Transkription MeIN FÜhrungsfahrzeug - Dritte Fahrt mit Generalmajor Joachim von Sandrart

Transkription MeIN FÜhrungsfahrzeug - Dritte Fahrt mit Generalmajor Joachim von Sandrart

Oberstleutnant Tim Kullmann: Herr General, wo darf es denn heute hingehen?

Generalmajor Joachim von Sandrart: Heute erkunden wir mal das Umfeld vom Kloster Himmerod.

Kullmann: Sehr gerne, Herr General.

Von Sandrart: Damit ich weiß, wo ich heute Abend laufen kann.

Kullmann: Sind Sie als General eigentlich lieber Fahrer oder Beifahrer? Wie sieht es bei Ihnen aus?

Von Sandrart: Das ist eine interessante Fragestellung. Meine Frau wirft mir schon vor, seitdem ich in Führungsverwendung bin, bin ich ein schlechter Beifahrer und steige automatisch immer hinten rechts ein. Das tue ich nicht, weil ich Kommandeur bin, sondern weil ich hinten dann besser arbeiten kann und ich werde zunehmend nicht mehr zuhause ans Steuer gelassen. Also ich bin ein guter Mitfahrer.

Kullmann: Das Kerngeschäft des Soldaten ist ja das Kämpfen. Ist das den jungen Soldatinnen und Soldaten, die ja eigentlich in einer heilen Welt aufwachsen, überhaupt noch bewusst, was der Soldatenberuf mit sich bringt? Was sind da so Ihre Erfahrungen? Haben die das auf der Antenne?

Von Sandrart: Der Soldat in seiner Kernprofession – und da gibt es keine zwei Meinungen – muss sich messen lassen am scharfen Ende unseres Berufes. Die Kugel oder das IEDImprovised Explosive Device oder das Gefecht, das Artilleriegeschoss, macht keine Unterschiede zwischen Divisionskommandeur und Ihnen als Kraftfahrer oder dem Infanteriesoldaten oder dem Fernmelder, der ein Gefechtsstand führt oder dem Versorger, der Nachschub organisiert. Und die Tatsache führt dazu, dass alle Soldaten, solange sie im Soll stehen, ihre Einsatz- und Kriegstauglichkeit – natürlich sicherlich alters- und ebenengerecht – aber abliefern müssen. Da können wir besser werden.

Kullmann: Sie hatten es gerade schon angesprochen: Im Einsatz haben Sie ja selbst einen Anschlag erlebt. Hat Sie das verändert? Denken oder blicken Sie anders auf das Leben? Reflektieren Sie anders, eine andere Selbstreflexion?

Von Sandrart: Verändert selbstverständlich. Das eigene Leben und auch das Bewusstsein zum Leben und die Dankbarkeit leben zu können. Und ich kann verstehen, dass junge Männer und Frauen dadurch so bewegt werden, dass sie diese Erlebnisse nicht mehr loswerden können. Ich habe erlebt, dass am Ende die exzellente Ausbildung, die wir haben, am Ende auch Leben rettet, wenn Sie das Glück des Moments haben im ersten Schlag nicht getroffen zu werden. Und ich habe aber auch erlebt, dass ein Oberst genauso gefechtstauglich sein muss wie ein Oberstabsgefreiter, wenn es darum geht, seine eigene Waffe zur Wirkung zu bringen.

Kullmann: Da sind wir eigentlich schon beim nächsten Thema, weil nur im Team ist man ja stark. Muss man heute – gerade auch in Führungsverantwortung ein Teamplayer sein oder ist das immer noch wie früher vielleicht auch vielfach gesagt „Ich sage wo es lang geht und eure Meinung interessiert mich nicht.“

Von Sandrart: Ich denke, dass was Sie gerade dargestellt haben „Ich sage, wo es lang geht, eure Meinung interessiert mich nicht.“ ist im Prinzip eine Begründung dafür eine Entlassung auszusprechen, weil derjenige, der mit dem Ansatz, mit der Vorstellung in Streitkräften – völlig egal auf welcher Ebene zur Wirkung kommt – nicht verstanden hat, dass Streitkräfte nur über das Team funktionieren und nur über das Team Wirkung zeigen. Das Team in den Streitkräften ist das, was diesen Beruf so wahnsinnig attraktiv macht. Ich versuche das meinen jungen Männern und Frauen immer zu erklären, die immer so einen Divisionskommandeur sehen und sagen „Ok, der muss ja alles richtig gemacht haben und irgendwas muss der ganz besonders gut können, sonst wäre der ja nicht Divisionskommandeur.“ Dann sage ich ihnen meistens – oder eigentlich immer – „Ich kann nichts besonders gut, aber ich glaube, ich bin ein ganz guter Teamplayer.“ Und ich hatte das große Glück, immer ein Team zu führen. Männer und Frauen, die am Ende aufgrund ihrer Teamleistung geliefert haben. Klar, das hat mit Anarchie nichts zu tun, da muss das Team führen, da muss man sich eingeben. Aber am Ende bin ich das Ergebnis einer Teamleistung. Und die Tatsache, dass ich jetzt Divisionskommandeur bin, ist damit sicherlich zum Teil auch mein Verdienst, aber im Wesentlichen ein Verdienst und eine Anerkennung der Teams, die ich führen durfte.

