Vier Elemente der Persönlichkeitsbildung:
Vier Elemente der Persönlichkeitsbildung:
- Datum:
- Ort:
- Koblenz
- Lesedauer:
- 14 MIN
Historische, politische, ethische und interkulturelle (Aus-) Bildung
Vier Autoren des Zentrums Innere Führung beleuchten das Titelthema Persönlichkeitsbildung aus unterschiedlichen Perspektiven: der historischen, politischen, ethischen und interkulturellen Bildung. Wie viel und welche Bildung benötigen die Soldatinnen und Soldaten, um „Typen mit Format“ zu sein oder zu werden? Und was macht das Format aus?
Historische Bildung
von Michael Peter
Jeder Mensch ist in Geschichte hineingestellt – in seine eigene, ganz persönliche wie gleichermaßen auch in eine ihn umfassende. Daraus lassen sich auch Selbstverständnis und Traditionen ableiten. Umso mehr bedarf es hierbei aber immer auch einer kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte. Historische Bildung ist somit ebenfalls ein wesentlicher Baustein soldatischer Persönlichkeitsbildung.
Die historische Bildung in der Bundeswehr ist so alt wie die Bundeswehr selbst. Bereits im „Amt Blank“, dem Vorläufer des Verteidigungsministeriums, waren sich die Planer einig, dass Geschichte, insbesondere Militärgeschichte zum festen Kanon der Erziehung und Ausbildung der Soldaten gehöre. Was aber sollte unter Geschichte verstanden werden? Welchen Zielen sollte sie dienen? Begrifflich war die Rede von Geschichte, Wehrgeschichte, Militärgeschichte und Kriegsgeschichte, auch kombiniert von Militär- und Kriegsgeschichte. Das waren Begriffe, die an den Offizierschulen der Teilstreitkräfte benutzt wurden. In der Truppenausbildung wurde dann von politisch-historischer Bildung oder historisch-politischer Bildung gesprochen.
Diese Begriffsvielfalt ist nun entschieden mit der im November 2018 erlassenen Vorschrift „Historische Bildung“. Dieser Begriff umfasst alle Maßnahmen im Zusammenhang der historischen Bildung, die als eigenständiges Gebiet neben der Politischen Bildung der Ausbildung, Bildung und Erziehung von Soldatinnen und Soldaten dient. Der Begriff der Militärgeschichte wird an den Offiziers- und Unteroffiziersschulen der Streitkräfte verwendet, wo dieses Ausbildungsgebiet durch entsprechend vorgebildetes Personal unterrichtet wird. Militärgeschichte wird hier in einem umfassenden Sinn verstanden, der Streitkräfte in ihrer Wechselbeziehung zu Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Recht, Kultur und Öffentlichkeit behandelt.
Ebenso umstritten wie die Begrifflichkeiten waren auch die Ziele der Geschichtsvermittlung. Der sogenannte „innere Nutzen“ im Sinne eines Beitrags zur Persönlichkeitsbildung stand weitgehend außer Frage. Unter innerem Nutzen wird die Beschäftigung mit der Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit ihr verstanden. Diese Beschäftigung gibt Orientierung und Halt in einer sich immer schneller verändernden Welt. Der sogenannte „äußere Nutzen“ zielt auf praktische Anwendungen historischen Wissens. Diese im 19. Jahrhundert in europäischen Streitkräften beliebte Methode, durch Analyse vergangener Kriege und Schlachten vermeintlich überzeitliche Lehren zu ziehen, war nach 1945 in der jungen Bundeswehr diskreditiert. Dessen ungeachtet wurde darum teilweise aber erbittert gerungen. Bis heute wurde jedoch weder eine Möglichkeit gefunden, eine solche Methode moderner Operationsgeschichte wissenschaftlich anschlussfähig zu gestalten. Noch herrscht auch nur annähernd Einigkeit darüber, was diese Methode bezwecken soll: Da historische Situationen einmalig sind und für sich stehen, lassen sich aus der Analyse dieser Situationen konkrete Handlungsempfehlungen aber kaum ableiten. Andererseits bleiben „überzeitliche“ Erkenntnisse z. B. zum Führungsverhalten notwendig so abstrakt, dass solche Erkenntnisse wieder zum inneren Nutzen der historischen Bildung gerechnet werden müssen. Aus diesem Grund geht auch die Vorschrift „Historische Bildung“ davon aus, dass derartige Versuche der unmittelbaren Nutzanwendung von Geschichte zum Scheitern verurteilt sind.
