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Zwischen den Stühlen - Afrika und Russland

Eine jahrzehntelang gewachsene ideologische, wirtschaftliche und militä­rische Abhängigkeit von Moskau hat dazu geführt, dass Afrika im Ukrainekrieg überraschend viel Verständnis für den Aggressor aufbringt.

Für die UNUnited Nations-Vollversammlung wurde jener 2. März 2022 zur Stunde der Wahrheit – galt es doch, dem offensichtlichsten und schwerwiegendsten Bruch des Völkerrechts seit Bestehen der Vereinten Nationen möglichst geschlossen entgegenzutreten. Das Abstimmungsergebnis war beeindruckend. Wann gab es das je zuvor? Mit 141 Ja-Stimmen, fünf Nein-Stimmen und 35 Enthaltungen verurteilte eine überwältigende Mehrheit der Staaten der Völkerfamilie den russischen Überfall auf die Ukraine. Die meisten Delegierten am Hudson-River standen auf und applaudierten. Medien sprachen von einem „Gänsehaut-Moment“, viele Delegierte holten ihre Handys raus, um das Abstimmungsergebnis zu fotografieren. Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nannte das Ganze via Twitter ein „historisches Ergebnis“ – so weitgehend einhellig hatte die Welt eine Aggression nie zuvor verurteilt.

Doch erst bei näherer Betrachtung fiel auf, dass es vor allem afrikanische Staaten waren, die sich mit einer klaren Verurteilung Russlands schwerer taten – aus verschiedenen Gründen. Zwar stimmte von den 54 afrikanischen Mitgliedsstaaten lediglich die Einparteiendiktatur Eritrea gegen die UNUnited Nations-Resolution. Doch 16 Länder enthielten sich der Stimme, darunter demokratische Partner des Westens wie Südafrika. Weitere neun Staaten verweigerten sich der Abstimmung durch Abwesenheit.

Für den afrikanischen Kontinent ergab sich ein Gesamtbild, demzufolge fast die Hälfte (26) der 54 UNUnited Nations-Mitgliedsstaaten die russische Aggression nicht eindeutig verurteilten. Darunter waren Staaten wie Togo, Äthiopien und Marokko, mit denen Deutschland in Form von Reformpartnerschaften kooperiert, oder Namibia, das Land, das auf Grund der historischen Verbindung bislang in den Genuss der höchsten Pro-Kopf-Zuwendungen an deutscher Entwicklungshilfe weltweit gekommen ist.

Vor allem der Blick in die öffentliche Debatte Südafrikas, neben Namibia das Land mit der höchsten Pressefreiheit des Kontinents, verdeutlicht das Dilemma, in dem Afrika angesichts des großen Drucks, sich in dieser Frage klar zu positionieren, steckt. Auch vor der russischen Botschaft in Pretoria und dem Konsulat in Kapstadt war es nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar zu Demonstrationen und Protesten empörter Südafrikaner gekommen. Gleichzeitig veröffentlichte die russische Botschaft einen Tweet, bedankte sich für viele „Briefe der Solidarität aus Südafrika … wenn Russland wie vor 80 Jahren gegen den Faschismus in der Ukraine kämpft“. Auf Foren der Regierungspartei ANC gab es gleichzeitig mit Verweis auf die sowjetische Unterstützung im Anti-Apartheid-Kampf viele Solidaritätsbekundungen mit „Comrade (Genossen) Putin“. Jacob Zuma, wegen ausufernder Korruption in Ungnade gefallener Ex-Präsident Südafrikas, der aber an der Basis der Regierungspartei auf große Sympathien bauen kann, nannte Putin nach Beginn der Invasion einen „Mann des Friedens“.

Als Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor Ende Februar Russland dazu aufrief, seine Truppen zurückzuziehen, wurde sie jedoch zurückgepfiffen. Seither betont Präsident Cyril Ramaphosa die neutrale Haltung seines Landes. „Der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die NATONorth Atlantic Treaty Organization die Warnungen ihrer eigenen Führer und Funktionäre im Laufe der Jahre beachtet hätte, dass ihre Osterweiterung zu größerer, nicht geringerer Instabilität in der Region führen würde“, so Ramaphosa am 17. März. Südafrikas Opposition reagierte empört. Deren Anführer John Steenhuisen sagte: „Zum Erstaunen der Welt hat sich derselbe ANC, der einst auf globale Solidarität setzte, um Unterdrückung zu bekämpfen, auf die Seite des Unterdrückers gestellt.“ Einer IPSOS-Umfrage zufolge befürworten nur 40 Prozent der Südafrikaner Sanktionen gegen Russland, 69 Prozent der Menschen gaben aber an, die Nachrichten über den Krieg sehr intensiv zu verfolgen.

