Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger
Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger
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„‘Treue um Treue‘ – das könnte man als Devise auf ein Wappen Hitlers schreiben.“ Diese Auffassung über die Beziehung zwischen dem NSDAP-Führer und seinen Gefolgsleuten vertrat der ranghohe NSNationalsozialismus-Politiker Hans Frank. Frank, ehemaliger Generalgouverneur der nicht annektierten Teile Polens, war einer von 24 beim Nürnberger Prozess 1946 als Hauptkriegsverbrecher Angeklagten. Der „Schlächter von Polen“ wurde schuldig gesprochen und hingerichtet.
Ein Mitangeklagter Franks, Reichsmarschall Hermann Göring, ehemals Stellvertreter Hitlers und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, entzog sich durch seinen Suizid dem Galgen. Hitler selbst, seit 1938 auch Oberbefehlshaber der Wehrmacht, hatte sich bereits im April 1945 das Leben genommen. Angehörige des in Nürnberg angeklagten ehemaligen Generalstabes des Heeres versuchten mittels einer Verteidigungsdenkschrift, die Verbrechen – allen voran den Judenmord – allein der NSDAP und der SS zuzuschreiben. Mit Erfolg. Der Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ war geboren; in ihren Memoiren schmückten ehemalige Wehrmachtgeneräle diese Erzählung weiter aus, populärwissenschaftliche Autoren folgten ihnen. Die Wirkmächtigkeit dieses Mythos innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung spiegelte sich noch in den 1990er Jahren in Proteststürmen gegen die sogenannte Wehrmachtsausstellung wider, welche die Verbrechen der Wehrmacht von 1941 bis 1944 thematisiert hatte. Die Ausstellung musste zwar aufgrund einiger Nachlässigkeiten überarbeitet werden, basierte jedoch auf wissenschaftlicher Grundlagenforschung. In der Geschichtswissenschaft bestand zu dieser Zeit ein grundlegender Konsens über die Richtigkeit der zentralen Aussage, dass die Wehrmacht mit ihrem Kampf an den Fronten nicht bloß Verbrechen wie den Judenmord ermöglicht, sondern sich auch aktiv daran beteiligt hatte. Nicht jede Einheit machte sich schuldig und längst nicht jeder einzelne Wehrmachtsoldat wurde zum Verbrecher; fest steht aber auch, dass selbst Angehörige der Kampftruppen, Panzermänner wie Grenadiere und Jäger, Täter im Vernichtungskrieg wurden.
Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) thematisiert mit seiner Sonderausstellung erstmalig die Geschichte einer Waffengattung der Wehrmacht, die vergleichsweise klein war, die aber nach wie vor auf großes Interesse stößt: die Fallschirmtruppe von 1935 bis 1945. Als Aufhänger für die Ausstellung wählte das MHM den 80. Jahrestag des Unternehmens „Merkur“, die Eroberung Kretas aus der Luft. Rund um diese Luftlandeoperation strickte die NSNationalsozialismus-Propaganda einen Mythos, ähnlich wie drei Jahre später um die Landschlachten um den Monte Cassino. Der Kern dieser beiden Mythen bestand im Postulat einer unüberwindlichen Kampfkraft der Fallschirmjäger. Bei der Erarbeitung der Ausstellung konnte der Kurator auf die militärgeschichtliche Grundlagenforschung sowie auf eine eigene Studie zurückgreifen.2
Das übergeordnete Ziel auch dieser Ausstellung des MHM ist es, der Truppe und der interessierten Öffentlichkeit Orientierungswissen zu vermitteln und Problembewusstsein zu schaffen. Zum Beispiel dürfte nun die Entscheidung zur Abschaffung des maßgeblich durch den Nationalsozialismus geprägten Fallschirmjägerwahlspruches „Treue um Treue“ 2013/14 durch die in der Ausstellung geleistete Kontextualisierung verständlicher werden. Am konkreten Beispiel (in diesem Fall der Fallschirmtruppe der Wehrmacht) wird deutlich, dass es sich beim aktuellen Traditionserlass von 2018 um kein abstraktes Theoriegebilde handelt. Dieser Traditionserlass hat die Aussage seines Vorläufers von 1982 bekräftigt, dass die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig für die Bundeswehr ist.
