MeIN FÜhrungsfahrzeug – zweite Fahrt

MeIN FÜhrungsfahrzeug – zweite Fahrt

Das Interview mit Brigadegeneral Robert Sieger führte während der Autofahrt Oberstleutnant Tim Kullmann.

Tim Kullmann: Herr General? Ihr Führungsfahrzeug ist da. Danke schön! Guten Morgen, Herr General!

Brigadegeneral Robert Sieger: Guten Morgen, Herr Kullmann!

Tim Kullmann: Schön, dass Sie bei uns im Führungsfahrzeug sind!

Brigadegeneral Robert Sieger: Ich freue mich auch!

Tim Kullmann: Wo darf ich Sie denn heute hinfahren?

Brigadegeneral Robert Sieger: Zur Festung Ehrenbreitstein am besten.

Tim Kullmann: Dann machen wir das. Herr General, man nennt Sie auch den „BEA“.

Brigadegeneral Robert Sieger: Das ist richtig.

Tim Kullmann: Was genau ist denn der BEA?

Brigadegeneral Robert Sieger: Der BEA ist der Beauftragte des Generalinspekteurs für Erziehung und Ausbildung. Und den gibt es eigentlich seit 50 Jahren, also nicht erst eine neumodische Erfindung, sondern gibt es seit 50 Jahren. Die Aufgabe des BEAs ist relativ einfach. Der ist ein sogenannter querschnittlicher Sensor – das heißt: Besucht Truppenteile, in den Streitkräften in der ganzen Bundeswehr und macht eine Lagefeststellung in den beiden Bereichen Erziehung oder Ausbildung.

Tim Kullmann: Was ist denn etwas Positives, was Ihnen vielleicht auch in Erinnerung geblieben ist? Etwas wo sie sagen „Das war wirklich klasse, da hat die Truppe etwas Tolles gemacht – da können wir auch stolz drauf sein.“?

Brigadegeneral Robert Sieger: Es ist natürlich jetzt auch schwer ein Ding herauszuholen ohne andere zurückzusetzen. Ich mache es mal chronologisch und nehme drei Dinge – und zwar aus meinen letzten drei Besuchen.

Zum einen: Im Kommando Schnelle Einsatzkräfte der Sanität. Ich habe dort eine Fähigkeit gesehen, von der ich vorher noch nichts gehört hatte. Nämlich die Fähigkeit mit ganz kleinen Mitteln, hochwertiger Ausstattung, herausragend trainierten Soldaten, eine Operationsfähigkeit unter jeglichen, klimatischen Gefechtsbedingungen herzustellen. Und auch zu operieren: Im Flieger, im Lieferwagen, wo auch immer. Und das hat mich sehr beeindruckt.

Und das zweite: Das war mein Besuch bei der Einsatzflotille 2 und dort auf der Fregatte 125 Sachsen-Anhalt. Mit welchem stolz dort die Bootsleute und die Maate über ihr Schiff gesprochen haben. Und auch die Entscheidung des Kommandanten: „Bei mir erklären es nicht die Offiziere, sondern das machen die Bootsleute – denn genau die an dem Gerät sind.“ Das hat mich tief beeindruckt.

Und das dritte und das ist mir wichtig: Wir hören und lesen im Moment viel über das KSKKommando Spezialkräfte. Ich hatte die Möglichkeit beim sogenannten Potenzialfestellungsverfahren im KSKKommando Spezialkräfte dabei zu sein. Da werden diejenigen getestet, die nachher in die Ausbildung zum Kommandosoldaten sollen. Das geht eine ganze Woche, nach entsprechender Vorbereitung, und ich habe dort eine wirklich tolle Woche erlebt.

Herausragende Vorbereitung und Organisation, eine sehr verantwortungsvolle Ansprache und Belastung der Männer, die sich dort beworben haben und ich war schwer begeistert von dem Empfang für die, die letztendlich dann ins Ziel gekommen sind. Das war ein bewegender Moment voller Emotion und da hat man gespürt, was diese Gemeinschaft werden kann und was sie zum Leisten im Stande ist.

Tim Kullmann: Sie hatten das KSKKommando Spezialkräfte ja gerade schon angesprochen. Das ist ja eigentlich so eine reine Männerdomäne. Was haben Sie denn da bisher so dort erlebt? Sind das alles Menschen, die gerne feiern, aber auch kräftig und treu und ergeben dienen?