Kullmann: Als Mensch macht man Fehler. Als Soldat oder Soldatin natürlich auch. Wie wichtig ist es denn aus ihrer Sicht mit einer Fehlerkultur in den Streitkräften offen umzugehen? Manche trauen sich vielleicht manche Dinge gar nicht, weil sie sagen „Ach, das könnte mir vielleicht einen Nachteil bringen oder in der Beurteilung oder ich könnte tatsächlich einen Fehler machen.“ Wie wichtig ist es auch – ich sage mal – zu scheitern, aber wieder aufzustehen und weiterzumachen?

Von Sandrart: Wer sich an dieser Fehlervermeidungskultur, an der Risikovermeidungskultur, an diesem Raufaserdenken „Bloß nicht auffallen, wenn man mit der Hand über die Wand geht, damit ich möglichst fehlerfrei und unauffällig meinen Weg mache.“ Wer sich so versteht, in unseren Streitkräften, wird bestätigt in der einen Weise, weil wir vielleicht in den vergangenen Jahren das befördert haben. Wird aber – und das sehe ich ganz optimistisch, das ist aufgefallen, das justieren wir gerade – wird aber nicht bestätigt durch die Anerkennung des Teams. Männer und Frauen wollen geführt werden. Das gilt für einen Divisionskommandeur genauso vielleicht wie für Sie oder die Infanteriegruppe. Und ich habe über Fehler mehr gelernt als über positive Erlebnisse.

Kullmann: Herr General, wir haben immer ein, zwei, drei Zuschauerfragen.

Von Sandrart: Ja, habe ich hier.

Kullmann: Ja genau.. Haben Sie schon erkundet?

Von Sandrart: Habe ich schon erkundet!

Kullmann: Würden Sie die beantworten?

Von Sandrart: Also: Ist Ihnen Fehler passiert, an den Sie heute mit einem Schmunzeln zurückdenken? Da gibt es sicherlich eine ganze Menge. Ich bin mal mit einer Kompanie früher in Bergen beim Panzerschießen gewesen und dann rotierten quasi die Kompanien gegen Abend oder morgens immer von einer Schießbahn zur anderen. Derselbe Hauptmann Holland sagte zum Oberleutnant „Sie führen die Kompanie von der Schießbahn 5a auf die Schießbahn 12 und machen jetzt mal Klasse, Marschbefehl und führen die Kompanie.“ Ich war relativ neu als Zugführer dort und der Zugführer Delta, der Hauptfeldwebel Bahr, den sehe ich, schließe dem Zug an, wir marschierten los und wie es kommen musste bei Bergen – ich dachte ja das ist ja ganz einfach „Guckst du mal auf die Karte, fährst mal los, das sind ja überall Hinweisschilder, wann es irgendwie links ab geht.“ Was ich vergessen oder übersehen hatte: Es gibt einen Handgranatenwurfstand 12 und die Schießbahn 12. Und ich bog natürlich erst mal in das erste Schild ein, und zog mit 14 Kampfpanzern Leopard 2 dann auf einer Apfelallee Kopfsteinpflaster Richtung Handgranatenwurfstand 12 und dann hieß es nur noch vom letzten Fahrzeug, nachdem mir schon klar war „Du bist hier falsch“: „Delta an alle Kilo-Bravo.“ Damit hatte er mir ganz kameradschaftlich mitgeteilt, dass der Oberleutnant falsch abgebogen ist und dass die Kiste Bier der Panzerwache oder zu gegebener Zeit zu entrichten war. Und danach war der laufende Spruch „Dem Sandrart müssen wir eine Karte 1 zu 1 ausdrucken, damit er sie vor sich ausrollen kann und sich nicht weiter verfährt.“ Und das sind so die kleinen Dinge, die bereichern, aber einprägend waren.

Kullmann: Was wäre denn die Frage Nummer zwei?

