Wenn Krieg Spuren auf der Seele hinterlässt

Wenn Krieg Spuren auf der Seele hinterlässt

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
4 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Er schreit. Er rastet völlig aus. Im Schlaf würgt er sogar seine Frau. Einmal sind es Kleinigkeiten, die ihn vollkommen aus der Reserve locken, ein anderes Mal sind es Albträume. In ein Einkaufszentrum zu gehen, ist für ihn unvorstellbar. Die Menschen wirken für ihn bedrohlich. So bedrohlich, dass er immer wieder nach seiner Waffe greifen will. Nur sein „Buddy“ kann ihn in einer solchen Situation beruhigen. Doch der muss beim Shoppen draußen bleiben. Denn Hunde sind dort nun mal nicht erlaubt. Der Mann, von dem hier gesprochen wird, ist Soldat. Er kam traumatisiert aus dem Afghanistan-Einsatz zurück. Dass er an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBSPosttraumatische Belastungsstörung leidet, möchte er zuerst nicht wahrhaben. Die Szene könnte im wahren Leben so passiert sein, doch in diesem Fall stammt sie aus dem Stück „Kampfeinsatz“ von der Theatergruppe Axensprung aus Hamburg. Diese wollte mit ihrer Vorstellung an der Führungsakademie der Bundeswehr vor allem eines – zum Nachdenken anregen.

Die Theatergruppe Axensprung aus Hamburg zeigt an der Führungsakademie der Bundeswehr ihr Stück Kampfeinsatz.

Die Theatergruppe Axensprung aus Hamburg präsentierte an der Führungsakademie der Bundeswehr ihr Stück Kampfeinsatz.

Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel

Alles, was dafür notwendig ist, sind vier Schauspieler, vier Stühle, eine Leinwand und ein paar Requisiten wie beispielsweise verschiedene Jacken, einen Rucksack und eine Maske. Die Krankheit wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Mal steht die Ehefrau des betroffenen Soldaten auf der Bühne, ein anderes Mal verwandelt sie sich in eine Mutter. Sie erzählt, wie es sich anfühlt, ihre Tochter in den Krieg ziehen zu lassen und wie sie sich in dieser Zeit um die Enkel kümmert. Derweil kämpft der betroffene Soldat beim Arzt, um die Anerkennung seiner Krankheit, ein anderes Mal arbeitet er die Erlebnisse bei einem Psychologen auf.

Lehrgangsteilnehmende vertiefen ihre Kenntnisse zum Thema PTBSPosttraumatische Belastungsstörung

Es ist ein Thema, das berührt und wie der Direktor Strategie und Fakultäten an der Führungsakademie der Bundeswehr, Brigadegeneral Boris Nannt, zu Beginn der Veranstaltung betont, „ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.“ Denn PTBSPosttraumatische Belastungsstörung hat in seiner Bedeutung für die Bundeswehr in den vergangenen Jahren zugenommen. „Es war schon immer ein Thema beim Basislehrgang Stabsoffizier, aber auch beim Lehrgang General- und Admiralstabsdienst National (LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National) wurde die Thematik PTBSPosttraumatische Belastungsstörung  angesprochen“, sagt die stellvertretende Leiterin der Fakultät Sanitätsdienst und Gesundheitswissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr, Oberstarzt Dr. Cordula Becker-Ebert. In diesem Jahr konnten sich die Lehrgangsteilnehmenden mit dem Experten Oberstarzt Dr. Peter Zimmermann vom Bundeswehrkrankenhaus Berlin austauschen. „Wir sind der Meinung, dass es für das Führungspersonal unglaublich wichtig ist, in diesem Gebiet vertiefende Kenntnisse zu erlangen“, so Dr. Becker-Ebert weiter.

