Transkription Folge 1 mit Oberst i.G. Reinhold Janke vom Zentrum Innere Führung
Transkription Folge 1 mit Oberst i.G. Reinhold Janke vom Zentrum Innere Führung
Korvettenkapitän Nils Müller: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zu unserer kleinen Podcast Reihe zum Thema „Fehlerkultur“. Ich bin Korvettenkapitän Nils Müller und ich bin ein Teilnehmer des sogenannten Lehrgangs Generalstabs-/Admiralstabsdienst national oder kurz LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National hier an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Neben mir sitzt Korvettenkapitän Sascha Schlegel, ebenfalls Teilnehmer des LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020.
Korvettenkapitän Sascha Schlegel: Hallo Nils und auch von meiner Seite: schönen guten Tag! Bei diesem Podcast wollen wir euch einen Einblick geben in verschiedene Themen rund um das Themenfeld Fehlerkultur. Für alle, die Interesse haben, sich mit dem Thema zu befassen, von zivilen Führungskräften bis hin zu militärischen Vorgesetzten. Und wir haben uns vorgenommen, eine Podcast Reihe zu starten und dafür die ersten drei Folgen aufzunehmen.
Wir haben uns für jede der Folgen dazu einen Gast eingeladen und wir wollen jetzt in dieser ersten Folge allgemein über Fehlerkultur uns unterhalten und wie sie in das Leitbild der Bundeswehr, die Innere Führung passt.
Und später in der nächsten Folge, wollen wir das Ganze dann wissenschaftlich unterfüttern und am Ende in der dritten Folge mit einem Beispiel aus der gelebten Fehlerkultur der Bundeswehr unterfüttern und abrunden. Und wir hoffen, dass wir damit den Grundstein legen, dass sich viele angesprochen fühlen und hoffentlich diese Serie im Podcast dann weiterführen und hoffen auf viele spannende Einblicke.
Aber nun zum heutigen Gast Nils, möchtest du ihn uns einmal kurz vorstellen?
Nils Müller: Ja, sehr gern. Wir haben heute Oberst im Generalstab Reinhold Janke vom Zentrum Innere Führung zu Gast und er leitet dort den Bereich Konzeption und Weiterentwicklung der Inneren Führung.
Herr Oberst Janke, zuerst mal: herzlich willkommen hier an der Führungsakademie in Hamburg. Und wie es natürlich bei einem Podcast zum Thema Fehlerkultur sich anbietet, die erste Frage natürlich gleich direkt an Sie: Was ist denn eigentlich Fehlerkultur?
Oberst Reinhold Janke: Ja, erstmal danke für das Interview. Ich bin froh, dass ich da bin und ich habe ja dieses Thema auch in der Vergangenheit schon bearbeitet. Unter anderem habe ich in der Zeitschrift IF einen Artikel dazu geschrieben, habe mich also mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Und es ist ja nicht ganz so einfach, Fehlerkultur zu definieren. Da gibt es natürlich endlos viel Literatur dazu. Aber man könnte sagen, in dem Sinne, in dem es bei uns gehandhabt werden sollte, ist Fehlerkultur kein „Fingerpointing“, um irgendwelche schuldigen Leute zu suchen, sondern es sollte eine konstruktive, produktive Richtung nehmen. In Richtung Fehleridentifizierung/Fehlervermeidung, damit wir einfach besser werden und Dinge ausschalten und ausschließen, die wir nicht gebrauchen können. Und Fehlerkultur wäre in diesem Sinne ein Umgang, der konstruktiv, der produktiv und natürlich auch präventiv ist. Und er betrifft Individuen, Organisationen, insgesamt soziale Systeme, die sich mit dem Phänomen Fehler auseinandersetzen. Das beinhaltet natürlich auch eine Analyse von Fehlern/Risiken und beschäftigt sich auch dann mit den Konsequenzen von Fehlern sowie mit Vermeidungsstrategien. Das wäre so meine Definition von Fehlerkultur.
Sascha Schlegel: Ja, das klingt doch schon mal gut. Warum denken Sie, ist das für die Bundeswehr wichtig?
