Transkription Einsatzbereitschaft
Transkription Einsatzbereitschaft
- Datum:
- Lesedauer:
- 6 MIN
Die bisherigen Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik, wie die Überzeugung eines regelbasierten Multilateralismus, gegenseitige Vertrauensbildung, Transparenz und Kooperation mithilfe von Maßnahmen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und der Wandel durch Handel, stehen seit der russischen Invasion in der Ukraine auf dem Prüfstand.
Die mit dem Angriffskrieg verbundene Energiekrise rückte auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in den innenpolitischen und gesellschaftlichen Fokus. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und deren Kosten werden seitdem nicht länger nur in Fachausschüssen des Bundestages thematisiert. Zugleich gibt es erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges in Politik und Gesellschaft wieder eine reelle Bedrohungswahrnehmung. Nicht zuletzt deshalb hat sich Deutschland sowohl den europäischen Sanktionen gegen Russland angeschlossen als auch massive Investitionen in die Bundeswehr beschlossen.
Der Krieg in der Ukraine wirkt sich jedoch nicht nur auf politisch-strategischer Ebene aus, sondern hat auch unmittelbaren Einfluss auf alle Soldatinnen und Soldaten. Mit dem Ende des Kalten Krieges wandelte sich die Bundeswehr im Zuge der Auslandseinsätze zu einer Einsatzarmee. Internationale Friedenssicherung, Konfliktbewältigung und Krisenvorsorge mit Bündnispartnern bildeten mehr und mehr den Schwerpunkt.
Obwohl Landes- und Bündnisverteidigung immer verfassungsrechtlicher Grundauftrag blieb, war für die Organisation und Ausbildung der Einheiten und Verbände das internationale Krisenmanagement planungsleitend. Von der Personalgewinnung über die Ausbildung bis zu den Einsatzgrundsätzen bestimmte das internationale Krisenmanagement das Selbstbild der Streitkräfte. Ausbildungen, Übungen und damit auch Einsatzgrundsätze waren vorrangig auf die Gestellung von Einsatzkontingenten für Auslandseinsätze ausgerichtet.
Eine für Landes-^und Bündnisverteidigung gerüstete Bundeswehr unterscheidet sich jedoch von Streitkräften, die im Schwerpunkt im internationalen Krisenmanagement eingesetzt sind. Zur erfolgreichen Landes- und Bündnisverteidigung braucht es andere militärische Fähigkeiten, zum Beispiel die Fähigkeit zum Einsatz teilstreitkraftübergreifender Kräfte mit der notwendigen Integrationsfähigkeit deutscher Streitkräfte in multinationale Verbände und umgekehrt. Neben einer hierauf ausgerichteten Ausbildung, zum Beispiel durch Truppenübungen von Großverbänden, wird hierzu vor allem auch ein anderes Mindset benötigt, es muss ein Umdenken stattfinden. Während die Teilnahme an Auslandseinsätzen auch von Freiwilligkeit geprägt war, setzt die Landes- und Bündnisverteidigung die permanente personelle Einsatzbereitschaft aller Soldatinnen und Soldaten voraus. Eine monatelange Vorbereitung von ausgesuchtem Personal auf eine konkrete Auslandseinsatzoption kann und wird in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung nicht möglich sein. Die Vorstellung einer Kaltstartfähigkeit als Ausdruck dafür, jederzeit einsatzbereit zu sein, ist heute in aller Munde. Der Weg dorthin dürfte jedoch noch weit und mühsam sein.
Die Verpflichtung aus dem Diensteid ist ihrer konkreten Bedeutung wieder fassbarer geworden. Allen Soldatinnen und Soldaten muss bewusst sein, warum sie dienen, wofür sie im Ernstfall kämpfen und was dies für die eigene Person, die Familie und die Gesellschaft bedeutet. Dies ist keine unverbindliche Floskel, sondern in der Konsequenz der Kern des beruflichen Selbstverständnisses. Die Soldatinnen und Soldaten können ihren Auftrag nur erfüllen, wenn sie die Überzeugung verinnerlicht haben, dass sie der richtigen Sache dienen. Das heißt, mit allen Kräften dafür einzutreten, dem eigenen Urteilsvermögen zu vertrauen und zu wissen, wofür man dient und kämpft. Auch eine ausgeprägte mentale Stärke und psychische Belastbarkeit steigern, neben der physischen Robustheit, die Leistungsfähigkeit im Gefecht. Die ungebrochene Moral der ukrainischen Bevölkerung angesichts der enormen russischen Übermacht zeigt das deutlich.
Zum treuen Dienen gehört die Vorbereitung auf den Ernstfall mit der Entschlossenheit, Deutschland und seine Verbündeten zu verteidigen. Damit verbunden sind die Bereitschaft zum Kampf und in letzter Konsequenz die Bereitschaft, das eigene Leben als höchstes Gut zu opfern. Es bedeutet auch, private Einschnitte und Härten hinzunehmen, die eigenen persönlichen Belange unterzuordnen und dadurch für die gemeinsamen Werte einzustehen. Der Soldatenberuf ist eben kein Beruf wie jeder andere. Die Soldatinnen und Soldaten sind mit der Ausübung militärischer Gewalt beauftragt, um Deutschland, seine Bevölkerung und die verfassungsmäßige Ordnung vor Angriffen von außen zu schützen. Dieser Auftrag des Grundgesetzes setzt den Maßstab und erfordert nicht nur soldatischen, sondern politischen und zivilgesellschaftlichen Mut, sich den Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung zu stellen. Die Bundeswehr ist – ungeachtet der Übernahme vieler Nebenaufgaben – in erster Linie für die militärische Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Bündnisrahmen verantwortlich.
