Transkription Resilienz und mentale Stärke

Transkription Resilienz und mentale Stärke

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Eine richtig verstandene und konsequent durchgeführte Dienstaufsicht ist als wesentlicher Bestandteil von guter Führung mit der Inneren Führung eng verbunden. Denn sie hat in der Bundeswehr stets die Staatsbürgerin und den Staatsbürger in Uniform im Blick, die oder der als mündige und autonome Persönlichkeit behandelt werden möchte. Als zentrales Wirkmittel in der Führung von Menschen stellt Dienstaufsicht viel mehr als nur eine Verpflichtung dar. Sie bietet – richtig angewandt – zugleich die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen, Menschen kennenzulernen, Dinge zu erfahren, erzieherisch und prägend einzuwirken und dabei nicht zuletzt selbst Neues dazuzulernen.

Menschen kennenlernen und prägen

Wer Menschen führen möchte, muss sich mit ihnen ausführlich befassen. Das will geplant und vorbereitet sein, denn es kostet vor allem Zeit, die an anderer Stelle fehlen könnte. Wer sich mit Menschen befasst, die einem Auftrag nachgehen, an einer Ausbildung teilnehmen oder anderweitig ihren Dienst verrichten, wird zwangsläufig auf Unsicherheiten, Verzögerungen, Ausbildungsmängel und Fehler stoßen. Dann stellt sich für Vorgesetzte in ihrer Dienstaufsicht die manchmal etwas heikle Frage, wie sie am besten damit umgehen und welche Notwendigkeiten und Möglichkeiten eines angemessenen Einwirkens oder gar unmittelbaren Eingreifens bestehen.

Führungsverantwortung ist gerade bei der Dienstaufsicht mit einer Entscheidung verbunden, wie man bei angesprochenen Unzulänglichkeiten Verständnis weckt, Einsicht erzeugt, Enttäuschungen vermeidet und Motivation fördert. Das ist oft von der jeweiligen Situation und den beteiligten Personen abhängig. Dafür braucht es Erfahrung, Besonnenheit, Einfühlungsvermögen und Gerechtigkeitssinn.

Das Verständnis für die Gründe, warum Dienstaufsicht einen so hohen Stellenwert einnimmt und weshalb für Vorgesetzte sogar eine gesetzliche Verpflichtung zur Dienstaufsicht besteht, muss auf beiden Seiten gefördert werden. Dies wird sicherlich nicht erreicht, wenn Dienstaufsicht als kleinliche Kontrolle, als offensichtliche Misstrauensbekundung, als arrogante Besserwisserei oder als vernichtende Kritik wahrgenommen und erlebt wird.  Ein konstruktiver und sachlicher Dialog zwischen den Dienstaufsichtsführenden und den Betroffenen sollte stets die Grundlage dafür bieten, dass es zu keinem Gesichtsverlust kommt und die Motivation erhalten bleibt, um aus einer Sache oder ggf. einem Fehler zu lernen und es künftig noch besser zu machen. Dazu braucht es aber den guten Willen aller Beteiligten.

Sorgfältiger Umgang mit Defiziten

Um Dienstaufsicht erfolgreich ausüben zu können, sind bereits im Vorfeld notwendige Vorkehrungen zu treffen. Zeit, Qualifikation und die Einstellung eines Vorgesetzten zu den ihm oder ihr unterstellten Soldatinnen und Soldaten sollten einen ausgewogenen Dreiklang für eine gelungene Dienstaufsicht bilden. Der oder die militärische Vorgesetzte ist verpflichtet, im täglichen Dienst die erforderliche Zeit zur Ausübung einer zielführenden Dienstaufsicht aufzubringen. Im heutigen Dienstalltag haben die administrativen Abhängigkeiten und die Digitalisierung mit ihren unumkehrbaren Folgen einen Grad erreicht, der den persönlichen Umgang mit Menschen erkennbar erschwert. Die Verpflichtung, derartigen Entwicklungen bewusst entgegenzutreten und trotz alledem die notwendige Zeit für Gespräch und Dienstaufsicht aufzubringen, bleibt jedoch bestehen.