Reinhold Janke: Das ist für die Bundeswehr ehrlich deswegen wichtig, weil wir sind eine große Organisation. Wo viele Menschen zusammen sind, werden natürlich Fehler gemacht. Wir haben eine hierarchische Struktur, wo vielleicht auch noch Verspannungen/Ängste da sind. Da stoßen unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Dienstgradgruppen, unterschiedliche Ebenen aufeinander. Die einen sind erfahren, die anderen sind weniger erfahren und dann werden eben Fehler gemacht. Nicht unbedingt, weil sie gemacht werden wollen, sondern auch aus Nachlässigkeit, aus Unwissenheit, aus Unerfahrenheit, aus fehlender Routine. Und das muss man eben immer auch entsprechend analysieren. Keine pauschalen Verurteilungen vornehmen, sondern immer gucken: ja, warum ist der Fehler gemacht worden? Und die alten Leitsätze für Vorgesetzte, die vor vielen Jahren mal so gegolten haben, die haben auch immer gesagt: und wenn etwas nicht klappt, dann beginne ich erst mal in der Analyse bei mir selber, was ist mein eigener Beitrag dafür, warum etwas nicht funktioniert hat. Und für die Bundeswehr ist es natürlich auch deswegen wichtig, dass wir eine Fehlerkultur haben, weil wir per se mit unserem Auftrag, der auch ein scharfes Ende haben kann, natürlich auch mit Dingen, mit Waffen, mit Systemen umgehen, die sehr viel Schaden anrichten können. Und da ist in bestimmten Bereichen eine konstruktive Fehlerkultur, natürlich das A und O. Damit wir eben keine Schäden verursachen, die absolut vermeidbar gewesen wären.
Nils Müller: Jetzt ist der Beruf der Soldaten, ein ganz besonderer oder ganz spezieller Beruf. Gibt es denn auch Elemente, die beispielsweise zivile Unternehmen oder zivile Führungskräfte auch von der Bundeswehr lernen können in Bezug auf Fehlerkultur?
Reinhold Janke: Ja, also wir sind ja ein sogenanntes Non-Profit Unternehmen und das ist der große Vorteil, den wir haben. Wir müssen keinen Mehrwert erzeugen, der sich in Geld ausdrücken könnte. Wir produzieren Sicherheit, heißt es immer. Und wir haben vielleicht in der Hinsicht auch sogar mehr Freiheit, weil wir keinen Aktionären gegenüber verantwortlich sind. Unsere Verantwortung ist gegenüber unserem Auftraggeber. Das ist im Grunde dem Primat der Politik und den Menschen gegenüber, die uns anvertraut sind. Und was draußen von uns gelernt werden könnte, ist auf jeden Fall die Art und Weise, wie wir Menschen führen. Auch auf der Grundlage der Inneren Führung, die ein dezidiert ethisches Fundament aufweist. Wir orientieren uns an Werten, die uns unsere Verfassung vorgibt, und wir orientieren uns insbesondere auch an diesen sogenannten zeitlosen soldatischen Tugenden. So gehört Fürsorge dazu, Verantwortungsbewusstsein, sich um andere Menschen kümmern. Durchaus auch Selbstdisziplin, Reflexion und ebenso für andere da sein. Was etwas ist, was vielleicht in der Privatwirtschaft nicht unbedingt so ausgeprägt ist. Und diese Führungskompetenz, die aus dieser ethischen Fundierung erwächst, das ist etwas, was auch draußen gebraucht wird. Wir sehen das ja auch dadurch, wenn Menschen, die in der Bundeswehr qualifiziert wurden, die Streitkräfte und die Bundeswehr verlassen, dass sie draußen eigentlich ganz gute Chancen haben, dort wieder eine adäquate fordernde Verwendung zu bekommen. Das wäre für mich eigentlich so ein Punkt, wo ich sage: das kann gelernt werden aus den Streitkräften, aus der Bundeswehr heraus.
