„Wir können nur dann große Opfer erwarten, wenn wir unsere Hausaufgaben erledigen.“

„Wir können nur dann große Opfer erwarten, wenn wir unsere Hausaufgaben erledigen.“

Datum:
Ort:
München
Lesedauer:
6 MIN

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Die Innere Führung der Bundeswehr - aktuelle Herausforderungen und Handlungsfelder“. Über dieses Thema diskutierten  rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „8. DialogForums Sicherheitspolitik“ der Landesgruppe Bayern des Reservistenverbandes in München. Ein Tagungsbericht. 

Michael Scheller

Die Sicherheit Deutschlands wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als gegeben und Frieden als Normalzustand wahrgenommen. Dies ist 74 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht verwunderlich. Die Folge: das Interesse für Sicherheitspolitik ist rückläufig.

Auf der anderen Seite stehen neue Bedrohungen und Herausforderungen. Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit verwischen zunehmend.

Dennoch und gerade deswegen hat sich die Bundesregierung auf den Weg gemacht, Deutschlands militärpolitische Rolle in der Welt neu zu justieren: mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, muss hergeleitet, begründet und allgemeinverständlich erklärt werden.

Dabei müssen die deutschen Soldatinnen und Soldaten zunehmend kritische Fragen nach dem Sinn ihres Dienstes und weltweiter Einsätze beantworten. Welche Rolle spielt hierbei die Innere Führung? 

Über 150 Gäste aus Politik, konsularischen Vertretungen, der Wirtschaft, Bildungseinrichtungen und der Bundeswehr hatten der Reservistenverband, die Thomas-Dehler-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die Gesellschaft für Sicherheitspolitik und das Bildungswerk des Deutschen Bundeswehrverbandes zum „DialogForum Sicherheitspolitik“ in das Münchner Hotel Bayerischer Hof eingeladen.


Wie lange hat es gedauert, bis die Politik das Wort „kämpfen“ in den Mund genommen hat?

Der ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Dr. Reiner Stinner, kritisiert: „Die Streitkräfte sind ein solch wichtiges Instrument deutscher Sicherheitspolitik und das „Weißbuch 2016“ ist das beste, das wir bislang herausgegeben haben. Dennoch war die Diskussion über die Ziele Deutschlands und den Auftrag der Bundeswehr völlig ungenügend. Sind wir bereit, dafür unsere Ressourcen, unsere Frauen und Männer einzusetzen? Wie lange hat es gedauert, bis die Politik bereit war, das Wort ‚kämpfen’ in den Mund zu nehmen?“ Seine zentrale Feststellung: Das Verständnis über die Bedeutung der Sicherheitspolitik in Deutschland sei deutlich unterentwickelt: in der Gesellschaft, den Medien, sogar im Bundestag. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr sei verbesserungswürdig.  „Warum treten außer dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes keine Offiziere in Talkshows auf?“ Wann erfolge ein überparteiliches ehrliches Management der sicherheitspolitischen Vorgänge, wie es in der aktuellen Diskussion um die Einführung eines Bundessicherheitsrates seines Erachtens zurecht gefordert werde?

Die Diagnose der in München anwesenden Verteidigungspolitiker ist einhellig: Ohne Wehrpflicht, mit immer weniger Standorten, mit riesigem Personalbedarf und angesichts vieler kritischer Schlagzeilen um die Trendwenden Personal, Ausrüstung und Finanzen braucht es gute Ideen, die Belange der Streitkräfte in der Öffentlichkeit hoch zu halten.


Geht raus zu den Bürgern und tragt unsere Bundeswehr in die Gesellschaft

Staatssekretär a.D. Johannes Hintersberger, Mitglied des Bayerischen Landtages und Oberstleutnant der Reserve: „Es liegt an uns, die Leitplanken für die Gesellschaft zu erneuern und die Verbindung zur Bundeswehr zu bekräftigen. Das kostenlose Bahnfahren ab 2020, die Feierlichen Gelöbnisse zum jährlichen Geburtstag der Bundeswehr, die hauptamtlichen Jugendoffiziere, Millionen engagierter Reservistinnen und Reservisten, die Armee der Einheit sowie Aktionen wie die ‚gelbe Schleife“ sind sehr gut geeignet, um die Bundeswehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Geht als Multiplikatoren raus zu den Bürgern und tragt unsere Bundeswehr in die Gesellschaft“, so sein Appell an die Teilnehmenden.

Nadja Hirsch, Vorständin in der Thomas-Dehler-Stiftung und bis 2019 Abgeordnete des Europäischen Parlaments, bewertet die mit der Inneren Führung verbundenen Themen Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit sowie die Pflicht, selbst zu denken, als hoch modern und attraktiv. Wir erlebten eine breite Diskussion um die Mitte. „Wo aber bitte ist die Mitte? Welche Werte vertritt die Mitte? Nur der, wer selbst reflektiert, kann gute Entscheidungen treffen“, so Hirsch. Die Herausforderungen seien in vielen Bereichen die gleichen: auch in der Wirtschaft werde über agile mindsets diskutiert.

Generalmajor Zudrop und der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner (re.) auf dem Podium.

