Mentale Stärke: durchhalten, orientieren, wachsen
Mentale Stärke: durchhalten, orientieren, wachsen
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Die meisten Menschen, wenn nicht sogar alle, die mental stark sind, sind auch resilient, aber nicht alle resilienten Menschen sind auch mental stark. Vertrauen in sich selbst, in andere und auf ein „höheres“ Ziel ist der mentalen Stärke förderlich.
Die Bundeswehr muss den veränderten Rahmenbedingungen im sicherheitspolitischen Umfeld Rechnung tragen und zuverlässig ihren Beitrag mit zukunftsfesten und einsatzbereiten Streitkräften leisten. Das bedeutet vor allem, dass sie auf exzellent ausgebildete, körperlich robuste, psychisch fitte und mental starke Soldatinnen und Soldaten auf allen Ebenen zurückgreifen kann.
Während wir alle vermutlich eine recht klare Vorstellung von dem haben, was Ausbildung und körperliche Fitness heißt, ist die mentale Stärke nicht nur im militärischen Kontext ein unterschiedlich interpretiertes und damit schwer zu fassendes Themenfeld.
Stärke ist ein gerne verwendetes Wort, das je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen hat. Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „stark sein“ körperliche Kraft, Energie, Einfluss – also das Vorhandensein von Fähigkeiten und Potenzialen, die Leistung möglich machen. Ergänzt durch das Adjektiv „mental“ wird daraus sowohl eine Grundhaltung als auch die Fähigkeit, trotz Widrigkeiten und Hindernissen das Ziel fest im Blick zu haben und den Auftrag bestmöglich zu erfüllen. Dazu gehört es, zielorientiert, verlässlich und konsequent zu sein und sich ständig zu verbessern.
Mental starke Menschen wissen, was gut für sie selbst und ihren Verantwortungsbereich ist; sie sind bereit, mit Disziplin, Ausdauer und Engagement fordernde Ziele zu erreichen. Die Konsequenzen daraus sehen wir in der Praxis: Die erfolgreichen Menschen sind nicht unbedingt diejenigen, denen alles „in den Schoß fällt“. Sondern es sind oft diejenigen, die zum richtigen Zeitpunkt durch eine Mischung aus Selbstverpflichtung, Können, Engagement und Konzentration auf das Ziel Energie investieren und besondere Herausforderungen überwinden. Wie wichtig die mentale Stärke insbesondere in Kriegen oder kriegerischen Auseinandersetzungen ist, zeigt sich derzeit im Ukraine-Krieg. Die ukrainischen Streitkräfte in der Verteidigung sind militärisch weit unterlegen. Aber ihre mentale Stärke, ihr Wille, sich auf das höhere Ziel der Landesverteidigung zu fokussieren, macht sie zu ernsthaften und unberechenbaren Gegnern. Ohne diese mentale Stärke jedes einzelnen ukrainischen Soldaten wäre das Land bereits vollständig okkupiert.
Mentale Stärke hängt sowohl von unserer Einstellung als auch von unseren Gewohnheiten im Denken, Verhalten und Handeln ab.
Mentale Stärke wird durch Selbstvertrauen, das Vertrauen in andere oder das Vertrauen in ein übergeordnetes „höheres“ Ziel (insbesondere die freiheitliche demokratische Grundordnung) gefördert. Im Idealfall sind es alle drei Faktoren! Die Bundeswehr unternimmt einiges, um die körperliche wie mentale Fitness der Soldatinnen und Soldaten zu fördern. Denn: Wer sich auf den Einsatz vorbreitet, muss trainieren, diszipliniert sein, darf bei Schwierigkeiten nicht aufgeben und muss so seine oder ihre persönliche Widerstandskraft unter Beweis stellen. Das alleine reicht jedoch nicht aus. Mentale Stärke braucht neben diesen individuellen Fähigkeiten mehr. Nämlich Sinn und Zweck, das höhere Ziel. Vieles davon (er-)leben wir täglich in der Bundeswehr: ein von Kameradschaft geprägtes Miteinander, bestimmte Werte und die Zustimmung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wir sind ausgebildet, um das Recht und die Freiheit zu verteidigen und dafür in den Kampf zu ziehen. Loyalität und die Bereitschaft, uns in besonderer Weise und unter Einbeziehung persönlicher Opfer zu engagieren, bildet den Kern dessen, was unsere mentale Stärke ausmacht.
Mentale Stärke ist mehr als Resilienz
Wir wissen alle, was körperliche Stärke und Fitness ist. Aber was ist mentale Stärke? In der Bundeswehr ist keine offizielle Definition dieses Begriffs zu finden. Vielmehr pendelt der Fokus je nach Präferenz seit einigen Jahren zwischen den Überschriften „Resilienz“ und „mentale Stärke“ hin und her.
