Die Versicherungsvertreter

Die Versicherungsvertreter

Datum:
Ort:
Rheinland-Pfalz
Lesedauer:
7 MIN

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Wenn die Bundeswehr ein rundes Jubiläum feiert, besinnt sie sich auf den 12. November 1955. An diesem Tag erhielten die ersten Soldaten der neuen deutschen Streitkräfte ihre Ernennungsurkunden aus der Hand des ersten Verteidigungsministers Theodor Blank. Dass dieses Ereignis zudem am zweihundertsten Geburtstag des preußischen Militärreformers und Generals Gerhard von Scharnhorst stattgefunden hatte, rundet die Symbolik des Neuanfangs ab. Der Grundstein für die Bundeswehr und die Innere Führung wurde allerdings schon fünf Jahre früher gelegt – im Kloster Himmerod.

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Die Weiterentwicklung der Inneren Führung: Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor André Bodemann, gibt einen Ausblick.
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Vor 70 Jahren legte die Himmeroder Denkschrift das Fundament für die Bundeswehr

Im Sommer 1945 nach der bedingungslosen Kapitulation des ,,Dritten Reichs“ kamen die Siegermächte USA, Großbritannien und die Sowjetunion zusammen, um die Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg festzulegen. Nach den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz sollte es niemals wieder deutsches Militär geben. Die Entmilitarisierung Deutschlands galt als grundlegende Voraussetzung einer künftigen Friedensordnung. Daran änderte auch der aufbrechende ideologische Konflikt zwischen den Wirtschafts- und Sozialvorstellungen des liberal-kapitalistischen und planwirtschaftlich-kommunistischen Systems im Rahmen des Kalten Krieges zunächst nicht viel.

Aber der Kalte Krieg verschärfte sich. Dies lässt sich von den grundsätzlichen Kehrtwenden in der Besatzungspolitik der Siegermächte, über die in West und Ost getrennten Währungsreformen, die Luftbrücke zur Versorgung West-Berlins durch die Westalliierten bis hin zur doppelten Staatsgründung des Jahres 1949 vor allem in Deutschland als Demarkationslinie zwischen den Blöcken gut nachvollziehen. Mit der Bundesrepublik war aus den drei Westzonen ein staatliches Provisorium entstanden, das sich unter dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer an den Westen anlehnte. Gleichzeitig schloss sich die Deutsche Demokratische Republik (DDR) nach der 1946 vollzogenen Zwangsvereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SEDSozialistische Einheitspartei Deutschlands) der Sowjetunion an.

Konventionelle Streitkräfte im Fokus

Im August 1949 hatte die Sowjetunion durch die Zündung einer Atombombe das nukleare Monopol der USA gebrochen und die globale strategische Überlegenheit der USA in Frage gestellt. Im Januar 1950 führte die NATONorth Atlantic Treaty Organization die Forward Strategy ein: Die Verteidigung des Bündnisgebiets wurde nun so weit ostwärts wie möglich geplant. Damit rückten konventionelle Streitkräfte und ein möglicher westdeutscher Militärbeitrag in den Fokus. Spätestens als im Juni 1950 die Truppen des kommunistischen Nordkoreas die Demarkationslinie nach Süden überschritten, legte sich USUnited States-Präsident Truman nach Beratung mit seinen Stabschefs auf die Aufstellung westdeutscher bewaffneter Kontingente fest.

Der stellvertretende USUnited States-Hochkommissar in der Bundesrepublik General George P. Hays gab dem ehemaligen Panzergeneral der Wehrmacht Gerhard Graf von Schwerin die Erlaubnis, eine Expertengruppe zur sicherheitspolitischen Beratung einzuladen. Schwerin war seit dem 24. Mai 1950 Adenauers Berater für „Militär- und Sicherheitsfragen“. 13 Generale, Admirale und Generalstabsoffiziere sollten unter dem Vorsitz von Generaloberst a.D. Heinrich von Vietinghoff Ende August im Kloster Walberberg tagen und als ,,Studienausschuss für deutsche Sicherheitsfragen“ den Kanzler beraten. Zwei Tage vor dem Termin wurde die Veranstaltung per Telegramm jedoch kurzfristig abgesagt. Der Grund: Der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Rat wollte sich im September in New York mit der Frage der westdeutschen Wiederbewaffnung beschäftigen und Adenauer wollte dem nicht vorgreifen.

