Brigadegeneral Frank Pieper: Wir vermessen die Welt neu
Brigadegeneral Frank Pieper: Wir vermessen die Welt neu
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 7 MIN
Brigadegeneral Frank Pieper (59) führt seit Spätherbst 2022 das Direktorat Strategie und Fakultäten an der Führungsakademie der Bundeswehr. Damit unterstehen ihm die acht Fakultäten der Akademie, Teile der Denkfabrik GIDS und das Ausbildungsprozessmanagement. Im Interview spricht er über Pläne, Ziele, Touchdowns – und den Start eines Mutterschiffs.
Herr General, seit vier Monaten stehen Sie an der Spitze des Direktorats Strategie und Fakultäten. Wie lautet Ihre erste Zwischenbilanz?
Für mich war die Versetzung an die Führungsakademie eine Art Heimkehr. An der Akademie war ich ja bereits als Teilnehmer des 39. Generalstabslehrgangs Heer sowie als Tutor und Dozent. Das Ambiente an der Akademie, den Austausch und die Diskussion mit den Lehrgangsteilnehmern habe ich immer geschätzt. Aber zu meiner neuen Funktion: Die ersten Monate haben meine Erwartungen bestätigt, denn wir haben tolle Dozenten und bilden sehr hochwertig aus. Daher fällt die erste Bilanz absolut positiv aus. Zugleich habe ich in vielen Gesprächen festgestellt, dass es Themen gibt, die wir nicht oder nur wenig strukturiert vermitteln. Etwa im Bereich Persönlichkeitsbildung und künstliche Intelligenz. Außerdem müssen wir die Vernetzung unserer Inhalte vorantreiben.
Wie reagieren Sie darauf?
Die Erkenntnisse haben zu einem abgestimmten Beschluss geführt, wonach wir die notwendigen Ausbildungsinhalte neu identifizieren, gewissermaßen die für uns relevante Welt neu vermessen. Anschließend stellen wir den Lehrplan auf den Prüfstand. Dabei geht es nicht nur darum, weiße oder blinde Flecken auszumerzen, sondern die Relevanz, Qualität und Quantität jedes einzelnen Inhalts zu bewerten. Am Ende wird ein neues, stark vernetztes Curriculum herauskommen.
In Ihrer vorherigen Verwendung als Chief Digital Officer des Heeres/ Landbasierte Operationen ging es um Ausrüstung, Prozesse und Vernetzung. An der Führungsakademie steht der Mensch im Mittelpunkt. Wie groß war oder ist der Umstellungsbedarf?
In unseren Streitkräften steht der Mensch immer im Mittelpunkt. Die Digitalisierung des Gefechts hebt zwar auf ein System ab, aber letztlich ist es ein Feldwebel, Leutnant oder Oberst, der einen Entschluss fassen muss. Somit bedarf es keiner grundsätzlichen Umstellung. Richtig ist, dass sich mein Fokus verlagert hat. Als Chief Digital Officer habe ich immer gesagt: Ich stehe hier für das Gefecht, für das scharfe Ende; ich bin nicht verantwortlich für Homeoffice und New Work. Jetzt ist es umgedreht, jetzt bin ich als Direktor Strategie und Fakultäten verantwortlich für modernes Arbeiten. Im Grunde bin ich also von dem einen Ende des Kontinuums der Digitalisierung auf das andere gewandert. Aber es ist das gleiche Menschenbild, das dahintersteht.
Welche Ziele haben Sie sich als Direktor Strategie und Fakultäten gesteckt?