Schon in den 1970er-Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass sich mental starke Menschen höhere Ziele setzen, motivierter sind, besser mit Stress umgehen und mehr Anstrengung und Ausdauer zeigen. Insoweit ist es eine pragmatische Definition als Quintessenz der diesbezüglichen interdisziplinären Forschung: Mentale Stärke beschreibt unsere Fähigkeit, mit Stress, Belastungen und besonderen Herausforderungen effektiv umzugehen und unbeeinflusst von solchen Bedingungen unser Bestes zu geben. Damit wird auch der Unterschied zwischen Resilienz und mentaler Stärke deutlich: Während individuelle Resilienz die Bewältigung von Stress und Krisen und entsprechende Schutzfaktoren in den Vordergrund stellt, geht es bei mentaler Stärke um den effektiven Umgang mit Stress in Verbindung mit mentaler und körperlicher Leistungsfähigkeit. USUnited States-amerikanische Wissenschaftler stellten zudem fest, dass die meisten, wenn nicht sogar alle mental starken Menschen resilient sind. Aber nicht alle resilienten Menschen sind auch mental stark. Zudem führt mentale Stärke zu besserer Leistung, nachhaltigerem Wohlbefinden und zur Entwicklung positiver Verhaltensweisen und Agilität bei der Reaktion auf Veränderungen. So gesehen beschreibt der Begriff mentale Stärke treffender, was Soldatinnen und Soldaten für ihr Wohlergehen im Alltag wie auch zur Bewältigung der besonderen Herausforderungen im Einsatz mitbringen sollten.
Die hier aufgestellte Definition deutet auf besondere Anstrengungen hin, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und dies erfordert zunächst Tapferkeit (als Tugend). Das mag sich ein wenig pathetisch anhören, ist aber, wenn wir uns die Definition anschauen, sehr nahe an unserem Thema: „Tapferkeit ist die Fähigkeit, in einer schwierigen, mit Nachteilen verbundenen Situation trotz Rückschlägen durchzuhalten. Sie setzt Leidensfähigkeit voraus und ist meist mit der Überzeugung verbunden, für übergeordnete Werte, die sich auch aus dem Auftrag der Bundeswehr ergeben, zu kämpfen.“ Es geht also darum, das auszuhalten, durchzustehen und letztendlich hinter sich zu lassen, was unangenehm, schwierig oder gar schmerzhaft ist. Damit könnte Tapferkeit im Kontext von mentaler Stärke das sein, was im Englischen „The glue that holds things together“ genannt wird.
Mentale Stärke als ganzheitliches Konzept
Welche Faktoren fließen in ein Konzept der „mentalen Stärke“ ein? Folgt man der Forschung, dann wurde fast jede positive Eigenschaft bereits als mentale Stärke bezeichnet: der konstruktive Umgang mit Niederlagen, Selbstsicherheit, Entschlossenheit, Durchhaltevermögen und so weiter.
Wie bereits angesprochen, spielten diese Aspekte bereits seit den Anfängen der Inneren Führung eine große Rolle. So schrieb Wolf Graf von Baudissin, der maßgeblich am Aufbau der Bundeswehr und insbesondere an der Entwicklung der Inneren Führung beteiligt war: „Nach unserer Ansicht hat die Innere Führung nie eine Wahl. Grundgesetz, Kriegserfahrung, soziologische und pädagogische Erkenntnisse in allen Lebensbereichen … verpflichten uns, das freiheitliche Bild vom mündigen Menschen als Grundlage von Theorie und Praxis zu setzen.“ Darauf aufbauend wird am Zentrum Innere Führung ein zeitgemäßes Modell diskutiert, das eine Idee von den Faktoren vermittelt, die mentale Stärke im Sinne der zu Beginn genannten Definition konkretisiert und auch trainierbar macht. Erste Schritte der Umsetzung werden bereits im Pilotprojekt eines virtuellen Lernformats unternommen.
Kontextfaktoren als Handlungsfeld mentaler Stärke
Wir wissen, dass, anders als in der Wirtschaft, monetäre Leistungsanreize einen recht bedingten Wirkungsgrad in der Bundeswehr haben. Die Bundeswehr ist kein Unternehmen! Insoweit sind es andere Faktoren, die Soldatinnen und Soldaten motivieren müssen. Auch wenn wir wissen, dass hier und da noch Handlungsbedarf besteht, basiert ein wirksames Anreizsystem in der Bundeswehr vor allem auf
- dem Vertrauen in das System,
- soldatischem Selbstverständnis und
- dem persönlichen Beitrag zu einem höheren Ziel, den Werten unseres Grundgesetzes. Letztlich also das, was den „Staatsbürger in Uniform“ ausmacht.
Vertrauen in das System meint nicht nur das Vertrauen in die Führung, sondern insbesondere, dass uns in allen Situationen eine belastbare Legitimation und die Rechtssicherheit den Rücken stärken. Gleichzeitig müssen wir darauf vertrauen können, dass uns für jeden Auftrag die notwendigen Ressourcen ohne Wenn und Aber zur Verfügung stehen.
