Transkription "innere Führung wichtiger denn je!"
Transkription "innere Führung wichtiger denn je!"
Dr. Stefanie Kullick: Guten Tag Herr General! Schön, dass Sie sich für dieses Interview etwas Zeit nehmen. Als Kommandeur des Zentrums Innere Führung sind Sie heute hier bei der Truppe die Einsatzausbildung macht. Warum war es Ihnen wichtig, dieses Interview gerade hier durch zu führen?
Generalmajor André Bodemann: Zuerst einmal, es ist immer schön wieder bei der Truppe zu sein. Aber Innere Führung ist eben nichts ausschließlich für den Hörsaal in Koblenz mit Dienstanzug und Krawatte. Innere Führung findet doch allgegenwärtig statt und muss vor allen Dingen bei Ausbildungen und Übungen sowie im Einsatz gelebt werden.
Stefanie Kullick: Herr General, zurzeit verfolgen wir alle täglich die Geschehnisse rund um den Krieg in der Ukraine. Der Bundeskanzler sprach von einer „Zeitenwende“. Deshalb meine Frage: Gilt dies auch für die Innere Führung? Denn Kritiker behaupten, dass die Innere Führung zugunsten intensivere Einsatzausbildung, intensivere Gefechtsausbildung zu vernachlässigen sei oder dass die Innere Führung gar der Erreichung der vollen Einsatzbereitschaft hinderlich sei. Was sagen Sie diesen Menschen?
André Bodemann: Jetzt gilt es erstmal, den bewährten „Schritt Abstand von der Lagekarte“ zu nehmen, und zu bewerten, was die Zeitenwende – oder wie wir es militärisch ausdrücken – diese „grundlegende Lageänderung“ für die Innere Führung und für das Zentrum Innere Führung bedeutet. Ich bin nach wie vor zutiefst davon überzeugt, dass die Innere Führung und Einsatzbereitschaft untrennbar zusammengehören.
Innere Führung ist kein Selbstzweck, sondern dient der Einsatzbereitschaft ebenso wie professionelle Ausbildung und einsatzfähiges Material. Häufig wird vergessen, dass Innere Führung schon immer, gerade auch in den Gründungstagen der Bundeswehr, der Einsatzbereitschaft gedient hat. Innere Führung hat sich schon immer mit dem scharfen Ende des Soldatenberufs auseinandergesetzt. Sie hat stets den einsatzbereiten und kampftüchtigen Soldaten als Ziel gehabt.
Stefanie Kullick: Herr General Ihnen war gerade sehr wichtig, zu betonen, dass die Innere Führung schon immer den einsatzbereiten, den kampftüchtigen Soldaten zum Ziel hatte. Können Sie etwas näher erläutern, welchen Beitrag die Innere Führung ganz konkret jetzt zur Einsatzbereitschaft leisten kann, gerade jetzt, wo wieder Krieg in Europa herrscht?
André Bodemann: Zu wissen, „wofür man dient“ und am Ende auch wofür man kämpft, wenn es sein muss, das erleben wir aktuell jeden Tag in der Ukraine. Die Moral und der Einsatzwille dort zeigen deutlich, wie wichtig es ist, von den Werten, für die man kämpft, auch überzeugt zu sein. Aus meiner Sicht kommt es daher vor allem auf das Selbstverständnis als Soldat, es kommt auf das Mindset an!
Die Bundeswehr ist nämlich kein Unternehmen, sie ist zwar nichts Besseres, aber wir sind schon etwas Besonderes. Der Beruf des Soldaten hat auch besondere Anforderungen: Physisch, psychisch und charakterlich! Das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform, gelebte Werte, die Legitimation unseres Wirkens, gewissensgeleitete Entscheidungen und vor allem die Beantwortung der Frage des „Dienens wofür?“ aus Überzeugung und möglicherweise unter Einsatz des eigenen Lebens: Das alles machen den Wesenskern der Inneren Führung und das Dienen in der Bundeswehr für unser Land aus. Daher ist eine wirkungsvolle Innere Führung auch ein unverzichtbarer Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.
Stefanie Kullick: Sie haben gerade herausgestellt, dass jeder Soldat und jede Soldatin den Sinn des „Dienens wofür“ verstehen muss. Können Sie noch weitere konkrete Beispiele dazu geben?
André Bodemann: Das sind vor allem Beispiele wie wir sie derzeit täglich auch in der Ukraine sehen, vom ukrainischen Präsidenten angefangen über den Soldaten bis zum Verteidiger in Zivil. Dazu gehören Widerstandsfähigkeit und der Wille, Entbehrungen, Härten oder Belastungen in Übung und Einsatz zu tragen sowie gerade als Vorgesetzter mit Vorbildfunktion mit seinen Untergebenen zu teilen. Dabei sind gerade soldatische Tugenden wie Mut, Tapferkeit, oder Wahrhaftigkeit unverzichtbar. Das alles ist Mentale Stärke, die gerade jetzt im Angesicht des Krieges wichtig ist.
Hinzu kommt, dass wir mit dem „Führen mit Auftrag“ über einen Führungsgrundsatz verfügen, der nahezu einzigartig ist. Auch weitere bewährte deutsche Führungsprinzipien wie das Führen durch Vorbild und das Führen von vorn sind von besonderer Bedeutung. Man fordert von seinen Untergeben eben nur das, was man selbst zu leisten bereit ist bzw. zu leisten vermag. Als Vorgesetzter muss ich nicht der Schnellste oder Beste sein.