Wie eingangs angedeutet, wollen wir in der Lehre einen roten Faden knüpfen, eine Landkarte der Ausbildung erstellen. Und das meine ich wörtlich. Ich möchte, dass zu Beginn jedes Unterrichts gezeigt wird, wo wir gerade sind. Wo im Bereich des Wissens? Wo im Bereich der Kompetenzen? Damit lässt sich jeder einzelne Unterricht in diese Karte einordnen. Daneben muss es unser Anspruch sein, in jeder Vorlesung einhundertprozentig zu performen. Die Lehrgangsteilnehmerin, der Lehrgangsteilnehmer soll das Gefühl bekommen, die Dozentin oder der Dozent sei nur wegen ihr oder ihm erschienen. Die Zeiten, in denen die bloße Teilnahmemöglichkeit schon Gunst und Belohnung genug war, sind längst vorbei. Wir müssen jeden Tag etwas bieten.
Allein schon wegen Ihres Werdegangs überrascht mich, dass Sie die Digitalisierung nicht erwähnen.
Das ist für mich nur ein Enabler, ein Mittel zum Zweck. Bereits vor zwei Monaten habe ich entschieden, dass wir den Lehrgangsteilnehmern bis spätestens Ende dieses Jahres alle Lehr- und Lerninhalte digital bereitstellen, auf Link and Learn, der Ausbildungs- und Kommunikationsplattform der Bundeswehr im Internet. Das muss ich nicht als Ziel setzen, das wird einfach durchgesetzt. Weil Digitalisierung zu einer modernen Akademie selbstverständlich dazugehört.
Welche konkreten Vorhaben und Projekte planen Sie?
Anfang April starten wir die vorläufige Nutzung unseres Innovationslabors, des iLab. Die Architektur und Ausstattung des iLab ermöglichen das Lernen mit agilen Methoden und auf höchstem technischen Niveau. Ein Fokuspunkt wie dieser, an dem die Menschen zusammenkommen und die Digitalisierung haptisch wahrnehmen können, ist wichtig; das habe ich selbst erfahren. Zunächst werden wir das iLab für die Ausbildung unserer Ausbilder nutzen und vermitteln, wie man eine schwierige Unterrichtsgruppe knacken, ein sperrig wirkendes Thema angehen und eine Methode überraschend einsetzen kann. Schon ist die Gruppe aufgeknackt, schon verschwinden Vorbehalte gegenüber dem vermeintlich trockenem Thema. Haben wir unsere Dozentinnen und Dozenten erst einmal ausgebildet, wollen wir das iLab auch für andere Institutionen der Bundeswehr öffnen.
Wann soll das erfolgen?
Mit der Ausbildung der eigenen Dozenten beginnen wir in diesen Tagen. Mit der Öffnung nach außen voraussichtlich Anfang nächsten Jahres. Aber das ist nur der Anfang, denn das „iLab“ muss man sich wie eine Art Mutterschiff vorstellen, an dem immer weitere Schiffe andocken. Ein erstes Tochterschiff, eine erste Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten haben wir bereits: unser Wargaming Center mit seinen Konfliktsimulationen in Form von Brettspielen. Die folgenden Tochterschiffe sollen zum Beispiel künstliche Intelligenz, erweiterte und virtuelle Realität nutzen. Die Beratung vor Ort übernimmt ein professionelles Betreiberteam. Damit schaffen wir eine einzigartige Ausbildungseinrichtung. Geerbt habe ich diese Idee von meinen Amtsvorgängern Brigadegeneral a.D. Boris Nannt und Brigadegeneral André Abed. Zusammen mit unserer Abteilung Ausbildungsprozessmanagement, und wesentlich unterstützt vom Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr, haben sie das vehement nach vorn getragen.
Enden damit die Zeiten des Frontalunterrichts?
Nein, das ist eine Fehleinschätzung. Ebenso die Vorstellung, Arbeit in Kleingruppen sei die Krönung der Erwachsenenbildung. Ohne dass ich etwas vorwegnehmen will: Ich glaube, dass wir bei den harten Wissensanteilen sogar wieder vermehrt in den Vorlesungscharakter gehen werden. Wo das Wissen mit hoher Kadenz an die Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer weitergereicht und erst anschließend in gruppendynamischen Prozessen verarbeitet wird. Natürlich wäre das ein Einschnitt, aber was vor 20 Jahren als Gesetz galt, darf uns heute nicht drangsalieren.