Brigadegeneral Robert Sieger: Also wer im KSKKommando Spezialkräfte dient, der ist sich dieser besonderen Verpflichtung bewusst. Und ich habe dort in den letzten drei Besuchen keinen gefunden, der mit dieser Verpflichtung auch leicht umgegangen ist. Wer dazu gehört, der setzt sich mit allem, was er hat, dort ein. Dass es überall Fehler gibt, das ist in einer Großorganisation normal, auch dass es Fehlverhalten gibt und dort wo wir über Extremismus sprechen, ist auch völlig klar, dass das nicht zu dulden ist. Aber es ist eben keine verschlossene Gesellschaft oder ein reiner Männerclub, sondern – ich habe dort auch in dieser einen Woche, in der ich das Eignungsfeststellungsverfahren, oder wie es neu heißt, das Potenzialfeststellungsverfahren begleitet habe – das gleiche auch für Frauen gesehen, die nämlich dort in einer Laufbahn für sogenannte Aufklärungsfeldwebel sind. Und von denen wird auch eine ganze Menge erwartet. Und wenn ich mir so angeguckt habe, was sie da in über 100 Kilometern Marschleistung mit entsprechenden Aufgaben zu bewältigen hatten, dann muss ich sagen: Respekt, Hut ab, nicht nur vor Organisation und Durchführung, sondern vor diesem Leistungsvermögen der Frauen. Das heißt KSKKommando Spezialkräfte ist nicht nur ein Männerclub, sondern natürlich auch etwas für Frauen, in ganz unterschiedlichen Verwendungen.

Tim Kullmann: Wenn etwas in der Truppe schiefläuft, dann heißt es ja relativ häufig: Da ist etwas mit der Inneren Führung schiefgelaufen. Die hat vielleicht versagt oder die Leute haben es nicht verstanden. Wie sehen Sie das? Ist es die Innere Führung oder sind es eher die Menschen, die vielleicht die Innere Führung nicht verstanden haben?

Brigadegeneral Robert Sieger: Also so ganz platt?

Tim Kullmann: Ja.

Brigadegeneral Robert Sieger: Das ist wie Straßenverkehrsordnung. Wenn Sie über Rot fahren, ist ja nicht die Straßenverkehrsordnung daran schuld, sondern der einzelne Mensch, der einen Fehler gemacht hat. Oder wenn Sie zu schnell waren. Und so ist das natürlich auch mit der Inneren Führung. Wenn Sie Fehler machen oder ein Fehlverhalten feststellen, dann muss man ja nicht die Innere Führung als Ganzes jedes Mal in Frage stellen, sondern genau gucken: Was ist denn da eigentlich passiert? Und wenn man das macht, stellt man fest, es geht um Fehler und Fehlverhalten von Menschen. Erstmal machen Menschen, die was machen auch Fehler und zum zweiten ist die Frage eher: Wie ist es dazu gekommen? Hat man die Innere Führung entsprechend vermittelt? Wird sie in der Truppe gelebt? Das kann ich so bestätigen. Und das nächste ist: Wie gehen wir denn eigentlich mit Fehlern um? Und das finde ich total spannend. Ich glaube da liegt eine Menge Potenzial. Denn wenn wir vernünftig mit Fehlern umgehen, dann trauen sich die Menschen auch zu entscheiden, sie trauen sich auch zu führen, sie haben nicht immer Sorge, dass daraus Nachteile entstehen. Da ist ein ganz tolles Feld, in das sich jede Investition lohnt. Wenn ich mir was wünschen darf: Ich würde mir wünschen, dass wir das Thema Umgang mit Fehlern in jeden Führungslehrgang, an jeder Ausbildungseinrichtung tatsächlich auch entsprechend unterrichten und auch mit praktischen Beispielen unterlegen. Und Innere Führung, unsere Konzeption der Inneren Führung – das muss man so sagen – darum beneiden uns viele. Wir meinen immer, das ist „weiße Salbe“, das sind die typisch weichen Themen. Innere Führung ist etwas ganz Hartes. Innere Führung ist letztendlich die Grundlage dafür, dass wir uns im Gefecht und im Einsatz bewähren können. Innere Führung fußt auf Vertrauen, Bindung an Werten und soldatischen Tugenden. Und deswegen sollten wir gar nicht verschämt zur Seite gucken und sagen: Innere Führung, das ist nur etwas für die Fälle, wo wir uns weiche Themen anschauen wollen, oder als Arbeitgeber. Unser Beruf ist kein Beruf jeder andere. Wir haben einen besonderen Beruf als Soldaten und unsere Führungskultur, die Innere Führung ist die Grundlage für unsere Einsatzfähigkeit und darauf dürfen wir stolz sein – und gestatten Sie mir vielleicht noch den Nebensatz – und sollten nicht immer gleich schlecht reden, wenn etwas passiert.

