Territoriale Verteidigung

Deutschland: Drehscheibe der NATO

Wenn alliierte Verstärkungskräfte zur Rückversicherung und Abschreckung an die NATO-Ostflanke verlegen, werden sie auf ihrem Weg durch Deutschland unterstützt – eine Aufgabe, die das Zusammenwirken militärischer und ziviler Akteure erfordert. Ein Szenario des Host Nation Supports im Beispiel.

Zwei Soldaten stehen an einem Checkpoint

Es geht nur gemeinsam: So werden alliierte Streitkräfte in Deutschland unterstützt

Es ist ein fiktives Szenario, angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine jedoch eine Lage, auf die es sich vorzubereiten gilt: Eine Großübung Russlands an den unmittelbaren Außengrenzen des Bündnisgebiets alarmiert die NATO-Partner. Aufklärungsergebnisse weisen darauf hin, dass sich etwa 250.000 russische Soldatinnen und Soldaten sowie schwere Waffen im russischen Grenzgebiet befinden.

Die Bedrohungsanalyse ergibt, dass ein Angriff im Nordosten des Bündnisgebiets nicht ausgeschlossen werden kann. Die NATO verstärkt zur Abschreckung umgehend ihre Kräfte in Polen und im Baltikum. Die alliierten Streitkräfte verlegen mehrheitlich durch Deutschland in ihre Einsatzräume.

Alliierte Kräfte unterstützen, eigenen Auftrag vorbereiten

Die Bundesrepublik als Host Nation, also als Gastgeberland, und Drehscheibe in der Mitte Europas unterstützt dabei gemäß NATO-Vereinbarungen umfassend den Transit der alliierten Truppen – mit Transportbegleitung, Rasträumen, Treibstoff, Verpflegung und mehr.  Die Herausforderung: Auch eine große Zahl deutscher Soldatinnen und Soldaten ist bereits auf dem Weg in den Einsatzraum. Sie haben den Auftrag, die östlichen NATO-Partner zu verstärken und gemeinsam den potenziellen Aggressor abzuschrecken.

Die Bundeswehr im Grundbetrieb kann daher die Streitkräfte befreundeter Nationen bei ihrem Transit durch Deutschland nicht allein unterstützen. Reservedienstleistende im Heimatschutz werden zusätzlich für Wach- und Sicherungsaufgaben eingesetzt, weil die Bedrohungslage durch hybride Angriffe in Deutschland steigt. 

Auch zivile Behörden, Blaulichtorganisationen und Vertragspartner aus der Wirtschaft sind in den sogenannten Host Nation Support eingebunden. Diese Unterstützungsleistungen – militärisch und zivil – zu koordinieren, ist eine der Hauptaufgaben des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Denn es führt alle Operationen der Bundeswehr im Inland im Frieden, in der Krise und auch im Spannungs- und Verteidigungsfall. 

Host Nation Support: Auf dem Weg in den Einsatzraum

So arbeiten Heimatschützerinnen und Heimatschützer, Soldatinnen und Soldaten der Feldjägertruppe, ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkräfte und Logistiktruppen mit Landespolizei, dem Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz und zivile Vertragspartner zusammen.

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  • Fahrzeuge fahren in einer Kolonne
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    Die Verlegung beginnt

    Ein Fahrzeugkonvoi der USUnited States-amerikanischen Streitkräfte soll sich in Kürze aus Deutschland auf den Weg in den Einsatzraum im Nordosten des NATO-Bündnisgebiets machen. Die fiktive Marschroute führt vom Entladeflughafen (Airport of Debarkation) in Köln über Frankfurt und Gera nach Görlitz. Deutsche und USUnited States-amerikanische Kräfte der Militärpolizei besprechen die Routenführung, Rastpunkte und mögliche Gefahrenstellen. Funkgeräte werden übergeben, denn die Feldjäger der Bundeswehr begleiten den USUnited States-Konvoi bis zur deutsch-polnischen Grenze und stehen dabei in stetem Austausch. 

    Der militärische Teil des Flughafens Köln-Bonn wird als verteidigungswichtige Infrastruktur nicht nur von einem zivilen Sicherheitsdienstleister bewacht. Zusätzlich schützen auch Reservedienstleistende im Heimatschutz das Gelände, in dem sich die USUnited States-amerikanischen Kräfte befinden. Sie haben einen extra Checkpoint eingerichtet. Hilfe bekommen die Reservistinnen und Reservisten von Feldjägern und der Polizei. Die Soldatinnen und -soldaten bestreifen verstärkt das Gelände innerhalb der Liegenschaft, die zivile Polizei verstärken die Feldjäger- und Heimatschutzkräfte außerhalb des militärischen Sicherheitsbereichs.