„Einer der Gründe für die Zurückhaltung einiger afrikanischer Staaten ist mit Sicherheit in der wirtschaftlichen und militärischen Abhängigkeit zu Russland zu finden“, sagt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft. Dabei geht es wohl weniger um Zweifel am völkerrechtswidrigen Charakter der Aggression, sondern vielmehr um das Gefühl einer als Bevormundung empfundenen Erwartungshaltung des Westens, die ungute Erinnerungen weckt. Vor allem die von der amerikanischen UNUnited Nations-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield in einem Interview geäußerte Ansicht, es könne im Ukrainekrieg keine Neutralität geben, wurde in Afrika als arrogant empfunden. „Man müsse den afrikanischen Ländern helfen, zu verstehen, was Russlands Angriffskrieg bedeute“, sagte Thomas-Greenfield der BBC. Im Magazin „Africa Confidential“ äußerten afrikanische
UNUnited Nations-Diplomaten ihren Ärger darüber, wenn auch anonym. Einer sagte: „Wir verurteilen, was in der Ukraine passiert. Aber was dort geschieht, geschieht an mehreren Orten auf der Welt. Wir verstehen nicht, weshalb so stark mobilisiert wird für die Ukraine, aber nicht für Somalia, für die Republik Zentralafrika oder für Kongo-Brazzaville.“ Ein anderer sagte, die afrikanischen Enthaltungen seien eine Botschaft an die Welt gewesen: „Wir sind nicht nur Stimmenlieferanten für eure Resolutionen. Wir sind die Heuchelei leid. Es ist unerträglich, zu sehen, dass man, je nachdem, ob man schwarz oder weiß ist, anders behandelt wird“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ zitierte.

Russlands Interessen

Natürlich geht es auch um konkrete Interessen. Ein Land, welches exemplarisch für Russlands wachsendes Interesse an Afrika steht, ist die Republik Zentralafrika, wo der seit 2016 regierende Präsident Faustin Touadéra einen geheimen Vertrag mit Moskau schloss. Rund 2000 Mitglieder der paramilitärischen russischen Wagner-Truppe stützen heute die Regierung dort und stellen die Leibgarde des Präsidenten. Dafür bekomme Russland Zugang zu strategischen Ressourcen. Mit Touadéra hat Moskau eine umfassende Partnerschaft vereinbart: Russische Firmen sollen die vom Krieg zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen, mit Krediten von russischen Banken. „Wir haben Straßenbauprojekte im Wert von sechs ­Milliarden Dollar, Eisenbahnprojekte von drei Milliarden Dollar sowie Städtebauprojekte von zwei Milliarden Dollar ausgeschrieben“, so Pascal Bida Koyagbélé, Zentralafrikas Minister für strategische Investitionen, in einem Interview mit dem russischen Radiosender Sputnik. Seit 2019 lernen zentralafrikanische Kinder in der Schule Russisch als erste Fremdsprache. Wagner-Kämpfer schützen zentralafrikanische Gold-
und Diamantenminen, die das russische Goldunternehmen M-Invest über Tochterfirmen erworben hat. M-Invest ist eine in
Sankt Petersburg registrierte Firma, die dem russischen Oligarchen und Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin gehört, dem Finanzmogul hinter Wagner.

Auf einem ähnlichen Weg wie Zentralafrika befindet sich gerade das westafrikanische Land Mali, das sich in der UNUnited Nations-Abstimmung ebenfalls enthalten hat. Dort hat das Auftauchen russischer Paramilitärs dazu geführt, dass die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich gestört sind. In Mali ist Deutschland mit Personal an der United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission (MINUSMAMission Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali) sowie an der European Union Training Mission (EUTMEuropean Union Training Mission) beteiligt. Beide Missionen werden im Sommer 2024 beendet und die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr abgezogen.

Doch für Moskau halten sich Erfolge und Niederlagen in Afrika die Waage: In Madagaskar und der Demokratischen Republik Kongo konnten sich von Moskau favorisierte Kandidaten nicht durchsetzen. Der Versuch Moskaus, den sudanesischen Langzeitdiktator Omar al-Baschir im Amt zu halten, schlug ebenso fehl wie ein geheim ausgehandelter Deal, Atomkraftwerke an Südafrika zu liefern. Aus Mozambique zogen sich russische Söldner nach erfolglosem Kampf gegen die Islamisten im Norden zurück.

Russische Waffen und Söldner

Allerdings ist Russland mit einem Anteil von 35 Prozent zum größten Waffenlieferanten Afrikas aufgestiegen. Laut Christoph Kannengießer vom Afrikaverein der deutschen Wirtschaft „beziehen 21 Länder Afrikas russische Waffen. In einigen Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik, Angola, Mosambik oder Uganda sind die Abhängigkeiten so stark, dass die Armeen ohne finanzielle und personelle Beteiligung Russlands nicht funktionsfähig wären.“

Russische Waffen sind für Afrika attraktiv, weil sie billiger sind als amerikanische. Zudem haben in den vergangenen fünf Jahren rund 2500 Militärangehörige aus Afrika eine russische Militärakademie besucht. Afrikas Diktatoren schätzen russische Kampfjets, Panzer und Sturmgewehre. Bezahlt werden sie dafür oft mit lukrativen Schürf- und Förderrechten oder mit Staatsaufträgen für russische Konzerne. Weil Russland nicht auf die Einhaltung von Menschenrechten pocht, fiel es afrikanischen Ländern leichter, militärische Allianzen mit Moskau einzugehen. Als sich beispielsweise die Vereinigten Staaten 2014 weigerten, bestimmte Waffen an Nigeria zu verkaufen, weil im Kampf gegen Boko Haram schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, erschloss Nigeria neue Quellen für Waffen, darunter Russland und Pakistan.