 Tim Kullmann: Herr General, Sie hatten auch gerade eben Rückschläge angesprochen. Sie hatten persönlich auch vor einigen Jahren einen gesundheitlichen Rückschlag. Sie sind aber wieder aufgestanden. Woher nimmt man die Kraft bei sowas? Einfach hinfallen, aufstehen, weitermachen – so nenne ich es mal.

Brigadegeneral Robert Sieger: Naja, kneifen gilt nicht. Wenn man etwas aus dem Leben lernen kann, dann ist es immer der ganz platte Satz: Wer kämpft, der darf auch verlieren. Aber wer nicht kämpft, hat verloren. Und deswegen geht es niemals darum zurück zu schauen, sondern immer darum nach vorne zu schauen. Und viel Kraft schöpft man natürlich aus der Familie, aus den Kameraden und auch aus den Dingen, die einem lieb und teuer sind, mit denen man sich gerne beschäftigt. Und ich habe damals in dieser schweren Zeit auch viele Menschen gesehen, die vor dieser gesundheitlichen Herausforderung kapituliert haben. Aber hier haben wir Soldaten wirklich etwas Tolles. Uns wird einfach beigebracht: „Beiß dich durch! Sei diszipliniert, denke nach vorne und tritt an!“ und das hat mir sehr geholfen.

Tim Kullmann: Haben sie danach etwas in ihrem Leben geändert? Haben, sie gesagt: Nein, ich muss nur über alles mal bisschen nachdenken. Vielleicht andere Priorisierungen?

Brigadegeneral Robert Sieger: Das ist eine gute Frage, ich habe tatsächlich einiges geändert. Vielleicht, wie vielen anderen das auch so geht, die beruflich auch sehr in Anspruch genommen sind: wir verschieben gerne Dinge auf später. Wenn dann irgendwann mal Zeit ist, dann macht man dies und erfüllt sich den Traum oder etwas anderes. Und ich habe während dieser Zeit, wo es mir nicht so gut ging, einfach gesagt: Das machst du nicht mehr, sondern du schiebst nichts mehr auf, du machst die Dinge gleich. Du genießt den Augenblick, lebst in dem Augenblick und schätzt diese Augenblicke wert. Ich habe meinen Motorradführerschein nachgemacht – ein lang gehegter Jugendtraum und den habe ich mir vor drei Jahren erfüllt. Oder bin dem Grundsatz treu geblieben, jedes Jahr etwas Neues zu lernen. Hat den Vorteil, man bleibt nicht stehen, auf der einen Seite und auf der anderen Seite: es macht einen ja nicht dümmer. Und man hat immer wieder Ziele und gerade dieses auch den Augenblick genießen und zu sagen: So, jetzt bin ich für heute fertig, jetzt mal was anderes und suche mir nicht künstlich noch eine dienstliche Herausforderung. Das hat nochmal etwas mit mir gemacht.

Musik

Tim Kullmann: Im Radio läuft gerade „Otis Redding – Sitting on the dock of the bay.“

Brigadegeneral Robert Sieger: Ja, prima!

Tim Kullmann: Mögen Sie solche Lieder?

Brigadegeneral Robert Sieger: Ja, denn gerade dieses Lied, das höre ich sehr sehr gerne. Habe eigentlich einen breiten Musikgeschmack, aber das höre ich deshalb gerne, weil es einen runterbringt. Es gibt einem so ein bisschen die Ruhe und den Abstand von dem Trubel und diese Vorstellung, man sitzt irgendwo am Wasser, schaut darüber hinaus und kommt mal ganz zu sich und denkt über Dinge nach, die finde ich gut und die passen auch für diesen Wechsel von Anspannung und Entspannung, der mir jetzt besondere auch nach dieser schwierigeren Zeit sehr sehr wichtig geworden ist.

Tim Kullmann: Herr General, wir habe noch Zuschauerfragen bei Ihnen in der Türe liegen. Vielleicht möchten Sie mal ganz kurzen Blick drauf werfen.

