Transkription zum IF-Podcast 3|23

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Datum:
Lesedauer:
21 MIN

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Dr. Sarah Reichel: Herzlich willkommen zum vierte IF-Podcast zum Titelthema der Ausgabe 3|23: Kommunikation und Information in der Zeitenwende. Mein Name ist Sarah Reichel, ich bin die leitende Redakteurin der Zeitschrift für die Innere Führung, die vom Zentrum Innere Führung herausgegeben wird. Neben mir sitzt mein Co-Moderator Oberstleutnant Tim Kullmann 

Oberstleutnant Tim Kullmann: Hallo Sarah. Und mir gegenüber sitzt unser heutiger Gast: der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Thomas Hitschler. 

Thomas Hitschler: Hallo, schönen guten Tag.

Reichel: Herr Hitschler, sie sind im Verteidigungsministerium für Bereiche zuständig wie Beschaffung, Ausrüstung, Haushalt - die für die Umsetzung der Zeitenwende entscheidend sind. Die Zeitenwende ist ja doch auch viel in der Presse und die Umsetzung der Zeitenwende funktioniert nicht so, wie es eigentlich vorgesehen war. Die Wehrbeauftragte Eva Högl hat im März sogar festgestellt, von dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro sei bisher keinen Cent bei den Soldatinnen und Soldaten angekommen. 

Hitschler: Da würde ich erst einmal der Wehrbeauftragte widersprechen, obwohl ich das ganz selten mache, weil wir in vielen Fällen einer Meinung sind. Natürlich sind schon Sachen bei Soldatinnen und Soldaten angekommen. Ich nenne ihnen nur mal mein Lieblingsprojekt: Das ist das Thema persönliche Ausstattung. Als wir, ich meine es war vergangenes Jahr im April oder Mai, in einer Nacht- und Nebelaktion es im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, wenn es jetzt ein Video-Podcast wäre, könnte ich auch meine grauen Haare zeigen die ich in den drei Tagen bekommen habe, geschafft haben, einen Betrag von 2,5 Milliarden sehr, sehr kurzfristig bekommen haben und Ende des Jahres 2022 schon die ersten Zuläufe bei der Saarlandbrigade eingingen. Dann war das, glaube ich, schon eine herausragend gute Leistung auch das gesamten Beschaffungswesens bei uns. Bei dem Sondervermögen ist es so, dass wir mit den großen Zuläufen, auch von Großgeräten, wahrscheinlich ab dem Jahr 2025 rechnen können. Es ist leider bei uns nicht so, dass wir bei Amazon fünf Dinge anklicken und dann werden die übermorgen von DHL geliefert, sondern wir haben breite Ausschreibungen, wir haben Vergabeentscheidung und am Ende und es ist mein Kerngeschäft, verhandle ich es dann im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, ob wir dafür auch die Kohle bekommen. Deshalb muss ich jetzt um etwas ganz Blödes bitten, ich muss um klein, wenig Geduld bitten. Eben weil wir ganz, ganz viel machen momentan, aber die Zuläufe vom Gerät erst ab 2025 fortfolgende merken werden. Vielleicht war eine gute Botschaft, wir haben etwa 40 Milliarden von diesem 100 Milliarden-Vermögen bereits unter Vertrag. Das war eine Wahnsinnsleistung auch der Kollegin und Kollegen im Haus und in Koblenz [Anm. d. Red.: Standort des BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr], dass die es geschafft haben, in so kurzer Zeit so viele Verträge zu schließen. 

Reichel: Das heißt, dass Gerät muss erst hergestellt werden und das ist die Zeitspanne, die es jetzt noch braucht?