Von Sandrart: Wie können Vorgesetzte von ihren Untergebenen Dinge fordern, die sie selbst nicht schaffen? Stichwort: „Vorbild“. Ich sage grundsätzlich ist es in Ordnung, Aufträge zu geben oder die sie vergeben, die sie selbst nicht durchführen können, weil sie entweder die Fähigkeit nicht haben oder die Mittel nicht zur Verfügung habe. Deswegen setzen sie ja militärische Führer verantwortlich ihren Werkzeugkasten ein. Was aber auf gar keinen Fall geht ist, die Lippenbekenntnisse, Kriegstauglichkeit, Einsatzbefähigung vor sich herzutragen aber selber im eigenen Handeln und im eigenen Auftreten jeden darzustellen, der weder in der Lage seiner militärischen Grundfertigkeit selber auszuführen, noch ist er durchhaltefähig, weil sein Body-Mass-Index eigentlich genau das Gegenteil von ihm abbildet, was er von seinen Männern und Frauen verlangt.

So, die dritte Frage.

Kullmann: Ja, natürlich!

Von Sandrart: Gibt es einen Schlüsselmoment, der ihr Leben beflügelt hat? Ja, es gibt zwei, die ich jetzt heraus kramen will. Einmal der Moment als meine wunderbare Frau mir ihr Ja-Wort gegeben hat und wir eine großartige Familie gründen konnten, die es auch ermöglicht – und die schließt an, an die Frage wie gehe ich mich der Verantwortung um – das geht nur über Familie. Das geht über den Beistand, den ich habe über meine Frau, die sicherlich in vielen Bereichen überhaupt erst ermöglicht hat, dass ich diesen Beruf so ausführen kann, gemeinsam mit unseren Kindern.

Und das Zweite – Sie haben es auch schon angesprochen – sind die Männer und Frauen, die ich im Einsatz führen durfte und die Tatsache, dass wir überlebt haben.

Kullmann: Herr General, ich persönlich hätte jetzt noch eine Frage.

Von Sandrart: Ja, sehr gerne!

Kullmann: Was ist denn für Sie das Coole am Panzerfahren? Fahren Sie überhaupt noch mit den Panzern?

Von Sandrart: Also viel zu wenig. Ich sage, das ist die Königin der Systeme. Das Coole am Panzerfahren ist – das ist vermutlich wie ein Landwirt, der so einen richtig fetten John Deere fährt – man fühlt sich eben einfach schon überlegen. Und das System „Kampfpanzer Leopard 2“ ist schon in seiner Ganzheit, in seiner wirklichen Allround-Befähigung, das ist schon überzeugend. Das ist nicht nur der „Sound of freedom“, das ist auch das „Gefühl of freedom“.

Kullmann: Jetzt habe ich noch eine Frage: Haben Sie deswegen so ein Halstuch an? Wenn man oben rausguckt, dann kriegt man immer einen kalten Hals.

Von Sandrart: Nein, deshalb habe ich das Halstuch nicht an und da antworte ich auch ganz ehrlich: Dieses Tuch ist die zweite Hälfte des Schals, die ich im Anschlag in Afghanistan getragen habe und der quasi auch so ein bisschen als Talisman gilt. Und das Zweite ist, meine Kehle zeige ich nur, wenn ich unterlegen bin.

Kullmann: Herr General, ich bedanke mich für diese kurze Fahrt.

Von Sandrart: Sehr gerne.

Kullmann: Konnten Sie ein bisschen was für Ihre Joggingstrecke finden oder ist es Ihnen doch zu matschig?

Von Sandrart: Nein, es ist nicht zu matschig, ein bisschen kurz. Aber nein, machen wir gerne und werde ich ausprobieren. Ich werde Ihnen sagen, wie sie gewesen ist.

Ich richte mich an unsere Soldaten und Soldatinnen in vornehmlich der 1. Panzerdivision, aber selbstverständlich an alle Kameraden und Kameradinnen. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, was Sie leisten, insbesondere in diesen besonderen Zeiten unter Corona, unter den Auflagen. Ich bin stolz darauf, wie Sie es schaffen die Herausforderungen im Grundbetrieb, in der Ausbildung, im Einsatz, aber auch jetzt unter den besonderen Bedingungen des Corona-Einsatzes, zu meistern. Sie finden Lösungen, Sie sind verfügbar, Sie sind ein klasse Botschafter unserer Profession, aber auch unseres Landes. Bleiben Sie gesund! Machen Sie weiter so! Danke.

Kullmann: Danke schön, Herr General.

Von Sandrart: Sehr gerne!

Kullmann: Es war eine kurzweilige Fahrt. Wir sind wohl nirgends falsch abgebogen, das ist schon mal gut.

Von Sandrart: Das hab ich nicht bemerkt, weil ich nicht auf der Karte geguckt habe.

Kullmann: Aber die hätten wir auch nicht in 1 zu 1 ausdrucken können.

Von Sandrart: Da hätte ich mich noch mehr verfahren als Sie.