Angehörige sollten hartnäckig sein

Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat Dr. Zimmermann tagtäglich mit Soldaten zu tun, deren Seele und Psyche einen Auslandseinsatz nicht verkraften haben. „Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist eine psychische Erkrankung. Die kann eintreten, wenn man durch welche Umstände auch immer etwas erlebt, das den ursprünglichen Erlebnisrahmen sprengt. Das heißt: katastrophale Ereignisse, Ereignisse, die tief erschüttern, was man so an Wertvorstellungen in sich trägt, die dann häufig Ängste erzeugen. Und ein Gefühl, sich in seiner Umwelt nicht mehr wohl oder vertraut zu fühlen“, erklärt Dr. Zimmermann. So können die Betroffenen unter anderem an Alb- und Tagträumen leiden, sie sind häufig nervös, angespannt und aggressiv, sie ziehen sich aus ihrem Umfeld zurück und nehmen damit kaum noch am Leben teil. „Die Isolation ist häufig sehr qualvoll für alle Beteiligten“, sagt Dr. Zimmermann. Denn vor allem Familien und Freunde merken schnell, dass etwas nicht stimmt. „Es ist wichtig, dass diese Menschen gut trainiert sind, die Betroffenen anzusprechen. Dabei ist es wichtig, einen Mittelweg zu finden, sie dürfen nicht zu aufdringlich sein, damit sich die Betroffenen nicht weiter zurückziehen, weil sie Angst haben, dass man ihn buchstäblich etwas aus der Nase zieht. Sie sollten auf der anderen Seite aber hartnäckig sein und es immer wieder versuchen und nicht irgendwann frustriert aufgeben - alles mit dem Ziel, den Betroffenen eine gute Unterstützung zu geben und sie aber auch zu motovieren. Rein in die Therapie, weitermachen, dranbleiben. Das sind wichtige Aufgaben.“

Eines sollte nicht vergessen werden

Doch das ist häufig einfacher gesagt, als getan: Das wird auch beim Theaterstück sichtbar. Die Ehe des Soldaten geht in die Brüche, das Paar hat sich durch die Krankheit auseinandergelebt. Doch am Ende schafft es der betroffene Soldat der Posttraumatischen Belastungsstörung mit vielen Gesprächen die Stirn zu bieten. Denn eines sollte laut Dr. Zimmermann nicht vergessen werden: „Posttraumatische Belastungsstörungen lassen sich heutzutage gut behandeln. Man kann in Gesprächen mit einem ausgebildeten Traumatherapeuten die Traumata und ihre Folgeerscheinungen gut verarbeiten und aufarbeiten.“



von Führungsakademie der Bundeswehr/ Sophie Düsing  E-Mail schreiben

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Passen Sie jetzt Ihre Datenschutzeinstellungen an, um dieses Video zu sehen

Datum:
Transkription des Videos
Oberstleutnant Matthias Engelke äußert sich zum Theaterstück
Oberstleutnant Matthias Engelke Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel
„Ich konnte mich gut in die Rollen hineinversetzen. Die Schauspieler haben das klasse gemacht. Das Thema wurde sehr realistisch dargestellt.“
Oberregierungsrätin Dorthe Kramer äußert sich zum Theaterstück Kampfeinsatz
Oberregierungsrätin Dorthe Kramer Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel
„Der Titel des Theaterstücks hat mich neugierig gemacht. Die Schauspieler haben den Leidensdruck der Betroffenen deutlich gemacht. Ich fand es sehr interessant, dass auch über den Hund gesprochen wurde, der dem Soldaten in dieser schweren Zeit zur Seite gestanden hat."
Brigadegeneral Boris Nannt äußert sich zum Theaterstück
Brigadegeneral Boris Nannt Führungakademie der Bundeswehr/Lene Bartel
„Das Theaterstück hat die Krankheit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Es ist wichtig, dass wir über dieses Thema sprechen.“
Barbara Marschallek äußert sich zum Theaterstück
Bibliotheksoberamtsrätin Barbara Marschallek Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel
„Mich hat die Aufführung sprachlos gemacht. Ich fand die schauspielerische Leistung sehr beeindruckend. Das Thema wurde von allen Facetten gut beleuchtet, die Zerrissenheit des Betroffenen wurde deutlich.“
Oberst i.G. Michael Strunk äußert sich zum Theaterstück
Oberst i.G.Michael Strunk Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel
„Ich war selbst in Afghanistan und habe einiges von den Bildern, die im Hintergrund gezeigt wurden, wiedererkannt. Mir hat gefallen, wie die Dialoge aufgezogen wurden."

