Oberstleutnant Christoph von Löwenstern
Oberstleutnant Christoph von Löwenstern
So nah – und doch weit weg
Viele Jahre lang war die hessische Landschaft südlich von Sontra Teil großer Planspiele der USA und der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Das „Fulda Gap“, die „Lücke von Fulda“, so fürchteten es die Strategen, könnte ein Einfallstor der Roten Armee und ihrer Verbündeten sein – mitten nach Deutschland.
Als Christoph von Löwenstern nach dem Studium nach Sontra versetzt wird, gelangt er also in unmittelbare Nähe dieses möglichen Brennpunkts des Ost-West-Konflikts. Stattdessen wird Sontra ein Ort der Wiedervereinigung. Mit der Wende kommt für viele Anwohner beiderseits der ehemaligen Grenze auch die Chance der familiären Wiedervereinigungen.
Wende auf dem Übungsplatz
Die erlebt Christoph von Löwenstern genauso hautnah wie die Aufnahme zahlreicher Übersiedler im Westen oder ehemaliger NVANationale Volksarmee’ler in die Bundeswehr. Was er trotz seines exponierten Stammtruppenteils verpasst, ist die Wende selbst. Von Löwensterns Feier zur Deutschen Einheit ist ein Hörsaalabend auf dem Übungsplatz in Munster, die folgenden Wochenenden verbringt er bei der Freundin in seiner Geburtsstadt Hamburg.
Zurück in Sontra prägt aber doch das Aufeinandertreffen von „West“ und „Ost“ den Dienst. Die Truppe beherbergt Übersiedler – und das hat Folgen, wie sich von Löwenstern erinnert. „Es wurde Frühjahr und auf der Wiese sonnten sich junge Frauen. Also wanderte der Blick eher dahin, anstatt sich auf die Ausbildung zu konzentrieren.“
Soweit gar nicht auseinander
Folgen hat die Wende auch wegen der Aufnahme der NVANationale Volksarmee – für die Bundeswehr, wie für ihre jungen Offiziere. „Ende 1990, Anfang '91 war so eine Phase, wo wir nicht genau wussten, wie das hier weitergeht“, erinnert sich von Löwenstern, der in der Folge als Zugführer selbst viele Wehrpflichtige „aus dem Osten“ ausbilden durfte. „Das klappte eigentlich ganz gut, so weit waren wir da gar nicht auseinander. Die Nordhessen und die Thüringer, die hatten von der Mentalität her einen ganz ähnlichen Hintergrund.“ Die ersten Begegnungen bleiben gänzlich unpolitisch: „Klassenfeind oder politischer Überbau spielte da aus meiner Erinnerung überhaupt keine Rolle.“
Das ändert sich für von Löwenstern 1993 in der Rolle als Kompaniechef, erstmals „drüben“, in Gotha. „Die Kameraden mit Vordienstzeit in der NVANationale Volksarmee, die waren anders sozialisiert und einige waren zu sehr im alten System verhaftet.“ Auch die Selbstwahrnehmung wandelt sich für von Löwenstern in Gotha, wohin er gemeinsam mit seiner Freundin zieht. „Die waren ganz erstaunt, einen ‚Armisten‘ in ihrer Umgebung zu erleben, denn die NVANationale Volksarmee-Soldaten lebten eher unter sich.“ Dementsprechend erlebt er auch Vorbehalte, wobei „so viele belebende Kontakte dabei waren, dass ich die negativen gar nicht mehr so in Erinnerung habe.“
Aufbruch und Zusammenwachsen
Dabei wäre es beinahe gar nicht so weit gekommen. Vor der Versetzung nach Gotha spielt von Löwenstern mit dem Gedanken, im wiedervereinten Deutschland etwas völlig Neues zu machen. „Die Aufbruchsstimmung war überall zu spüren“, auch auf dem Arbeitsmarkt, wie sich von Löwenstern erinnert. „Überall fehlte es an Ausbildern“, und für die Soldaten kam noch eine weitere Zäsur hinzu: „Kameraden von mir haben verkürzt, weil sie nicht mehr die Bundeswehr erfahren haben, die sie eigentlich erfahren wollten.“ In seinem Fall kam es anders. Sein ehemaliger stellvertretender Divisionskommandeur überzeugte von Löwenstern vom Gegenteil: er wurde Berufssoldat und kam nach Gotha.
Dort erlebte er die ersten Schritte auf dem Weg zu einem – seiner Wahrnehmung nach – erfolgreichen Zusammenwachsen zweier Armeen. Eine Zutat dabei: Kameradschaft. „Was bei uns anders als in der Gesellschaft ist: Wir ziehen uns eine ‚Uniform‘ an. Und wo es um Ausbildung ging, um gemeinsame Erfolge, klappte das besser mit dem Zusammenwachsen.“ Das führt von Löwenstern auch auf das Führungs- und Selbstverständnis der Soldaten zurück: „Die Art und Weise, wie man den Gegenüber wahrnahm und ihn als Mensch begriff und als Staatsbürger in Uniform seine Fähigkeiten förderte.“ Dieses bewusste Vorleben der Inneren Führung habe den Dialog zwischen ehemaligen Westlern und Ostlern in der Bundeswehr gefördert und „viele Brücken gebaut und Verständnis hergestellt.“