Soldatisches Selbstverständnis beruht auf den Werten und Normen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere auf denen, die in der Konzeption Innere Führung aufgegriffen und in dem Selbstverständnis und der Führungskultur der Bundeswehr aufgegangen sind. Dabei geht es nicht nur um Pflichtbewusstsein, Kameradschaft und Loyalität, sondern auch um Wertschätzung, Gerechtigkeit, Fairness und Vielfalt.
Persönlichkeitsbildung als Handlungsfeld mentaler Stärke
Persönlichkeitsbildung fördert Eigenständigkeit und Selbstbestimmung insbesondere durch historische, politische, ethische und interkulturelle Bildung. Diese Aspekte sorgen für einen belastbaren Rahmen und geben Orientierung in unserer Demokratie. Persönlichkeitsbildung heißt insoweit zweierlei: Zum einen gilt es, die innere Festigkeit zu entwickeln und andererseits fit zu werden für das Leben in unserer Gesellschaft.
Resilienz als Handlungsfeld mentaler Stärke
Schwierigkeiten und Probleme haben viele Gesichter und können sowohl auf der persönlichen als auch auf der Teamebene auftreten. Sie treten meistens überraschend auf und erfordern Lösungen, die ohne zeitintensive Auseinandersetzung meist nicht gefunden werden. Dafür brauchen wir vor allem den Willen, trotz allem durchzuhalten. Der Schlüssel ist Resilienz der oder des Einzelnen und des Teams: Also die Art und Weise, wie wir uns nach einem Misserfolg wieder aufrappeln, wie wir uns selbst unter schwierigsten Umständen anpassen oder gar neu erfinden – und wie wir nach schmerzvollen Erfahrungen nach Möglichkeit sogar stärker werden.
Agilität & Vitalität als Handlungsfelder mentaler Stärke
Wenn wir über Agilität sprechen, dann meinen wir recht genau das, was in der Bundeswehr unter „Führen mit Auftrag“ verstanden wird. Kurz gesagt heißt das:
- Orientierung geben über Sinn und Zweck des Auftrags, damit ein Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen Einzelne und Teams eigenverantwortlich handeln können.
- Zuversicht vermitteln, damit jede und jeder Einzelne einen bestmöglichen Beitrag leistet und das Team in der Lage ist, den Auftrag erfolgreich auszuführen.
- Auf die Kompetenzen der Soldatinnen und Soldaten sowie die effektive Zusammenarbeit des Teams vertrauen.
- Informationen und Wissen aktiv zur Verfügung stellen und nicht als Machtinstrument missbrauchen.
Vitalität bezieht sich auf körperliche, mentale, emotionale und soziale Aspekte. Sie richtet den Fokus darauf, dass man sich gesund fühlt und entsprechend lebt. Mit der Konsequenz, dass mit mehr Begeisterung, Engagement und Effizienz Aufgaben erledigt werden können. Das Ergebnis sind bessere Leistungen und insgesamt mehr Zufriedenheit im beruflichen und privaten Leben.
Mentale Stärke entwickeln
Wie wir mentale Stärke entwickeln und trainieren können, zeigt das Stufenmodell nach Lars Satow:
- Stufe: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufbauen.
- Stufe: Lernen, auf ein Ziel fokussiert zu bleiben und sich nicht ablenken zu lassen.
- Stufe: Lernen, mit Misserfolgen umzugehen.
- Stufe: Lernen, sich selbst immer neue, herausfordernde Ziele zu setzen und an diesen festzuhalten.
Fazit
Mentale Stärke hängt sowohl von unserer Einstellung als auch von unseren Gewohnheiten im Denken, Verhalten und Handeln ab. Wir sollten, nein, wir müssen anfangen, die bestimmenden Faktoren mentaler Stärke in ihrer Bedeutung und Wirkung zu verstehen und in den soldatischen Alltag wie auch militärischen Auftrag und Einsatz zu integrieren. Es bringt uns nicht weiter, den Begriff nur als Schlagwort in den Mund zu nehmen. Denn: Mentale Stärke ist für unser Wohlbefinden genauso wichtig wie körperliche Fitness, wenn nicht sogar wichtiger. Und weil unser Verhalten und Handeln von unseren Denkweisen beeinflusst wird, spiegelt sich mentale Stärke auch in unserer Leistung wider.
Insoweit ist es an der Zeit, dass alle militärischen Vorgesetzten auf allen Ebenen dem mentalen Wohlergehen der Soldatinnen und Soldaten noch mehr Aufmerksamkeit schenken und sowohl Strategien als auch Konzepte zum Aufbau mentaler Stärke entwickeln, damit sie ihre Aufträge bestmöglich erfüllen können.