Kriegserfahrene Experten

Die Einladung an den Studienausschuss, für den in der Zwischenzeit noch der ehemalige Major Graf Baudissin und der ehemalige Oberst Graf Kielmannsegg gewonnen worden waren, erging denkbar kurzfristig. 15 Offiziere, die den gesamten Sachverstand aus Truppenführung, Generalstabsarbeit, Logistik und zudem die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine vereinten und deren berufliche Biographien vielfach bis in den Ersten Weltkrieg zurückreichten, trafen unter strengster Geheimhaltung am 5. Oktober im Eifelkloster Himmerod ein. General a.D. Graf von Schwerin gab der Tagung den Decknamen ,,Zusammenziehung der Versicherungsvertreter“.

Von den Grundmauern der Abtei Himmerod abgehend werden die Portraits der Teilnehmenden dargestellt

Die "Zusammenziehung der Versicherungsvertreter" im Kloster Himmerod.

Bundeswehr/Daniela Hebbel

Mit Generalleutnant Adolf Heusinger, den ehemaligen Generälen Fridolin Ritter und Edler von Senger und Etterlin, Leo Freiherr Geyr von Schweppenburg, Hans Röttiger und Herrmann Foertsch, wurde bewusst auf Persönlichkeiten gesetzt, die es gewohnt waren, an der Schnittstelle zwischen Militär und Politik zu arbeiten und sowohl in Deutschland als auch bei den alliierten Siegermächten hohes Ansehen genossen.

Zur Arbeitsorganisation hatte Schwerin die Gruppe in vier Ausschüsse eingeteilt. Operativ knüpften die Teilnehmer der Tagung an vorhandene Überlegungen an – und an die Erfahrungen der Wehrmacht mit der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg: 12 Panzerdivisionen sollten mit einem Personalumfang von 250.000 Mann beweglich das Verteidigungsgefecht mit Eckpfeilern im Norden und Süden so weit ostwärts des Rheins wie nur möglich mit einem starken Brückenkopf bei Hamburg führen. Die Ausrüstung der Verbände sollte durch die Alliierten erfolgen und der Verzicht auf Typenvarianz die Logistik vereinfachen. Ob es die Luftwaffe überhaupt als eigene Teilstreitkraft wie die Marine, geben sollte, wurde nicht zu Ende diskutiert. Allerdings wurde die Luftnahunterstützung für die deutschen Panzerdivisionen durch Fliegerkräfte als unverzichtbar angesehen.

Alliierte Erstausstattung

Der Aufbau der Streitkräfte sollte parlamentarisch und öffentlich kontrolliert werden und die ersten Volleinheiten sollten nach einer kurzen Anlaufphase für die Ausbilder bereits bis 1. November 1951 aufgestellt sein. Die Dienstzeit der Wehrpflichtigen war auf ein Jahr angelegt. Mit 3.600 Panzern, 270 Flakgeschützen, 800 Sturmgeschützen, 350 Granatwerfern und 831 Flugzeugen wurde das notwendige und von den Alliierten als Erstausstattung zu stellende Großgerät innerhalb von nur vier Besprechungstagen ausgeplant. Der Inspekteur der künftigen Streitkräfte sollte dem Bundespräsidenten unterstehen, während ein ziviler Minister die politisch-parlamentarische Verantwortung tragen sollte.

Bedingung für den skizzierten Weg sollte die völlige politische und militärische Gleichberechtigung der Bundesrepublik sein. Dazu forderten die Teilnehmer der Tagung die Einstellung jeglicher „Diffamierung“ des deutschen Soldaten durch Gesetze oder informelle Diskriminierungen. Diese Forderung wurde selbst auf Angehörige der ehemaligen Waffen-SS, die ,,im Rahmen der Wehrmacht eingesetzt gewesen waren“, ausgedehnt. Vor allem die Pensionsfrage – die Siegermächte hatten ehemaligen Berufssoldaten in ihrem Kontrollratsgesetz Nr. 34 aus dem Jahr 1946 sämtliche Pensionsansprüche aberkannt – lag der Studiengruppe am Herzen.

Warum sollten aber ausgerechnet junge ehemalige Wehrmachtsoffiziere erneut den anstrengenden und gefährlichen militärischen Beruf ergreifen? Viele von ihnen waren inzwischen beruflich fest im Zivilleben etabliert. Diese vom Krieg gezeichnete und vielfach diskriminierte Gruppe sollte nach Auffassung der von Wertvorstellungen aus dem Kaiserreich geprägten Experten ihre zivile Komfortzone im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik verlassen und trotz zunehmender Kriegsgefahr zum Militär zurückkehren. Eine Entscheidung, die zudem vor dem Hintergrund einer kriegsmüden und ablehnenden Bevölkerung zwangsläufig nicht nur ins materielle, sondern auch soziale Abseits zu führen drohte.

