Generalleutnant Martin Schelleis:

Guten Morgen, Herr Oberstleutnant!

Tim Kullmann:

Schönen guten Morgen, Herr General!

Martin Schelleis:

Alles gut?

Tim Kullmann:

Alles jut, wie man so schön sagt (lacht). Herr General, schön, dass sie heute bei uns im Führungsfahrzeug sind.

Martin Schelleis:

Ich freue mich auch.

Tim Kullmann:

Freut mich, wo darf es denn hingehen?

Martin Schelleis:

Wir fahren jetzt zu meinem Dienstsitz. Kommando Streitkräfte, auf der Hardthöhe in Bonn.

Tim Kullmann:

Jawohl, dann machen wir das doch! Herr General, wenn Sie eigentlich privat im Auto fahren, hören Sie da eigentlich Musik?

Martin Schelleis:

Ja, ich höre Blues und Rock’n’Roll, die Musik meiner Jugend, die sich ja immer noch durchsetzt bzw. immer noch zu hören ist, das höre ich sehr gerne. Meine absolute Lieblingsband, seit ich mich dafür interessiere, sind die Rolling Stones, es gibt eine Reihe von Stones-Hits, die ich echt toll finde und immer wieder höre, aber ein spezielles das mit in Erinnerung geblieben ist, ist „It’s only Rockin‘ Roll“ von „Made in the Shade“, ein Album von 1975. Damals spielte ich Klavier, lernte das auch richtig und auch gerne. Ich spielte die klassischen Komponisten: Beethoven, Bach, das hat mir auch Freude gemacht, aber mit 15 wollte ich dann auch etwas fetzigeres, etwas moderneres. Und ich hatte dann die Idee, dass ich mir einen Notensatz von „It’s only Rockin‘ Roll“ besorgte und zu meiner Klavierlehrerin kam, und sie schaute mich an, wie eine Kuh, wenn es blitzt. Die war gar nicht soviel älter, aber sie konnte das überhaupt nicht verstehen. Mit spitzen Fingern gab sie mir die Noten und sagte: „Das kannst Du zuhause üben!“ und ich war dann zu faul, gebe ich zu, es zu tun, heute ärgere ich mich, weil ich vielleicht dann beim Klavier geblieben wäre. So bin ich mit 18 zur Bundeswehr, hatte dann auch keine Gelegenheit mehr zu üben, und habe es heute einschlafen lassen, das bedauere ich heute. Immer wenn ich das (Lied) höre, denke ich an diese kleine Geschichte.

Tim Kullmann:

Herr General, diese Corona-Pandemie begleitet uns jetzt seit einem knappen Jahr, aus Ihrer Sicht, wie wichtig sind denn die Werte der Inneren Führung für Ihre Arbeit heute auch im Rahmen der Coronapandemie.

Martin Schelleis:

