Transkription Podcast Professor de Libero

Transkription Podcast Professor de Libero

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
6 MIN

Moderator:

„Frau Professor, Sie sind eine ausgewiesene Expertin zum Thema ,Tradition und militärische Erinnerungskultur‘ und haben den Prozess um den neuen Traditionserlass der Bundeswehr begleitet. Sie sind zudem Beisitzerin im Bundesvorstand des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und haben jetzt gerade an den Erinnerungsfeiern zum 80. Jahrestag der Luftlandung auf Kreta teilgenommen. Wie betrachtet die Geschichtswissenschaft die Besetzung Kretas und die folgende Besatzungszeit? Und warum ist Kreta noch immer so ein großes Thema in der falschen Tonart?“


Professorin Dr. Loretana de Libero:

Die Operation ‚Merkur‘ fasziniert bis heute viele Menschen, was wohl an den Mythen und Legenden liegt. Die Forschung sucht diese mythischen Nebel zu durchdringen, und es ist da auch seit längerem bekannt, wie diese Operation abgelaufen ist. Das Unternehmen ‚Merkur‘ ist, und das hat die Forschung seit einigen Jahren herausgearbeitet, unzulänglich vorbereitet worden, weil sie ja im Schatten des Unternehmens ‚Barbarossa‘ stand; Hitler war in seinen Gedanken schon auf dem Marsch nach Moskau. Sie ist dann improvisiert durchgeführt worden und unter hohen, sehr hohen Verlusten erfolgreich gewesen, vielleicht auch aufgrund von Fehlern der gegnerischen Seite.
Seit einigen Jahren konzentriert sich die Geschichtswissenschaft auf die Besatzungsherrschaft. Und sie geht da auch methodisch neue Wege: multiperspektiv. Das heißt, sie schaut sich die deutsche Herrschaft, die Okkupation auf Kreta aus verschiedenen Blickwinkeln an – der Deutschen natürlich, aber vor allem auch der Griechen beziehungsweise der Kreter und auch ihrer Verbündeten. Sie thematisiert unter anderem die deutsche Besatzungspolitik, den Soldatenalltag, den Ausbau Kretas zur Festung, Haltung und Handlung der Festungskommandanten, aber auch das Leben der Kreter, die natürlich nicht die Deutschen als Befreier begrüßt haben, sondern in einem Freiheitskampf versucht haben, ihre Insel zu verteidigen, und auch Widerstand in den Jahren danach geleistet haben. Also, der Alltag unter dem Hakenkreuz, die Zwangsarbeit, die Kontributionen, der Raubbau – auch an der Kultur – durch die Deutschen, die Kriegsverbrechen, die Repressalien, willkürlichen Erschießungen, Massaker an den Menschen. Es gibt 40 Märtyrergemeinden auf Kreta und thematisiert wird auch die Deportation der jüdischen Gemeinde von Chania.
Die Mythen und Legenden um die Operation reichen sehr weit zurück. Wie wir auch schon sehr lange in der Forschung wissen: Es beginnt eigentlich schon kurz nach der Schlacht um Kreta. Da wird das sogenannte Heldennarrativ geboren. Der Kommandierende General Kurt Student schreibt noch mitten im Krieg ein Buch; es wird Anfang 1942 veröffentlicht, der Titel ist ‚Sieg der Kühnsten. Vom Heldenkampf der Fallschirmjäger‘, mit einem Vorwort von Hermann Göring. Und dieses Buch ist sehr wirkmächtig, was dieses Heldennarrativ angeht, wirkt bis weit in die Bundesrepublik hinein, wird immer wieder aufgelegt, bis in die 1980er-Jahre hinein, dann selbstredend ohne die salbungsvollen Worte des Reichsmarschalls. Dieses Buch ist wirkmächtig und wird sekundiert auch von der NSNationalsozialismus-Propaganda, die über verschiedenste Medien – Wochenschau, Bildbände der Propagandakompanien oder auch Jugendromane, Landserheftchen – dieses heldische Bild von den jungen, edlen, anständigen, kühnen, nordischen, verwegenen Fallschirmjägern den Deutschen in die Köpfe hämmert. Dieses Bild bleibt auch nach 1945 und paart sich in der Nachkriegsgesellschaft mit dem Mythos von der ‚sauberen Wehrmacht‘, wie es ja auch die Geschichtswissenschaft, auch gerade die Forschung in der Bundeswehr, herausgearbeitet hat. Das ist letztendlich der Kreta-Mythos. Was verschwiegen wird jenseits der Heldentaten – das wird ja alles nur ganz eindimensional in dieser Zeit, in der Kriegsgeneration gesehen –, ist eben, was während der Besatzungsherrschaft der Deutschen auf Kreta passiert ist: das Leiden der kretischen Bevölkerung.
Dieser Kreta-Mythos ist dann von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen in die Bundeswehr hineingetragen worden. Das wäre übrigens etwas, wo wir noch Projekte an der Führungsakademie starten könnten, das lohnt sich, das aufzuarbeiten, da hat die Geschichtswissenschaft noch nicht so drauf geschaut: Wie ist der Kreta-Mythos in der Bundeswehr gelegt worden? Und der beginnt dort sehr früh: Bereits am 20.05.1957 wird der erste Kreta-Tag begangen. Da gingen tüchtig Wellen hoch ins Verteidigungsministerium; unser Reformer Baudissin fand es natürlich gar nicht gut, dass hier angeknüpft wird an Wehrmachtszeiten und -traditionen. Aber die Wehrmachtsangehörigen, gerade bei der Luftlandedivision, die Kommandeure in den Anfangszeiten, sind ja Kreta-Kämpfer gewesen; ein späterer GI hat sich auch das Ärmelband ‚Kreta‘ an die Uniform geheftet. Also, da haben wir mentale und personale Kontinuitäten, und die reichen bis weit in die 1990er-Jahre hinein.“


