Transkription Führen mit Auftrag

Transkription Führen mit Auftrag

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Das militärische „Führen mit Auftrag“, auch als „Auftragstak­tik“ bekannt, beschreibt nicht nur eine bestimmte Vorgehens­weise, sondern steht für eine ganze Führungsphilosophie. 

Dieses Denken ist neben dem des militärischen Führungsden­kens in der Bundeswehr sowie dem Führen mit Stäben dem Grunde nach auch in den Hilfsorganisationen, Feuerwehren, Polizeien sowie in der Verwaltung und in der Wirtschaft verortet. Somit ist dieses Führungsprinzip nicht nur im militärischen Be­reich von Bedeutung, sondern ebenso in der polizeilichen wie nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr bis hin zum Katastrophen­schutz, der Zivilen Verteidigung und dem Zivilschutz. Auch bei verbündeten Streitkräften gibt es ein hohes Interesse an diesem traditionellen Ansatz, der ein Eckpfeiler des deutschen solda­tischen Selbstverständnisses ist. Das gilt auch für die Briten bis hin zu den baltischen Staaten. Mithin bildet das Prinzip Führen mit Auftrag den Ansatz für ein ressort-, ebenen- und institutionsübergreifendes Handeln. 

Führen mit Auftrag gilt in der Bundeswehr für Soldatinnen und Soldaten aller Dienst­grade und auf allen Führungsebenen. Ins­besondere das dynamische und komplexe Einsatzumfeld, sei es in Stabilisierungs­operationen oder in der Landes- und Bünd­nisverteidigung, erzwingt vor allem bei Landoperationen das Führen mit Auftrag. Damit sind auch die Soldatinnen und Solda­ten der untersten Ausführungsebene ohne formale Vorgesetzteneigenschaft und ohne nachgeordneten Bereich eingebunden. Sie müssen den Auftrag, den ihre unmittelbare Vorgesetzte oder ihr unmittelbarer Vorge­setzter erhalten hat, kennen und verstehen. Fällt der oder die Vorgesetzte aus, können sie so den Auftrag weiter ausführen. Dieser Auftrag ist als Befehl definiert, der ein Ziel beschreibt, das in bestimmter Zeit und in einem bestimmten Raum erreicht werden soll. Zudem benennt er die von der Führung verfolgte Absicht. Dies gewährt dem Emp­fänger bzw. der Empfängerin weitgehende Handlungsfreiheit in der Durchführung und der Wahl der anzuwendenden Mittel. Führen mit Auftrag erfordert jedoch eigene Urteils- und Entschlusskraft sowie selbständiges und verantwortungsvolles Handeln. Der Auftrag gibt hierbei das Ziel an, in der Regel aber nicht den Weg dorthin. Die militärische Führerin bzw. der militärische Führer unter­richtet über ihre Absicht bzw. seine Absicht, setzt klar definierte Ziele und stellen die erforderlichen Mittel bereit. In der Absicht muss der Wille der Vorgesetzten unmiss­verständlich zum Ausdruck kommen. Ein­zelheiten befiehlt der oder die Vorgesetzte nur, wenn Maßnahmen, die demselben Ziel dienen, miteinander in Einklang zu bringen sind oder wenn Auflagen es fordern. 

Die „Absicht der übergeordneten Führung“ ist der erste Schlüsselbegriff des Führens mit Auftrag. Nur mit Kenntnis der Absicht seiner Vorgesetzten und seines Vorgesetz­ten ist es den Unterstellten möglich, auch dann in dessen Sinne zu handeln, wenn die erhaltenen Befehle durch die Entwicklung des Gefechtes überholt sind und neue Be­fehle ausbleiben. Damit ist die Ausführungs­ebene als unterste Ebene der Hierarchie gleichzeitig potenzielle Führungsebene. Folglich kommt dem Auftrag eine zentrale Bedeutung zu. 

Der zweite Schlüsselbegriff ist die Selb­ständigkeit und steht mit der Absicht in unmittelbarem Zusammenhang. Die Be­deutung liegt hier im raschen Ausnutzen der erkannten Lage durch mitdenkenden Gehorsam. Dies ist Voraussetzung für das Beherrschen schnell wechselnder Lagen. Diese Selbständigkeit beinhaltet die Bereit­schaft, entgegen einem veralteten Befehl zu handeln, sofern die Lage dies erfordert. Selbstständigkeit ist dabei allerdings nicht mit Eigenmächtigkeit zu verwechseln! Die Initiative verlangt jedoch, dass der militäri­sche Führer oder die militärische Führerin einen Entschluss fasst. Dabei ist die Frage der Zweckmäßigkeit zweitrangig, denn ein falscher Entschluss ist besser als gar kei­ner. Passiver Gehorsam und das ledigliche Ausführen von Befehlen sind unzureichend, wenn eine Mehrleistung erforderlich ist.