Kritik an Vorgesetzten lässt sich oftmals  auf Zweifel an deren fachlicher und menschlicher Qualifikation zurückführen. Diese Kritik wird häufig ohne ausreichende Selbstreflexion geäußert – in der festen Überzeugung, mit der eigenen und eventuell deutlich höheren Fachexpertise eine bessere Entscheidung oder ein besseres Ergebnis erzielen zu können. Die fehlende Beteiligung an der Entscheidungsfindung kann viele Gründe haben. Die Unkenntnis über die Leistungsfähigkeit, Kreativität und Expertise des unterstellten Bereiches und die dadurch versäumte Einbindung dieser Kompetenz kann ebenso ein Hindernis darstellen wie die Scheu des unterstellten Personals, auf vermeidbare Fehler aufmerksam zu machen.

Eigenes Fachwissen erweitern

Wer als Vorgesetzter oder Vorgesetzte noch keine eigene fachliche Expertise besitzt, sollte sich rasch darum bemühen, diese in dem erforderlichen Umfang zu erwerben. Dabei kann jedoch nicht erwartet werden, dass er oder sie alle Details und Hintergründe kennt. Gerade in komplexen und hochspezialisierten Fachgebieten reicht es im Regelfall aus, das notwendige Systemverständnis zur Entscheidungsfindung auf Grundlage einer kompetenten Fachberatung zu gewinnen. Dann dient eine systematische Dienstaufsicht auch dazu, sein eigenes Fachwissen zu erweitern und Interesse und Wertschätzung für die Kompetenz im unterstellten Bereich zu bekunden. Es ist kein Zeichen von Führungsschwäche, sondern Ausdruck von Authentizität, wenn Vorgesetzte noch fehlendes Fachwissen eingestehen. Wer jedoch Fachkompetenz nur vorzutäuschen versucht oder mangels tieferer Fachkenntnis ausschließlich auf das berüchtigte Nebenthema PAH (Parkordnung, Anzugsordnung, Haarschnitt) ausweicht, wird dem Anspruch auf sachgerechte Dienstaufsicht auch nicht gerecht.

Dienstaufsicht ist auf allen Führungsebenen sinnvoll und geboten. Gute militärische Vorgesetzte verankern den Grundsatz des Führens mit Auftrag mit ihrer systematischen, selbstreflektierenden und konsequenten Dienstaufsicht bis in die untersten Ebenen. Floskeln, wie „Die Dienstaufsicht obliegt allein der Chefin oder dem Chef“ verschleiern oftmals die eigene Führungsverantwortung und verkennen, dass im Sinne der Inneren Führung alle aufgerufen sind, den Dienst umsichtig mitzugestalten und die Einsatzbereitschaft zu erhöhen. Und entsprechende Dienstaufsicht ist dabei kein Ausdruck von Wichtigtuerei oder gar Amtsanmaßung, sondern ein erfolgreiches Mittel.

Wertvolle Erkenntnisse über die -Leistungsfähigkeit der Truppe

Richtig verstandene und angewandte Dienstaufsicht unterstützt die Auftragserfüllung, indem sie die unterstellten Soldatinnen und Soldaten fachlich anleitet und begleitet. Die persönliche Präsenz von Vorgesetzten verdeutlicht den hohen Stellenwert einer Ausbildung oder Auftragsdurchführung. Sie macht Vorgesetzte erlebbar und ansprechbar. Auf der anderen Seite gewinnen Vorgesetzte mit ihrer Dienstaufsicht wertvolle Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit der Truppe. Sie sehen dabei auch, ob ihre Auftragserteilung und Schwerpunktsetzung richtig verstanden und umgesetzt werden. Und sie können sich ein eigenes Urteil da-rüber bilden, ob der gewährte Zeitansatz und die Mittelzuweisung für eine erfolgreiche Auftragserfüllung ausreichend sind. Wer auch im Rahmen seiner Dienstaufsicht zeigt, dass er von vorne führen will, gewinnt das Vertrauen und die Gefolgschaft seiner Soldatinnen und Soldaten schneller und leichter als ein Vorgesetzter, der nur mit Telefon, E-Mails, Papieraufträgen und Excel-Tabellen führt und kontrolliert.