Die ehemaligen jungen Offiziere sollten mit den innovativsten Ideen der Studiengruppe für einen Neuanfang der deutschen Streitkräfte gewonnen werden. Unter dem Begriff ,,Inneres Gefüge“ wurden die ethischen und moralischen Grundsätze für ein Leitbild der Streitkräfte in der Demokratie erarbeitet. Der einzelne Soldat sollte als Staatsbürger in Uniform, die Truppe in ihrer Gesamtheit in den demokratischen Staat integriert werden. Die gerade erst fünf Jahre zurückliegenden Erfahrungen mit dem Missbrauch soldatischer Tugenden durch das menschenverachtende System der Nationalsozialisten führten zu kontroversen Diskussionen um die daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Blick auf die Abtei durch die Pforte des Kloster Himmerod.

Das Kloster Himmerod war vor 70 Jahren der Ursprungsort der Inneren Führung.

Bundeswehr/Fabian Schier

Unterstützt durch den späteren Generalinspekteur de Maizière entwickelten die beiden ,,Himmeroder“ Graf Kielmansegg und Graf Baudissin als Zivilangestellte bis 1955 das Konzept der Inneren Führung weiter. Bereits fünf Monate nach der Tagung in Himmerod hätten die ersten Truppenteile aufgestellt werden sollen. Dass allein durch das Tempo der Wiederbewaffnung Kämpfe und Kontroversen zwischen Traditionalisten und Reformern aufbrechen würden, hatte Sicherheitsberater Schwerin noch kurz vor seiner Absetzung Ende Oktober 1950 dem Kanzler bereits beim Lagevortrag über die Arbeitsergebnisse prophezeit.

Unrealistischer Zeitplan

Nach der Tagung im Kloster vergingen noch fünf Jahre, bis die komplexen politischen, rechtlichen und bündnispolitischen Fragestellungen geklärt werden und Theodor Blank den ersten 101 Soldaten die Ernennungsurkunden aushändigen konnte. Damit hatten sich die Vorstellungen des Studienausschusses bezüglich des Zeitplans nicht einmal im Ansatz als realistisch erwiesen. Auch Probleme bei der Personalrekrutierung durch den Wertewandel in der neu formierten westdeutschen Nachkriegs- und Konsumgesellschaft waren nahezu ausgeblendet worden.

Auch die Innere Führung hatte es zunächst schwer. Dadurch, dass sie in den Zuständigkeitsbereich des schwachen Generalinspekteurs verlagert wurde, bremsten die traditionalistischen Inspekteure der Teilstreitkräfte ihre Umsetzung in der Truppe. Erst die Reformen unter Verteidigungsminister Helmut Schmidt verhalfen ihr Anfang der 70er-Jahre endgültig zum Durchbruch.

Nichtsdestotrotz hatten die ,,Himmeroder“ einen Meilenstein für die Wiederbewaffnung gesetzt. Zum einen blieben die Überlegungen zum Streitkräfteumfang, Gliederung, Dislozierung und Ausrüstung bestimmende Parameter bis zum Ende des Kalten Krieges, zum anderen legten die Experten die Grundlage für eine völlig neue Konzeption für das „Innere Gefüge“, die bis heute als Innere Führung die Führungskultur und das Selbstverständnis der Bundeswehr in der Demokratie prägt: Die Einbindung des Soldaten und der Streitkräfte insgesamt in den demokratischen Rechtsstaat.

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Diese Errungenschaften im Kloster Himmerod vor 70 Jahren, nur fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation eines menschenverachtenden Unrechtsregimes, macht die gleichnamige Denkschrift zur Magna Charta der Bundeswehr.

von Dr. Frank Heinz Bauer

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Geheimsache "Himmerod"

Die Innere Führung der Bundeswehr hat ihre Wiege im Kloster Himmerod in der Eifel.
Im Oktober 1950 ließ dort der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer unter größter Geheimhaltung die ersten Überlegungen zur Wiederbewaffnung Deutschlands entwickeln.
Das Ergebnis: Die Himmeroder Denkschrift, Blaupause für den Aufbau der Bundeswehr und die Konzeption der Inneren Führung. 
Wie es dazu kam, was im Jahre 1950 in Himmerod geschah und warum die Gedanken auch heute noch aktuell
sind, erklären wir in diesem kurzen Filmbeitrag. Premiere hatte der Film während der Klausurtagung des Zentrums Innere Führung an historischer Stätte: Im Kloster Himmerod.

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ZInFüZentrum Innere Führung erinnert an 70 Jahre Himmeroder Denkschrift.
Die Innere Führung der Bundeswehr hat ihre Wiege im Kloster Himmerod in der Eifel.
Im Oktober 1950 ließ dort der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer unter größter Geheimhaltung die ersten …
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von Tim Kullmann