Ich denke, an zwei Beispielen kann man die Bedeutung der Inneren Führung, auch im Bereich Corona, unterstreichen. Das eine ist, dass wir als große personalstarke Organisation relativ gut durch die Corona-Krise gekommen sind, was die Infektionszahlen angeht. Unsere Leute sind unterdurchschnittlich infiziert, und dadurch, dass unser Personalstamm verhältnismäßig jung ist auch glücklicherweise von schweren Verläufen – nicht ausschließlich, aber zu einem guten Teil – verschont geblieben ist. Und das ist ganz wesentlich nicht nur der Verdienst der Vorgesetzten, sondern auch der Geführten, die die Innere Führung verstehen. Das BMVgBundesministerium der Verteidigung hat ganz früh ganz klare Prioritäten gesetzt: die Auslandseinsätze und die Ausbildung und Vorbereitung dafür ist Priorität Nummer eins, Priorität Nummer zwei sind die einsatzgleichen Verpflichtungen, aber dann ist bereits die Amtshilfe Priorität und der Grundbetrieb muss Abstriche machen. Das war eine klare Festsetzung, mit denen die Vorgesetzten auf allen Ebenen sehr gut arbeiten konnten. Und da hat sich eben die Innere Führung, die Ausbildung, die Auftragstaktik, Verantwortungsübernahme, Handeln, in unklaren Situationen Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen, wirklich positiv bemerkbar gemacht. Und umgekehrt auch die Geführten haben erkannt, dass es halt noch nicht alles klar ist, und noch nicht alles geregelt ist, aber dass man in dieser Phase einfach Dinge tun muss. Das ist das eine Beispiel und das andere Beispiel ist das Auftreten unsere Leute in der Amtshilfe. Und das ist nicht nur meine Beobachtung, sondern das ist immer wieder auch das Feedback von den Menschen in den Gesundheitsämtern, in den Impfzentren oder bei Testungen, was wir alles schon gemacht haben, auch in den Altenheimen, in den Pflegeheimen, dass die Stammbeschäftigten geradezu begeistert sind von der Anpassungsfähigkeit unserer Leute. Die kommen dahin, schauen sich an, was ist zu tun. Neulich sagte mal einer, da wird kein Stuhlkreis gebildet und groß diskutiert, sondern einer sagt was zu tun ist, die anderen machen das, aber nicht stumpf, sondern gucken: „Mensch kann man das nicht hier besser machen?“ Wir haben wirklich viele Beispiele in Gesundheitsämtern wo eine Best Practice aus dem einen Gesundheitsamt von unseren Leuten im anderen (Gesundheitsämtern) dann vorgestellt worden ist. Und die haben gesagt: „Ja machen wir mal so.“ und deutlich bessere Effizienz. Also diese Anpassungsfähigkeit, die Lernbereitschaft und die Zielorientierung, das zeichnet unsere Leute wirklich auch im Verhältnis zu querschnittlich Beschäftigten draußen aus, und das ist eine Frage der Erziehung, der Ausbildung, der Anwendung von Innerer Führung. Also ich finde, dass wirklich zwei Unterstreichungen der Qualität unserer Ausbildung, und auch der Sinnhaftigkeit dieses Führungsprinzips.

Tim Kullmann:

Ja, das sind wir an der SKBStreitkräftebasis, Herr General, dann gehen wir mal rein.

Martin Schelleis:

Ja, machen wir.

Tim Kullmann:

Ich folge Ihnen.

Martin Schelleis:

Ich gehe mal vor.

Tim Kullmann:

Herr General, erstmal herzlichen Dank für Ihre Zeit und die kurzweilige Fahrt hier hoch. Herr General, wir haben wie immer beim Führungsfahrzeug drei Zuschauerfragen, die habe ich bereits mitgebracht und die würde ich ihnen gerne stellen, wenn das in Ordnung ist.

Martin Schelleis:

Bitte.

Tim Kullmann:

Die erste Frage, Herr General: seit rund einem Jahr unterstützt die Bundeswehr Bund und Länder bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Die Streitkräftebasis, wo wir gerade sind, koordiniert alle Einsätze der Bundeswehr. Als nationaler territorialer Befehlshaber verantworten Sie die Amtshilfe, welche die Kräfte der Bundeswehr leisten. Herr General, können sie das Wort Corona überhaupt noch hören?

Martin Schelleis:

Glücklicherweise ist das ja wohlklingend. Corona – viele Vokale, es liegt also nicht am Wort, sondern an der ganzen Dramatik, die dahinterliegt und ich denke, dass sich keiner freisprechen kann von einer gewissen Belastung durch diese Pandemie, durch die Entwicklungen. Nicht nur die, die persönlich unmittelbar betroffen sind, sondern die, die Tote zu beklagen haben, die, die selber schwere Verläufe haben. Sondern jeder ist ja mehr oder weniger durch die Einschränkungen betroffen, das geht an mir auch nicht vorbei. Wenn ich mir vorstelle, Corona – neulich hat ein kluger Mann einmal ausgerechnet: alle Corona-Viren auf der Welt passen in eine Cola-Dose. Wenn man sich also vorstellt, wie klein die Ursache und wie groß die Hebelwirkung ist, dann ist das schon bedenklich, möchte ich sagen. Aber Corona begleitet uns, Corona ist ein Fakt, ich habe eine Verantwortung in dem ganzen Thema, und der werde ich natürlich auch gerecht. Insofern ist das eine die persönliche Betroffenheit und das andere ist der professionelle Umgang mit der Aufgabe.