Hitschler: Also Verträge verhandeln, bestellen und herstellen und am Ende liegt es leider nicht überall in den Warenregalen, wo man es einfach rausnimmt und dann schickt man es der Bundeswehr, sondern da ist ein gewisser Prozess dazwischen. Wir hatten, und das ist vielleicht eine zweite Zahl, die man nennen kann, nur um die Dimensionen zu zeigen, in normalen Jahren etwa 20 25-Millionen-Vorlagen. Für die Hörerinnen und Hörer die das nicht kennen: Das sind die Vorlagen, mit denen wir dann in den Haushaltsausschuss müssen, wenn wir Geld brauchen. Alles was mehr als 25 Millionen kostet, müssen wir uns noch mal von der Politik bewilligen lassen. Letztes Jahr waren es davon etwa 20 und in diesem Jahr werden wir bei etwa 80 rauskommen. Allein um Dimension zu sehen, wie der Hochlauf gerade funktioniert.

Kullmann: Welche Botschaften sind denn für Ihre Kommunikation entscheidend und welche Adressaten liegen Ihnen sehr am Herzen?

Hitschler: Ich habe eigentlich drei Ebenen die ich adressiere: Die für mich Wichtigste sind die der Soldatinnen und Soldaten und die Angehörigen der Bundeswehr. Weil am Ende legen wir nicht nur großen Wert darauf, eine möglichst gute Ausrüstung zu beschaffen, damit die Politik gut dasteht, sondern weil wir den Menschen in der Bundeswehr, die für ihr Land dienen, bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung stellen wollen. Dazu führe ich sehr viele Gespräche bei Standortbesuchen. Versuche auch viel mit den Gremien ins Gespräch zu kommen und so einfach auch breit zu kommunizieren. Die zweite Ebene ist die Politik, weil wir die Unterstützung der Politik brauchen. Ohne die haben wir keine Möglichkeit Geld auszugeben, kein Geld zu bekommen oder auch Prozesse zu beschleunigen. Das ist so das daily business, auch zwischen dem Haushaltsausschuss und mir. Die dritte Ebene und die würde ich immer nicht unterschätzen wollen, ist natürlich die gesellschaftliche, also die Bevölkerung in Deutschland. Wir haben bemerkt, dass es nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, riesige Unterstützung für Bundeswehr-Themen gab. Es hat mich nicht überrascht, weil ich glaube, dass das schon immer so ein bisschen geschlummert hat. Die Leute finden die Bundeswehr eigentlich ganz cool und sind froh, dass es die gibt. Aber wir müssen diese Unterstützung einfach aufrechterhalten und wenn sie sich angucken, das ist jetzt anderthalb Jahre her, und die Themen von uns rücken manchmal so ein bisschen im Hintergrund. Das ist natürlich eine Gefahr, weil wir müssen awareness nicht künstlich hochhalten, aber dafür sorgen, dass Menschen klar ist, warum es wichtig ist, die Bundeswehr auch mit viel Geld und immerfort laufender Unterstützung auszustatten. 

Reichel: In der aktuellen IF haben wir die Frage gestellt, ob Wahrhaftigkeit eine soldatische Tugend ist, die vor dem Aus steht. Welche Bedeutung hat Wahrhaftigkeit in ihrem Amt? 