Das Glück einer jahrzehntelangen Friedensperiode hat im Bewusstsein großer Teile der deutschen Gesellschaft die Gefahr eines Krieges verblassen lassen. Auch die Soldatinnen und Soldaten müssen darauf wieder intensiver vorbereitet werden. Damit verbunden sind auch die Wertschätzung und Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. Die Fürsorge- und Betreuungsmöglichkeiten des Dienstherrn, insbesondere in Gestalt des Psychosozialen Netzwerkes aus dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr, dem Psychologischen Dienst der Bundeswehr, dem Sozialdienst der Bundeswehr und der Militärseelsorge, stehen hier an erster Stelle. Ebenso unverzichtbar ist die Betreuung und Beratung durch die Lotsinnen und Lotsen für Einsatzgeschädigte. Auch eine entsprechende Gesetzgebung ist für die Erhaltung und Wiederherstellung der personellen Einsatzbereitschaft der Streitkräfte unerlässlich.
Das (Vor-)Leben einer soldatischen Haltung und des „richtigen Mindsets“ ist mit den Prinzipien „Führen durch Vorbild“ und „Führen mit Auftrag“ eng verbunden. Gerade militärische Vorgesetzte sind hier als Vorbilder in Haltung und Pflichterfüllung gefragt und gefordert. Sie erzeugen durch ihr persönliches Beispiel die notwendige Glaubwürdigkeit zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zunächst in Führung, Erziehung und Ausbildung und – falls erforderlich – auch im Krieg.
Um die individuellen Grundfertigkeiten und Grundlagen der Einsatzbereitschaft zu erwerben, bedarf es einer auf den Auftrag angepassten Aus-, Fort- und Weiterbildung. Sie muss realitätsnah, fordernd und intensiv gestaltet werden und dem Grundsatz „train as you fight“ („übe so, wie Du kämpfst“) folgen. Eine solche Ausbildung fördert nicht nur die Kameradschaft innerhalb der kleinen Kampfgemeinschaften und Teams, sondern schafft auch gegenseitiges Vertrauen, demonstriert gute Führung und schafft damit die Voraussetzungen zum Bestehen in schwierigen Situationen – individuell und gemeinsam. Eine realitätsnahe Ausbildung schult nicht nur die notwendigen militärischen Fähigkeiten, sie sichert auch die Handlungsfähigkeit und Resilienz in Ausnahmesituationen, in denen physiologische Angstreaktionen oder körperliche Erschöpfung den Menschen lähmen können.
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie die zunehmende Fokussierung auf Individualität, Freizügigkeit und eine ausgewogenere Work-Life-Balance erschweren es, der Gesellschaft als Trägerin der Bundeswehr die Notwendigkeit persönlicher Entbehrungen begreiflich zu machen. Andererseits sind flexible Arbeitsmodelle Grundvoraussetzung für die Gewinnung qualifizierten Personals in bestimmten Lebensphasen. Diese Gemengelage muss bei der personellen Ausstattung der Bundeswehr berücksichtigt werden.
Der historisch-politischen Bildung kommt bei der Persönlichkeitsbildung hierbei eine besondere Bedeutung zu, um die Soldatinnen und Soldaten auf die Erfordernisse in der Landes- und Bündnisverteidigung vorzubereiten und zu verdeutlichen, warum es sinnvoll und notwendig ist, die Bundesrepublik mit ihren Werten sowie deren Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dabei ist die Vermittlung der im Grundgesetz verbrieften Werte und Normen essenziell.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Einsatzbereitschaft ist das Vertrauen der Angehörigen der Soldatinnen und Soldaten in die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr als System und in die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen. Nur wenn ein ausreichend großer familiärer und sozialer Rückhalt und Verständnis für die herausfordernde Aufgabe des Soldatenberufs existieren, können die Soldatinnen und Soldaten auch im Kampf bestehen. Dazu trägt auch eine positive öffentliche Wahrnehmung in der Gesellschaft und das Vertrauen in die Angehörigen der Bundeswehr bei.
Mit einer gemeinsamen Wertebasis, dem fachlichen Können, der notwendigen Haltung und dem Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit können die Soldatinnen und Soldaten den Anforderungen für eine erfolgreiche Landes- und Bündnisverteidigung gerecht werden. Sie müssen sich aber auch darauf verlassen können, dass Staat und Gesellschaft hinter ihnen stehen. Dieser Gegenseitigkeitsvertrag beinhaltet nicht nur die Legitimation militärischen Handelns, sondern auch die entsprechende Fürsorge bei Verwundung und Tod. Die Innere Führung trägt mit ihren Grundsätzen, Gestaltungsfeldern und Aktivitäten seit ihren Anfängen wesentlich dazu bei, diese Voraussetzungen für die Einsatzbereitschaft zu schaffen und zu erhalten. Sie ist damit ein unverzichtbarer Garant für die Einsatzbereitschaft.