Tim Kullmann:

Dann Frage Nummer zwei ist eine eher persönliche, Herr General: was haben Sie in dem Jahr Corona-Pandemie gelernt, sehen Sie vielleicht manche Dinge anders als vor einem Jahr, und hat sich das Ansehen der Bundeswehr in diesem Jahr vielleicht auch verändert?

Martin Schelleis:

Letzteres unbedingt. Ein ganz großes Lob an die Bundeswehr als Organisation, der Effektivität der Unterstützung, aber insbesondere an die Soldatinnen und Soldaten und übrigens auch an die zivilen Mitarbeiter. Es gibt ja auch einige, die in der Amtshilfe tätig sind, weil das Auftreten die Effektivität, die Haltung unserer Leute einfach große Anerkennung findet. Weil die Soldatinnen und Soldaten gewohnt sind, in unklaren Lagen zu handeln, schnell sich orientieren, was ist zu tun, schnelle einen Weg, den man gehen kann und den dann auch konsequent gehen und das findet hohe Anerkennung, die Anpassungsfähigkeit, die Lernfähigkeit, aber auch das Aktive Vorschlagen von Verbesserungen, das ist ganz flächendeckend. Und es ist ja auch nicht nur in den Medien zu hören, nicht nur die Politiker auf allen Ebenen, die dieses Lob äußern, sondern auch den Menschen denen geholfen wird, flächendeckend, und das glaube ich hier schon jetzt fast ein Jahr: das wird eine nachhaltige Wirkung haben. Also das Ansehen der Bundeswehr, denke ich, war nicht schlecht, aber das unmittelbare Begegnen mit Männern und Frauen in Uniform hat sehr viel Entspannung und auch Anerkennung gebracht. Zu ihrer ersten Frage „Sehen Sie manche Dinge anders“ – ich würde sagen: klarer, weil wie eben angesprochen, diese Cola-Dose voller Viren, die bringt doch die ganze Welt ins wanken und das sollte uns bescheiden und demütig machen und auch im 21. Jahrhundert haben wir nicht alles im Griff als Menschheit. Wir sind Teil der Natur und wenn wir unvorsichtig sind, dann sind wir auch der Natur ausgeliefert und das ist das eine, was, sagen wir mal, Gesundheitsschutz angeht, auch Lebensweise. Denn die Frage, ob wir künftig weiter Wildtiermärkte besuchen sollten, und zwar nicht nur als Touristen, sondern vor Ort, stellt sich ernsthaft. Das andere aber auch: kleine Ursache - große Wirkung, es gibt ganz andere Risiken, die uns realistischerweise berühren können in Deutschland. Und wenn uns schon dieses kleine Virus so unter Druck bringt, da stellt sich wirklich die Frage: was machen wir mit anderen Risiken? Wir müssen uns also da viel ernsthafter darum kümmern: Was kommt auf uns zu und wir müssen uns mit allen Akteuren auch absprechen, wie wollen wir diesen Risiken begegnen.

Tim Kullmann:

Die dritte und abschließende Frage, Herr General, die Bundeswehr ist mit rund 19.000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, wie lange, hält die Truppe das noch durch?

Martin Schelleis:

Die Truppe hält das lange durch, das sind sie gewohnt als Soldaten. Die Frage stellt sich: wie lange dauert die Pandemie noch an, wie lange ist die Unterstützung der Bundeswehr erforderlich und sie sagen: 20.000, oder 19.000, es sind faktisch 25.000 gebunden, weil das Kontingent ja etwas größer noch ist. Solange die anderen Institutionen diese Aufgaben nicht übernehmen können und die Bundeswehr eben elementar wichtig ist, werden wir das auch durchziehen. Das heißt, dass wir im Grundbetrieb, Ausbildungsbetrieb, im Übungsbetrieb Einschränkungen nicht nur jetzt schon haben, sondern, dass diese auch noch zunehmen werden, aber das ist in der Abwägung der Wichtigkeit der Aufträge eine ganz klare Festsetzung der Politik. Priorität eins hat, neben den laufenden Auslandseinsätzen, die Bekämpfung der Pandemie und das ist unser Auftrag und den erfüllen wir natürlich.

Tim Kullmann:

Herr General, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und weiterhin alles alles Gute bei Ihrer Tätigkeit.

Martin Schelleis:

Dankeschön.