Transkription Dienen wofür?

Transkription Dienen wofür?

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Manch einer von uns hat sich nach dem schwierigen Ende des Afghanistaneinsat­zes Fragen gestellt: „Wofür haben wir das gemacht? Wofür sind unsere Kameraden gefallen? Wofür waren wir dort im Einsatz?“ Der Afghanistaneinsatz war der Schwer­punktauftrag der Bundeswehr über weit mehr als ein Jahrzehnt. Er bietet ein ein­drückliches Beispiel für die grundlegende Frage nach dem „Dienen wofür?“. 

Ich selbst kann und will niemandem sagen, wofür jemand dienen soll. Vielmehr will ich versuchen zu beschreiben, wofür ich diene. Vielleicht kann dies Anregung zum Nachdenken und vielleicht auch zum Nach­ahmen sein oder sogar zu ganz anderen Schlüssen führen. Hoffentlich dient dieser Beitrag aber als Inspiration zum kritischen Nachdenken. 

Ich spreche nicht über den Dienst als Staatsdiener ohne Uniform. Ich spreche aus soldatischer Perspektive. Damit wird rasch deutlich, dass die Frage nach dem „Dienen wofür?“ zu kurz greift. Es muss tiefer gehen und heißen: „Wofür kämpfen?“, „Wofür ster­ben?“ und notfalls auch „Wofür töten?“ Wer glaubt, dass es – nach John Lennons Song „Imagine“ – ein „Nothing to kill or die for“ gebe, der sollte aus meiner Sicht den Sol­datenberuf nicht ergreifen. 

Wir sind in unserer Erlebnisgesellschaft etwas aus der Übung, über das Dienen zu reden. Noch weniger sind wir fähig, über Opferbereitschaft nachzudenken. Daher staunen derzeit etliche Bundesbürgerinnen Bundesbürger darüber, dass so viele Men­schen in der Ukraine bereit sind, für ihr Land, für ihre Freiheit, für ihre Eigenständigkeit, für ihre Kultur zu kämpfen und auch zu sterben. 

Vor hundert Jahren war klar, dass das deut­sche Wort „Opfer“ das freiwillige Geben von etwas ist. Heute ist der Ausdruck „Du Opfer!“ ein Schimpfwort der Jugendsprache und meint, man sei ein (unfreiwilliges) Op­fer. War das Sterben unserer Kameraden in Afghanistan ein Betriebsunfall? Ein Mangel an Arbeitsschutz? Waren sie Opfer? Nein! Sie haben vielmehr ein Opfer gebracht. 

Bei der anderen Interpretation unserer ge­fallenen Kameraden – als (Unfall-)Opfer – können wir uns die Frage nach dem „Wofür“ sparen: Ein Betriebsunfall im Einsatz hat keinen Sinn. In der Begegnung mit den Hin­terbliebenen können wir nur stammeln; hier gibt es kein höheres Ziel, für das der gelieb­te Mensch gestorben ist. 

Dienst wird seit alters her für einen Dienst­herrn geleistet. Früher war dies ein Fürst, ein König, ein Kaiser – im Regelfall also eine Person. Bemerkenswerterweise verwenden wir auch ohne derartige Potentaten den Begriff weiter. „Ich bin jetzt 30 Jahre lang Soldat – und bin dem Dienstherrn noch nie begegnet!“, erklärte mir einmal ein Vorge­setzter. In der Tat ist der Dienstherr schwer greifbar – es ist weder der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin noch unser Minis­ter oder unsere Ministerin. Unser Dienstherr in der Bundeswehr ist – so lassen wir es uns von den Juristen erklären – die Bundes­republik Deutschland, unser Staat. 

Wir sind deutsche Soldatinnen und Sol­daten. Wir haben unsere Hand weder auf die Fahne der Vereinten Nationen noch auf die Europafahne, auch nicht auf die Fahne eines Bundeslandes gelegt. Daher muss bei der Frage nach dem „Wofür“ die Nation eine Rolle spielen. Eine Antwort darauf ist unser Slogan, so einfach und schwierig zugleich: Wir. Dienen. Deutschland. 

In unserem Eid schwören und im Gelöb­nis geloben wir, unserem Vaterland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Un­geachtet eines möglichen Wertewandels bleibt klar: Wir verteidigen in erster Linie das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes. 

Unser Land ist aber fest im Bündnis veran­kert: Unsere Freiheit basiert auf der NATO. Dies kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen und im Fall der Fälle auch zu­verlässig in der Bündnisverteidigung zu Hil­fe eilen. Daher diene ich auch für die Freiheit und Souveränität unserer Partnernationen. 

Recht und Freiheit schließen in jedem Fall Fremd- und Willkürherrschaft aus. Landes­verteidigung ist damit die hinsichtlich des „Wofür“ eindeutigste Aufgabe der Bundes­wehr. Beim Einsatz im internationalen Kri­senmanagement auf fremden Kontinenten wird das Ganze schwieriger. Die Älteren erinnern sich an den Verteidigungsminister Peter Struck, der die umstrittene Formel ausgab, dass Deutschlands Sicherheit nicht nur in Bad Hindelang, sondern auch am Hindukusch verteidigt werde. 