Aber ich muss mitmachen und vorangehen.
Im Übrigen ist das Herstellen und das Halten der persönlichen Einsatzbereitschaft, beispielsweise durch das Ableisten der Sport- und Schießleistungen oder der Erst- und Kameradenhilfe, Teil des soldatischen Selbstverständnisses und damit eine Bringschuld. Und auch das ist Innere Führung!
Ich bin davon überzeugt, dass die Bedeutung der Inneren Führung umso deutlicher hervortritt, je näher wir an den Einsatz und damit auch den Eid herankommen. Sie muss aber auch vorgelebt, gelebt und erlebbar gemacht werden. Schließlich geloben und schwören wir für Recht und Freiheit und somit für die Demokratie einzutreten. Und wir schwören und geloben neben treuem Dienen auch Tapferkeit bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Das macht unseren Dienst als Soldatin und Soldat der Bundeswehr so besonders. Und damit ist die Innere Führung gerade jetzt mehr denn je gefordert, wichtiger denn je. Jetzt, da Krieg in Europa wieder Realität ist.
Stefanie Kullick: Und was gehört noch dazu?
André Bodemann: Naja, Frieden und Freiheit gibt’s eben nicht zum Nulltarif und da lohnt es sich vielleicht noch einmal zurück zu schauen in den Kalten Krieg. Von da aus kann man, auch wenn es keine Blaupause ist, dass eine und andere mitnehmen.
Die Älteren, die den Kalten Krieg, die Konfrontation von Ost und West aufgrund unterschiedlichem Verständnis von Menschenrechten, Grundrechten und Freiheit erlebt haben, müssen nun den Jüngeren erklären, was es bedeutet, dass Frieden und Freiheit bedroht sind und verteidigt werden müssen.
Alte Losungen der NATONorth Atlantic Treaty Organization wie „Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit“ müssen in Erinnerung gerufen werden. Auch im Frieden müssen wir wachsam sein gegen „Angriffe“ wie z.B. Falschinformationen, Fake News, Propaganda oder „Annäherungs- und Zersetzungsversuche“. Der Verschwiegenheit und dem Schutz dienstlicher Informationen kommt ebenso wieder eine deutlich höhere Bedeutung zu. Und darüber hinaus sind Einsatzbereitschaft und Wachsamkeit natürlich nicht an Kontingentdenken gebunden, sondern kontinuierlich gefordert. Auch gehört es dazu, als Vorgesetzter zu informieren und zu kommunizieren sowie sich persönlich über das laufende Geschehen informiert zu halten.
Stefanie Kullick: Ich möchte noch einmal auf das Leben und Verteidigen von Werten zurückkommen und dabei insbesondere auf die Bedeutung der Politischen Bildung. Warum sind gerade diese jetzt so wichtig?
André Bodemann: Die Innere Führung war, ist und bleibt gerade jetzt ein bewährtes und beständiges Fundament für verantwortliches soldatisches Handeln unter Bindung an die Werte und Normen des Grundgesetzes.
Die Innere Führung stellt dazu den Kompass bereit, um die notwendige Orientierung und Verhaltenssicherheit für das eigene Handeln zu liefern, gerade in Zeiten des Krieges sowie der Verunsicherung und Verwirrung. Dazu hilft uns die Persönlichkeitsbildung, die mit politischer, historischer, interkultureller und ethischer Bildung den Rahmen, das Basiswissen sowie das Verständnis für Zusammenhänge und wiederum Orientierung bietet. Auch Themen wie „Vielfalt oder Beteiligung“, bleiben wichtige Themen der Inneren Führung.
Jedoch verfolgen auch diese keinen Selbstzweck, sondern sie dienen letztendlich richtig verstanden und angewandt ebenfalls der Stärkung der Einsatzbereitschaft.
Stefanie Kullick: Eine letzte Frage Herr General: Was bedeutet das alles jetzt für Ihre Dienststelle, für das Zentrum Innere Führung?
André Bodemann: Die aktuelle und wahrscheinlich auch noch anhaltend künftige sicherheitspolitische Lage hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Weiterentwicklung der Inneren Führung und auf unsere Auftragserfüllung als Zentrum Innere Führung. Auch bereits in den vergangenen Jahren haben wir immer wieder gesellschaftliche, sicherheitspolitische und technologische sowie sonstige Entwicklungen erlebt und darauf reagiert.
Beispiele dafür sind die zunehmende Digitalisierung, die Verlagerung der Kriegsführung in den Cyber- und Informationsraum oder die gestiegene Bedeutung von Social Media – und auch noch mehr Vielfalt innerhalb der Bundeswehr gehören dazu.
Das bedeutet, dass wir uns und mit uns die Innere Führung ständig mit den aktuellen und künftigen Herausforderungen sowie Rahmenbedingungen und den Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Menschen auseinandersetzen müssen. Und dies alles immer auch mit dem Fokus auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.
Die damit verbundenen erforderlichen und nicht einfachen Veränderungen und Anpassung an die neue Realität wird das Zentrum Innere Führung aktiv und unterstützend begleiten. Wir am Zentrum Innere Führung sind nicht für uns selbst da. Wir sind für die Truppe da. Und wir prüfen daher ständig, wie wir die Innere Führung als Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mit unserem Leistungsportfolio bestmöglich stärken können.
Stefanie Kullick: Herr General, vielen Dank für das Gespräch!
André Bodemann: Ich danke Ihnen!