Über den Krieg der Zukunft
Über den Krieg der Zukunft
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 7 MIN
Wie können die deutschen Streitkräfte in künftigen Konflikten bestehen? Mit dieser Frage hat sich der Lehrgang Generalstabs- und Admiralstabsdienst National (LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National) 2020 in seiner Studienphase befasst. Die Ergebnisse, kritisch und kreativ ausgearbeitet, sind jetzt dem Generalinspekteur der Bundeswehr präsentiert worden.
Surrend richtet sich „Wolfgang“ auf. Seine Gegenüber scheint er mittels Kamera und zwei grüner Lichtleisten zu fixieren. Dann wieder stapft er auf allen Vieren umher, haarscharf an den umstehenden Generalen, Stabsoffizieren und Zivilisten vorbei. In diesem Moment zieht er die Blicke auf sich – und spielt doch nur eine Nebenrolle bei der Ergebnispräsentation des LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020. Unter dem Titel „Krieg der Zukunft?! Operative Herausforderungen des Multi-Domain-Battlefield für die Bundeswehr“ geht es dort um das große Ganze. „Wolfgang“, der Roboterhund in Flecktarn, die Drohne zu Fuß ist da nur eines von vielen Beispielen für Ideen, Innovationen und Konzepte, die das künftige Schlachtfeld beeinflussen oder gar prägen könnten.
Zahlreiche Admirale, Generale und hochrangige zivile Führungskräfte sind an diesem Tag nach Hamburg gekommen, um in der Führungsakademie die Präsentation samt Zukunftsmesse zu sehen. Allen voran: der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn. Der ranghöchste Soldat hatte das Thema vorgegeben und erklärt: Um in den Konflikten des 21. Jahrhunderts zu bestehen, „müssen wir dimensionsübergreifend denken, planen und kämpfen“. Demnach sind die Streitkräfte entlang der Dimensionen Land, Luft, See, Weltraum, Cyber- und Informationsraum auszurichten. „Ein Thema von existenzieller Bedeutung“, sagt Generalmajor Oliver Kohl, Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, in seiner Begrüßung.
Kaltstart- und siegfähig
Als Oberstleutnant Michael Jappsen und Korvettenkapitän Alexander Heinrich an die Rednerpulte im abgedunkelten Gneisenau-Saal treten und in das Thema einführen, gehört die Bühne dem LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020. Was der Lehrgang nun präsentiert, sind die Ergebnisse seiner Studienphase. Ihre Bearbeitung hat ein gemeinsames Verständnis von 117 Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmern aus zwölf Staaten erfordert und schließlich zur Erstellung eines mehr als 100 Seiten umfassenden Papiers geführt. Das Ziel: konkrete Handlungsempfehlungen für das Bundesministerium der Verteidigung. Die Empfehlungen sollen dazu beitragen, die deutschen Streitkräfte zukunftsfähig, kaltstart- und siegfähig auszurichten.
Kaum hat Korvettenkapitän Heinrich seine Einleitung begonnen, stellt er die zentrale Frage: „Wie kämpfen wir in der Zukunft?“ Um zu belastbaren Antworten zu gelangen, hat der LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National Konzepte von Verbündeten, Partnern und potenziellen Gegnern ausgewertet und sich mit technologischen, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Trends befasst. Daraus abgeleitet wurden drei Zukunftsszenarien, sechs Handlungsfelder, rund 50 Herausforderungen, 100 Lösungsideen und ein „Zielbild Bundeswehr“. Die darin enthaltenen Vorschläge beziehen sich unter anderem auf Führung, Aufklärung, Wirkung und Unterstützung, operative und strategische Ansätze sowie auf die „Human Dimension“, auf den Menschen in Krieg und Krise.
Der Mensch als Dreh- und Angelpunkt
Dass der Mensch auch künftig im Zentrum aller Bemühungen stehen muss, unterstreichen Oberstleutnant Michael Benz und Flottillenarzt Dr. Susanne Brechtel. Beide Offiziere stellen das Handlungsfeld „Funktionale Robustheit“ vor. Eine Kernaussage: Angesichts der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit auf dem Gefechtsfeld ist der Mensch an seine biologische Leistungsgrenze zu führen, gegebenenfalls auch darüber hinaus. Schlüssel zum Erfolg sei das Ausschöpfen des physischen, psychischen und kognitiven Potenzials, ebenso die Steigerung der mentalen Widerstandsfähigkeit. Zudem sollten die Möglichkeiten sowie die ethischen und rechtlichen Implikationen künstlich herbeigeführter Befähigungen, zum Beispiel durch Medikamente oder Implantate, analysiert und diskutiert werden.
Die anschließende Zukunftsmesse im und vor dem Manfred-Wörner-Zentrum, kurz MWZ, führt vor Augen, was auf dem Schlachtfeld der Zukunft zum Einsatz kommen könnte. So stehen im Außenbereich ein neu entwickelter Kampfpanzer mit 130-Millimeter-Kanone, der nach Herstellerangaben zur Steuerung zugewiesener unbemannter Luft- und Bodenfahrzeuge befähigt ist; die Studie einer 155-Millimeter-Haubitze mit unbemanntem Turm und einer Reichweite von bis zu 60 Kilometern; eine in der Erprobung befindliche Laserkanone für die bodengebundene Luftverteidigung, vor allem gegen Drohnen. Im Gebäudeinneren wiederum bahnt sich der Roboter „Gereon 2“ seinen Weg. Technisch erst einmal ausgereift, soll er im teilautonomen Verbund mit Drohnen Zieldaten erfassen und die Fähigkeit zur Feuerunterstützung erweitern.