Michael Scheller

Dies bestätigt auch Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall aus Berlin und Mitglied des Beirats Innere Führung. „Die Bundeswehr ist für mich unverändert ein wesentlicher Bildungsträger für die Gesellschaft. Das Thema Führung wird wichtiger, insbesondere unter den Aspekten der Globalisierung und Digitalisierung.“ Es gäbe sehr viele Dinge, die sich die Wirtschaft von der Bundeswehr abschauen könne, so Zander. Beispielhaft nennt er die Vertretung von Führungskräften durch Reservistinnen und Reservisten, die zu jedem Zeitpunkt ihrer Reservistendienstleistung führungsfähig und vor allem entscheidungswillig seien. Dies habe er in der Wirtschaft an mehreren Stellen schon anders erlebt. Sein Standpunkt: Dahinter stehen nicht nur eine gute handwerkliche Ausbildung als Führungskraft, sondern vor allem gelebte Werte.


Gelebte Werte schaffen Mehrwerte

Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor Reinhardt Zudrop

Michael Scheller

Werte sind das Stichwort des Hauptredners des 8. DialogForums Sicherheitspolitik, Generalmajor Reinhardt Zudrop. Er ist der Kommandeur des Zentrums Innere Führung und quasi von Berufswegen dafür zuständig, die Unternehmensphilosophie der Bundeswehr zu erklären. Zudrop macht drei Handlungsfelder ausfindig, die aktuell besonders auf die Bundeswehr wirkten: tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft, eine sich radikal verändernde Kommunikations- und Medienlandschaft sowie die ungeheure Dynamik und Geschwindigkeit von Veränderungsprozessen. „Das Deutsche Heer füllt vollständig angetreten nicht einmal die Münchener Allianzarena – da habe ich den Innenraum gar nicht dazu gerechnet!“, so Zudrop. Die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft sei eines der vier übergeordneten Ziele der Inneren Führung. Es sei nach Jahrzehnten der Schrumpfung und Standortschließung kein Wunder, dass das Band zwischen Bundeswehr und Bevölkerung lockerer geworden sei. Die sichtbare Unterstützung der Bundeswehr durch eine möglichst große Mehrheit im Parlament sei ebenso notwendig wie die Präsenz im täglichen Alltag. „Lassen Sie uns unsere Soldatinnen und Soldaten durch eine gute Ausbildung und maßgeschneiderte Bildung mehr als bisher dazu ermutigen, als Multiplikator zu wirken.“ Die Bundeswehr benötige aber auch mehr Präsenz exponierter Vertreter in den Medien. Deren Aufgabe sei es, glaubwürdig über Ereignisse in der Bundeswehr zu berichten, überzeugende Narrative zu liefern und so Vertrauen zu schaffen. Beispiele wie z.B. der Auftritt eines ranghohen Generals im Frühstücksfernsehen, der alliierte Marschbewegungen in Deutschland beschreibt und den Bundesbürgern erklärt, warum sie auf der Autobahn derzeit im Stau stünden, gebe es zu wenige.


Resilienz durch Bildung und Erziehung

Wenn wir heute die Bundeswehrangehörigen auffordern, sich aktiv in den sozialen Medien zu positionieren, dann kann dies nach Zudrop nur auf der Basis gemeinsamer Normen und Werte erfolgen. „Werte und Normen von Zivilgesellschaft und Bundeswehr müssen sich weiterhin im selben Koordinatensystem bewegen. Der Mensch wird durch die Nutzung der Technik massiv verändert. Sind wir uns eigentlich dieser Radikalität der Veränderungen bewusst?“ Nur mit einer eigenen Urteilsfähigkeit werden sie in der Lage sein, Einflussnahmen zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Was kann die Innere Führung dazu beitragen, die Bundeswehr zukunftsfähig zu halten? Zudrop zufolge hängt die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr wesentlich von ihrer Fähigkeit ab, sich rasch wandelnden Umweltbedingungen anzupassen. Die Anpassungsfähigkeit der Bundeswehr wiederum hänge ab von der Bereitschaft der Menschen, sich selbst zu verändern und den Änderungsprozess zu gestalten. Diese Einstellung zu fördern, sei auch Aufgabe der Inneren Führung. Es liegt ihm zufolge also an jedem Angehörigen der Bundeswehr, durch eine moderne, wertschätzende Menschenführung die Soldatinnen und Soldaten dazu zu motivieren und zu erziehen, dass sie aus Einsicht notwendige Veränderung aktiv angehen und Entwicklungen als Chance begreifen. „Eine wertschätzende Menschenführung“, so Zudrop, „ist der Schlüssel zum Erfolg.“

Wenn die Soldatinnen und Soldaten ihre Gesundheit und ihr Leben für Deutschland aufs Spiel setzen, dann verdient dies Anerkennung, Rückhalt und Wertschätzung an vielen Stellen – in der Gesellschaft und in der Politik, sind sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion einig. Bliebe dies nachhaltig aus oder würde dies dauerhaft verwehrt, dann riskierten Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger Herausforderungen an Stellen, an denen sie sie sicher nicht gebrauchen können.

von Thomas Flink

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