Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann

Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann

Welche Mauer?

Jörg Hillmann hat eines der wichtigsten Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte verschlafen – den Mauerfall. „Ich war zu dem Zeitpunkt Kompaniechef im Wachbataillon in Siegburg und hatte eine starke Fußballmannschaft,“ erzählt der heutige Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) und promovierte Historiker. Am darauf folgenden Tag fand die Marine-Fußballmeisterschaft in Plön statt. Und weil er schon morgens um neun Uhr in Plön sein musste, ging er am 9. November sehr früh zu Bett. „Mein Fahrer sollte mich um ein Uhr abholen.“ Der begrüßte ihn morgens mit: „Herr Kaleu, die Mauer ist weg.“ Hillmann guckte ihn an und fragte, „Welche Mauer?“

Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann im Portrait vor einer Bücherwand

Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann teilt seine vielfältigen Erfahrungen und Erlebnisse zur Integration der ehemaligen NVANationale Volksarmee-Soldaten in die Bundeswehr

Bundeswehr / Lisa Matthiolius

Prämien und neue Chancen

Die Bundeswehr schickte anfangs nicht nur ihre Besten in den Osten. „Es gab einerseits eine vorbildliche Personalführung in der Marine, eine sehr gute Personalauswahl“, erinnert sich Hillmann. Er habe aber auch einige Negativ-Beispiele erlebt. „Man musste ja rasch reagieren und Kommandeure und Kompaniechefs aus dem Westen in den Osten bringen. Da sind nicht immer die Leistungsstärksten ausgewählt worden.“ In der Anfangszeit habe die Bundeswehr mit Prämien gewunken. „Viele, die in der alten Bundeswehr kaum Aussichten gehabt hatten, wurden ausgewählt und erhielten damals eine neue Chance.“ Er habe einen Westkommandeur im Osten erlebt, der pendelte. „Das hieß montagmittags kommen und Donnerstag nachmittags wieder fahren. Und das erste, was er sagte war: Von dem Geld habe ich mir erst mal einen Daimler gekauft.“ Das sei bei den Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR nicht besonders gut angekommen. „Ich glaube, da ist viel Porzellan damals zerschlagen worden.“

Austausch: ein Schlüssel zur Integration

Umgekehrt herrscht in der ehemaligen DDR vielerorts bei manchen Bürgern noch eine gewisse Ostalgie. Im Vergleich dazu sei die Integration der Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee, die inzwischen auch schon gewisse Dienstgrade erreicht hätten, besser gelungen, findet Hillmann. Der Grund: „Wir haben uns im täglichen Gespräch ausgetauscht. Dabei ist es uns gelungen, nicht ständig Vor- oder Nachteile aufzurechnen oder aufzuzählen, was alles schlecht war, was damals in der DDR gelaufen ist.“ Er habe in Brüssel mit einem ganz ausgezeichneten Offizier, einem Oberstleutnant, gearbeitet, der in der DDR aufgewachsen sei und in der NVANationale Volksarmee zwei Jahre Dienst getan habe. „Das war für mich nicht nur ein überzeugter Demokrat, sondern auch jemand, der die Wendezeit, den Mauerfall, als Glücksfall empfunden hat.“

Prinzip: Pflichtbewusstsein

Dass die Integration der ehemaligen Angehörigen der NVANationale Volksarmee in die Bundeswehr im Großen und Ganzen gelungen ist, hat für Jörg Hillmann viele Gründe. „Zum einen der große Plan, den die Bundeswehr sehr schnell entwickelt hat, der Organisationsrahmen.“ Dann der Wille der Menschen, die Integration tatsächlich voranzubringen. Auch wenn dabei „sicherlich auch Fehler gemacht“ wurden. Es gab die Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee, die die Übergabe von Material und Stützpunkten in vorbildlicher Art und Weise organisierten. „Weil wir als Soldaten eines gemeinsam hatten: nämlich das Prinzip Pflichtbewusstsein. Und wir waren – so schwer das Wort über die Lippen kommen mag – natürlich auch zur Kameradschaft verpflichtet.“ Auf behutsame Art und Weise habe die Bundeswehr „diesen für uns selbstverständlichen und für die ehemaligen Angehörigen der DDR neuen Wertekanon übertragen und vermittelt. „Und dies in erster Linie dadurch, dass wir das vorgelebt haben.“ Dieser Wertekanon spiegele sich in den Prinzipien der Inneren Führung wider. „Denn Innere Führung gab es in der Bundeswehr auch schon vor 1990.“

von Jan Marberg