Hitschler: Ich finde, Wahrhaftigkeit ist ein zentrales Gut. Ich bin da auch ziemlich altmodisch und jetzt könnte ich auf die Ebenen noch mal eingehen. Also ich beginne mal bei den Soldatinnen und Soldaten. Wenn ich am Anfang des Podcast gesagt habe, wir werden alle noch ein bisschen Geduld brauchen, hat es ja auch was mit Wahrhaftigkeit zu tun. Ich bin seit zehn Jahren hier in der hauptamtlichen Politik in Berlin und habe dort immer schon viele Versprechungen gelesen und gehört - auch von Verteidigungsministerin darüber, wie schnell was geht. Und da gehört für mich zur Wahrhaftigkeit dazu, dass man sagt, wir stellen gerade ein System um, eine Vergangenheit wenig Geld über möglichst langen Zeitraum ausgeben musste, auf viel Geld in einem sehr kurzen Zeitraum. Dass das nicht ohne holpern und ohne Probleme geht, gehört glaube ich zur Wahrhaftigkeit dazu. Wahrhaftigkeit aber auch immer gegenüber der Politik und den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss. Weil wenn man den Lügen erzählt, kriegen sie es meistens raus und das wäre doof. Aber auch Wahrhaftigkeit gegenüber der Bevölkerung. Also, dass wir immer klar machen, diese Bedrohungslage, die wir am 24. Februar 2022 vorgefunden haben, die ist nicht vorbei. Ganz im Gegenteil: Die wird jetzt bleiben und deshalb der Bevölkerung auch immer wahrhaftig zu sagen, wir brauchen eure Unterstützung, wir brauchen Zweifel mehr Geld, aber wir brauchen auch gesellschaftlichen Willen diese Sicherheitsfragen gemeinsam zu klären. Und letzter Punkt: Ich fordere auch immer Wahrhaftigkeit von allen Leuten ein, die mich beraten. Ich habe am Anfang, als ich hier ins BMVgBundesministerium der Verteidigung gekommen, etwas vorgefunden, was mich manchmal so bisschen irritiert hat: Nämlich Sorgen vor wahrhaftiger Beratung. Also das man sich vielleicht nicht immer getraut hat, auch die unbequemen Dinge auszusprechen. Wir fordern das als Leitung nicht nur ein, sondern versuchen auch immer so offen zu reagieren, auch wenn doofe Botschaften kommen. Am Ende hilft es uns ja nichts, wenn wir Wolkenkuckucksheim präsentiert bekommen, sondern wir brauchen eine echte Lage, um auch auf Basis dieser Lage reagieren zu können. Es gibt da ein Wort, nämlich Fehlerkultur. Wir brauchen einen ernsthaften und echte Umgang mit Fehlern. Was ich viel schlimmer finde, als Fehler zu machen, ist keine Entscheidung zu treffen. Und wenn man Angst davor hat, Fehler zu machen, und trifft dann keine Entscheidung, ist es meistens die komplett Falsche 

Reichel: Sie sprachen eben davon, dass die Bevölkerung auch die Unterstützung geben muss. Nun sind wir einer Situation nach Corona und mit einer relativ hohen Inflation und einer Energiekrise. Wie schaffen Sie es, von der Bevölkerung die Unterstützung dafür zu bekommen?

Hitschler: Erklären, erklären, erklären. Also am Ende mit Transparenz auch das zeigen, wo man hinwill. Es geht nicht nur kurzfristig darum irgendwas zu machen für Streitkräfte, Bundeswehr oder der Sicherheit. Sondern es geht darum, on the long run, eine Verteidigungsfähigkeit in Deutschland aber auch Europa herzustellen. Da Deutschland immer die größte wirtschaftliche Kraft innerhalb Europas ist, wir uns jahrelang in diesem Punkt der militärischen Kraft gedrückt haben, müssen wir das jetzt nachholen. Das kann man der Bevölkerung nicht nur erklären, sondern du musst ihr diese Erklärung auch zumuten. Dazu kommt, erklären wie sich die Welt wandelt oder gewandelt hat. Ich bin Jahrgang 1982. Bin aufgewachsen in der deutlich einfacheren Welt als es heute ist. Die mit dem 24. Februar 2022 noch komplizierter geworden ist. Das alles zu erklären, auf die Bevölkerung zuzugehen und so wie es Minister Pistorius macht, auch ohne Zurückhaltung und mit klaren Worten, das ist unsere zentrale Aufgabe bei diesen gesellschaftlichen Fragen. 

Kullmann: Sie hatten gerade das Thema Fehlerkultur schon angesprochen. Brauchen die Menschen, die Soldatinnen und Soldaten, ein bisschen Mut zum Widerspruch und müssen sie mehr eigene Verantwortung übernehmen oder ist es immer noch das alte Credo „melden macht frei und belastet den Vorgesetzten“? 