Sascha Schlegel: Ausbildung ist ein gutes Stichwort. Wir üben ja viel, bevor wir in den Einsatz gehen, damit wir möglichst Schaden von unseren eigenen Soldatinnen und Soldaten abhalten. Und auf der anderen Seite, auch wenn wir irgendwie Gewalt anwenden müssen, auch Schaden von der Zivilbevölkerung abwenden oder so gering wie möglich halten. Meinen Sie, dass die vielfältige Ausbildung, die in die Soldaten investiert wird, dazu beiträgt, eine gute Fehlerkultur zu erhalten?
Reinhold Janke: Insgesamt schon. Denn das, was wir in unserer Ausbildung, wenn sie optimal läuft, leisten, ist ja zunächst, dass wir in den kleinen Dingen beginnend, im soldatischen Handwerk Elemente haben, die man draußen teilweise als fast verwerflich betrachtet. Wir nennen es Drill. Das sind aber psychomotorische Einübungen von Handlungsabläufen, die mir in einer schwierigen Situation das Nachdenken ersparen.
Sascha Schlegel: Alle, die bei der Bundeswehr waren, können jetzt nachvollziehen, was Sie damit meinen.
Reinhold Janke: Ich denke in bestimmten Situationen eben nicht mehr großartig nach, sondern ich handle instinktiv, reflexartig, routiniert, richtig. Das ist ein ganz wesentlicher Vorteil.
Übrigens auch die Fahrschulausbildung oder der Ballettunterricht hat drillmäßige Anteile. Nur wird er dort so nicht genannt. Dafür gibt es dann Euphemismen. Das ist schon ein ganz großer Vorteil in unserer Ausbildung.
Was in unserer Ausbildung auch ein großer Gewinn ist, dass wir lernen in verschiedenen Führungsebenen zu denken und das gerade in unserer Führerausbildung auch immer gelernt wird, dass wir in der Lage sind, auch mal eine Führungsebene oder zwei Führungsebenen über meiner derzeitigen Ebene zu denken und handeln, übernehmen und entscheiden zu können. Und wir entwickeln natürlich eine gewisse Routine, auch in unseren Verfahren, in unseren Methoden. Ich als Heeresoffizier habe eben in der Art und Weise, wie ich seinerzeit Taktik gelernt habe, einfach Mechanismen/Routinen entwickelt und Denkformen; der Führungsvorgang als solcher, der Führungsprozess, das sind alles Dinge, die mir Freiheiten verschaffen, die mir Zeit geben, die mir Raum geben, um den Überblick zu behalten. Und das sind große Pfunde, mit denen die Ausbildung in der Bundeswehr eigentlich wuchern kann.
Sascha Schlegel: Jetzt waren wir sehr positiv der Bundeswehr gegenüber. Gibt es denn auch Punkte in der Bundeswehr, wo Sie sagen, da könnte die Fehlerkultur noch besser sein oder sich weiterentwickeln?
Reinhold Janke: Ja, also Fehlerkultur, das heißt, ein konstruktiver Umgang mit Fehlern baut ja auf Vertrauen auf. Und dieses Vertrauen, das müssen wir herstellen. Wir müssen eben aufpassen, dass wir kein Mikromanagement betreiben, dass wir die Menschen ernst nehmen, dass wir sie nicht pauschal aburteilen. Und da können wir vielleicht noch dazulernen. Und wenn wir in der Lage wären, auch noch mal das Thema Führen mit Auftrag wieder stärker mit Leben zu führen, das wäre für mich auch Fehlerkultur.
Nils Müller: Noch eine Frage zum Thema Führen mit Auftrag: Nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch innerhalb der Streitkräfte wird der immer wieder überbordende Bürokratie und ein überbordendes Regelwerk beklagt. Ist das ein Problem für den Bereich Fehlerkultur? Weil natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass ich gegen Regeln verstoße, auch immer größer wird. Ist das ein Problem?
Reinhold Janke: Ja, die Bürokratisierung und überbordende Regelung ist ja auch ein Ausdruck von Angst, weil man möchte sich unangreifbar machen. Man möchte die Dinge unter Kontrolle halten. Und das führt dann eben zu Misstrauen oder zur Weigerung zu delegieren. Man möchte alles selber machen. Und wenn ich diese Angst überwinde und von einer Angstkultur wegkommen zu einer Vertrauenskultur, dann wird sich automatisch auch eine bessere Fehlerkultur einstellen.