Moderator:
Die Ausstellung von Dr. Pahl zeigt auch, dass das Bild einer Elite der Fallschirmjäger der Wehrmacht auch auf der Propaganda der Nazis beruht. Da hat er viel Widerspruch hervorgerufen. Welche Spannungsfelder im Bereich der Erinnerungskultur bestehen Ihrer Ansicht nach?“


Professorin Dr. Loretana de Libero:
„Aus Gesprächen mit Lehrgangsteilnehmern, aus ihren Projektarbeiten oder auch aus Umfragen und Interviews, aus der Führungsakademie heraus mit der Truppe geführt, weiß ich, dass wohl das Erinnern, Rituale, Vorbilder und Traditionen für die Kampfeinheiten sehr, sehr wichtig sind. Die Fallschirmjägertruppe hat aber, geprägt durch Einsatz und Kampf, schon starke eigene Traditionen begründet und lebt auch eine beeindruckende Erinnerungskultur in ihren Standorten, wie zum Beispiel in Seedorf. Wenn ich von außen darauf schaue, so nehme ich aber eine gewisse Unsicherheit in Teilen der Truppe oder auch bei den Fallschirmjägern wahr, wie nun mit dem Zweiten Weltkrieg umgegangen werden soll, welche Vorbilder nun im Einklang mit den neuen Traditionsrichtlinien ausgesucht werden sollen. Die Herausforderung für den Vorgesetzten, für den militärischen Führer liegt meines Erachtens darin, Handlungssicherheit und Orientierung zu bieten und auch aufzuzeigen, dass Geschichte nicht Tradition ist. Also, Geschichte einerseits und Tradition andererseits. So kann zum Beispiel die Operation ‚Merkur‘ – als historisches Ereignis – Bestandteil von Lehre und Ausbildung sein. Sie ist aber nicht traditionswürdig. Da ist der Traditionserlass ganz klar, er gibt es vor, er setzt die Grenzen.
Wir brauchen keinen ‚blinden Kämpfer‘, wie ihn Baudissin genannt hat, sondern Soldatinnen und Soldaten mit einem Selbstverständnis, das wertegebunden ist und sich nicht nur, wie das eben bei dem Blick auf die Operation immer wieder der Fall ist, auf das professionelle Können im Gefecht reduziert.“


Moderator:
„Was können wir nach Ihrer Ansicht aus den Erfahrungen von damals für heute lernen? Und wie gehen wir in der Bundeswehr mit unseren eigenen Traditionen, auch zum Beispiel mit den Einsätzen in Afghanistan, am besten um?“


Professorin Dr. Loretana de Libero:
„Aus der Geschichte lernen zu wollen bedeutet, dass man bereit ist, es für die Gegenwart und Zukunft besser zu machen. Als Historiker würde ich noch sagen, man lernt nicht aus der Geschichte, aber: Wenn wir uns die Makroebene anschauen, dann ist die Bundeswehr selbst eine Antwort auf die jüngere Militärgeschichte. Sie ist die Lehre, die wir gezogen haben aus dem Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Leitbild des demokratischen Kämpfers aus Überzeugung. Ob operative Erfahrungen – wie die von dem Luftlandeunternehmen – den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr heute im Einsatz oder bei der Bündnis- und Landesverteidigung hilfreich sein können, das müssen militärische Experten entscheiden, da kann der Historiker nichts dazu sagen. Und was die Tradition angeht: Die Bundeswehr ist 65 Jahre alt, da wird es doch wohl einiges geben an Erinnerungen, Erfahrungen, an vorbildlichen Leistungen, auf die unsere Soldatinnen und Soldaten und unsere Parlamentsarmee stolz sein können.“


Moderator:
„Frau Professor, wir danken Ihnen für das Gespräch.“


Professorin Dr. Loretana de Libero:
„Gerne.“


von Mario Assmann  Führungsakademie der Bundeswehr  E-Mail schreiben