Hitschler: Ich sehe auch da zwei Ebenen: Erstens wir als Leitung leben ja so eine Kultur vor, indem wir einfordern, dass entschieden wird. Indem wir auch einfordern, dass wir beraten werden und idem wir beides auch akzeptieren. Ich glaube das Blödeste was man machen kann, ist, wenn jemand dann entscheidet oder ein wahrhaft berät. den Kopf abzureißen. Soll ja der Vergangenheit schon mal vorgekommen sein. Es führt dann nicht dazu, dass Menschen die innerhalb einer solchen Struktur sind Lust darauf haben, zu entscheiden oder Fehler zu machen. Wir müssen den Menschen in der Bundeswehr klar machen: Wir möchten von euch, dass ihr entscheidet - auf der Ebene, auf der ja eingesetzt seid. Wenn man sich allein das Level an Ausbildung anschaut, geht einmal durch die komplette Bundeswehr durch, dann wären wir total schlecht beraten, wenn wir von diesen richtig gut ausgebildeten Menschen keine Beratung annehmen würden und sie auch nicht zum Entscheiden bringen würden. Das ist die wahre Kraft, die in der Bundeswehr steckt. Es ist gar nicht die teure Ausrüstung, sondern es sind am Ende richtig gut ausgebildete Leute, auf die wir auch vertrauen können. Aber am Ende lande ich immer bei einem Punkt: Wir dürfen Menschen nicht dafür bestrafen, wenn sie entscheiden, sondern ganz im Gegenteil, wenn sie sich nicht trauen zu entscheiden, dann machen wir was falsch. Ich will alle motivieren dort, wo man entscheiden kann, auch Entscheidung zu treffen. Es ist eine der wichtigsten Strukturreformen, die wir der Bundeswehr durchführen können 

Reichel: Sie haben eben im Rahmen der Frage um die Wahrhaftigkeit auch über Glaubwürdigkeit gesprochen. Die Zeitenwende muss ja breit aufgestellt werden. Wir haben eben auch schon drüber gesprochen, die Bevölkerung muss auch mitziehen, die Abgeordneten müssen Gelder absegnen. Wie kriegen wir das hin, das die ganze Bevölkerung dieses neue mindset hat, um die Bedrohung und auch die größeren Verpflichtungen im Rahmen der NATONorth Atlantic Treaty Organization mitzutragen.

Hitschler: Darüber zerbrechen wir uns alle ziemlich intensiv den Kopf. Ich habe vorhin beschrieben, dass man schon wellenförmig spürt, wie die Aufmerksamkeit, auch die mediale, ist, bei solchen Themen. Ich kann Ihnen berichten, dass, wenn ich Veranstaltung gemacht habe letztes Jahr im Sommer, die Menschen schon angefangen haben von: ‚Ja, da ist dieser Ukraine-Konflikt, aber meine Energierechnung‘. Weil es natürlich relativ nah ist und das wird die große Herausforderung bleiben. Wir, als Bundesrepublik Deutschland, sind kein closed shop - also wir sind eingebettet in eine Welt und auch ziemlich abhängig davon, dass diese Welt friedlich koexistieren kann. Deshalb müssen wir nur Rolle darin finden und bestehen. Und am Ende lande ich da auch wieder bei dem Punkt, dass es eine Führungsfrage ist. Wir haben als Politik, das fängt man Bundeskanzler an, geht über bei Minister und bei den Staatssekretären weiter, den Auftrag, Entscheidung zu treffen und diese Entscheidung zu kommunizieren. Je besser wie die erklären, je besser wie entscheiden, umso mehr Rückhalt werden ja auch eine Bevölkerung haben.

Kullmann: Welches mindset braucht die Bundeswehr heute? Welche Rolle spielen darin auch jetzt ganz aktuell das sense of urgency, also das Dringlichkeitsgefühl, der Handlungsdruck und dann natürlich auch die neuen Feindbilder? 