  • Feldjäger bei einer Kontrolle
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    Hand in Hand: Heimatschützer, Feldjäger, Polizei

    Die Hauptzufahrt zum militärischen Teil des Flughafens ist durch eine inszenierte Demonstration blockiert. Der Verkehr wird daher über das Nebentor umgeleitet, das von Reservedienstleistenden im Heimatschutz gesichert wird. Hauptaufgabe am eingerichteten Checkpoint ist die Fahrzeugkontrolle. Gleichzeitig führen die Heimatschutzkräfte permanent Streifengänge in der Liegenschaft und entlang des Außenzauns durch. Hierbei arbeiten sie Hand in Hand mit Feldjägern und zivilen Polizeikräften. 

    Als die Streife der Heimatschützer auf eine fremde Person trifft, die sich ohne Berechtigung im militärischen Sicherheitsbereich aufhält und sie befragen wollen, leistet diese Widerstand. Die Soldaten nehmen den Verdächtigen fest – vielleicht ein Saboteur? –  und alarmieren die Landespolizei, um ihr den Verdächtigen zu übergeben. Zeitgleich werden die Feldjäger zur Fahrzeugkontrolle gerufen. Eine Gruppe vermeintlicher Handwerker in einem Kastenwagen hat das Misstrauen der Heimatschützer geweckt. Einer der Männer versucht zu fliehen, stoppt jedoch auf Zuruf. Mit Spiegeln wird der Unterboden des Fahrzeugs nach Sprengsätzen abgesucht, aber es ist nicht zu sehen. Der Hundeführer der Feldjäger hat mehr Erfolg. Sein Belgischer Schäferhund spürt den Kastenwagen ab und zeigt einen Gefahrstoff im Fahrzeug an. Heimatschützer und Feldjäger führen die vermeintlichen Handwerker gemeinsam ab. 

     

  • Ein Soldat im ABC Vollschutz reinigt ein Fahrzeug
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    Gegen die unsichtbare Gefahr: Die ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr

    Der Konvoi ist auf seinem Weg ins Einsatzgebiet durch Deutschland. Aus nachrichtendienstlichen Quellen liegen Erkenntnisse vor, dass mit Sabotageakten zu rechnen ist. Nahe Erfurt - so das fiktive Szenario - wurde vermutlich dadurch in einer Industrieanlage eine gefährliche Chemikalie freigesetzt. Bei der Polizei häufen sich Meldungen über unerklärliche Zusammenbrüche von Personen aus dem unmittelbaren Umfeld des Chemiewerks. Ein Lageabgleich von Polizei, zivilem Katastrophenschutz und Territorialen Führungskommando der Bundeswehr ergibt eine potenzielle Gefährdung des Konvois. 

    Die Spezialistinnen und Spezialisten der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrtruppe der Streitkräftebasis werden gerufen. Mit ihrem speziell ausgestatteten Einsatzfahrzeugen Mungo und Spürpanzer Fuchs können die Soldatinnen und Soldaten Bedrohungen durch Kampfstoffe oder vergleichbare industrielle Gefahrenstoffe aufspüren und identifizieren – voll geschützt und ohne das Fahrzeug zu verlassen. 

    Die Überprüfung zeigt: Der Konvoi ist mit der Chemikalie in Berührung gekommen. Umgehend wird an der Marschstrecke eine Station zur Dekontamination eingerichtet. Mehrere Fahrzeuge müssen behandelt werden, um ihren Kampfwert wiederherzustellen. Was nach einer intensiven Fahrzeugwäsche aussieht, ist in Wirklichkeit ein genau festgelegtes Prozedere, bei dem sich die Soldatinnen und Soldaten der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrtruppe mit Vollschutz und ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Schutzmaske schützen müssen. Nach zwei Stunden intensiver Arbeit kann der Konvoi seinen Weg weiter fortsetzen.