Dagegen erzielt Russland kaum Fortschritte, was den zivilen Handel betrifft. „Obwohl sich der russisch-afrikanische Handel in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt hat, ist er mit etwa 20 Milliarden Dollar pro Jahr recht gering“, so Christoph Kannengießer vom Afrikaverein der deutschen Wirtschaft. Die größten Quellen ausländischer Direktinvestitionen in Afrika sind nach wie vor Firmen mit Sitz in Frankreich, den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Andere, insbesondere staatlich unterstützte chinesische Unternehmen, holen auf. Im Vergleich zum Volumen Chinas ist Russlands Handel mit Afrika marginal, er macht nur rund zwei Prozent des afrikanischen Handels mit Ländern außerhalb des eigenen Kontinents aus. Afrikas Handelsvolumen mit Europa und China ist dagegen mehr als zehnmal grösser. 2018 betrug der Gesamtumfang des russischen Handels mit Schwarzafrika ganze
5 Milliarden Dollar, weniger als der Handel mit der Türkei, Singapur oder Thailand. Trotz grandios arrangierter Inszenierungen wie die des Russland-Afrika-Gipfels 2019 in Sotschi und der Erklärung, den Afrikanern Schulden in Höhe von 20 Milliarden USUnited States-Dollar gegenüber der ehemaligen Sowjetunion zu erlassen, bleibt Russland aus wirtschaftlicher Perspektive in Afrika ein Nischenakteur. „Die aufkeimende Partnerschaft steht auf wackligen Füßen, da Putins großen Versprechungen und Absichtserklärungen bislang noch nicht die entsprechenden Taten gefolgt sind“, so Kannengießer.

Ideologie statt Handel

Wirtschaftlich hat Russland Afrika einfach zu wenig zu bieten. Das war zu Sowjetzeiten nicht anders. Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnete die Sowjetunion auf eine Frage nach deren Entwicklungsstand einst als „Obervolta mit Raketen“. Dennoch war Moskau damals in der Lage, Kooperationsverträge mit 37 afrikanischen Ländern zu unterzeichnen. Bis heute am erfolgreichsten waren sowjetische „Investitionen“ in Form ideologischer Beeinflussung junger Afrikaner. „Einige Regierungen pflegen enge Kontakte mit Russland, welche oftmals bis in die Zeit der Unabhängigkeitsbestrebungen vieler afrikanischer Staaten zurückreichen“, so Kannengießer. Etwa 250.000 Menschen aus Afrika studierten bis zu ihrem Zusammenbruch 1991 in der Sowjetunion, darunter spätere Spitzenpolitiker wie Südafrikas Ex-Präsidenten Thabo Mbeki und Jacob Zuma, Youssouf Saleh Abbas aus dem Tschad und Michel Djotodia aus Zentralafrika. Zumeist absolvierten sie die Patrice Lumumba Peoples‘ Friendship University in Moskau. Das blieb nicht ohne Einfluss auf die spätere Regierungsarbeit. Wobei laut Kannengießer die „Grenzen zwischen Ideologie und Abhängigkeiten oft fließend sind“.

Russlands Interesse an Afrika hat auch andere Gründe, darauf verweist eine Studie des britischen „Tony Blair Institute for Global Change“. Die Moskauer Strategen sehen in Afrika eine „zweite Grenze“ zu Westeuropa, um dort Instabilität zu fördern, westliche Demokratiemodelle zu unterminieren, die Migrationspolitik zu befeuern. Dabei hilft dem Kreml das zuletzt abnehmende Interesse des Westens, sich in Afrika zu engagieren. Kannengießer: „Wir müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir es nicht verpasst haben, echte Partnerschaften mit afrikanischen Staaten aufzubauen. Das geht nicht mit einer oft anzutreffenden paternalistischen und belehrenden Grundhaltung.“

Afrikas Unlust, im Ukraine-Krieg klar Stellung zu beziehen, hat im Westen offensichtlich schon etwas bewirkt. Beim G7Gruppe der Sieben-Gipfel Ende Juni im bayerischen Elmau, eingeladen waren auch die Staatschefs Senegals und Südafrikas, beschlossen die wichtigsten Industriestaaten ein umfassendes Investitionsprogramm für den Ausbau von Gasinfrastruktur und erneuerbaren Energien für Entwicklungsländer in Höhe von 600 Milliarden Dollar. Die Summe soll in den kommenden fünf Jahren mobilisiert werden, um zudem Infrastrukturprojekte als Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraße“ in ärmeren Ländern zu finanzieren.

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