverständnis von Vielfalt wird zugrunde gelegt?
- WARUM: Woraus wird der Bedarf abgeleitet und worauf wird das Diversity-Konzept ausgerichtet?
- WER: Welche Rolle kommt dem Führungspersonal zu?
Aus diesem Gestaltungsspielraum ergibt sich das Potenzial, das Vielfalt entwickeln kann – oder eben auch nicht! Denn Vielfalt kann auch zu einer Zunahme an Kontroversem und damit zu Reibung mit entsprechenden Verlusten oder gar zu Konflikten führen. Folgende Aspekte, angelehnt an die genannten Leitfragen, legen also die Grundlage für Inklusives Führen.
Was? – „Diversity is about every single person“
Über was sprechen wir, wenn wir über Vielfalt reden? Das Grundverständnis von Vielfalt gibt die Richtung jedes Diversity-and-Inclusion-Konzeptes (D&I) vor: So wird in vielen Konzepten auf die sogenannten „Kerndimensionen von Vielfalt“ fokussiert: Alter, ethnische Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung und Identität, Geschlecht sowie körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gelten als die am engsten und untrennbar mit der Identität verknüpften Merkmale von Vielfalt. Da sie im juristischen Sinne auch das Vorliegen einer Benachteiligung bestimmen, sind diese eng mit dem Thema Diskriminierung verknüpft.
Eine Fokussierung auf diese Kerndimensionen kann in der Tat zielführend sein: Für diese klassischen Vielfaltsdimensionen lassen sich auf weitreichenden Erfahrungen basierende Maßnahmen planen und meist gut quantitativ evaluieren. In Bezug auf die Ziele Antidiskriminierung und Gleichstellung eignet sich die Fokussierung auf diese Kerndimensionen. Sie zielen aber eher auf Integration ab als auf Inklusion und wirken dabei vielleicht teilweise eher trennend als inklusiv. Denn sie stellen Unterschiede in den Vordergrund und betonen Kategorien, die fiktiv geschaffene Entitäten sind. Denn innerhalb dieser potenziell marginalisierten oder sich sogar selbst marginalisierenden Gruppen („die Homosexuellen“) ist die personelle Vielfalt, was Entwicklungsmöglichkeiten und Fähigkeiten angeht, ebenso groß wie zwischen den Kategorien.
Es geht darum, Barrieren abzubauen, gerade weil sich häufig die tatsächliche oder auch nur gedachte Mehrheit gerade nicht angesprochen fühlt. Denn oft genug wird der Umgang mit Vielfalt interpretiert als die Interaktion der „normalen Mehrheit“ mit den davon abweichenden Gruppen, mit dem Ziel, niemanden zu diskriminieren.
In Anerkennung der wichtigen Sonderrolle der Kerndimensionen gilt es also, im Sinne der Inklusion einen anderen Blick auf Vielfalt zu etablieren. Das Vier- Ebenen-Modell von Vielfalt zeigt: Jeder Mensch ist von vielen Faktoren beeinflusst. Mal sind die inneren Faktoren relevant, beispielsweise Homosexualität, ein anderes Mal spielt die Introvertiertheit eine besondere Rolle. Denkt man Vielfalt als die Vielfalt von individuellen Potenzialen und Fähigkeiten, sind wir alle vielfältig und damit profitieren wir auch alle von einem gelungenen Vielfaltsmanagement.