In zwei ganz konkreten Bereichen allerdings ist ein praktischer Nutzen unzweifelhaft vorhanden. Zum einen fußt die Tradition in der Bundeswehr auf der Geschichte. Gute historische Kenntnisse sind also notwendig, um mögliche Traditionen für die Bundeswehr zu erkennen, sie richtig einzuordnen und nicht zuletzt zu pflegen. Historische Kenntnisse sind vor allem auch dazu notwendig, vermeintlich selbstverständliche Traditionen kritisch auf ihre Tauglichkeit zu prüfen für den Dienst in der Bundeswehr.
Durch die Auslandseinsätze wurde ein weiteres Gebiet im Bereich von Ausbildung und Erziehung wichtig: Interkulturelle Kompetenz gibt Verhaltenssicherheit in fremden Regionen und Kulturen. Historische Bildung unterstützt die Bildung interkultureller Kompetenz durch das Bewusstsein für die eigene Geschichte und Kultur.
Nur wer sich über sich selbst und auch über die Geschichte seines Kulturkreises im Klaren ist, kann auch fremde Völker und Kulturen angemessen verstehen.
Politische Bildung
von Dr. Kai Hirschmann
Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland setzt mit ihren Werten, Prinzipien und Normen den Bezugsrahmen für den Dienst in der Bundeswehr. Zum Kernbestand des Verfassungsrechts gehören die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit. Daher kommt der Werte- und Demokratievermittlung in der Bundeswehr eine Schlüsselrolle zu. Zugleich ist dies eine wesentliche Vorbedingung für das Verständnis der Führungs- und Organisationskultur der Bundeswehr sowie für das Verwirklichen der Konzeption der Inneren Führung und ihres Leitbildes des mündigen „Staatsbürgers in Uniform“.
Die politische Bildung ist neben der Menschenführung und dem Recht und der soldatischen Ordnung eines der drei Hauptgestaltungsfelder der Inneren Führung. Sie soll als kontinuierlicher dienstzeitbegleitender Bildungsprozess in der Bundeswehr die politische Urteilsfähigkeit, Handlungsbereitschaft und -kompetenz vermitteln. Politische Bildung in der Bundeswehr ist somit ein Teil der Persönlichkeitsbildung. Sie kann Meinungen und Überzeugungen verstärken und festigen, aber auch zu deren Überprüfen anregen. Politische Bildung macht gelebte Demokratie erst möglich.
Für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ist es unverzichtbar, die Staatsbediensteten auf alle Werte und Normen zu verpflichten, die als existentielle Vorbedingung der Freiheit in einer Demokratie gelten. Alle Angehörigen der Bundeswehr sind daher der Freiheitlichen Demokratischen Grundordnung in besonderem Maße verpflichtet. Allerdings wird diese immer wieder z. B. durch Extremismus herausgefordert, der sich in allen seinen Ausprägungen gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richtet und mit unterschiedlichen Mitteln auf deren Beseitigung abzielt. Die Bundeswehr als wesentliches Element einer wehrhaften Demokratie nimmt hinsichtlich der Bekämpfung von Extremismus eine besondere gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahr und besitzt eine Vorbildfunktion.
Somit bedarf es auch einer werteorientierten politischen Bildung in der Bundeswehr. Ihr Ziel ist, das auf eigenständigem Urteil beruhende Bejahen und aktive Eintreten für den demokratischen Staat und seiner Werte. Fundamental ist dabei die „politische Mündigkeit“, die politische Urteilsfähigkeit auf Basis von Wissen, Handlungsfähigkeit sowie Kommunikations- und Kritikfähigkeit umfasst.