Hörfassung „Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger“
Konzeption
Die Fallschirmjäger bezeichneten sich als „des Führers kühnste Elitetruppe“. Leicht abgewandelt bildet das Zitat den Ausstellungstitel und den Ausgangspunkt für folgende Fragen: Handelte es sich wirklich um Hitlers bzw. um eine nationalsozialistische Truppe? Und inwieweit wurden die Fallschirmjäger ihrem Anspruch gerecht, die infanteristische Elite des „Dritten Reiches“ gewesen zu sein? Während die erste Frage schon allein aufgrund der von Hitler veranlassten Aufstellung und das durch zahlreiche Quellen belegte besondere Verhältnis zwischen dem „Führer“ und dieser Truppe bejaht werden kann, ist die Beantwortung der zweiten diffiziler. Den Kern der Ausstellung bilden 22 Plakate. Auf ihnen wird in vier Bereichen vom Aufbau, den Schlachten um Kreta und Cassino und schließlich den Nachwirkungen erzählt.
Die Fallschirmtruppe zählte zu Görings blauuniformierter „nationalsozialistischer Luftwaffe“. Entstanden aus Freiwilligen des „Regimentes General Göring“ (RGG), der Wachtruppe des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, die das erste Fallschirmjägerbataillon bildete, gab Göring seine Fallschirmjäger bis 1945 aus machtpolitischen und Prestigegründen nicht an das Heer ab. Das RGG war aus der „NSNationalsozialismus-Abteilung z.b.V. Wecke“ hervorgegangen, einer aus frühen Nationalsozialisten zusammengestellten Polizeitruppe, die Göring als preußischer Innenminister im Kampf gegen Regimegegner nach dem 30. Januar 1933 eingesetzt hatte. Ein zeitgenössischer Biograph schrieb dazu: „Göring braucht aber zur besonderen Verwendung sofort eine Truppe, die Adolf Hitler mit Haut und Haar ergeben ist. Wenigstens ein Bataillon aus dem Boden zu stampfen, das von seiner Spitze bis zum letzten Wachtmeister dem Führer treu ist, muß möglich sein. Er weiß, daß viele in den Reihen der preußischen Polizei schon vor der Machtergreifung mit heißem Herzen zum Dritten Reich gestrebt haben. Aus diesen Männern soll das erste Ehrenbataillon der Polizei geschaffen werden.“3 1935 übernahm er dieses „erste Ehrenbataillon“ Weckes in seine Luftwaffe. Göring, der am 9. November 1923 beim gescheiterten Hitlerputsch in München die paramilitärische „Sturmabteilung“ (SA) geführt hatte, gliederte 1938/39 als deren „Ehrenchef“ auch das Gros des kasernierten SA-Wachregiments „Feldherrnhalle“ (FHH) in die Fallschirmtruppe ein. Die SA- verstanden sich wie die SS-Angehörigen als „politische Soldaten“ Hitlers. Sowohl RGG als auch FHH waren als Gegenstücke zur „Leibstandarte Adolf Hitler“ der SS gedacht. Das NSNationalsozialismus-Regime sorgte dafür, dass seine loyal ergebenen Verbände bevorzugt mit Personal und Material ausgestattet wurden – Quid pro quo, „Treue um Treue“. Auch propagandistisch setzte es die Fallschirmtruppe – ähnlich wie die Waffen-SS – besonders in Szene.
