Transktiption: Wahrhaftigkeit – Eine soldatische Tugend vor dem Aus?!

Transktiption: Wahrhaftigkeit – Eine soldatische Tugend vor dem Aus?!

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Wahrhaftigkeit – ein altmodisch klingender Begriff. Bei genauerem Hinsehen jedoch die Grundlage für unseren Umgang miteinander. Wie sieht es nun aber mit der Wahrhaftigkeit in der Bundeswehr aus und ist sie überhaupt umzusetzen? 

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, hebt in seinem Tagesbefehl vom 20. März 2023 die Bedeutung der Wahrhaftigkeit hervor: „Für unsere Zusammenarbeit verspreche ich Ihnen von meiner Seite klare Kante, Offenheit, Transparenz und Vertrauen und erwarte das Gleiche auch von Ihnen.“ Für uns bedeutet das, Hand aufs Herz: Wer bleibt stets und ständig wahrhaftig? Was heißt überhaupt Wahrhaftigkeit? Wenn wir an soldatische Tugenden denken, kommen uns allen wahrscheinlich zunächst Kameradschaft und Tapferkeit in den Sinn. Wie viele werden aber Wahrhaftigkeit damit verbinden? Leutnant zur See Victor O., Analyst im Bereich der strategischen Aufklärung, stellt fest, dass der Begriff „heutzutage im normalen Sprachgebrauch kaum noch benutzt wird“. Hinzu kommt, dass dieser Begriff sehr altmodisch und unklar erscheint. Oftmals wird Wahrhaftigkeit mit der Ehrlichkeit gleichgesetzt. Ganz falsch ist dieser Ansatz nicht, denn von einem wahrhaftigen Menschen wird erwartet, dass er oder sie die Wahrheit spricht. Zur Wahrhaftigkeit tritt aber noch ein weiterer Aspekt hinzu: die Authentizität. Der entscheidende Unterschied ist, dass wahrhaftige Menschen nicht nur die Wahrheit sagen, sondern, dass sie auch davon überzeugt sind und zu dem Gesagten stehen. „Man sollte sich nicht verstellen, um anderen zu gefallen, sondern so bleiben wie man ist“, so Victor O. Wahrhaftigkeit bedeutet somit mehr als nur die Wahrheit zu sagen. Aber wahr ist auch: Niemand ist perfekt und wir alle sagen sicherlich nicht immer die absolute Wahrheit, ob aus Bequemlichkeit oder aus Angst vor Konflikten. 

Ein Mensch, der wahrhaftig ist, könnte als ehrlich, anständig, korrekt, integer, authentisch und vertrauenswürdig beschrieben werden. Auch wenn diese Bezeichnungen in ihren Nuancen unterschiedliche Schwerpunkte setzen, sind sie doch in ihrem Kern gleich. Sie alle bedeuten, dass Denken, Sprechen und Handeln eines Menschen sich an den Werten eines guten, sozialen Miteinanders orientieren und alle drei Aspekte im Einklang miteinander stehen. Für den Jugendoffizier Hauptmann Stefano C. bedeutet Wahrhaftigkeit eine „innere Haltung“ und „die Wahrheit in den Mittelpunkt“ des eigenen Handelns zu stellen. Ein wahrhaftiger Mensch folgt also seinen Werten und tut, was er sagt. Solche Menschen wirken auf uns geradlinig, glaubwürdig und vertrauenswürdig.

„Schildern Sie mir die ungeschminkte Wahrheit“

Wahrhaftigkeit – ein schwieriges Wort mit einer noch komplizierteren Umsetzung, denn mit der Wahrheit nehmen wir Deutschen es grundsätzlich nicht so genau. Laut einer Statistik aus dem Jahr 2018 lügen 58 Prozent der Deutschen tagtäglich.2 Fehlende Wahrhaftigkeit stellt somit ein gesellschaftliches Problem dar und wirkt sich auch in der Bundeswehr negativ aus. Beispielhaft sind hierfür „geschönte Meldeketten“3 zu nennen. Kein Vertrauen, fehlende soldatische Tugenden oder Angst vor negativen Konsequenzen – die Beweggründe für fehlende Wahrhaftigkeit sind vielfältig. Dieser Problematik scheint sich auch der Verteidigungsminister bewusst zu sein, so betonte er in einer seiner ersten Reden im neuen Amt: „Beraten Sie mich offen und kritisch! Schildern Sie mir die ungeschminkte Wahrheit.“4

