Zeit für Chancen: Gleichstellung in Pandemie-Zeiten
Wilke Rohde [WR]: Die Bundeswehr befindet sich spiegelbildlich zum ganzen Land im Krisenmodus. Sehen Sie die Situation der Corona-Pandemie eher als eine Chance oder Gefahr für die Rolle und mögliche Karrierechancen von Frauen in der Bundeswehr?
Ruth Schmahl-Kieven [RSK]: Wir leben in einem sehr dynamischen und schnelllebigen soziokulturellen Umfeld. Diese komplexen Strukturen nur auf den Blick von Karrieremöglichkeiten in der Bundeswehr herunter zu brechen, wird den Frauen nicht gerecht. Ohne die Öffnung aller militärischen Laufbahnen für Frauen vor knapp 20 Jahren und dem Ausbau der überwiegend mit zivilen Beschäftigten besetzten Institutionen innerhalb der Bundeswehr, hätten wir heute nicht ein Leistungsspektrum, das – bei aller Kritik – uns auch große internationale Anerkennung zukommen lässt.
Es kommt jetzt im Wesentlichen darauf an, die Chancen aus der Krise zu identifizieren. Hierunter ist nicht nur der Ausbau von Telearbeit und die Gewährleistung der Kinderbetreuung zu verstehen. In diesen Prozess der Chancen-Identifikation sind vor allem die Frauen einzubinden, da ich hier ein großes Potential an Verbesserungen für die Ablauforganisation (z. B. in Form von alternativen Arbeitsprozessen) oder bei der fachlich-inhaltlichen Ausrichtung, angefangen mit der ITInformationstechnik-Ausstattung bis zu Kommunikationsprozessen im Einsatzgeschehen, der Bundeswehr sehe.
WR: Was muss die Bundeswehr als ohnehin männerdominierte Hierarchieorganisation aus Ihrer Sicht tun, um ihren Anspruch auf Chancengleichheit und Förderung von Frauen und Minderheiten aufrechtzuerhalten und auszubauen?
RSK: Zunächst einmal basiert jede Form einer erfolgreichen Streitkraft auf einer starken Hierarchieorganisation. Bisher geht dies in der Regel mit einem höheren Männeranteil einher. Ich glaube nicht, dass sich dies für die operativ agierenden Einheiten umkehren wird. Es stellt sich aber die Frage: „Welchen Mehrwert wird durch Vielfalt in die Organisation eingebracht und an welchen Stellen können neue bzw. alternative Kompetenzen zielführend integriert werden?“
Die Frage nach den Zielen ist auf politischer Ebene zu beantworten. Frauenförderung, Vielfalt und Chancengleichheit steht für alle Ressorts der Regierung auf der Agenda.
Wenn Chancengleichheit von Frauen und Minderheiten ausgebaut werden soll, dann müssen wir endlich anfangen zu identifizieren, welche Kompetenzen durch die angesprochenen Gruppen in das Portfolio der Bundeswehr eingebracht werden können. Vorhandene Hürden in den Denkstrukturen, die häufig durch die militärische Erziehung aus den 1970er/80er Jahren noch geprägt ist, müssen aufgelöst werden. Eine der zentralen Aufgaben wird darin bestehen, „unconcious bias“ [Anm d.Red.: unbewusste Vorteile, erlernte Stereotypen] mit Hilfe von strukturellen Veränderungen zu durchbrechen. Das ist ein langer Prozess, den wir bereits eingeschlagen haben.
WR: Die Umfragewerte der Bundeskanzlerin erreichen, wie so häufig in Krisenzeiten, einen neuen Höchststand. Ein ermunterndes Signal an die Frauen der Republik?
RSK: Studien zu geschlechterspezifischen Unterschieden schreiben Frauen tendenziell eine höhere Konfliktlösungskompetenz zu. Diese Kernkompetenz muss nicht im Widerspruch zu einem Machtbestreben stehen. Im Gegenteil, sie verhilft Frauen in Top-Führungsfunktionen eher zu einer größeren Akzeptanz.
Auch für die Bundeswehr kann dies ein deutliches Signal sein, Frauen – Soldatinnen – verstärkt in Peacekeeping-Prozesse mit Leitungsaufgaben zu beauftragen. Dieses Signal würde in einem Sekundäreffekt auch die Frauen in den Konflikt-Ländern in ihren Rollen stärken.
WR: Welche Auswirkungen hat Corona auf alleinerziehende Mütter und Väter, die mit der Vereinbarung von Kindern, Haushalt und Arbeit bei geschlossener Kita und Schule, unzureichender Arbeitsplatzausstattung seit einigen Wochen plötzlich zwei- und teilweise drei Rollen gleichzeitig erfüllen müssen? Wie sieht diese Lage aus Ihrer Sicht aus?