Hitschler: Ich habe in den letzten zehn Jahren die Bundeswehr immer als eine Struktur erlebt, die im inneren Kern, also durch die Menschen, die dort arbeiten, gut aufgestellt ist. Das sind Leute, die sind hochmotiviert in der Masse und die haben auch Lust darauf, ihren Auftrag zu erfüllen, wenn man sie denn lässt. Wenn sie mich jetzt nach dem mindset fragen, komme ich zu dem Punkt von vorher wieder zurück: Entscheidet dort, wo ihr entscheiden könnt. Das wäre das innere mindset. Das äußere und die Konzentration merkt man auch in vielen Gesprächen: Der Kernauftrag ist wieder präsenter geworden. Durch die äußeren Bedrohungen, die vorliegen und die auch sichtbar ist, merkt man wieder deutlicher, dass diese Notwendigkeit einer Landes- und Bündnisverteidigung tagesaktuell ist. Interessanterweise spüren das auch die Menschen und ich kann ihn ein Beispiel geben: Am vergangenen Samstag war Tag der Bundeswehr [Anm. d. Red.: 17. Juni 2023] und viele Menschen, ich glaube mehr als jemals zuvor, sind gekommen, um sich die Bundeswehr anzuschauen und eben auch zu diesen Fragen das ein oder andere zu hören. Der dritte Punkt der dabei auch eine Rolle spielt, bei dieser mindset-Frage, neben Führungskultur, neben Entscheidungsfähigkeit und auch neben dem, wie es in der Bevölkerung ist, ist, dass der politische Wille öffentlichen signalisiert bleibt. Wir hören ja im Parlament regelmäßig die Unterstützung der Bundeswehr und ich glaube, das müssen wir auch einfordern. Das wir bei diesen parlamentarischen Debatten auch offen drüber diskutieren, auch wahrhaftig und ernsthaft, was fehlt, wo müssen wir dranbleiben und was ist als politische Führung des BMVgBundesministerium der Verteidigung unsere Erwartungshaltung an das Parlament.

Reichel: Sie haben eben schon den Tag der Bundeswehr angesprochen und haben gesagt, dass es wesentlich mehr Besucher gab als noch in den Jahren zuvor. Die Innere Führung ist wieder wichtiger geworden, gerade in Bezug auf die Landes- und Verteidigung. Würden Sie sagen, die Bundeswehr ist wieder en vogue? 

Hitschler: Ich glaube, es gab schon immer ein Interesse an der Bundeswehr, dass sich aber in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Das hat angefangen bei sichtbaren Dingen, wie Bahnfahren in Uniform. Also ein Punkt hat man schon gemerkt, bei aller Sorge, ob jetzt die Bevölkerung akzeptiert, dass der Mensch in Uniform Bahn fährt: Man hat festgestellt, die Bevölkerung findet das total gut. Sogar richtig gut und Soldatinnen und Soldaten finden es glaube ich auch richtig gut, weil man schöne Begegnung hat. Es ging dann auch weiter bei solchen Themen wie Covid-Unterstützung und Unterstützung im Ahrtal, wo öffentlich immer wieder sichtbar wurde, wie wichtig es ist, gut qualifizierte und ausgebildete Menschen zu haben, die in Notsituation unterstützen können. Aber diese Rückkehr zum absoluten Kernauftrag, also zur Verteidigung -im Zweifel der Freiheit dieses Landes und der Freiheit jedes einzelnen in diesem Land- hat noch einmal dazu geführt, dass die Menschen merken, dass eine Bundeswehr die in der Lage ist, es dann zu verteidigen, einfach notwendig ist. Weil sie den Tag der Bundeswehr erwähnt haben. Ich war in Bruchsal am vergangenen Samstag und durfte dort auch die Gelöbnisrede halten. War übrigens ein großer Spaß bei 30 Grad. Ich glaube den Soldatinnen und Soldaten ging es nicht anders, die mir gegenüberstanden. Aber mir ist aufgefallen, wie unglaublich viele junge Menschen da waren. Also mein Eindruck von der Vergangenheit war häufig, da kamen oft Ehemalige die sich mal angucken wollten, wie es dort so ist am Standort. Aber gerade in Bruchsal und der Minister berichtete mir, dass es in Bückeburg und anderswo auch so war, waren ganz viele Familien erstens der Soldatinnen und Soldaten aber zweitens auch aus dem Umkreis, die einfach mal schauen wollten: Wie ist es denn da so bei der Bundeswehr. Und diese Offenheit müssen wir uns bewahren. Ich weiß nicht, ob das en vogue ist, aber die Menschen spüren, es gibt eine Notwendigkeit und finden auch wieder einen anderen Zugang zu diesem Thema als es früher war. 

