Menschen der Führungsakademie

Soldat mit Blindenstock

Soldat mit Blindenstock

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
6 MIN

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„Ich bin von jetzt auf gleich erblindet“, sagt Hauptmann Andreas G. Der Offizier sitzt an seinem Schreibtisch an der Führungsakademie der Bundeswehr, als er seine bewegende Geschichte erzählt. Er gibt Einblicke in seine Gefühlswelt. Ehrlich und ungeschönt. Immer wieder hält er kurz inne. Doch dann spricht er weiter.

Hauptmann Andreas G. läuft mit seinem Blindenstock den Weg entlang, um den Hals trägt er ein Fernglas

Hauptmann Andreas G. ist auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg

Bundeswehr/Katharina Roggmann

Freitagabend, vor etwas mehr als drei Jahren, schien seine Welt noch in Ordnung zu sein. Hauptmann Andreas G. saß bei der Beachvolleyball-WM im Stadion Rothenbaum in Hamburg auf der Tribüne. „Ich könnte schwören, ich habe den aufspritzenden Sand gesehen, wenn der Ball einschlug. Am nächsten Tag fühlte ich mich etwas erkältet. Plötzlich bemerkte ich einen Nebel vor den Augen.“ 

Die Ärzte waren ratlos. Eine medizinische Ursache konnte nicht ausgemacht werden. Später stellte sich heraus, dass seine Netzhaut vernarbt ist und die Sehnerven im Zentrum abgestorben sind. Doch warum? „Der Grund war nicht mehr feststellbar. Das ist das klassische Wesen einer Autoimmunreaktion. Der Körper nimmt ein Signal war: Da ist eine Entzündung, ich muss diese bekämpfen. Er bekämpft. Jedoch ist dann nur noch die Folge nachweisbar“, erklärt Andreas G.

Hauptmann Andreas G. sitzt im Stadion Rothenbaum, vor ihm ist das Volleyball-Feld zu sehen

Bei der Beachvolleyball-WM konnte Hauptmann Andreas G. noch sehen, einen Tag später hatte er einen Nebel vor den Augen

Bundeswehr/Privat

Im Podcast wiedererkannt

Ein paar Monate später hörte der ehemalige Soldat einen Podcast von der Bundeswehr. Es ging um das Thema Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBSPosttraumatische Belastungsstörung. Ein Satz fiel, der den heute 54-Jährigen, wie einen Schlag traf: „PTBSPosttraumatische Belastungsstörung ist selbst nach 20 Jahren noch behandelbar. Aber was ist mit den 20 Jahren.“ Er notierte sich die Telefonnummer des Traumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Doch anrufen wollte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er war noch nicht soweit. Das sollte sich aber bald ändern.

Ein Erlebnis triggerte ihn: Sein Nachbar verstarb. Keiner schien es monatelang zu bemerken – bis sich der Leichengeruch immer stärker im Haus ausbreitete. Plötzlich waren die Erinnerungen wieder da. Von den Einsätzen im Kosovo. In den Jahren 1999 und 2001 war der gelernte Volkswirt dort als Truppführer für die Informationsgewinnung eingesetzt. 

Bundeswehrkiste mit Erinnerungen

Er hält erneut inne. Dann zeigt er plötzlich auf seine alte Uniform, die in seinem Büro am Schrank hängt. „Auf dem Dachboden stand noch meine Bundeswehrkiste, mit all den Sachen, die ich nach 14 Jahren Dienstzeit mit Abgabe der Bundeswehrausstattung noch übrigbehalten hatte. Und in dieser Kiste fand ich neben meiner alten Uniform zufällig auch Fotorollen. Nachdem ich diese entwickelt hatte, stellte sich heraus, dass das eine umfangreiche Fotodokumentation der Einsatzerlebnisse war.“ Diese hatte er in der Kiste vergraben. Genau wie seine Erinnerungen. 

Die alte Uniform hängt am Schrank. Darauf sind verschiedene Patches, wie beispielsweise vom Kosovo-Einsatz

In einer Kiste auf dem Dachboden fand Hauptmann Andreas G. seine alte Uniform wieder

Bundeswehr/Katharina Roggmann

Nun griff Hauptmann Andreas G. doch zum Hörer. „Mit drei gezielten Fragen riss der Arzt am anderen Ende der Leitung mein Mauerwerk ein. Mit dringendem Nachdruck sagte er, ich solle zeitnah in die Ambulanz kommen. Das tat ich dann auch.“ Er bekam die Diagnose PTBSPosttraumatische Belastungsstörung. 20 Jahre lang stand sein Körper unter Dauerstress. Er war ständig psychisch angespannt. Sein Immunsystem wurde dadurch geschwächt. Gemerkt hat er es nicht, wie er sagt. Seine Schlafstörungen und depressive Phasen hat er Alltagssituationen zugeschrieben. Er hat die Erlebnisse verdrängt. Genau wie die Gefahren, die im Einsatz lauern. „Ich habe 20 Jahre lang nicht wahrhaben wollen, dass da was zurückgeblieben war.

Sein Motto: aufstehen und weitermachen

„Gewissermaßen ist das eine Folge von PTBSPosttraumatische Belastungsstörung: zum einen das stoische Ignorieren und zum anderen das immer wieder Aufstehen und Weitermachen. Und irgendwie doch noch nach dem unmöglichen Weg suchen.“ An dem Tag, als er blind wurde, habe er sich nur gedacht: „So ist das Leben. So ist das halt. Hier und da hat man ja mal Pech.“ Aufgeben ist keine Option für ihn, wie er sagt. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, rief er sich kein Taxi, sondern lief zu Fuß nach Hause. Statt sich in der Wohnung dann auf das Sofa zu legen und mit seiner Situation zu hadern, kümmerte er sich lieber erst einmal um seine Wäsche. Danach um den Kühlschrank und um den Müll. Er machte weiter. So wie immer. Nur eben blind.