Die Herkunft aus diesen polizeilichen bzw. paramilitärischen Verbänden trug dazu bei, dass sich die erstmalige Eroberung einer Insel – Kreta – aus der Luft so verlustreich gestaltete. Die ehemaligen Polizeioffiziere, die vor 1933 nicht in der von ihnen favorisierten Reichswehr Aufnahme als Offizier gefunden hatten, sowie zur Fallschirmtruppe eingezogene SA-Führer wurden von Heeresoffizieren als zweite Wahl betrachtet und aufgrund ihrer Führungsdefizite im Infanteriekampf häufig kritisiert. Ihnen wurde vorgeworfen, die infanteristische Verbandsausbildung der anvertrauten jungen Fallschirmjäger vernachlässigt zu haben. Das Heer mag in seiner Kritik zwar an mancher Stelle überzogen haben und brachte etwa wenig Verständnis für Spezifika des Luftlandeeinsatzes mit, der wertvolle Ausbildungszeit kostete; dennoch, die infanteristische Kampfkraft – und das zeigte der Vergleich mit den luftgelandeten Gebirgsjägern – war alles in allem nicht größer als die der anderen Infanterie. Kreta war mit über 3.000 gefallenen von über 11.000 eingesetzten Fallschirmjägern eine blutige Schlacht – worauf symbolisch die Farbe Rot auf den Ausstellungsplakaten hinweist. Sie steht auch für die deutschen Kriegsverbrechen, über die Regimegegner vom Ersten Generalstabsoffizier der Fallschirmdivision, dem Major i.G. Conrad-Bernhard Graf von Uexküll, einem Verwandten von Claus Graf Schenk von Stauffenberg, dem Hitler-Attentäter am 20. Juli 1944, aus erster Hand erfuhren. Einer dieser Regimegegner, der Völkerrechtler Helmuth James Graf von Moltke, schrieb dazu etwa seiner Frau Freya: „Leider waren seine [Uexkülls] Berichte über das Benehmen der eigenen Truppe nach der Eroberung sehr betrüblich, beängstigend beinahe. Er berichtete über die Lust am Mord und an der Plünderung. So habe ich es nie für möglich gehalten. Wenn sich seine Berichte auch nur annähernd verallgemeinern lassen, dann steht es sehr schlimm mit uns.“4 Die Fallschirmtruppe vertuschte indes eigene Fehler und Verbrechen, die NSNationalsozialismus-Propaganda blendete sie ohnehin aus. Doch weniger die hohen Verluste, als vielmehr das fortgefallene Überraschungsmoment und später der allmähliche Verlust der Luftherrschaft bewogen Hitler, die Fallschirmjäger niemals wieder in einer ähnlichen Operation einzusetzen.
Im herkömmlichen Infanterieeinsatz stellte die 1. Fallschirmjägerdivision im Frühjahr 1944 in den Schlachten um den Monte Cassino ihre Standfestigkeit in der Verteidigung unter Beweis. Die Fallschirmjäger erwiesen sich als gute Infanteristen – wie allerdings benachbarte Gebirgsjäger und Grenadiere des Heeres auch. Unterstützung wurde ihnen durch zahlreiche schwere Waffen des Heeres zuteil: von Panzern, Sturmgeschützen und Artillerie. Die NSNationalsozialismus-Propaganda übersteigerte die gute infanteristische Kampfkraft in den Mythos des „unüberwindlichen Einzelkämpfers“, des „grünen Teufels“ (weshalb Grün als Auszeichnungsfarbe für diesen Bereich gewählt wurde). Leicht bewaffnet und bisweilen sogar nur mit Kappmesser und Felsbrocken kämpfend, habe dieser den alliierten „Materialmassen“ erfolgreich die Stirn geboten. Hitler und sein Propagandaminister Josef Goebbels zeigten bei Cassino im Kleinen, was ihre Kernbotschaft im Großen war: Eine qualitativ überlegene und fanatisch fechtende Truppe deutscher „Herrenmenschen“ könnte das quantitativ stärkere „Völkergemisch“ aus den angeblich verweichlichten westlichen Demokratien schlagen. Angesichts der geostrategischen Lage – das Deutsche Reich befand sich mit schwachen Verbündeten ab 1941 im Kampf gegen das Britische Weltreich, die USA und die Sowjetunion – mag dem NSNationalsozialismus-Regime nur die Flucht in diese eigentlich durchsichtige Darstellungsweise geblieben sein.