Reichel: Welche Rolle spielt ihrer Meinung nach in dem Zusammenhang die Innere Führung und damit auch der Wertekompass der Bundeswehr? So dass man sagen könnte: die Bundeswehr besinnt sich wieder stärker nicht nur auf den Kernauftrag, sondern auch auf das Kernselbstverständnis warum und wofür die Bundeswehr dient und wofür sie da ist? 

Hitschler: Also die Hälfte meiner Gelöbnisrede habe ich immer um dieses Thema, Staatsbürger in Uniform und auch historische Zusammenhänge, drehen lassen. Das ist übrigens, was nie aus der Mode kommen sollte. Weil dieses zentrale Selbstverständnis, dass wir entwickelt haben, auch nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs, dass wir Staatsbürger in Uniform wollen, der im Zweifel auch einen widerrechtlichen Befehl zurückweist und sich immer mit dem inneren Kompass selbst vergewissert. Das ist sehr zentral. Wir müssen da aber auch noch Hausaufgaben erledigen, denn das geht viel mit politischer Bildung einher. Aber auch damit, dem Staatsbürger in Uniform oder die Staatsbürgerin Uniform bei der Gelegenheit zu stärken und denen die Möglichkeit zu geben, das auch zu leben. Ich finde es ist großes Plus unserer Streitkräfte, übrigens auch im Vergleich zu anderen Nationen, dass wir so eine starke Stellung haben, auch für den Menschen der Bundeswehr. Wenn ich da eins noch Hinzufügen darf, was mich auch immer stolz macht: Ich habe in vielen internationalen Streitkräften -man kommt ja viel rum als Staatssekretär- erlebt, dass es große Ebenenunterschiede gibt. Also, dass ein Staatsekretär wie selbstverständlich nur mit dem General spricht und wenn dann jemand anders dabei ist, dann geht das nicht. In der Bundeswehr ist es nicht so und das macht mich unglaublich stolz.  Es ist selbstverständlich, dass ein Mannschaftsdienstgrad oder Unteroffizier zum Staatssekretär geht und dir was erzählt. Und das einfach bei uns der natürliche Umgang miteinander ist. Auch das müssen wir uns bewahren, das darf sich niemals ändern.

Kullmann: Herr Hitschler, ganz anderes Thema: Wie können wir die Digitalisierung oder auch künstliche Intelligenz für die Zeitenwende nutzen? 