Die Analysen des Bereiches Innere und Soziale Lage der Bundeswehr (ISoLaBwInnere und Soziale Lage der Bundeswehr) zeigen Erschreckendes auf. So stellt Benjamin S., Einsatzoffizier im Bereich ISoLaBwInnere und Soziale Lage der Bundeswehr, heraus, dass das „Vertrauen in den unterstellten Bereich in allen Führungsebenen fehlt“. Weiterführend ist festzustellen, dass das „Traditionsverständnis sowie soldatische Tugenden einen nie dagewesenen Tiefpunkt erreicht haben“. Als drittes Beispiel nennt Oberleutnant Benjamin S. die interne Kommunikation. So zeigen die Analysen der Pflichtlehrgänge am Zentrum Innere Führung (ZInFüZentrum Innere Führung), dass „auf allen Führungsebenen die unzureichende Kommunikation äußerst negativ bewertet wird“. Darüber hinaus führt Benjamin S. an, dass „das Führen mit Auftrag als Alleinstellungsmerkmal der Inneren Führung zunehmend ins Hintertreffen gerät und das Mikromanagement stetig zunimmt“. Woher soll dann Wahrhaftigkeit erwachsen? Grundsätzlich hängt Wahrhaftigkeit ganz wesentlich mit Selbstkompetenz und Sozialkompetenz zusammen. 

Selbstkompetenz, oder: Wie ehrlich bin ich zu mir selbst?

Die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher hat einmal gesagt: „Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Deine Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Deine Taten. Achte auf Deine Taten, denn sie werden Deine Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie bilden Deinen Charakter. Und achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“ Wahrhaftigkeit ist also kein endgültiger Zustand, sondern ein Prozess, der ein Leben lang andauert und der es notwendig macht, sich immer wieder zu hinterfragen. Wahrhaftigkeit fängt zuerst einmal bei uns selbst an. Das ist ein wichtiger Aspekt der persönlichen Entwicklung. Es geht darum, ehrlich zu sich selbst zu sein, sich anzunehmen und zu steuern. Dabei ist es wichtig, sich seiner eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu sein und angemessen darauf zu reagieren. Wir übernehmen dann Verantwortung für uns selbst und überlassen es nicht jemand anderem, uns zu lenken. Wenn wir uns selbst belügen und uns für jemand anderen ausgeben, also eine Person spielen, die wir nicht selber sind, können wir uns nicht auf die Stärkung unserer tatsächlichen Fähigkeiten und ­Eigenschaften konzentrieren und uns nicht mit unseren Problemen auseinandersetzen und sie lösen. Darüber hinaus kann das Verleugnen der Wahrheit zu emotionalen Problemen wie Angst, Depression oder Stress führen. Wenn wir uns selbst belügen, können wir letztlich auch anderen Menschen gegenüber nicht ehrlich und authentisch sein.

Sich seiner selbst bewusst zu werden, erfordert Zeit und Kraft. Es ist nicht einfach, sich seinen eigenen Schwächen zu stellen und sich diese einzugestehen. Bei aller Selbstreflexion sollten wir aber nicht allzu kritisch mit uns umgehen. Niemand ist perfekt, aber jeder Weg beginnt mit einem ersten kleinen Schritt. 

Sozialkompetenz, oder: Wahrhaftigkeit schafft Vertrauen?

Wahrhaftigkeit ist im menschlichen Miteinander wichtig, weil sie die Grundlage für Vertrauen, Respekt und Integrität bildet. Nur wenn wir ehrlich und wahrhaftig sind, können wir gute Beziehungen aufbauen und pflegen. Insbesondere als Soldaten und Soldatinnen sind wir darauf angewiesen, dass unsere Kameraden, Kameradinnen und Vorgesetzte wahrhaftig, ehrlich und korrekt sind. Im Ernstfall kann unser Leben davon abhängen.