Sorgfältiger Umgang mit Defiziten

Bei der Dienstaufsicht sammeln Vorgesetzte nicht nur wertvolle Eindrücke, sondern eröffnen auch die Möglichkeit zum unmittelbaren Eingreifen. Höhere Vorgesetzte sollten jedoch örtliche Führer oder Führerinnen und Ausbildungsleiter nur übersteuern, wenn es zum Beispiel aus Sicherheitsgründen zwingend erforderlich ist. Dienstaufsicht, die Zwischenebenen ignoriert, kann Demotivation erzeugen. Erkannte Ausbildungsdefizite und Mängel sollten daher mit den Betroffenen möglichst unter vier Augen besprochen und in konkreten Dienstaufsichtsberichten thematisiert werden. Anderenfalls schwächt man die Führungsautorität im unterstellten Bereich.

Einen besonderen Stellenwert in der Ausübung der Dienstaufsicht hat also der sorgfältige Umgang mit erkannten Fehlern, Mängeln und Defiziten. Fehler dürfen nicht ignoriert werden, sondern erfordern eine wahrnehmbare Reaktion seitens der Vorgesetzten. Bei der Fehleranalyse steht nicht die Sanktionierung, sondern eine künftige Fehlervermeidung im Vordergrund. Der Spagat zwischen einer offenen Fehlerkultur und einer „Sündenbockkultur“ stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Prüfung, ob ein bewusstes und vorsätzliches Fehlverhalten oder ein Fehler aus Unwissenheit oder Unsicherheit vorliegen, ist dabei entscheidend. Gewisse Fehler hinzunehmen bedeutet dabei nicht, dass sie auch künftig gemacht werden dürfen. Die wissentliche Missachtung von Gesetzen und Vorschriften stellt, wie die vorsätzliche Inkaufnahme von Sicherheitsrisiken, im Regelfall ein nicht tolerierbares Fehlverhalten dar, das ein konsequentes Eingreifen mit entsprechenden Sanktionen erfordert.

Lernpotenziale erschließen

Eine offene Fehlerkultur bedeutet nicht, derartige Verfehlungen ungeahndet zu tolerieren. Idealerweise wird ein Umfeld geschaffen, in welchem Konsequenzen eindeutig definiert sind und dadurch weiterhin offen über mögliche Fehler gesprochen werden kann. Der wesentliche Gestaltungsspielraum von Vorgesetzten liegt in der Förderung einer offenen Fehlerkultur, beispielsweise bei falsch getroffenen Entscheidungen. In einem Umfeld fernab einer Angstkultur müssen Fehler gezielt angesprochen werden können, ohne in erster Linie die Konsequenzen zu fürchten. Die entstandenen Fehler müssen im Anschluss aufgearbeitet werden, damit sie als Lernpotenzial in künftige Entscheidungen einfließen können. Das Lernen aus gemachten Fehlern ist die gewollte Essenz einer offen gelebten Fehlerkultur. Die Weitergabe von daraus gewonnenen Erfahrungen in die Ausbildungspraxis und Entscheidungsfindung vermeidet am besten die Wiederholung von Fehlern. Dadurch wird nicht nur der individuelle Ausbildungsstand, sondern auch die Einsatzbereitschaft der gesamten Gruppe erhöht. Ist es nicht möglich oder sogar nicht gewollt, erkannte Fehler anzusprechen, bleiben Missstände bestehen und bilden keinen Ausgangspunkt für Lernerfolge und Verbesserungen. Daher ist das Bewusstsein für sachgerechte Fehleransprache und ehrliche Zustandsmeldungen auf allen Führungspositionen erforderlich.

Menschenführer in der Bundeswehr sollten davon geprägt sein, im Rahmen von Vorschriften und Gesetzen agil und flexibel auch auf komplexe Herausforderungen zu reagieren. Führen mit Auftrag muss von jedem militärischen Führer und jeder militärischen Führerin überzeugend praktiziert und vorgelebt werden. Eine vorausschauende Dienstaufsicht dient auch dazu, dieses Führungsprinzip immer wieder einzufordern und neu zu beleben. In einer konstruktiven, kommunikativen Begegnung aller Vorgesetzten mit den ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten entsteht das notwendige Vertrauen. Wo Menschen entscheiden und handeln, werden auch Fehler gemacht. Im richtigen Umgang mit Fehlern verharren Vorgesetzte nicht in der sanktionierenden Rückschau, sondern finden einen konstruktiven Weg nach vorn, um künftige Fehler zu vermeiden.