Transkription MeIN FÜhrungsfahrzeug - Zehnte Fahrt mit Künstler, Musiker und Grafiker Stephan Maria Glöckner

Transkription MeIN FÜhrungsfahrzeug - Zehnte Fahrt mit Künstler, Musiker und Grafiker Stephan Maria Glöckner

Stephan Maria Glöckner (spielt Sting – Englishman in New York): Ja, hallo!

Oberstleutnant d.R.der Reserve Tim Kullmann: Stephan –  schön, dass du bei uns im Führungsfahrzeug sitzt!

Stephan Maria Glöckner: Schön, dass ich hier sitzen darf. Ist für mich ja auch eine absolute Premiere.

Tim Kullmann: Ja, erstmal vielen Dank für deine Zeit. Wo darf’s denn hingehen?

Stephan Maria Glöckner: Ich würde sagen, fahren wir mal ins schöne Ahrtal, ins Weingut-Kloster Marienthal. Dort habe ich im ersten Obergeschoss mit zwei Kollegen ein Atelier, ein Künstler-Atelier, und das können wir uns mal angucken und dann schauen wir mal, ob es noch irgendwo weitergeht.

Tim Kullmann: Gut, dann machen wir das…
Ja Stephan, du hattest gerade schon so schön gesungen – „Englishman in New York“ – wieso hast du gerade dieses Lied gewählt?

Stephan Maria Glöckner: Also einerseits wird mir natürlich eine Ähnlichkeit mit der Stimme von Sting zugesprochen, ich mag Sting sehr, ich habe auch seine Musik schon in den 80er Jahren zu Police-Zeiten gehört. Aber da es mich ja selber sehr früh in die Fremde rausgezogen hat, in den 80er-Jahren bereits nach Südamerika, weiß ich so ein bisschen wie sich das anfühlt, wenn man plötzlich ganz woanders ist und wo man das nicht mehr als Heimat bezeichnen kann.  

Tim Kullmann: Du hast gesagt, du warst in Südamerika – wie kam’s dazu? Was erlebt man denn dort, wenn man quasi richtig mit den Menschen vor Ort zusammen lebt über Monate?

Stephan Maria Glöckner: Ja, Südamerika tickte damals noch nicht so touristisch und Lima war eine Stadt, die war völlig fremd. Wir haben uns dann sechs Wochen lang durchgeschlagen, durch den Kontinent, mit Überfällen, die wir erlebt haben und so weiter. Bis wir in Brasilien waren und dort haben wir dann mit Leuten wirklich sehr, sehr eng zusammengelebt, was ein ganz tolles Erlebnis war. Die Sprache zu lernen, ja also einerseits portugiesisch, was ja keiner von uns beiden wirklich gut konnte, bevor wir dorthin sind, und dann auch einfach festzustellen, wie anders dieses Volk tickt. Wie anders, wie offen die Menschen sind im Vergleich jetzt zu vielen Deutschen, und wie emotional, wie bunt und laut und musikalisch das Ganze dazu. Das war schon ein tolles Erlebnis!

Wir haben als Grafiker gearbeitet, wir haben im Kindergarten gearbeitet, wir haben bei allen Dingen in der Stadt mitgeholfen, also was gerade anfiel. Wir waren dort bei einer Familie mit vielen Kindern. Zwei von den Töchtern, die arbeiteten damals in einem Projekt für Straßenkinder, in einer Favela, einem Armutsviertel. Die hatten uns damals mitgenommen, hatten uns mit diesen Kindern in Kontakt gebracht und ich muss sagen, dieser Moment, diese Berührung, man kennt Straßenkindern aus Fernsehen, aber der Moment, wo man sie mit allen Sinnen wahrnimmt, der war so intensiv für mich und so bedrückend auch, festzustellen, wir sind alle auf einem Planeten. Wir haben Glück, die haben Pech. Kann ja so nicht sein, nach dem Motto „die haben einfach Pech gehabt mit ihren Eltern, mit ihrer Situation“. Das hat mich jedenfalls so intensiv gepackt, diese Situation, dass ich mir gesagt habe, wenn wir nach Hause kommen, nach Deutschland, dann kann ich jetzt nicht so tun, als hätte ich das nicht erlebt oder gesehen oder gefühlt. Ich will was tun dafür! Ich will diese Kinder unterstützen. So kam dann die Idee über die Musik etwas zu gründen, wo man auch Geld mit sammeln kann für diese Kinder, um denen eine Chance zu geben.