  • Soldaten reparieren ein Fahrzeug
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    Pause machen: Rast im Convoy Support Center

    Der Militärtransport erreicht ein so genanntes Convoy Support Center (CSCConvoy Support Centre): ein militärischer Rastplatz an der vorgegebenen Marschroute durch Deutschland. Hier können die Soldatinnen und Soldaten der alliierten Streitkräfte Pause machen: essen, duschen, sich ausruhen. Alle Fahrzeuge werden routinemäßig überprüft und betankt. 

    Im CSCConvoy Support Centre arbeiten Angehörige aus vielen Teilen der Bundeswehr zusammen: Logistikkräfte, Technikerinnen und Techniker aus der Streitkräftebasis liefern technische Unterstützung, wenn erforderlich, und versorgen den Konvoi mit Kraftstoff. Heimatschutzkräfte bestreifen in Abstimmung mit Feldjägern das umliegende Gelände und kontrollieren die Einfahrt zum CSCConvoy Support Centre. Angehörige des Sanitätsdienstes können bei Bedarf eine medizinische Erstversorgung leisten. Mitarbeitende des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr unterstützen mit Verpflegung, Unterkünften und mehr. Zukünftig sind für diese Rasträume verstärkt zivile Vertragspartner erforderlich.

  •  Einer verletzte Soldatin wird geholfen
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    Erste Hilfe für Mensch und Material

    Bei der Anmeldung des Konvois im Convoy Support Center meldet die Marschgruppenführerin der USUnited States-amerikanischen Kräfte, dass in einigen Kilometern Entfernung ein Humvee technisch ausgefallen sei. An der Landstraße ist der Schaden nicht zu beheben, so dass eine Weiterfahrt unmöglich ist. Der Leiter des CSCConvoy Support Centre informiert die Feldjäger und den Bergetrupp. Während diese die Bergung am Straßenrand vorbereiten, werden im Instandsetzungspunkt des CSCConvoy Support Centre kleinere Schäden an den bereits eingetroffenen Fahrzeugen beseitigt, Betriebs- und Kraftstoffe noch einmal aufgefüllt. 

    Eine verletzte amerikanische Soldatin wird erstversorgt. Die Soldatinnen und Soldaten des Sanitätsdienstes stellen fest, dass die Verletzung eine weitere medizinische Behandlung notwendig macht. Die Soldatin wird in ein naheliegendes ziviles Krankenhaus transportiert. 

    Nach dem Halt im CSCConvoy Support Centre setzt der amerikanische Konvoi seinen Weg ins Einsatzgebiet weiter fort. Beim nächsten Stopp werden die Soldatinnen und Soldaten übernachten. Denn auch Unterkünfte werden im Host Nation Support bereitgestellt.

  • Ein Soldat sitzt vor einem Computer
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    Keyplayer im Hintergrund: Operationszentrale und Cyberabwehr

    Alle Informationen zum Transport – von der Anzahl der beteiligten Fahrzeuge und Personen über die aktuelle Position auf der Marschroute bis hin zu besonderen Vorkommnissen – fließen in der Operationszentrale (OPZOperationszentrale) des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr in Berlin zusammen. 

    Sie erstellt und aktualisiert laufend ihr Lagebild. Dies umfasst nicht nur die militärischen Transporte der Bundeswehr und alliierter Kräfte. Zusätzlich werden Einflussfaktoren wie Wetterverhältnisse, Straßensperrungen, Meldungen der zivilen Polizei und des Katastrophenschutzes, aber auch Aufklärungsergebnisse über hybride Bedrohungen beispielweise gegen kritische Infrastruktur, Sabotage- oder Ausspähversuche dokumentiert und in einem nationalen, zivil-militärischen Lagebild zusammengeführt. Die OPZOperationszentrale ist an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden täglich durchgängig im Einsatz. 

    Auch die Spezialistinnen und Spezialisten des Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum (CIRCyber- und Informationsraum) sind in den Host Nation Support eingebunden. Die Soldatinnen und Soldaten liefern genaue Daten zum Wetter und zur Befahrbarkeit der Straßen. Die marschierende Truppe wird von ihnen mit aktuellem digitalen und auch analogen Kartenmaterial sowie Lageinformationen unterstützt. Außerdem sorgen die Expertinnen und Experten dafür, dass sensible Informationen im Funk- und Datenverkehr zwischen allen Beteiligten gesichert übermittelt werden können. Parallel beobachten sie den Cyber- und Informationsraum und wehren mögliche Angriffe auf die Bundeswehr und alliierte Streitkräfte in Deutschland ab. 

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