Hitschler: Sie sprechen das Megathema an, das ja weltweit bei allen Entwicklungen eine große Rolle spielt. Wenn Sie sich die Entwicklung von KIkünstliche Intelligenz angucken und da meine ich jetzt nicht nur Chat GBT, sondern viele andere Dinge, dann wird es technologisch bei uns eine außerordentliche Rolle spielen müssen. Es gibt eine ethische Diskussion, die immer läuft. Nämlich ab wann ist der Mensch aus der Entscheidung raus? Da bin ich immer auf dem Punkt: KIkünstliche Intelligenz ist eine Unterstützung von menschlicher Entscheidungsfindung, aber am Ende wird es vieles bei uns verändern, den Menschen aber nicht abschaffen. Ich glaube das ist die erste zentrale Aussage. Es wird uns viel Geld kosten, aber das wird gut investiertes Geld sein, weil wenn wir uns aus dieser Entwicklung zurückziehen, haben wir einen taktischen und strategischen Nachteil. Deshalb werde ich mich immer dafür stark machen, dass da auch Geld im System ist. Wir waren zum Beispiel gerade gestern im Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages auch wieder zu Verhandlungen über das Budget, das nicht nur im Bereich KIkünstliche Intelligenz sondern im Bereich Digitalisierung immer eingebracht wird und da findet man auch große Unterstützung der Politik. Ich glaube, wichtig ist für uns auch zuzulassen, von disruptiven Technologien, also nicht nur zu sagen, wir denken jetzt so wie wir immer gedacht haben, sondern auch der Bundeswehr die Möglichkeit geben, kreativ zu sein, bei diesen Dingen. Und nicht nur zu sagen: Wie setzt man jetzt einen Computerchip in einen Panzer ein? Sondern bei Entscheidungsfindungen angefangen, über taktische Vorgehensweise über strategische Gedanken, kann KIkünstliche Intelligenz eine Rolle spielen. Letzter Punkt dazu: Wenn man sieht, wie kreativ die Ukrainerinnen und Ukrainer auch mit der Frage Einsatz von modernen Technologien bei der Kriegsführung umgehen, dann kann ich sagen, können wir dann einigen Bereichen tatsächlich noch was lernen. Aber vor allem können wir lernen, Entwicklung zuzulassen, weil die haben das auch auf ziemlich niedriger Ebene zugelassen und profitieren davon und das sollten wir auch. 

Kullmann: Welche Bedeutung kommt dann zum Beispiel auch dem Cyber Innovation Hub der Bundeswehr hier in Berlin zu? Wie sehen Sie so eine digitale Einheit? 

Hitschler: Ich habe den Hub natürlich schon besucht und mir selbst ein Bild gemacht, auch damals noch als Abgeordneter. Und ich finde die Grundidee absolut richtig, weil eben dort hat man ja das Labor, wenn man so will, um solche disruptiven Technologien auch einsatzbereit zu machen für die Bundeswehr. Wir werden alle gemeinsam immer drauf achten müssen, dass diese Praktikabilität dessen was passiert, auch für alle sichtbar ist, denn wir haben immer wieder Diskussion auch mit dem Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages über die Frage: Wird das Geld dort richtig eingesetzt? Also wir verteidigen das immer mit allen unseren Möglichkeiten, weil wir sagen, wir brauchen so einen Denkraum, der in der Lage ist, auch für die Bundeswehr praktikable Dinge aus diesem sehr modernen und immer sehr kreativen innovativen Bereich umzusetzen. 

Reichel: Sie haben eben über KIkünstliche Intelligenz und Digitalisierung gesprochen und haben gesagt, dass wir von den Ukrainern noch was lernen können. Wo steht Deutschland im Vergleich zu den Partnern, was die Digitalisierung betrifft? Wie weit sind wir? Was müssen wir noch leisten, um vielleicht den Anschluss zu finden und auf Augenhöhe mit unseren NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner zu sein?

Hitschler: In manchen Bereichen richtig gut. In anderen Bereichen haben wir Nachholbedarf, der aber erkannt und identifiziert ist und bei dem auch gerade vieles passiert. Ich nenne ein Beispiel: Die DLBO [Anm. d. Red.: Digitalisierung landbasierter Operationen] ist ja so ein Stichwort der Digitalisierung innerhalb unserer Streitkräfte. Ich erinnere mich gut, dass wir, als ich 2013 in den Bundestag gekommen bin, schon über dieses Thema, Modernisierung von Funkgeräten und Führungsfunkstrukturen bei den Streitkräften, diskutiert haben und es damals immer hieß: Aber dafür haben wir nicht genug Geld. Wir haben jetzt zum ersten Mal über das Sondervermögen die Möglichkeit dieses Thema „Digitalisierung landbasierter Operationen“ mit richtig viel Geld anzugehen. Wir haben auch schon Entscheidungen des Deutschen Bundestages dafür und die ersten neuen Funkgeräte sind, wenn ich das richtig erinnere, mittlerweile auch schon im Zulauf. Also merkt man, wir sind beim Thema Digitalisierung tatsächlich daran, die Herausforderungen der Vergangenheit zu beheben. Andere Nationen sind in dem Bereich schon weiter, das merkt man, wenn man der Ostflanke ist und versucht kryptiert miteinander zu kommunizieren - da scheitern wir nämlich. Andere Nationen können das schon, aber wir sind da auf dem richtigen Weg, der noch eine Weile andauern wird, der noch viel Geld kosten wird, aber der einfach notwendig ist. 