Um die allgemeine Wirkmächtigkeit des „Mythos Fallschirmjäger“ geht es im letzten Bereich der Ausstellung. Das Ausmaß des Einflusses der Kriegsgedienten auf die Fallschirmjäger der Bundeswehr im Kalten Krieg ist zu einem Gutteil noch unerforscht. 1955/56 knüpften die Gründungsväter der Bundeswehr eben nicht nahtlos an die Wehrmacht an, sondern bauten demokratische Streitkräfte auf. Die kriegsgedienten Soldaten hatten glaubhaft nachzuweisen, dass sie mit Hitler und dem Nationalsozialismus gebrochen hatten, um in die Bundeswehr aufgenommen zu werden. Dass auch einzelne „Ungebrochene“ unter Vorspiegelung falscher Einstellungen in die Bundeswehr eintraten, blieb dabei trotz vielfältiger Kontrollmechanismen nicht aus. Ereignisse wie das Feiern des „Kreta-Tages“ am 20. Mai deuten darauf hin, dass insbesondere die beiden großen Mythen der Fallschirmtruppe der Wehrmacht ein sinnstiftendes Element in der Bundeswehr gewesen sind. Bei der Kultivierung dieser Mythen handelt es sich jedoch nicht um ein ausschließlich deutsches oder gar auf die Bundeswehr reduziertes, sondern vielmehr um ein weltweites Phänomen.
Fazit
Die Ausstellung war noch nicht eröffnet, als nach Ankündigungen auf Facebook und Erscheinen des Katalogs Mitte März emotionsgeladene Reaktionen aus Kreisen von Ehemaligen der Fallschirmjägertruppe der Bundeswehr erfolgten. Sie zeigen, dass die jahrzehntelange unreflektierte Beschwörung vergangener Waffentaten der Wehrmacht nicht nur bei Einzelnen, sondern offenbar sogar bei Reservistenkameradschaften nachhaltig wirkt. Weniger die „braunen Wurzeln“ oder die Kriegsverbrechen, sondern die Hinterfragung der Mythen des vermeintlich stets übermenschlich kämpfenden Fallschirmjägers wecken offenkundig Emotionen. Einige äußerten sogar die Meinung, dass durch den Fortfall der Wehrmachtmythen die Kampfkraft der heutigen Fallschirmjäger schwinden würde. Dabei mag bezweifelt werden, ob die Pflege von Mythen aus professioneller Sicht zweckdienlich ist, denn gerade ein falsch verstandenes Elitebewusstsein kann zu Überheblichkeit, Selbstüberschätzung und Undiszipliniertheit mit negativen Folgen führen.
Dr. Magnus Pahl
Fehlerkultur - IF 3|21
Fehler passieren. Nur, wer gar nichts macht, macht keine Fehler. Die Frage ist, wie wir mit ihnen umgehen. In der Sommerausgabe der IF (PDF, 8,0 MB) nehmen wir das Thema Fehlerkultur unter die Lupe. Wie die Bundeswehr als Organisation aus Fehlern lernen kann, beschäftigt auch den Generalinspekteur. In einem Interview spricht er über Ergebnisse des Programms „Innere Führung – heute“ des Bundesministeriums der Verteidigung und wirft einen Blick in die Zukunft.
Außerdem im Heft: Die Lage im kriegszerstörten Syrien, ein Essay über die Ethik atomarer Bewaffnung und ihre Konsequenzen für die Innere Führung und vieles mehr. Haben Sie Kritik, Ideen - oder einen Fehler gefunden? Wir freuen uns über jedes Feedback!