Daraus leiten sich für die politische Bildung darum folgende Aufgaben ab:
- Die Ausbildung eines freiheitlich demokratischen Wertebewusstseins zur Festigung des eigenen Standpunkts und zur Stärkung der moralischen Urteilsbildung.
- Das Verstehen der Grundstruktur von Politik als Lösung aktueller Probleme durch Herbeiführung von verbindlichen Entscheidungen in strittigen gesellschaftlichen Fragen.
- Das Verstehen des demokratischen Entscheidungsprozesses mit den beiden Aspekten „Entscheidungsträger und ihre Legitimation“ (Parlament, Regierung, Wahlen, Föderalismus) sowie „Entscheidungsinhalte und ihre Quellen“ (Verbände, Parteien, Medien).
- Die Vermittlung von Orientierungswissen in wichtigen Politikbereichen (z. B. die Demokratie und ihre Gefährdungen, Vielfalt und Toleranz, das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie, Globalisierung, die Einigung Europas etc).
- Der Erwerb von Fertigkeiten im kritischen Umgang mit Medien und Informationen (Erkennen von Verschwörungsmythen und -erzählungen sowie von „Fake News“).
Die in Dienst- und Ausbildungsplänen festgelegte und damit verbindlich angewiesene politische Bildung wird in der Bundeswehr als „Staatsbürgerlicher Unterricht“ (hierzu zählen auch Seminare und Exkursionen) einerseits und als „Aktuelle Information“ andererseits durchgeführt. Dabei ist von entscheidender Bedeutung: Politische Bildung darf nicht „wertneutral“ sein!
Grundsätzlich gilt der „Beutelsbacher Konsens“ von 1976 als Ergebnis einer Expertentagung in Beutelsbach (Stadtteil von Weinstadt, Baden-Württemberg), der drei Grundprinzipien für die politische Bildung festlegt. Erstens dürfen Lehrende gemäß des Überwältigungsverbots (Indoktrinationsverbot) den Lernenden nicht ihre Meinung aufzwingen. Zweitens zielt das Gebot der Kontroversität (Gegensätzlichkeit) darauf ab, den Lernenden eine freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in der Wissenschaft oder Politik so erscheint. Das Prinzip der Interessensorientierung soll schließlich drittens die Lernenden in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen. Politische Bildung gemäß des „Beutelsbacher Konsenses“ bedeutet also, Kontroversen in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion aufzuzeigen, ohne dabei bestimmte Meinungen aufzuzwingen. Das bedeutet aber nicht, dass politische Bildung wertneutral sein muss. Die Angehörigen der Bundeswehr haben eine besondere Bindung an die Werteordnung des Grundgesetzes, für die sie auch eintreten müssen, so z. B. gegen Extremismus, Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Positionen, die nicht mehr von der Freiheitlichen Demokratischen Grundordnung gedeckt sind, müssen aufgezeigt werden. Wenn politische Strömungen oder Konzepte die Grundlage unseres Wertekonsenses der Freiheitlichen Demokratischen Grundordnung verlassen, ist dies darzustellen und zu Thematisieren.
Fazit
Was soll politische Bildung in der Bundeswehr letztlich also erreichen? Die Angehörigen der Bundeswehr sollen als freie Staatsbürger die unter Gleichen die Werte Deutschlands aktiv verteidigen: Demokratie, Freiheit, Frieden und Menschenwürde. Das können sie nur, wenn sie diese verinnerlicht haben und wirklich leben.
Ethische Bildung
von Dr. Roger Mielke
An der Bestimmung des Verhältnisses von Selbstsein und gemeinschaftlicher Einbindung wirkt ethische Bildung mit. Der Lebenskundliche Unterricht, die Seelsorge und der kulturelle Überlieferungsbestand religiöser Traditionen leisten einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung im Konzept der Inneren Führung.