Warum? – Diversity Management statt managing diversity
Diversity Management trägt seinen Namen nicht ohne Grund: Es handelt sich um ein Management-Konzept. Es geht nicht allein darum, mit einer vorhandenen Vielfalt so umzugehen, dass niemand diskriminiert und alle gleichbehandelt werden (managing diversity), sondern die Vielfalt unternehmerisch als einen wichtigen Faktor zu betrachten und ihn auch dementsprechend zu behandeln. Dabei steht am Anfang die Frage nach dem Warum als Anstoß des Handelns. Im Bereich Vielfalt gibt es drei primäre Treiber: Die Moral (moral case), rechtliche Vorgaben (legal case) und die Wertschöpfung (business case). Eine gelebte Inklusion wird sich allein auf Grundalge der Moral und rechtlicher Vorgaben nicht immer realisieren lassen. Denn der sozio-moralische Zeigefinger löst allzuoft Widerstände aus und wirkt eher defizitorientiert („Ihr müsst das besser machen!“). Der Mehrwert, allen voran der ganz individuelle, ist dagegen der beste Motivator und Mobilisator. „Ihr könnt, weil ihr wollt, was ihr müsst!“, lässt sich die Grundlage jedes Change-Managements zusammenfassen: Nur, wenn jeder Einzelne versteht, was für ihn selbst dabei herausspringt, wird er etwas mit voller Kraft mittragen. Wichtig ist es also, auch das ganz persönliche Warum zu kommunizieren und zu betonen: Weil wir alle wertgeschätzt werden wollen. Weil jeder in einem guten Arbeitsklima tätig sein möchte. Weil es motiviert, eingebunden zu sein und etwas beitragen zu können. Und weil diese Werte und das Gefühl der Kameradschaft und Loyalität ein Teil unserer Identität ist.
Das Warum gibt zudem vor, was die Zielsetzung der Gestaltung von Vielfalt ist. Im Bereich der Moral und der legalen Vorgaben bilden soziale Normen und die Einhaltung von Gesetzen den Rahmen. Diversity Management bedeutet aber vielmehr, vom Auftrag her zu denken und die Wertschöpfung (organisational sowie persönlich) im Blick zu haben. Wie lässt sich Vielfalt gestalten, damit diese dem Auftrag dient? Gibt es spezielle Anforderungen, die in einzelnen Bereichen Vielfalt einschränken kann, zum Beispiel in Bezug auf körperliche Faktoren? In welchen Bereichen ist Heterogenität besonders wichtig? Wie trägt Vielfalt zur Persönlichkeitsbildung bei? Denn Diversity Management hat nicht zum Ziel, es „jedem recht zu machen“ ungeachtet der Konsequenzen für die Gemeinschaft und den Auftrag. Es ist eine auftragsorientierte, organisationsspezifische, nachhaltige und authentische Gestaltung von Vielfalt.
Wer? – Inklusion als Führungsverantwortung
So wichtig in Change-Management-Prozessen die individuelle Motivation des Einzelnen auf jeder Ebene ist, der Erfolg hängt stets vom Verhalten, von der Umsetzung und der Kommunikation der Führung ab. Bottom-up-Prozesse können selten nachhaltig sein, ohne dass sich zu einem bestimmten Zeitpunkt auch die Führung klar verpflichtet und Stellung bezieht. Versteht man den Umgang mit Vielfalt als Management-Konzept, wird deutlich, wer die Hauptverantwortung trägt: Die Gestalterinnen und Gestalter, die Entscheiderinnen und Entscheider sowie die Menschenführerinnen und Menschenführer. Die Gestaltung einer Inklusiven Führungs- und Organisationskultur geschieht dabei jedoch nicht von allein, diese Entscheidung muss bewusst getroffen werden, Maßnahmen und Defizite müssen identifiziert und Ziele gesteckt sowie kommuniziert und schließlich Ergebnisse gefeiert werden.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
„Inclusive Leadership“ ist kein umfassendes theoretisches Konzept, auch nicht wirklich neu oder gar revolutionär. Es ist eigentlich die Essenz guter Führung, deren Leitsätze sich bereits größtenteils im Konzept der Inneren Führung finden. Manchmal bedarf es einer neuer Begrifflichkeit, um den Status quo zu hinterfragen: „Inclusive Leadership“ bietet gewissermaßen das Werkzeug, um das eigene Verhalten, Führen und unsere Organisationskultur ganz gezielt nach bestimmten Kriterien zu analysieren: Machen wir wirklich schon genug? Haben wir ein ausreichendes Verständnis von Vielfalt? Nutzen wir den Mehrwert von Vielfalt schon, oder akzeptieren wir die Vielfalt nur? Was können wir noch besser machen? Wo gibt es für mich Neues zu lernen? Machen wir wirklich das Beste aus dem, was da ist? Nutzen wir alle Potenziale für unseren Auftrag? Was gewinnt jeder von uns, wenn unsere Organisation Inklusion lebt?
Diese Grundeinstellung ist der Anfang von gelebter Inklusion.