Neue Therapietechnik

Raus auf die Wiese? Hundegestützte Intervention – viel mehr als nur Gassi gehen!

Raus auf die Wiese? Hundegestützte Intervention – viel mehr als nur Gassi gehen!

Datum:
Ort:
Koblenz
Lesedauer:
6 MIN

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Weiße Wände, lange Flure und der Duft von Desinfektionsmittel: In der Umgebung eines Krankenhauses ist das freudige Schwanzwedeln eines Hundes bisher ein seltener Anblick. Im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz kommt Therapiebegleithund Amadeo gerade zum Dienst. Der Labradorrüde ist eine wertvolle Ergänzung des Therapieangebotes für PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Erkrankte.

Ein dunkler Hund geht zwischen zwei Menschen auf einem Flur

Felliger Dienstbesuch im Bundeswehrzentralkrankenhaus: hundegestützte Intervention in der Psychotraumatherapie

Bundeswehr/Nicolas Caldas Hofmann

Das Team aus Therapiebegleithund und Therapiebegleithundeführer ist auf den Fluren der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Koblenzer Krankenhauses unterwegs. Der erste Patient wartet bereits auf das Gespann. Seit einem Gefecht im Auslandseinsatz lässt den Soldaten die dort erlebte Situation nicht mehr los – nach seiner Rückkehr wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Die Erkrankung äußert sich bei ihm auch durch Einschränkungen im Alltag, so kann er beispielsweise Wiesen und offene Flächen nicht mehr betreten. Die Anspannung legt sich dann lähmend über den Einsatzrückkehrer.

Heute steht daher im Rahmen seiner stationären Therapie ein sogenanntes Expositionstraining für den Soldaten an. Nachdem der Patient Amadeo begrüßt und ausgiebig gekrault hat, macht sich das therapeutische Quartett, bestehend aus Patienten, Therapiefachkraft, Hundeführer und Amadeo, auf den Weg in die Außenanlagen des Krankenhauses. Die Anspannung des Soldaten beim Erblicken des grünen Geläufs ist merklich zu spüren. Auch Amadeo nimmt dies wahr und hält ständigen Kontakt mit dem Patienten. Gemeinsam stellen sie sich der heutigen Aufgabe, die Wiese zu betreten.

hundegestützte Intervention

Therapiebegleithund und Patient blicken sich an und geben sich die Pfote bzw. Hand

Nähe zulassen: Für beide eine positive Erfahrung

Bundeswehr/Andreas Weidner

Der Einsatz von Hunden in der Psychotraumatherapie ergänzt das Portfolio des therapeutischen Fachpersonals um eine weitere Technik. Die Therapiebegleithundeführer bereiten mit den zuständigen Therapeuten jede Einheit individuell für die jeweiligen Patienten vor. Der Hund unterstützt dabei viele verschiedene Therapieziele – Nähe zuzulassen, Gefühle wahrzunehmen, die Übernahme von Verantwortung, Mobilisation und Motivation sowie die Förderung der Selbstwirksamkeit sind hierbei nur einige Beispiele. Bei der hundegestützten Intervention geht es nicht nur darum, direkt mit dem Hund etwas zu tun. Schon allein über das Tier, seine Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen oder etwas für den Hund zu tun, wie Leckerlies zu backen oder Spielzeug herzustellen, zeigt eine positive Wirkung (wie z.B. emotionale Stabilisierung, Motivationsstärkung und das Empfinden von Freude) auf die Patientinnen und Patienten. Die Teilnahme an diesem Therapieangebot ist immer freiwillig.

Neben der Rekonvaleszenz des Patienten steht auch das Wohl des Therapiebegleithundes im Fokus. Die Einhaltung des Tierschutzes genießt in der hundegestützten Intervention eine herausgehobene Bedeutung, denn für einen dauerhaften Einsatz sind die positive Erfahrung und der Spaß bei der Arbeit ein wesentlicher Baustein.

Krankenhäuser müssen grundsätzlich einen hohen Hygienestandard erfüllen. Um dem bei der Arbeit in der hundegestützten Intervention gerecht zu werden, wurde eigens mit Fachleuten ein Hygienekonzept entwickelt. In diesem wurden beispielsweise die Routen des Therapiebegleithundes im Krankenhaus festgelegt, Aufenthaltsbereiche definiert und Verhaltensweisen sowie Hygienemaßnahmen beschrieben.

Vierbeiner für das Seelenheil

Die hundegestützte Intervention wird seit 2013 durch die Schule für Diensthundewesen der Bundeswehr in Ulmen für und mit dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz durchgeführt. Zunächst wurde in einer Pilotstudie mit 29 Patientinnen und Patienten die grundsätzliche Wirksamkeit über vier Wochen wissenschaftlich begleitet und überprüft. Die Befragung nach dem Befinden direkt vor der hundegestützten Intervention und danach zeigt, dass die Teilnehmenden signifikant weniger negatives Befinden angaben – sich also insgesamt besser fühlten. Die Beziehung zum Hundeführer bzw. zur Hundeführerin verbesserte sich ebenfalls nach Aussage der Patienten.

„Der Hund hat bei mir auf mehreren Ebenen gewirkt. Von der körperlichen Nähe, die ich bei Menschen nicht mehr zulassen konnte, bis hin zur Kommunikation mit dem Hund, der genau merkt, was man fühlt. Erstmals gab es zwischen mir und einem anderen Lebewesen wieder eine Vertrauensbasis.“

Der Therapiegleithund blickt den Patienten an.