An der Führungsakademie sind Sie auch zuständig für die Denkfabrik der Bundeswehr, das German Institute for Defence and Strategic Studies, kurz GIDS. Welche Rolle spielt der Thinktank im Gefüge der Akademie?
Zunächst einmal muss man sagen: Hut ab und Respekt für das, was im GIDS in den vergangenen fünf Jahren geschaffen wurde. Und das mit einer sehr überschaubaren Personalausstattung. Das GIDS als Kooperation der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg einerseits und der Führungsakademie andererseits hat sich etabliert, seine Produkte werden nachgefragt. Jetzt muss es sich konsolidieren und ein Renommee mit Anziehungskraft erarbeiten. Den eingeschlagenen Weg in Richtung Symbiose mit den Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmern halte ich für absolut richtig. Nicht nur, weil wir ihnen den Masterstudiengang Militärische Führung und Internationale Sicherheit der HSU anbieten können. Sondern auch, weil wir ihnen die Möglichkeit zum Publizieren und damit zur Beteiligung am sicherheitspolitischen Diskurs eröffnen. All das können wir über das GIDS leisten.
Der angesprochene sicherheitspolitische Diskurs wird seit Februar 2022 vom russischen Angriff auf die Ukraine geprägt. Wie wirkt sich die Zeitenwende auf die Lehre an der Führungsakademie aus?
Die Führungsakademie der Bundeswehr hat nie darauf verzichtet, Landes- und Bündnisverteidigung sowie das Gefecht der verbundenen Waffen auszubilden. Nichtsdestotrotz haben wir reagiert und unsere Übungsszenarien geografisch auf Regionen der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke fokussiert. Aber das ist eine relativ marginale Anpassung. Wie gesagt: Wir haben das Thema Landes- und Bündnisverteidigung zu keiner Zeit verlassen. Genauso plädiere ich dafür, dass wir jetzt nicht die Ausbildung für internationales Krisenmanagement und Stabilisierungsoperationen über Bord werfen. Schließlich hat alles, was wir hier lehren, einen Langzeiteffekt. Die Stabsoffiziere sind ja noch 20 bis 30 Jahre in der Armee; und alles, was wir nicht ausbilden, fehlt ihnen später. So gesehen ist unsere Lehre eine Art Langzeitantibiotikum.
Zum Schluss ein Abstecher zum Sport: Sie ziehen gern Vergleiche zum American Football. Warum?
American Football ist ein hochgradig strategisches Spiel. Einzelne Spieler bis hin zu kleinen Gruppen greifen wie Zahnräder ineinander. Sowohl in der Offensive als auch Defensive. Chef des Ganzen ist der Quarterback: Er erkennt die Chancen und gibt vor, was zu tun ist. Jeder hat seine Aufgabe, jeder muss auf die Spielzüge der anderen Mannschaft reagieren. Manche machen das sehr robust; manche, indem sie das Spiel lesen. Dieses Zusammenwirken kann man durchaus mit dem Gefecht der verbundenen Waffen vergleichen.
Als Quarterback des Direktorats Strategie und Fakultäten: Was wäre für Sie ein Touchdown?
Die Vermessung der Welt, unserer Ausbildungslandkarte, bis zum 1. Oktober 2023. Einen zweiten Touchdown verbuchen wir, wenn der Lehrplan in sich vernetzt und durch einen klaren roten Faden verbunden ist – bei größtmöglicher Transparenz und im größtmöglichem Konsens mit den Dozentinnen und Dozenten. Das ist mein Ziel für den Lehrgang Generalstabs-/ Admiralstabsdienst National, der im Herbst 2024 beginnt. Wenn wir dann auch noch für die Durchgänge des Basislehrgangs Stabsoffizier 2025 eine vergleichbare Situation herstellen, ist das der Touchdown mit Zusatzpunkt.
Herr General, vielen Dank für das Gespräch.