Im Lehrgang werden Einsatzerfahrungen ausgetauscht. Ein Soldat berichtet. Ein afghanisches Mädchen war zu Tode gekommen, durch halb fahrlässiges, halb gewolltes Handeln von Einheimischen. Zunächst stockt er. Es fällt ihm sichtlich schwer, davon zu sprechen. Dann brechen die Worte wie von selbst aus ihm hervor. Heftige Emotionen: Er erzählt von bitterer Hilflosigkeit, Scham, vom Empfinden eines unmittelbaren und gebietenden Impulses zum Helfen – dem er doch nicht nachgeben durfte. Schweigen im Hörsaal, als er fertig ist. Nach einer Zeit meint ein anderer leise: Naja, so ist das halt ...
Gewissenserfahrung
Was hat sich da gemeldet? In der Sprache der ethischen Tradition gesprochen war es die innere Stimme des Gewissens. Kann man sich mit der Auskunft kultureller Relativität von Normen, „so ist das halt in Afghanistan“, zufriedengeben? Wer der Menschenwürde verpflichtet ist, der eigenen und der aller anderen Akteure und Beobachter, kann sich damit nicht zufriedengeben. Er oder sie muss sich Rechenschaft geben: Warum und wie habe ich gehandelt – oder auch nicht gehandelt? Eine derartige Erfahrung wirkt weiter und prägt den eigenen Dienst und weit darüber hinaus das eigene Menschsein. Genau dies berührt die ethische Dimension von Persönlichkeitsbildung.
Urteilskraft entwickeln
In der ethischen Bildung geht es darum, aus freier Einsicht „ja“ sagen zu können zum eigenen Auftrag als Soldatin und als Soldat – und im Äußersten auch die Grenzen des Gehorsams bestimmen zu können. Je komplexer Umstände sind, desto wichtiger wird die „Urteilskraft“, die persönlich verantwortete Entscheidung, wie Regeln anzuwenden sind und welche Regeln in einem unübersichtlichen Fall überhaupt gelten. Urteilskraft kann nicht durch bloße Lehre vermittelt, sondern nur durch Erfahrung erworben werden. Sie hat es im Kern mit dem Selbstverhältnis zu tun, mit dem eigenen Sein als Person. Dieses Selbstverhältnis wird weder durch Drill entwickelt noch durch eine unterrichtliche Behandlung von exemplarischen „Fällen“ geschult.
Person ist man, Persönlichkeit wird man
Person ist man, Persönlichkeit aber wird man – oder auch nicht, denn dieses Bildungsziel kann man auch verfehlen. Person sein heißt, sich als unverwechselbares Selbst in Gemeinschaft vorzufinden. Von dem, was ich tue, sind andere betroffen. Daher gehört zum Person-Sein die grundlegende Fähigkeit, sich selbst und anderen Antwort zu geben auf die Frage „Warum tue ich, was ich tue?“ Diese Fähigkeit zur Rechenschaft wird in der Persönlichkeitsbildung entwickelt. „Bildung“ bedeutet hier: Ein eigentümliches Wachsen an einer widerständigen Wirklichkeit, die im Falle des soldatischen Handelns im Extremfall das Töten und das Getötet werden umfasst. Es geht um „Er-Fahrung“ im eigentlichen Sinne des Wortes, die Einholung der Welt in das eigene Leben. So nur gewinnt die Person Kontur und wird zur Persönlichkeit. Selbstverhältnis und Weltverhältnis bilden sich aneinander aus. In einem solchen Begriff von Bildung geht es in gleicher Weise um Individualisierung wie um Vergesellschaftung (H.E. Tenorth). Als Einzelner zwar gebe ich Rechenschaft, aber ich tue es als jemand, die als Soldatin oder als Soldat in eine militärische Gemeinschaft eingebunden und den Normen der politischen Gemeinschaft verpflichtet ist.
An der Verhältnisbestimmung von Selbst-Sein und gemeinschaftlicher Einbindung wirkt ethische Bildung mit. Aber gerade dieses Verhältnis scheint in wachsendem Maß problematisch zu werden. Mit zunehmender gesellschaftlicher Diversität werden auch die Zugangsvoraussetzungen zum Dienst in der Bundeswehr immer diverser. An die Stelle einer verbindenden Kultur des Selbstverständlichen, also eines verbindenden „Ethos“, ist, so eine geläufige Klage, eine unüberschaubare Gemengelage von „Subkulturen“ getreten, die zunächst synchronisiert werden müssen, um überhaupt zu einem gemeinsamen soldatischen Selbstverständnis und einer Handlungsfähigkeit zu gelangen.