Wie die Teile eines Mosaiks
In weiteren Räumen des MWZ gehen Lehrgang und Aussteller auf Führungsfähigkeit, Ausbildung, Innovation und Operative Konzepte ein. Im Modul Kampfgemeinschaft der Zukunft informiert das Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe über „Smart Textiles“. Letztere können dank leitfähiger Strukturen als Strom- und Datenleitung dienen. Am Nachmittag bittet der LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National noch einmal in den Gneisenau-Saal und stellt die zentralen Take-aways vor, darunter: die Empfehlung, in der Bundeswehr Teststrukturen für „Mosaic Warfare“ zu schaffen. Das operative USUnited States-Konzept soll eine überlegene Kriegführung im 21. Jahrhundert sicherstellen – durch die Kombination und Vernetzung von Einheiten und Systemen, wie bei den Teilen eines Mosaiks. Damit bietet sich das Potenzial, auch in unvorhergesehenen Lagen die Initiative zu gewinnen.
Am Ziel ist der LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National, als er die Studienergebnisse in gedruckter Form überreicht. Der Adressat, General Zorn, spricht von einer methodisch und inhaltlich sehr positiven militärischen Beratung, von einer herausragenden Präsentation. Daneben kündigt der Generalinspekteur an, die Ergebnisse genau zu prüfen. „Wenn wir etwas finden, was wir noch nicht hatten, und das wird bestimmt der Fall sein, bekommen Sie ein Feedback.“ Zu erreichen sind die Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer bis Ende September an der Führungsakademie, dann wird der LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020 verabschiedet. Derweil läuft die Studienphase des LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2021 bereits, im Fokus: der Indopazifik.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die der LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020 ausgearbeitet hat, steht unterhalb der beiden folgenden Interviews zum Download bereit.
Drei Fragen an General Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr
Herr General, das Thema der Studienphase lautete „Krieg der Zukunft?! Operative Herausforderungen des Multi Domain Battlefield für die Bundeswehr“. Warum haben Sie gerade dieses Thema in Auftrag gegeben?
Ich beauftrage jeden Lehrgang mit einem Thema für die Studienphase. Dabei erwarte ich, dass die Ergebnisse klare Ideen und Vorschläge beinhalten, die uns in dem jeweiligen Problemfeld nach vorn bringen. Den Ausschlag für das Thema des LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020 hat ein Besuch bei der USUnited States Army in Wiesbaden gegeben, wo mir die Multi-Domain Task Force vorgestellt wurde. Das Themenfeld Multi-Domain Operations (MDO) beschäftigt uns zwar schon länger, bei diesem Besuch wurde mir aber klar, dass wir es in allen Facetten noch intensiver für die Bundeswehr erschließen müssen. Ich habe den LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020 deshalb beauftragt, ein Lagebild zu MDO in der Bundeswehr zu erstellen und Ableitungen bzw. Vorschläge für die Zukunft zu machen.
Was hat Sie an der Ergebnispräsentation besonders beeindruckt?
Besonders beeindruckt haben mich die tiefgehende Analyse und die Ableitungen, die die Lehrgangsteilnehmenden mit Blick auf die identifizierten Handlungsfelder getroffen haben. Gleiches gilt für die Zukunftsmesse, die der Lehrgang mit großem Aufwand organisiert hat. So wurden Industrie und Forschung in die Vorstellung der Arbeitsergebnisse integriert und der Dialog zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen gefördert.
Wie nutzen Sie die Ergebnisse der Ergebnispräsentation?
Die Ergebnisse werden sowohl dem GIDS sowie dem streitkräftegemeinsamen Doktrinzentrum als auch dem nachgeordneten Bereich als Grundlage für die weitere Arbeit an dem Thema bereitgestellt. Mir kommt es darauf an, dass die Arbeitsergebnisse der Studienphase und somit die vielen guten Ideen der Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer aktiv genutzt werden und uns alle in der Bundeswehr voranbringen. Dabei ist es auch gut möglich, dass junge General- und Admiralstabsdienstoffiziere in der Erstverwendung wieder auf die eigenen Arbeitsergebnisse stoßen und diese weiterentwickeln können. So entstehen weitere Synergieeffekte, die gerade bei einem so komplexen Thema wie MDO sehr wichtig sind.
Drei Fragen an Korvettenkapitän Victoria Kietzmann, Teilnehmerin des LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National 2020
Worin bestanden die Herausforderungen der Studienphase?
Aus meiner Sicht waren es vor allem drei Punkte. Erstens die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas. Dann die Koordination von Ideen und Input seitens der 117 Lehrgangsteilnehmenden – mit dem Ziel, daraus einen roten Faden zu flechten. Drittens die Organisation einer überzeugenden, in Erinnerung bleibenden Ergebnispräsentation samt Zukunftsmesse. Präsentation wie auch Ausstellung sollten ja nicht nur die Bedeutung des Multi-Domain-Battlefields veranschaulichen, sondern auch Möglichkeiten des Handelns aufzeigen.
Welcher Teilbereich hat Sie besonders interessiert? Oder gar fasziniert?
Die technischen Möglichkeiten. Vieles, was man vielleicht noch als Sciene-Fiction ansieht, ist bereits Realität, zum Beispiel bei Künstlicher Intelligenz und teilautonomen Systemen. Mit den sich daraus ergebenden Chancen und Risiken müssen wir uns dringend auseinandersetzen. Das gilt beispielsweise für mögliche Leistungssteigerungen des Soldaten ebenso wie für das sogenannte Teaming von Mensch und Maschine.
Was wünschen Sie sich für die Bundeswehr der Zukunft?
Dass wir häufiger aus gewohnten Denkmustern ausbrechen, den Mut aufbringen, Neues auszuprobieren, und nicht vor einem möglichen Scheitern zurückschrecken. Veränderungen werden noch zu oft als Herausforderung verstanden – und nicht als Chance.