Brigadegeneral Robert Sieger: Klasse, da bin ich ja gespannt. Eine leichte und eine schwere Frage. Das ist super, sehr gerne. Also eine Frage ist, was wünschen Sie sich für die Zukunft? 2020 ist ja nun sehr stark geprägt durch Corona und schränkt für viele das Leben ein. Ich würde mir wünschen, dass wir innerhalb und außerhalb der Bundeswehr, wenn wir uns Gedanken machen, was wir denn lernen können aus dieser Phase, auch lernen das Gute im schwierigen oder im Schlechten zu sehen. Das bedeutet welche Möglichkeiten uns das auch eröffnet. Bei der Bundeswehr nicht mehr bei „lessons learned“ dann stehen zu bleiben dann auch vielleicht die Dinge anzuschieben, die wir schon lange anschieben wollten. Stärkere Digitalisierung zum Beispiel oder aber Verzicht auf überbordende Bürokratie, da können wir sehr viel selber machen. Oder aber nicht auf große Vorgaben zu warten, sondern einfach mal zu machen. Das wäre ganz toll.
Die zweite Frage, die ist etwas schwieriger. Aus Ihrer Sicht: Übernehmen die Menschen noch gerne Verantwortung für ihr Handeln? Tja, kommt drauf an und zwar wie ich einschätze, wie viel Risiko, wie viel Konfliktpotenzial oder aber wie viel Misserfolg damit verbunden ist. Denn Führen und Entscheiden heißt nun mal gestalten und nicht verwalten und dann liegt immer ein Risiko, also ist auch klar: Je besser wir auch mit Misserfolgen oder Fehlern umgehen können und je stärker wir unsere Führungskräfte auch befähigen, dass es toll ist zu entscheiden, dass man etwas bewegen kann und auf jeder Ebene, das auch tun muss. Umso eher wird man auch Verantwortung übernehmen und wenn es dann mal doch in die Buxe geht, dann ist das eben gar nicht so schlimm, dann redet man da drüber zieht seine Lehre daraus und tut es. Also: Übernehmen die Menschen noch gerne Verantwortung? Ich hoffe zunehmend gerne, wenn man das so sagen darf.

Tim Kullmann: Herr General, wir sind hier gleich am Ende unserer Fahrt. Gibt es noch eine Botschaft, eine Message, die Sie den Zuschauerinnen und Zuschauern, den Soldatinnen und Soldaten gerne mit auf den Weg geben würden?

Brigadegeneral Robert Sieger: Sehr gerne. In diesem Jahr haben wir „70 Jahre Himmeroder Denkschrift“. Vor 70 Jahren wurden im Eifelkloster Himmerod die Grundlagen für die Bundeswehr gelegt, und auch die Grundlagen für die Innere Führung. In dieser Himmeroder Denkschrift steht ein ganz toller Satz – der ist aus meiner Sicht zeitlos. Und der lautet, ich zitiere: „Ebenso wichtig wie die Ausbildung des Soldaten, ist seine Charakterbildung und Erziehung.“ Und wir könnten heute Mindset dazu sagen oder berufliches Selbstverständnis, wenn wir wollen. Aber dieser Satz ist zeitlos gültig und es lohnt sich, ebenso wie die Ausbildung, eben in die Erziehung und in die Charakterbildung zu investieren, weil nur beides zusammen sichert die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Deswegen aus meiner Sicht ein ganz toller Satz, den man da vor 70 Jahren geschrieben hat.

Tim Kullmann: So, dann gehen wir mal zur Festung! Dann gehen wir uns mal den Blick anschauen, Herr General!

Brigadegeneral Robert Sieger: Von hier kann man die besondere Position und Bedeutung auf der Festung Ehrenbreitstein sehen. Hier am Zusammenfluss von Rhein und Mosel – unten ist das Deutsche Eck – sieht man diese beherrschende Stellung dieser Festung und jetzt kann man sich natürlich vorstellen – diese Festung mit Kanonen bestückt, was das an taktischer Bedeutung gehabt hat. Und deswegen mag ich diesen Platz so sehr, denn gerade für meine Aufgabe ist es sehr wichtig, den Überblick zu behalten, sich nicht im Klein-Klein zu verlieren, sondern immer das ganze Bild zu sehen und dann entsprechenden Generalinspekteur oder anderen eben diesen Überblick und die Bewertung der Sachverhalte auch nahe bringen zu können. Also nicht nur einen Teilausschnitt und dann schaut das Bild eben ganz anders aus und das ist hier jetzt hier hervorragend möglich. Deswegen habe ich den Platz auch so gerne, weil er mir den Zugang und die Bedeutungen meiner Aufgabe am besten verdeutlicht. Also insgesamt toll. Schön, dass wir hierhergefahren sind,

Tim Kullmann: Danke, dass Sie unser Gast waren, Herr General.

Brigadegeneral Robert Sieger: Sehr gerne!

Tim Kullmann: Es war wirklich schön, Sie an Bord zu haben und damit – Herr General, ich melde mich ab.

Brigadegeneral Robert Sieger: Herr Kullmann, herzlichen Dank! Es hat viel Spaß gemacht. Danke!

Tim Kullmann: Danke schön!

Musik

Abspann