Die militärische Kultur ist zwar gerade zum Zwecke derartiger Homogenisierung entwickelt – und doch wäre dies für die Armee eines freiheitlich-demokratischen Staates zu wenig. Die Kernbegriffe der Inneren Führung sind ethische Begriffe, die nach Identifikation aus Einsicht und Zustimmung in freie Selbstbestimmung verlangen. Die AR A-2600/1 beschreibt in Ziffer 508 den systematischen Zusammenhang von „Persönlichkeitsbildung“: Es geht um „selbstverantwortliches Leben“ und um „Verantwortungsübernahme“ für andere. Entscheidend ist hier, wie Persönlichkeitsbildung in das Beziehungsgefüge eingebettet ist: in den Nahbereich der Kameradschaft, in den umfassenderen Bereich des politischen Gemeinwesens und in den Grund der Selbstbeziehung, in dem moralische Sensibilität und Urteilsfähigkeit verankert sind. Keiner der drei Faktoren darf ausfallen, nur im Gesamtgefüge realisieren sie sich als „Persönlichkeitsbildung“ und ergeben so eine „gebildete Persönlichkeit“ in einem Sinn, der weit über bloßes Wissen hinausreicht.
Lebenskundlicher Unterricht als weiterer Ort zur ethischen Bildung – ein Fazit
In der Arbeit am Entwurf der AR „Ethische Bildung in der Bundeswehr“ (A-2620/6) wurde die Frage kritisch diskutiert, wo der Ort der ethischen Bildung sei und wer sie denn unterrichten solle. Den militärischen Vorgesetzten kommt natürlich im Alltag des Dienstes eine entscheidende Rolle zu. Fragen der Verantwortbarkeit, Gerechtigkeit, Fairness des Handelns entstehen im Alltag und müssen im Alltag, in den meisten Fällen außerhalb formaler Unterrichtssituationen, besprochen und behandelt werden. Allerdings sprechen grundsätzliche Erwägungen ebenso wie vielfältige Erfahrungen dafür, die Rolle der Militärseelsorge und des Lebenskundlichen Unterrichts (LKULebenskundlicher Unterricht) besonders zu würdigen.
Drei Gedanken dazu:
- Im LKULebenskundlicher Unterricht finden die ethischen Fragen den für sie so wichtigen eigentümlichen Schutzraum, der das freie und auch kritische Gespräch ermöglicht, wohl auch anders als gegenüber den Dienstvorgesetzten.
- Hinzu kommt, dass die Seelsorgerinnen und Seelsorger in ihrer besonderen Verbindung von Zivilität und Zugehörigkeit für eine Außenperspektive stehen, die gleichwohl im Innenraum der Streitkräfte präsent ist.
- Mit den religiösen Traditionen, die tief im kulturellen Überlieferungsbestand verankert sind und auch in einer säkularen staatlichen Ordnung kaum ersetzt werden können, steht eine gehaltvolle normative Sprache zur Verfügung, von der die ethische Reflexion nicht gelöst werden kann, ohne Schaden zu nehmen und in unverantwortbarer Weise verdünnt zu werden.
Treffen diese Argumente, wäre eine weitere Stärkung des LKULebenskundlicher Unterricht das beste Mittel zur Vertiefung der ethischen Bildung als Persönlichkeitsbildung. Mit der Einrichtung der jüdischen Militärseelsorge ist immerhin zuletzt ein wichtiger Schritt in diese Richtung unternommen worden. Weitere könnten und sollten folgen.