Ehrlichkeit in der Gruppe erfordert aber auch immer wieder Mut und Verantwortungsbewusstsein, da es oft schwierig ist, die Wahrheit zu sagen, besonders wenn sie unpopulär und unangenehm ist. Wenn wir uns aber aus eigener Überzeugung und Stärke heraus dazu verpflichten, ehrlich zu sein, können wir Beziehungen aufbauen, die auf Offenheit und Vertrauen beruhen. In solchen Beziehungen können Kritik oder eine unangenehme Wahrheit aus­gesprochen werden, ohne dass die Gefahr für einen größeren Konflikt daraus entsteht. 

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kommunikation miteinander. Wenn wir ehrlich und wahrhaftig sind, sind wir offen und zugänglich für die Perspektiven und Bedürfnisse anderer. Dies kann dazu beitragen, Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden und uns dabei helfen, gut miteinander umzugehen und Beziehungen aufzubauen, die auf gegenseitigem Verständnis und Respekt basieren.

Schließlich trägt Wahrhaftigkeit auch zur Integrität und Glaubwürdigkeit bei, da sie zeigt, dass wir uns an unsere Werte und Prinzipien halten und bereit sind, für das einzustehen, was wir für richtig halten. 

Als soziale Wesen streben wir Menschen danach, akzeptiert und in einer Gruppe integriert zu werden. Sich innerhalb einer Gruppe, in der jemand offensichtlich gemobbt wird, als einzige Person dem Mobbing entgegenzustellen, braucht Mut und Überwindung. Dem oder der Vorgesetzten nicht zu widersprechen und entgegen der eigenen Bewertung zu argumentieren, ist manchmal leichter, als sich zu behaupten. Schließlich kann Wahrhaftigkeit eher zu Konflikten führen, als mit dem Strom zu schwimmen. Wahrhaftigkeit ist im Umkehrschluss aber auch nicht immer mit Konflikten gleichzusetzen. Es bedeutet darüber hinaus, nicht immer alles zu sagen was man denkt. Die unverblümte Wahrheit kann als Ohrfeige empfunden werden. Vielmehr müssen eine konstruktive Kritik und eine professionelle Argumentation oder Bewertung im Fokus stehen. Es geht also darum, in der Beratung oder Meldung wahrhaftig zu bleiben, die eigenen Grenzen dabei zu kennen und diese nicht zu überschreiten. ­Hauptmann Stefano C. betont, dass Wahrhaftigkeit „ohne ein offenes Gespräch nicht stattfinden“ kann. 

Loyalität als Faktor der Wahrhaftigkeit

In diesem Zusammenhang ist Loya­lität ein wesentlicher Faktor, denn selbst wenn die eigenen Vorschläge oder Empfehlungen nicht angenommen wurden, bleiben wir loyal und erfüllen den Auftrag mit voller Kraft. Auch das gehört zur Wahrhaftigkeit, „es geht immer um den Auftrag und nicht um mich“, so Leutnant zur See Victor O. Er berät seine „Vorgesetzten nach bestem Wissen. Diese prüfen alle Lösungsmöglichkeiten und wählen die beste Lösung für den Auftrag aus.“ Deshalb kann er auch danach handeln, selbst wenn es nicht sein Lösungsvorschlag war. 

Untergebene benötigen aber auch Ver­trauen zu ihren Vorgesetzten, um wahrhaftig auszusagen, zu melden und zu bewerten. Zudem muss eine Führungskraft Wahrhaftigkeit vorleben, um Glaubwürdigkeit zu erlangen und in der Folge Vertrauen aufbauen zu können. „Wenn ich selbst wahrhaftig bin, so kann der Funke auch auf andere überspringen“, betont Victor O. Wenn Vorgesetzte Meldungen aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht weitergeben, handeln sie entgegen der Grundsätze der Inneren Führung und verlieren das Vertrauen ihrer Untergebenen. Wahrheit fördern und einfordern muss die Devise der Zukunft sein, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei der Landes- und Bündnisverteidigung sicherzustellen. Eine wahrhafte Kommunikation führt somit innerhalb der Bundeswehr zum Erfolg und ermöglicht damit auch eine gestärkte Glaubwürdigkeit in der Außendarstellung.

von Maria Smolinsky und Günther Demleitner

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