RSK: Die Möglichkeit zur Telearbeit ist seit längerem für viele junge Menschen ein Kriterium zur Wahl ihres Arbeitgebers und ebenso Teil der Agenda Attraktivität der Bundeswehr. Das ist auch gut und wichtig so. Eine aktuelle Studie von Dr. Yvonne Lott (2019) von der Hans-Böckler-Stiftung zeigt aber auch: Knapp 50% der Befragten beklagen, dass durch mobiles Arbeiten die Grenze zwischen privatem und beruflichem Leben verschwimmt. Vorteile in der Vereinbarkeit sehen Befragte, die mind. 2 Tage pro Woche mobil arbeiten und diejenigen, die entscheiden können, ob und wann sie von zu Hause aus arbeiten. Der Grad der erlebten Vereinbarkeit steigt jedoch auch deutlich mit der Akzeptanz durch die Vorgesetzten.
Die Situation, die wir in den letzten Monaten erleben, ist eine Ausnahmesituation. Kinder sind auf Grund der Schulschließungen zu Hause und müssen neben den Aufgaben im privaten und beruflichen Bereich auch noch unterrichtet oder betreut werden. Das belastet jede Familie und beeinträchtigt die Arbeit von zu Hause aus.
Ich erlebe aber sehr wohl, dass mit der Möglichkeit des Sonderurlaubs zur Betreuung der Kinder innerhalb des öffentlichen Dienstes sehr flexibel auf die außergewöhnlichen Anforderungen reagiert wurde. Nicht zu unterschätzen ist auch die Sicherheit, dass der Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst nach der Krisensituation noch vorhanden sein wird.
Lösungen zur Kinderbetreuung für systemrelevante Bereiche der Bundeswehr wurden meiner Kenntnis nach schnell gefunden. Eine Lehre aus der Krise für zukünftige Situation muss aber auch sein, dass die Priorität der Kinderbetreuung mehr politische Beachtung findet.
Sie ist für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland systemrelevant!
WR: Was raten Sie Führungskräften in diesem Zusammenhang in Ihrer Funktion als Gleichstellungsbeauftragte? Was können die Dienststellen tun, um zu unterstützen?
RSK: Eine große Errungenschaft des deutschen Militärs ist die Arbeit nach dem Prinzip der Auftragstaktik. Im beruflichen Alltag erlebe ich aber vielfach, dass sich gerade Führungskräfte im „klein-klein“ verlieren und vermehrt ein Kontrollbedürfnis zeigen.
Die von mir oft erlebte Scheu, bei den Beschäftigten zu Hause (natürlich dienstlich) anzurufen, beginnt meist mit der ersten Frage: „Störe ich gerade?“ Stellen Sie diese Frage regelmäßig auch in den Dienstgebäuden an Ihre Beschäftigten? Lassen Sie es stattdessen zur Normalität werden, mit Ihren Beschäftigten zu telefonieren, Videokonferenzen zu halten oder anderweitig in Kontakt zu bleiben.
Vorgesetzte haben die klare Aufgabe, Rahmenbedingungen für ein konstruktives Arbeitsklima zu schaffen und die Arbeit an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verteilen.
Haben Sie keine Scheu! Ihre Frauen und Männer zu Hause sind auch dort in der Lage, zu arbeiten. Übernehmen Sie das Prinzip der Auftragstaktik!
Vertrauen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Schaffen Sie klare Rahmen: Was? Bis wann? Das reicht aus.
Ja, es gibt Zeiten, in denen vielleicht ein Leerlauf entsteht. Lassen Sie es zu. Wir leben in diesen besonderen Zeiten nicht unter „Normalbedingungen“. Seien Sie sicher! Jeder Beschäftigte im öffentlichen Dienst weiß spätestens seit Covid-19 den Wert eines gesicherten Einkommens zu schätzen und hat einen neuen Blick auf seine Arbeitsstelle erhalten.
Jetzt ist es zwingend notwendig, ehrliches Vertrauen in die Kameradinnen und Kameraden sowie Kolleginnen und Kollegen zu setzen:
- Koppeln Sie das Arbeitsergebnis zurück. Waren Sie zufrieden? Was hat gefehlt?
- Fordern Sie Ideen und Lösungen zu Problemstellungen von Ihren Leuten ein, fragen Sie nach, wo der Schuh drückt und welche Themen Ihr Personal beschäftigt.
- Bleiben Sie auch auf der persönlichen Ebene mit Ihren Leuten in Kontakt. Arbeiten (auch zivil) ist wie im Gefecht: ich kämpfe für meine Kameraden – weniger für die große politische Ebene. Eine hohe Kohärenz, somit ein konstruktives und vertrauensvolles Arbeitsklima in dem direkten Umfeld erzeugt die besten und zuverlässigsten Ergebnisse.
Identifikation oder auch Kohärenz zu meiner Dienststelle ist die „Zauberformel“ – dazu zählt, dass ich als Beschäftigte bzw. Beschäftigter
- weiß worum es geht, wir ein gemeinsames Ziel vor Augen haben,
- mir die Mittel und Ressourcen zur Verfügung stehen, um das Ziel zu erreichen und
- ich mich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter mit dem Ergebnis identifizieren kann.
Das ist jetzt der Job der Vorgesetzten. Frei nach dem Spruch von Antoine de Saint-Exupéry:
Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
von
Wilke Rohde