Sascha Schlegel: Das ist doch ein schöner Schlusssatz.
Wir haben noch eine Frage an Sie, die wir gerne allen Gästen stellen wollen. Viele Podcasts haben das, dass sie so ein regelmäßig wiederkehrendes Element haben, um sich quasi im Gedächtnis der Leute breit zu machen. Und wir wollen Ihnen auch eine Frage stellen, wie allen zukünftigen Gästen und erhoffen uns damit so eine kleine Checkliste oder Ideensammlung zusammenzustellen.
Wie gehe ich denn mit Fehlerkultur um? Für mich selbst oder mit meinen Untergebenen, wenn sie etwas falsch machen, um das zu sammeln? Deswegen würde ich Sie bitten, uns mal zu sagen: Haben Sie Tipps, wie ich die eigene Fehlerkultur ohne Fehlerkultur in meinem Bereich verbessern kann?
Reinhold Janke: Ja, ich sage immer Erstens: Ich fange bei mir selber an. Ich reflektiere, wo ich meine eigenen Fehler mache und zeige erst mal auf mich selber. Guck auf mich selber. Und diese Selbstreflexion, ich nenne es Gewissenserforschung, führt schon dazu, dass ich besser werde. Denn bei mir, ich kenne mich selber vermutlich am besten und da kann ich auch am einfachsten anfangen.
Zweitens würde ich sagen: Realitätssinn. Also wenn ich feststelle, dass ich einfach einige Dinge nicht ändern kann, dann muss ich das, bevor ich mich kaputt mache und aufreibe, auch sein lassen. Also auch hier produktiv herangehen. Ich versuche genau da einzusteigen und da Dinge besser zu machen, wo ich auch die Option habe, dass ich da in absehbarer Zeit eine Verbesserung, eine Optimierung erreiche. Und da, wo ich ständig mit dem Kopf gegen die Wand renne, muss ich das nicht weiter tun, wenn drei Meter weiter eine halb offene Tür ist. Also dieser Realitycheck ist eigentlich für mich auch hier ganz wichtig.
Und drittens das Thema Geduld und vielleicht auch christlich formuliert ein Stückchen Barmherzigkeit. Ich weiß gar nicht, warum der den Fehler gemacht hat. War es Böswilligkeit? War es Nachlässigkeit? War es fehlende Routine? War es Unerfahrenheit? Und da einfach zu erkennen, dass hier ich einen Menschen vor mir habe, der eben auch seine Schwächen hat, wie ich selber - auch hier wieder diese Selbstreflexion - bringt mich dann vielleicht auch zu dem Punkt, dass ich auch kleine Dinge verzeihe. Das hört da auf, wo wirklich Böswilligkeit oder grobe Faulheit vorliegen. Da haben wir aber auch unsere Sanktionierungsmöglichkeiten, um auch hier etwas abzustellen und weiterzukommen. Insgesamt aber positiver Ansatz, denn man verbessert die Menschen eigentlich eher damit, dass man die positiven Dinge aus ihnen rausholt. Und wenn ich jemanden als König anspreche, dann zeigte mir, dass er König ist. Wenn ich ihn als das Gegenteil anspreche, dann zeigte mir eben auch diese negative Seite.
Sascha Schlegel: Das sind doch sehr gute Tipps, mit denen wir was anfangen können. Wir bedanken uns auf jeden Fall bei Oberst Reinhold Janke für das Gespräch.
Wir hoffen, dass euch diese erste Folge Lust auf mehr gemacht hat und Niels verrät euch vielleicht noch mal kurz, was wir in der nächsten Folge vorhaben.
Nils Müller: Ja in der nächsten Folge wollen wir uns mit Professor Scheytt von der Helmut-Schmidt Universität, der Universität der Bundeswehr in Hamburg von der wissenschaftlichen Perspektive aus dem Thema Fehlerkultur nähern.
Sascha Schlegel: Ja, das klingt gut. Ich freue mich drauf. Bis zum nächsten Mal. Macht's gut.