Noch deutlicher habe ich als junger Soldat die Problematik des politischen „Wofür“ er­lebt: Als im Frühjahr 1999 die Spannungen zwischen den Ethnien im Kosovo stärker wurden, wurde ein Dokument publik – als „Hufeisenplan“ bekannt – mit dem die ethnische Vertreibung der Kosovo-Alba­ner umgesetzt werden sollte. Das brach­te das Fass zum Überlaufen. Ich schloss mich sofort der allgemeinen Empörung an: 

„Das dürfen wir nicht zulassen!“ „Wir müs­sen eingreifen!“ Das tat die NATO auch, zunächst mit der Operation Allied Force gegen Serbien, später mit dem Kosovo-Force-Einsatz. Noch im selben Jahr wurde allerdings bekannt, dass der für die morali­sche Legitimation so wichtige Hufeisenplan eine offensichtliche Fälschung (vermutlich des bulgarischen Geheimdienstes) war. Meine lesson identified: Man kann nicht abschließend die einzelnen politischen Be­gründungen für einen Streitkräfteeinsatz beurteilen, man kann nur seiner Regierung (und seinem Parlament) vertrauen. Und: Die Berufszufriedenheit ausschließlich an die Realisierung eigener politischer Ziele beim Einsatz der Bundeswehr zu hängen, kann eine Anleitung zum Unglücklichsein werden – siehe Afghanistan. 

Meine persönliche Linie: Wir leben in einer unerlösten Welt; einer Welt, in der es im­mer Ungerechtigkeit, Gewalt, ja das Böse, geben wird. Daher braucht es Menschen, die bereit sind, das Böse aufzuhalten. Diese Aufhalter sind „eine mit starker physischer Kraft ausgerüstete Ordnungsmacht, die sich den in den Abgrund Stürzenden erfolgreich in den Weg stellt, [… um] die Welt vor dem Zerfall zu bewahren“ (Dietrich Bonhoeffer). Diese Aufhalter sind nicht selten Soldatin­nen und Soldaten, diese Aufhalter sollten auch wir sein. Dabei gibt es also nicht nur ein „Wofür“, sondern auch ein „Wogegen“. Wenn wir in Afghanistan verhindert haben, dass die damals gefährlichste Terrorgruppe, El Kaida, ihren dortigen Logistik- und Aus­bildungs-Hub für weltweite Anschläge wei­ter betreiben konnte, dann haben wir das Böse aufgehalten. Gleiches gilt für das Auf­halten des sogenannten Islamischen Staa­tes. Dafür diene ich. 

Wer einmal in den Streitkräften, wer ein­mal in der Truppe ist – bereits im Frieden, vor allem aber im Einsatz, der erlebt Kame­radschaft. Kameradschaft geht viel weiter, muss viel weiter gehen als die Kollegialität des Beamtentums. Kameradschaft erhält ihren sittlichen Ernst durch die Bereitschaft und Verpflichtung, Kameradinnen und Ka­meraden niemals zurückzulassen, jederzeit aus einer Notlage zu retten, im Zweifelsfall sogar bereit zu sein, für sie zu sterben. Im Neuen Testament heißt es: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (Johannes 15, 13). Kameradschaft ist hingebungsvoller Dienst für den Kameraden und die Kameradin. Wer am scharfen Ende unseres Berufes Seite an Seite mit Kameradinnen und Kameraden steht, der weiß tagtäglich um das „Wofür“ auf Grundlage gemeinsamer Werte und braucht keinen ideologischen Überbau. 

Es gibt ein weiteres „Wofür“. Die Mehrheit in Uniform besitzt Vorgesetztenverantwortung. Damit dienen wir – nur scheinbar paradox – den uns anvertrauten Menschen. „Ich will der erste Diener meines Staates sein“, sag­te Friedrich der Große und lebte das auch, denn er hatte verstanden: Führen heißt die­nen. Der Alte Fritz erntete Unverständnis bei anderen Monarchen seines Zeitalters, aber Bewunderung und Loyalität seiner Unter­tanen. Viele Grundprinzipien guter Führung – Führen von vorne, Führen durch Vorbild, Führen mit Vertrauen, rastlose Fürsorge – sind im Kern ein Dienen für die (Kampf-)Ge­meinschaft. Oder wie es wieder die Bibel sagt: „Der Größte unter euch sei euer aller Diener“ (Matthäus 23,11). 

Nun scheinen die hier betrachteten Wofür-Gedanken etwas nebeneinander zu stehen. Doch am Ende sind sie eng miteinander ver­knüpft: Wir Individuen in der Bundeswehr dienen Deutschland, denn wir sind ein Teil Deutschlands mit seiner Verfassung, seiner Rechts- und Werteordnung und seiner Ge­sellschaft. Daher dienen wir auch Deutsch­land, wenn wir einander als Kameradinnen und Kameraden sowie als Vorgesetzte dienen.