Interkulturelle Bildung
von Dr. Uwe Ulrich
Megatrends wie die fortschreitende Globalisierung, die wachsende Einbindung in internationale Strukturen oder Migrationsbewegungen, verbunden mit dem demographischen Wandel, stellen postmoderne Gesellschaften zunehmend vor ernste Herausforderungen. Die Öffnung für Angehörige anderer Kulturen und die dazu erforderliche Entwicklung Interkultureller Kompetenz ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gleichsam ein Bildungsziel mit strategischer Bedeutung. Folgerichtig findet diese Thematik mittlerweile in allen relevanten politischen Ressorts Berücksichtigung. Die Bundeswehr macht hier keine Ausnahme. Die Bemühungen um die Entwicklung Interkultureller Kompetenz im Rahmen der Ausbildung des Personals und die Etablierung der Interkulturellen Einsatzberatung und schließlich die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz am Zentrum Innere Führung seien hier besonders genannt. Den Ausbildungssektor betreffend ist diese Thematik im Bereich der Inneren Führung zu verorten mit großen Schnittstellen zur politischen, ethischen und historischen Bildung. Mit der Allgemeinen Regelung 2620/5 „Interkulturelle Bildung“ ist nunmehr unter der Klammer der „Persönlichkeitsbildung“ eine lang eingeforderte Vorschriftengrundlage in Erarbeitung, die neben dem Verständnis und Aufgaben insbesondere auch inhaltliche Grundlagen, Ziele und Wirkungsfelder konkretisiert.
Soldatinnen und Soldaten ebenso wie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen als erwachsene Menschen zur Bundeswehr – eine Tatsache mit weitreichenden Folgen. Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Bundeswehr sind daher grundsätzlich als Erwachsenenbildung zu betrachten. Sie orientiert sich am aufklärerischen Ideal der freien, selbstbestimmten und selbstmotivierten Persönlichkeit und begreift Bildung als den nie abschließbaren Prozess der individuellen Anstrengung sowie Aneignung. Interkulturelle Kompetenz ist somit als Ergebnis des Prozesses interkultureller Bildung zu betrachten. Ein solch ganzheitliches Verständnis verbietet es, sich auf nur einen wissenschaftlichen Ansatz oder eine Methode zu beschränken. Heute überlagern sich in diesem Zusammenhang zunehmend die Begriffe „interkulturell“ und „transkulturell“. Viele Ansätze, die den Terminus „interkulturell“ benutzen, gehen von einem konstruktivistischen, hybriden und dynamischen Kulturbegriff aus, sowie von durchlässigen kulturellen Grenzen und kulturinterner Heterogenität. „Interkulturelle Kompetenzen“ bezeichnen vor allem die Fähigkeit zu Selbstreflexion, Perspektivenwechsel, Empathie, Toleranz gegenüber Widersprüchen und respektvollem Umgang mit anderen Lebenswelten. Der Fokus liegt jedoch meist auf kulturellen Unterschieden. „Transkulturelle Kompetenzen“ hingegen legen den Fokus auf Gemeinsamkeiten und Synergien mit dem Ziel eines potential-, ressourcen- und zielorientierten Umgangs mit kultureller Vielfalt. Beide Aspekte haben ihre Berechtigung und werden in der neuen AR 2620/50 berücksichtigt.
Es wird deutlich, dass es sich bei Interkultureller Kompetenz nicht nur um schnell erlernbare Fertigkeiten (Verhaltensregeln) und Wissensbestände handelt, auch wenn dies relativ unproblematisch erscheint. Erfahrungsgewinn durch interkulturelle Begegnung und die Entwicklung oder gar Korrektur eigener Einstellungen hingegen sind Teil eines nicht immer bequemen Reflektions- und Selbstbildungsprozesses. Dieser erfolgt kompetenzorientiert in affektiven, kognitiven und erfahrungs- und verhaltensbezogenen Lern- und Tätigkeitsbereichen. „Kopf (Wissen), Herz (Wollen) und Hand (Handeln können)“ werden gleichermaßen angesprochen.
Es geht also darum, das Thema emotional positiv zu besetzen, es mit Erfahrung zu untermauern, mit gutem Beispiel voran zu gehen und es in den gesamten Dienstalltag zu integrieren. Der Auswahl geeigneten Personals kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die mit Führungs-, Beratungs-, und Ausbildungsfunktionen ausgestattet werden sollen.