Die Pilotstudie an der Schule für Diensthundewesen der Bundeswehr lieferte erste wichtige Erkenntnisse zur Wirksamkeit der hundegestützten Intervention

Bundeswehr / Roland Alpers

In den Folgejahren unterstützte die Schule für Diensthundewesen im Rahmen freier Kapazitäten mit aktiven Soldatinnen und Soldaten sowie Reservistendienstleistenden die hundegestützte Intervention – regelmäßig reisen die Diensthundeführer mit ihren Tieren aus dem beschaulichen Ulmen in der Eifel in das Bundeswehrzentralkrankenhaus am Rhein.

Insgesamt gibt es weltweit bisher kaum verlässliche Daten zum Einsatz von Hunden in der stationären Psychotraumatherapie von Soldatinnen und Soldaten. Dies soll sich nun ändern. Hierzu wird im Rahmen eines Sonderforschungsvorhabens voraussichtlich ab Oktober 2023 für zunächst sieben Jahre die Wirksamkeit von hundegestützter Intervention bei Einsatzfolgestörung von Soldatinnen und Soldaten ausführlich wissenschaftlich untersucht. Insbesondere wird geprüft, ob hundegestützte Techniken geeignet sind die Psychotraumatherapie von Soldatinnen und Soldaten positiv unterstützend zu begleiten, um zukünftig die Therapie dauerhaft zu ergänzen.

Kein Hund wie jeder andere

Die Therapiebegleithunde der Bundeswehr bedürfen einer speziellen Auswahl und Ausbildung. Die Hunde für die tiergestützte Intervention müssen einen offenen und freundlichen Charakter mitbringen und gern im Kontakt mit Menschen sein. Sie werden entweder speziell für diesen Zweck angekauft oder entstammen der eigenen Zucht – in dieser werden die Diensthunde in der Aufzucht sozialisiert, medizinisch untersucht und grundlegend erzogen, um dann nach einer ausführlichen Eignungsfeststellung für die verschiedenen Einsatzbereiche innerhalb der Bundeswehr ausgewählt zu werden.

Der Therapiegleithund blickt seinem Therapiebegleithundeführer nach

Das Therapiehundebegleitteam absolviert die Ausbildung gemeinsam

Bundeswehr/Tobias Koch

Die Therapiebegleithundeführer müssen neben den üblichen Voraussetzungen im Diensthundewesen – wie keine Tierhaarallergien, keine Angst vor Hunden und der Bereitschaft, den Diensthund auch Zuhause zu halten – weitere Anforderungen erfüllen: Dazu gehören insbesondere das Verständnis für die Bedeutung des Einsatzes der Tiere in der Psychotraumatherapie sowie die Auswirkungen ihrer eigenen Tätigkeit für den therapeutischen Prozess eines anderen Menschen und die Bedeutung, die das für die eigene Psyche haben kann.

Hund und Hundeführer durchlaufen gemeinsam eine fünfmonatige Ausbildung zum Therapiebegleithundeteam an der Schule für Diensthunde der Bundeswehr in Ulmen. In dieser Zeit stehen neben dem Zusammenwachsen als Team für die angehenden Therapiebegleithundeführer theoretische Inhalte zum Lern- und Ausdrucksverhalten des Hundes, Tierschutz, Hygiene und Risikomanagement auf dem Lehrplan. Daneben werden ihnen Grundlagen der Psychotraumatherapie im Allgemeinen und der hundegestützten Intervention bei PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Erkrankten im Besonderen vermittelt. Ergänzend nehmen die Ausbildung und das gemeinsame Training im Setting der hundegestützten Intervention und der anzuwendenden Techniken viel Ausbildungszeit ein.

Im Anschluss lebt der Therapiebegleithund gemeinsam mit dem Diensthundeführer Zuhause. Das Team wird regelmäßig überprüft und für den Einsatz als Therapiebegleithundeteam rezertifiziert.

Der nächste Schritt ist gemacht

Mit der siebenjährigen Studienphase wird für die hundegestützte Intervention und die davon profitierenden Patientinnen und Patienten ein wichtiger Meilenstein zur dauerhaften Verfügbarkeit dieser Technik im Rahmen der leitlinienkonformen Psychotraumatherapie gesetzt. Im Zuge der Fürsorge hat sich die Bundeswehr verpflichtet, die Soldatinnen und Soldaten vor Schaden und Nachteilen zu bewahren. Die hundegestützte Intervention hat das Potential, zu dieser Anforderung der Inneren Führung einen wichtigen Beitrag zu leisten.

Ein Therapiebegleithund liegt auf einer Wiese zwischen Soldaten

Der erste Schritt ist getan

Bundeswehr/Torsten Kraatz

An der sonnigen Wiese im Außenbereich des Bundeswehrzentralkrankenhaus wurden ebenfalls Fortschritte gemacht. Die freudige Aufforderung von Amadeo zum Spielen auf dem weichen, grünen Untergrund hat dem erkrankten Soldaten geholfen, zumindest für einen kurzen Moment die eigenen Barrieren zu überwinden. Die Therapiefachkraft überwacht das dynamische Geschehen aufmerksam. Spielzeug wird geworfen, Leckerchen werden verteilt, der Hundeführer hilft bei der Verständigung – eine Therapieeinheit ganz nach dem Geschmack des vierbeinigen Helfers. Für den Patienten ist dies ein Moment des Loslassens sowie der erste Schritt, um seine Einschränkungen künftig auch ohne vierbeinige Unterstützung zu überwinden.

von Romina Martin

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