Vorgesetzte müssen also Freiraum für selb­ständiges Denken und Handeln lassen, damit die Initiative nicht verloren geht. Unter­gebene sind hierdurch verpflichtet, diesen Freiraum zu nutzen. Dieses Führungsver­ständnis setzt allerdings ein Bewusstsein und soldatisches Selbstverständnis voraus, das auf einem souveränen, freiheitlichen und kreativen Menschenbild beruht. Dieses Menschenbild ist in der Inneren Führung mit dem Leitbild von der Staatsbürgerin und dem Staatsbürger in Uniform angelegt. Daher wird „Führen mit Auftrag“ auch als ein Grundsatz der Inneren Führung betrachtet. 

Der dritte Schlüsselbegriff ist das Können, das als Voraussetzung für die Selbststän­digkeit die Beherrschung der Einsatzgrund­sätze und -verfahren also das militärische Handwerkszeug, und das Wissen um die eigenen Fähigkeiten zur Grundlage hat. Das gegenseitige Vertrauen ist der vierte Schlüsselbegriff. Hier ist das Vertrauen des militärischen Vorgesetzten in die Fähigkei­ten der Geführten ebenso gemeint, wie das Vertrauen gegenüber dem Vorgesetzten, nur solche Befehle zu erteilen, die ausführbar, rechtmäßig und legitim sind. Nur so entsteht echter Zusammenhalt als ausschlaggeben­der Faktor für die Leistungsfähigkeit der Truppe in einer schwierigen Lage, Not und Gefahr. Dem fachlichen Können des militä­rischen Führungspersonals auf allen Ebe­nen kommt somit eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die geforderte Qualität ist das Ergebnis einer guten Ausbildung und militärischen Erziehung, intensiven Übens sowie der Erfahrung im Einsatz, gepaart mit einem von Zuverlässigkeit, Disziplin und Selbständigkeit bestimmten Charakter. An dieser Stelle liegt die Herausforderung des Führens mit Auftrag, da es sich um ein Ideal handelt, das in der Realität immer vom Cha­rakter und der Individualität sowie dem situ­ationsbedingten persönlichen Führungsstil der jeweiligen Akteure abhängig ist. Daraus kann sich eine entsprechend große Spann­breite eines gelungenen Führens mit Auf­trag ergeben. Somit ist hier jeder und jede Einzelne gefordert! Zudem wird deutlich, dass für dieses Führungsideal Bildung, Aus­bildung und Erziehung von grundlegender Bedeutung sind. 

Weitere Voraussetzung für das Gedeihen des Prinzips Führen mit Auftrag ist, dass den Einheiten und Verbänden ausreichend Freiraum für eigene Vorhaben zum Üben ihrer Aufgaben gegeben wird. Sie müssen eigene Ausbildungsschwerpunkte setzen und sich in ihren jeweiligen Aufträgen und Rollen ausprobieren sowie aus Fehlern ler­nen können. Denn die Voraussetzung da­für, Selbstständigkeit und Eigeninitiative zu fordern und zu fördern, ist die Bereitschaft und Fähigkeit, Fehler in der Durchführung zu tolerieren. Diese Fehlertoleranz findet jedoch ihre Grenzen, wenn die Erfüllung des Auftrages oder Leib und Leben von Soldatinnen und Soldaten unnötig gefähr­det werden. Führen mit Auftrag trägt auch dazu bei, das Spannungsfeld konkurrieren­der Ziele und Anforderungen in unserer frei­heitlichen und pluralistischen Staats- und Gesellschaftsordnung einerseits und die unabdingbaren Notwendigkeiten einer hier­archischen und auf Effektivität und Erfolg im Einsatz ausgerichteten Armee andererseits zu bewältigen. Führen mit Auftrag lässt den Soldatinnen und Soldaten trotz ihrer Ein­bindung in eine feste Hierarchie eine inne­re Unabhängigkeit. Es weist ihnen bei der Auftragsausführung einen Freiraum zu, den sie durch eigenverantwortliches Handeln ausfüllen. Diese Handlungsfreiheit trägt zur individuellen Selbstverwirklichung bei, da das eigene Denken nicht entfällt. Im Sinne der übergeordneten Auftragserfüllung eröff­net sich hierdurch ein eigener Gestaltungs­spielraum. 

Führen mit Auftrag entspricht daher dem Geist der Inneren Führung in besonderem Maße, da sie mit ihrem auf Mitgestaltung angelegten Leitbild von der Staatsbürge­rin und dem Staatsbürger in Uniform freie Persönlichkeiten, verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie einsatzbereite Soldatinnen und Soldaten einfordert.