Reichel: Noch eine ganz andere Frage: Die Bundeswehr gilt teilweise als nicht sehr modern. Vor allem wenn es um Fragen wie Diversität, Inklusion und Fragen der Generation Z geht. Wie kann die Bundeswehr da aufholen und wie wird es angegangen? Was wünschen Sie sich für die Bundeswehr? In welche Richtung soll sie gehen, um eine moderne Streitkraft zu sein? Nicht nur im Sinne von Technik, sondern auch was den Kopf und den Geist betrifft der Soldatinnen und Soldaten.

Hitschler: Ich finde, die Bundeswehr muss ein Abbild der Gesellschaft bleiben. Also es heißt die Bundeswehr muss so divers sein, wie es die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland auch ist. Ich habe das gesehen beim Gelöbnis in Bruchsal, da haben wir in sehr diverses Bild abgegeben und das ist gut. Mein Lieblingsspruch dazu kommt vom Panzermuseum in Munster, die haben gerade coole T-Shirts drucken lassen mit „vogue und wehrhaft.“ Ich weiß nicht, ob Sie die schon mal gesehen haben. Aber das drückt ziemlich gut aus, wie ich mir unsere Streitkräfte vorstelle. Nämlich dass sie einerseits akzeptieren, dass wir als Gesellschaft divers sind - sie deshalb selbst divers sind, aber trotzdem extrem wehrhaft ist und diese Freiheit und die Werte, für die wir alle stehen, auch verteidigen, 

Reichel: Verraten Sie uns, ob Sie gedient haben?

Hitschler: Das ist eine ziemlich spannende Geschichte. (lacht) Ich nehme Eines vorweg: Ich bin der Einzige in meiner ganzen Familie, der nicht bei der Bundeswehr war und wahrscheinlich bin ich deshalb Staatssekretär geworden. Könnte man zumindest drauf zurückkommen. Und der Hintergrund liegt nicht darin, dass ich damals verweigert habe, sondern -die Schmach wird immer größer-, ich wurde damals zurückgestellt. Also ich wurde ordentlich gemustert, habe dann auch gesagt: „Jawohl, ich würde zur Bundeswehr gehen“ und dann hat man mir gesagt ‚tja junger Mann, wir haben leider gerade keinen Bedarf für Sie.‘ Es war am Anfang der 2000er Jahre als die Bundeswehr ziemlich groß war und man damals, interessanterweise war ich damals Mittelstürmer der A-Jugend, habe ziemlich viele Tore geschossen, aber meine Knie waren etwas kaputt, gesagt hat: „Wir möchten Dich nicht“. Dafür gebe ich jetzt alles als Staatssekretär.

Reichel: Herr Hitschler, ganz herzlichen Dank, dass Sie hier bei uns im Podcast waren. Und auch Danke schön, dass wir Gast bei Ihnen im Bundesverteidigungsministerium sein durften.

Kullmann: Vielen Dank für Ihre Zeit. 

Hitschler: Vielen Dank für Ihre wichtige Arbeit und viele Grüße an alle Hörerinnen und Hörer. Ich hoffe, der Podcast war tatsächlich etwas erhellend. Ansonsten stehe ich für alle klugen Vorschläge auch gern per E-Mail zur Verfügung. Weil auch wir Staatssekretäre leben im Besonderen davon, dass wir von der Basis in den Streitkräften kluge Hinweise bekommen, wie wir unsere Arbeit besser machen sollen. Viele Grüße. 

 

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