Interview mit Oliver Hermann von der Theaterguppe Axensprung

Schauspieler Oliver Hermann:

Wir haben 2014 unsere Produktion „Weltenbrand“ zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges uraufgeführt und sind damit auf ungeheure Resonanz gestoßen. Die Hauptfigur zerbricht am Ende seelisch und moralisch. Bei unseren Tourneereisen kam dann fast zwangsläufig die Frage auf, wie es heute - 100 Jahre später - deutschen Soldaten nach Einsätzen geht, wie sie das Erlebte verarbeiten, oder eben nicht.

Bis 2015 hatten sich immer mehr Soldaten und Soldatinnen mit PTBSPosttraumatische Belastungsstörung öffentlich geouted, beispielsweise in Talkshows und autobiografischen Büchern.
Das fanden wir berührend und als Theaterthema politisch relevant.

Kulturbehörde, Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und Körberstiftung haben unsere Idee begeistert aufgenommen und uns gefördert.


Schauspieler Oliver Hermann:

Die Menschen für ein politisch hochbrisantes Thema, das noch immer nur zu gern totgeschwiegen wird, zu sensibilisieren und darüber aufzuklären.

Schauspieler Oliver Hermann:

Wir haben mehrere Interviews mit Betroffenen, aber auch mit namhaften Traumatherapeuten und -therapeutinnen geführt, um Informationen aus erster Hand zu bekommen. Zusätzlich haben wir so ziemlich alles gelesen, was an autobiografischer Literatur zu der Zeit erschienen ist.

Schauspieler Oliver Hermann:

Die Aufgabe eines Schauspielers ist es grundsätzlich, sich in andere Menschen mit zum Teil extremen Lebensgeschichten hineinzuversetzen. Das ist in diesem Fall nichts anderes, als wenn ich auf der Bühne im „Woyzeck“ von Büchner einen schizophrenen Mörder, oder in einem Fernsehspiel einen an Krebs erkrankten Vater spiele.

Man muss bei dieser Art von Arbeit sehr gut zuhören, ein hohes Maß an Empathie mitbringen und darf sich vor allem nicht durch das Geschilderte abschrecken, oder abstoßen lassen. Nur durch intensives Hineinfühlen in die Erlebniswelt eines Soldaten im Einsatz kann ich vielleicht eine Figur schaffen, die diesem am Ende gerecht wird.

Die positive Resonanz bei den vielen Auftritten vor erfahrenen Einsatzsoldaten und Soldatinnen hat zu unserer Freude bestätigt, dass wir wohl nicht schlecht recherchiert und inszeniert haben.

Schauspieler Oliver Hermann:

Die Recherchen und Interviews haben im Herbst 2014 begonnen, im Winter haben wir das Stück gemeinsam in seiner Struktur entwickelt und geschrieben, im April 2015 wurde es uraufgeführt.
Das ist für unsere Verhältnisse sehr schnell!

Eine große Herausforderung war unser Anspruch, den Betroffenen gerecht zu werden und deren Erlebnisse und ihren Umgang mit der Erkrankung, das seelische Leiden, das häufige Unverständnis der Gesellschaft, aber auch des persönlichen Umfeldes nachvollziehbar abzubilden. Gleichzeitig sollte unsere eigene Ambivalenz in Bezug auf die weltpolitische Situation und die sich verändernden Herausforderungen an die deutsche Parlamentsarmee im 21. Jahrhundert deutlich werden.

Das Projekt war auch eine kritische Auseinandersetzung mit eigenen Standpunkten, früher und heute.