Mehr als Perfektion: Wie Protokollsoldatinnen und -soldaten kämpfen lernen
Mehr als Perfektion: Wie Protokollsoldatinnen und -soldaten kämpfen lernen
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 4 MIN
Beim Empfang von Staatsgästen, Zapfenstreich und Ehrengeleit geht es für die Soldatinnen und Soldaten im Wachbataillon um das perfekte Bild. Für ihren infanteristischen Auftrag – die Verteidigung von Regierungsgebäuden im Spannungs- und Verteidigungsfall – erlernen und üben sie in der Spezialgrundausbildung den Orts- und Häuserkampf.
Für die Soldatinnen und Soldaten im Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung ist Perfektion Pflicht. Im Mittelpunkt ihrer Protokollgrundausbildung steht der Drill – die ständige Wiederholung der immer gleichen Bewegungsabläufe mit dem Gewehr G21 (technische Bezeichnung des Karabiners K98), erst einzeln, dann gemeinsam und synchronisiert, bis zur perfekten Formation.
Doch sie müssen mehr können, als in militärischen Zeremonien gut auszusehen. Sie müssen kämpfen können. Denn sie sind Infanteristen und schützen im Spannungs- und Verteidigungsfall Einrichtungen und Dienstsitze der Bundesregierung in Berlin. Den Kampf im urbanen Raum erlernen die Rekrutinnen und Rekruten in der Spezialgrundausbildung.
„Der Hauptstadtauftrag ist ein Alleinstellungsmerkmal“
Die Spezialgrundausbildung dauert zwei Monate und umfasst alle Elemente des infanteristischen Handwerks. An Gewehr G36, Maschinengewehr, Granatpistole und Panzerfaust erlernen und verbessern die Rekrutinnen und Rekruten ihr individuelles Können. Im Wald-, Orts- und Häuserkampf üben sie, sich in der Gruppe zu bewegen und zu kämpfen.
Auch das kleine Kampfgespräch zählt dazu, der Austausch untereinander und mit ihrer Gruppenführung. „Die größte Herausforderung in der Spezialgrundausbildung ist der Gegensatz zwischen dem Protokollauftrag, der maximale Disziplin im Kollektiv erfordert, und dem infanteristischen Auftrag, bei dem flexibles Mitdenken und eigene Entscheidungen gefragt sind“, erklärt Kompaniechef Major Jan B. „Im urbanen Raum wird jeder Soldat zum Sensor. Jeder Einzelschütze trägt zum Gesamtbild der Lage bei und übernimmt so Verantwortung für den Erfolg der Einheit.“
Der Hauptstadtauftrag des Wachbataillons sei dabei ein Alleinstellungsmerkmal, so Jan B. Denn der infanteristische Kampf in einer Großstadt wie Berlin sei mit besonderen Herausforderungen verbunden: Enge Straßen und hohe Gebäude sorgen für schlechte Sicht- und Funkverbindungen. Geringe Kampfentfernungen erschweren den Einsatz schwerer Waffensysteme wie Schützen- und Kampfpanzer. Menschen mit und ohne Uniform können Freund, Feind oder neutral sein.
Dazu kommt eine 360-Grad-Bedrohung. In Gebäuden kann jedes Stockwerk, jedes Treppenhaus, jede Schwachstelle zum Einfalltor für feindliche Kräfte werden. „Und dann müssen die Soldatinnen und Soldaten nicht nur verteidigen können, sondern auch Gegenstöße beherrschen“, betont der Kompaniechef.
Abschlussübung im Lost Place
Die Abschlussübung bildet den Endpunkt der Spezialgrundausbildung. Sie ist Stresstest für die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit und Ausbildungshöhepunkt zugleich. Erstmals fand sie kürzlich im stillgelegten Futtermittelwerk in Rüdersdorf bei Berlin statt. „Das Fabrikgelände gleicht einem städtischem Einsatzraum weitaus mehr als Fachwerkdörfer in weiten Landschaften, wie man sie auf manchen Übungsplätzen findet“, begründet der Kompaniechef seine Entscheidung, die Übung außerhalb militärischer Trainingsgelände zu gestalten.
Der Auftrag der Soldatinnen und Soldaten bei der Abschlussübung: kritische zivile Infrastruktur vor Ausspähversuchen und Sabotage zu schützen sowie gegen direkte Angriffe zu verteidigen. Alle Abläufe im Orts- und Häuserkampf waren vorab ausgebildet und geübt worden, erst als Trockenübung in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin-Wedding, dann in der Ortskampfanlage der Berliner Landespolizei. Nun mussten sie in Echtzeit abrufbar sein: Wie betrete ich ein Gebäude? Wie sichere ich? Wie gebe ich eine Meldung weiter? Wie reagiere ich bei Feindkontakt?
„Wir standen sofort unter Spannung, als wir angekommen waren“, erzählt Gefreiter Felix Z., der seit Jahresanfang 2024 seinen freiwilligen Wehrdienst im Wachbataillon leistet. „In ein unbekanntes Gebäude hineinzugehen, ohne zu wissen, wie die Räume verbunden sind und was uns dort erwartet, war sehr aufregend.“ Doch jeder Raum, jedes Gebäude habe mehr Handlungssicherheit gegeben. „Das gab uns allen einen Riesenschub“, sagt Felix Z.
Für Überraschungen sorgten Lost-Places-Jäger und andere an der Übung Unbeteiligte, die das gesperrte Fabrikgelände unbefugt betreten hatten, um die vermeintlichen Dreharbeiten aus der Nähe zu beobachten. Sie wurden angesprochen, kontrolliert, zum Gefechtsstand gebracht und dann vom Gelände begleitet. „Das Faszinierende war: Die Rekrutinnen und Rekruten haben einfach das Erlernte angewendet, weil sie die Passanten für Rollenspieler hielten – und haben so ihre eigene Wirksamkeit direkt erlebt“, sagt Kompaniechef Jan B. zufrieden.
„Die Füße waren offen und der Geist auch“
Für ein realistisches Bild nahmen nicht nur die Rekrutinnen und Rekruten, sondern alle Angehörige der Kompanie an der Übung teil. In jeweils achtstündigen Schichten wechselten sich Bestreifen des Geländes sowie Erkunden und Verteidigen von Gebäuden, Bewachung des Geländes und Ruhezeiten ab. Ein Angriff war jederzeit möglich. „Gegen 21:30 Uhr wurde eine Drohne gemeldet. Wir rückten in unsere Stellungen ein und lieferten uns immer wieder Feuergefechte. Noch in der Dunkelheit rüsteten wir uns für den geplanten Rückmarsch“, berichtet Felix Z.
Den Abschluss der Übung bildete ein 20-Kilometer-Marsch, der von einem letzten Übungselement unterbrochen wurde. In einem Waldgebiet trafen die Soldatinnen und Soldaten auf eine feindliche Stellung, die bekämpft werden musste, bevor das letzte Stück des Weges zurückgelegt werden konnte.
„Wir hatten noch keine Minute geschlafen. Die Füße waren offen und der Geist auch“, fasst Felix Z. zusammen. Frau Gefreiter Teresa F., ebenfalls Rekrutin im Wachbataillon, ergänzt: „Die Abschlussübung war mental und körperlich ausgesprochen fordernd. Aber am Ende bleiben Stolz und gute Erinnerungen, dass man es geschafft hat.“