Tim Kullmann: Was konntet ihr dann nachher alles bewegen über euren Verein – war das dann ein Verein?

Stephan Maria Glöckner: Tja, wenn man jetzt so nach 30 Jahren auf diese Arbeit zurückblickt, könnte man sagen, von dem was wir alles gemacht haben, probiert haben, das Geld, was wir darein gesteckt haben, haben wir vielleicht weniger bewegt, als wir erwartet hätten. Aber es gibt heute auch unheimlich viel von den ehemaligen Straßenkindern, die in ihren Berufen sind, die ihre Familien haben und die irgendwie durch den Impuls, den wir ihnen da mitgegeben haben, ihr Leben drehen konnten. Das ist schon so…

Tim Kullmann: Vielfalt ist so ein Stichwort: Da hast du natürlich auch eine große Band, eine große Truppe, sehr vielfältig. Wie wichtig ist es dann auch als Musiker, man hat Vielfalt im Leben und auch im Band-Leben?

Stephan Maria Glöckner: Als ich in den 90er-Jahren angefangen habe, portugiesisch zu schreiben und wir Musik gemacht haben mit brasilianischen Elementen, teilweise auch Weltelementen wir hatten auch einen griechischen Bassisten, wir waren in England auf Tournee – da war das schon so, dass die Radiostationen häufig gesagt haben „Ihr kommt hier mit portugiesischen Texten, also italienisch das geht ja noch, aber normalerweise machen wir hier englisch und deutsch.“ Jahre später wäre das nicht so ein großes Problem gewesen. Wir sind trotzdem viel gespielt worden im Radio, aber diese Vielfalt war uns wichtig, weil ich immer gesagt habe „Ich bin in Deutschland gut ausgebildet worden als Musiker.“ Aber die Impulse, die ich zum Beispiel in der brasilianischen Kultur mitbekommen habe, die waren für mich entscheidend um das Repertoire zu erweitern, die Vielfalt der Melodie. Im Rhythmus vor allem, die Brasilianer sind ja sehr rhythmusvoll.

Tim Kullmann: Du hast ja dann auch für dein Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen.

Stephan Maria Glöckner: Genau, das war 2002 und ich sag immer in Vertretung für die Band im Prinzip oder für die ganzen Leute, die natürlich an meiner Seite auch mitgearbeitet haben, habe ich den Verdienstorden der Bundesrepublik damals von Johannes Rau bekommen. Das war eine große Überraschung. Ich hatte nicht damit gerechnet muss ich sagen. Sowas kann man als Rückenwind bezeichnen, war aber natürlich für den weiteren Verlauf dieses Projektes jetzt nicht so entscheidend.

Tim Kullmann: Eine andere Frage: Hast du eigentlich gedient? Warst du bei der Bundeswehr?

Stephan Maria Glöckner: Ich war 1982/83 als Wehrdienstleistender in Koblenz bei der Bundeswehr, genau. Es war auf jeden fall eine unerwartet schräge und verrückte Zeit muss man sagen. Ich habe sowohl Spaß gehabt wie auch das Gegenteil, logisch. Ich bin als Krankmelder ausgebildet worden, bin dadurch auf vielen Manövern gewesen und war später Vertrauensmann der Kompanie. Dadurch musste ich dann die ganzen Dienstpläne machen und dann habe ich natürlich alle möglichen Leute berücksichtigt mit ihren privaten Wünschen und war dann unheimlich oft selber am Wochenende da.

Tim Kullmann: So, da sind wir jetzt schon am Atelier.

Stephan Maria Glöckner: Genau.

Tim Kullmann: Dann steigen wir mal aus.

Stephan Maria Glöckner: So, jetzt kommen wir hier in den Bereich wo der Flur ist. Wir haben auf beiden Seiten Ateliers, mit zwei Kollegen mache ich das ja. Hier links ist eine Galerie, wo wir die Werke ausstellen und jetzt kommen wir in meinen Arbeitsbereich.

Tim Kullmann: Sehr schön.

Stephan Maria Glöckner: Also hier halte ich mich normal auf zum Arbeiten. Natürlich haben wir hier auch geöffnet, wenn nicht Corona ist und dann können Leute reinkommen. Aber hier ist eigentlich der Ort der Kreativität.

Tim Kullmann: Du hast es gerade schon gesagt „wenn nicht Corona ist“. Wie geht’s denn den Künstlern und Künstlerinnen gerade während der Corona-Pandemie?