Hauptmann Andreas G. blickt durch ein Fernglas. Es ist eines seiner Hilfsmittel

Seine Sehkraft ist kleiner als fünf Prozent. Hauptmann Andreas G. erkennt keine Gesichter mehr, nur Umrisse.

Bundeswehr/Katharina Roggmann

Das Thema PTBSPosttraumatische Belastungsstörung war ihm nicht neu. Jedoch hat er es sich selbst nie zugeschrieben gehabt. Sein Umfeld bemerkte damals, dass er sich verändert hat. Er wollte es jedoch selbst nicht wahrhaben. „Ich hatte 2002 nicht nur die Bundeswehr, sondern auch nahezu mein komplettes soziales Umfeld verlassen.“

Die Bundeswehr war nach seinem Dienstzeitende ein abgeschlossenes Kapitel. Dachte er. Jedoch stellte er rückblickend fest, dass ihn diese nie losgelassen hat. Weder Gefühlstechnisch noch beruflich. Er absolvierte ein Masterstudium Mediation und griff beispielsweise Bundeswehrthemen in den Hausarbeiten auf. Er verspürte den Drang, informiert zu bleiben, und absolvierte auch eine Wehrübung. 

Wiedereinstellung als Einsatzunfall

Dass er jedoch zur Bundeswehr zurückkehren würde, dachte er lange Zeit nicht. Heute sitzt er an seinem Schreibtisch an der Führungsakademie der Bundeswehr. „Die formale Wiedereinstellung lief reibungslos“, sagt er. Die Fotos aus der Bundeswehrkiste halfen dabei, dass eine oder andere zu rekonstruieren. „Sie waren ein Beleg dafür, dass das Verfahren zur Wiedereinstellung als Einsatzunfall angenommen werden konnte“, sagt Hauptmann G. 

Ein Soldat und ein ziviler Mitarbeiter haben einen Blindenstock in der Hand und probieren den Parcours aus

Hauptmann Andreas G. war für die Station Barrierefreiheit beim „Fit Medi Day“ verantwortlich. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg hat den Parcours zur Verfügung gestellt.

Bundeswehr/Katharina Roggmann

Eine Dienststelle wurde durch die Zentrale Ansprech-, Leit- und Koordinierungsstelle für Menschen, die unter Einsatzfolgen leiden (ZALKZentralen Ansprech-, Leit- und Koordinierungsstelle für Menschen, die unter Einsatzfolgen leiden)  schnell gefunden. Die Führungsakademie der Bundeswehr erklärte sich bereit, Hauptmann G. in die G3-Abteilung aufzunehmen. „Ich bringe mich hier im Bereich Prozessmanagement ein.“ Er ist zudem Mitglied der Schwerbehindertenvertretung und Vertreter des administrativen Datenschutzbeauftragten. An der höchsten militärischen Ausbildungsstätte war er im Zuge des „Fit Medi Days“ für die Station Barrierefreiheit verantwortlich und baute einen kleinen Parcours mit entsprechenden Simulationsbrillen auf. 

Ein weiteres Hilfsmittel ist die Tastatur mit einer größeren Schrift

Die Schriftgröße auf seiner Tastatur ist größer als bei einer herkömmlichen Tastatur

Bundeswehr/Katharina Roggmann

Hilfsmittel für den Arbeitsalltag

Sein Arbeitsplatz ist entsprechend seiner Bedürfnisse ausgestattet, einzelne Tools werden nachgerüstet. Um sich am PC zu orientieren, verwendet er die Zoomfunktion. E-Mails werden ihm via Sprachsoftware vorgelesen. Eine Zusatzsoftware analysiert PDF-Dokumente und gibt ihm nach setzen eines Anfangs- und Endpunktes die Auswahl wieder. Vor ihm liegt eine Tastatur – die Schrift ist etwas größer als normal. Auch eine Braille-Tastatur ist zu finden, jedoch bedarf er dafür noch mehr Übung, wie er sagt. „Wenn ich schreibe, dann habe ich die Kopfhörer auf und dann wird mir jeder Buchstabe angesagt. Wenn ich ein Wort falsch schreibe, dann höre ich einen ekelhaften Ton.“ 

Wenn sich Hauptmann G.  etwas wünschen dürfe, dann würde er gerne sein restliches Berufsleben bei der Bundeswehr verbringen und nicht noch einmal den Job wechseln müssen, sagt er. Jedoch hänge dies von ein paar Verfahrensschritten ab, die er bis jetzt noch nicht absehen könne. 

Andreas G. blickt in die Kamera. An seiner Uniform ist das Blindenabzeichen erkennbar
Hauptmann Andreas G. Bundeswehr/Katharina Roggmann
„Zudem möchte ich wieder die psychische Stabilität erlangen, um im Dienst einen wesentlichen Beitrag zu leisten und das Leben in vollen Zügen genießen zu können.“

Für seine Situation ist Hauptmann Andreas G. demütig und dankbar, sagt er. „Die Tatsache, dass ich hier sitze und auf die alte Uniform starren kann, zeigt, dass das ganze zwei Facetten hat. Zum einen hatte der Einsatz Folgen, was mich zurückgeführt hat. Zum anderen wurde ich mal gefragt mit Blick auf die Uniform und das Blindenabzeichen, wie das denn ginge. Ich sagte, dass geht mit einem fürsorglichen Dienstherren und einem aufgeschlossenen Arbeitgeber. Und genau das ist es, was ich bei der Bundeswehr wiedergefunden habe.“

von Sophie Düsing  E-Mail schreiben

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