Stephan Maria Glöckner: Tja also ich kenne sehr viele, denen es richtig schlecht geht. Ich habe das Glück als Musiker und Künstler irgendwie eine Idee zu haben, wie ich weiterkomme. Ich habe ein Buch gemacht, ich habe einen Kalender gemacht, ich habe Kontakte, wo ich noch Sachen verkaufen kann, ich mache auch noch Auftragsarbeiten, allerdings ist es eine Improvisiererei par excellence muss man sagen. Man weiß wirklich nicht in diesem Monat, was im nächsten ist. Bisher funktioniert es, aber ich hoffe, dass dieser Kraftakt irgendwann auch wieder aufhört und dass man auch wieder Perspektive hat. Ich habe irgendwie das Gefühl, das Wort „Planung“ kann man so langsam aus dem Duden streichen.

Tim Kullmann: Bei deinen Kolleginnen und Kollegen sagst du sind manche zum Beispiel nur Musiker und nicht so multitasking wie du in den verschiedensten Bereichen. Stehen die wirklich jetzt schon mit dem Rücken an der Wand?

Stephan Maria Glöckner: Zum Teil ja, die schlagen sich mit Streaming-Unterricht durch. Abgesehen von den finanziellen Folgen und auch von den sonstigen ist es einfach dieses „es steht kein Mensch mehr auf der Bühne“ und das ist für die Leute so ein Elixier, ein Lebenselixier. Ich kenne ja wirklich welche, die nichts Anderes gemacht haben, als auf der Bühne zu stehen. Wenn das dann über ein Jahr einfach überhaupt nicht mehr stattfindet, ist das schon brutal.

Tim Kullmann: Du hast gerade „auf der Bühne stehen“ angesprochen. Du hast mal eine DVD meine ich zusammen mit den Weather Girls gemacht. Die sind ja sehr bekannt mit „It’s Raining Men“ unter anderem. Wie kam’s denn dazu?

Stephan Maria Glöckner: Wir hatten 2001 diese Uma-Hora Tournee gemacht als wir mit brasilianischen Straßenkindern unterwegs waren. Da haben wir unter anderem in Dresden gespielt und haben dort als Support für die Weather Girls gespielt. Anschließend haben wir uns mit denen unterhalten. Ich werde nie vergessen: Ich habe mich total erkältet, weil ich mit denen zwei Stunden im Regen gestanden habe und habe gedacht, die Chance mit denen jetzt mal hier zu reden willst du auf keinen Fall vergehen lassen und beim nächsten Konzert war ich total heiser. Naja, bin ich ja sowieso ein bisschen von Natur aus, aber wir haben dann im Prinzip zwei Jahre lang die Weather Girls ein bisschen beackert, bis die irgendwann gesagt haben „Ja, super gerne, lass uns was Gemeinsames machen“. Dann tauchten die bei uns im Proberaum auf und dann haben wir gearbeitet und zwar auf Augenhöhe. Ich habe selten so bekannte Künstlerinnen oder Künstler kennen gelernt, die so dermaßen auf Augenhöhe und mit einer Freundlichkeit, einer Konzentration und einer positiven Atomsphäre mit uns gearbeitet haben.

Tim Kullmann: Jetzt sehe ich ja hinter dir steht noch deine Gitarre. Hättest du vielleicht Lust uns jetzt zum Abschluss des Interviews noch ein kleines Fado auch zu spielen und zu erklären, was du spielst und warum du es spielst?

Stephan Maria Glöckner: Das kann ich gerne machen. Ja Fado, Fado ist natürlich nicht brasilianisch, sondern portugiesisch und zwar aus Lissabon, ein Stück sehnsuchtsvolle Musikkultur, die ich sehr, sehr lieben und schätzen gelernt habe in Lissabon. Da Lissabon natürlich auch so ein bisschen das Ursprungsland von Brasilien ist, weil die ja auch das Portugiesisch nach Brasilien gebracht haben und ich den Fado so liebe, habe ich irgendwann auch mich als Rheinländer mit dem Fado folgendermaßen auseinandergesetzt. Das ist jetzt wirklich ein eigener Fado. Die Leute aus Lissabon würden wahrscheinlich jetzt sagen „Oah ne, das geht ja gar nicht. Ein Rheinländer, der den Fado schreibt…“
Mir fehlt jetzt natürlich die portugiesische Gitarre.

Spielt Fado auf seiner Gitarre.