Seekriegsführung mal anders: Würfel simulieren Flotten
Seekriegsführung mal anders: Würfel simulieren Flotten
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 4 MIN
Über Seekriegsführung reden, ist das eine. Doch sein erworbenes Wissen anzuwenden und auf unvorhersehbare Situationen blitzschnell reagieren zu müssen, das andere. Das dachte sich die Fakultät Marine der Führungsakademie der Bundeswehr als sie auf ein operatives Spiel – ein so genanntes „Wargame“ - aus Amerika aufmerksam wurde und dieses in die Lehre integrierte.
„Wir haben die Ausbildung in der Fakultät Marine neu strukturiert und dabei nach einer Möglichkeit gesucht, wie wir den Teilnehmern des General- und Admiralstabslehrganges (LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National) Kenntnisse der Operationskunst besser vermitteln können“, so Kapitän zur See Sascha Helge Rackwitz. Der Dozent für operative Führung an der Führungsakademie der Bundeswehr besuchte vor knapp drei Jahren das USUnited States Naval War College (NWC) aus Newport und kam dort mit den Entwicklern des Spiels ins Gespräch. Sie tauschten sich über das bereits entwickelte Übungsszenario aus und vereinbarten, dieses gemeinsam weiterzuentwickeln. Aus diesem Grund sind derzeit Commander Nicholas Kristof und Colonel Daniel Rauch, zwei Dozenten des NWC, zu Gast an der höchsten militärischen Ausbildungsstätte in Deutschland. Ihr Ziel: Gemeinsam wollen sie überprüfen, ob die Szenarien realistisch genug sind. Sie testen neue Elemente und beurteilen, ob das Spiel das bereitgestellte Wissen vermittelt.
Teilnehmer werden mit verschiedenen Szenarien konfrontiert
„In der Lehre reden wir über den operativen Einsatz - über teilweise große Verbände von Streitkräften. Das kann ich im wahren Leben nicht so einfach nachstellen“, erklärt Rackwitz. Bei einem Spiel hingegen, ist das möglich. „Es geht nicht darum, zukünftige Planungen durchzuspielen oder Ähnliches. Es geht darum, theoretisch vermitteltes Wissen bei den Lehrgangsteilnehmern zu festigen, indem sie ihre Ideen selber anwenden können“, so der Dozent weiter. Denn eine Sache ist dabei entscheidend: Die Lehrgangsteilnehmenden treten in zwei Gruppen gegeneinander an. Durch eine Wand sind die gegnerischen Parteien voneinander getrennt. Dabei werden sie mit Szenarien konfrontiert, bei denen moderne Waffen- und Informationssysteme zum Einsatz kommen. Auf dem Tisch vor ihnen liegt eine Landkarte. Würfelbecher simulieren Flottenverbände. Farbige Chips kennzeichnen die Handelsschiffe, die ebenfalls unterwegs sind. Und dann gibt es noch verschiedene Elemente wie Unwetter, hohen Seegang oder technische Probleme, die bei der Bewältigung der Aufgabe berücksichtigt werden müssen. Ein Oberbefehlshaber wird festgelegt, der seinem Stab seine Planungen für die nächsten Stunden vorstellt. Erst dann können die Stabselemente, die taktischen Befehlshaber, die Logistiker und Verantwortlichen für die Nachrichtenweitergabe mit ihrer Arbeit beginnen. Ihre Aufträge, Aufgaben und damit auch das Vorgehen werden auf einer Karte festgehalten.
Zwei bis fünf Stunden dauert das Spiel
Viel Zeit bekommen sie für die Ausarbeitung nicht – lediglich ein paar Minuten stehen ihnen dafür zur Verfügung - schließlich sollen sie ihr Wissen unter Zeitdruck anwenden. „Ich muss erfassen, wie die Lage ist, ich muss Entscheidungen treffen, ich muss Aufträge vergeben. Die Aufträge müssen dokumentiert werden. Diese werden dann an die Schiedsrichter gegeben und die vergleichen diese, um herauszufinden, ob Konflikte auftreten können oder ob Kräfte aufeinanderstoßen werden“, erklärt Rackwitz. Die Schiedsrichter geben den zwei Teams während des Spiels eine Rückmeldung dazu und erzählen, wie die andere Gruppe vorgegangen ist und welche Situationen durch diese Entscheidungen entstanden sind. Das wiederum führt dazu, dass neue Entscheidungen getroffen werden müssen. Jeder im Team muss sich seiner Rolle und seinem Handeln bewusst sein. Zudem befragen zwei Moderatoren die Teilnehmer während und nach dem Spiel nach den Hintergründen ihres Handelns und werten die Situationen mit ihnen gemeinsam aus. Insgesamt zwei bis fünf Stunden dauert das Spiel, das das Entscheidungsverhalten schulen soll. Die Unsicherheit im Umgang mit Informationen und Kommunikationsproblemen innerhalb der Stäbe wird dadurch sichtbar. „Das hilft ungemein, den Lehrgangsteilnehmenden zu verdeutlichen, welcher Entscheidungsdruck auf sie zukommen kann und wie sie ihr Denken strukturieren müssen“, so Rackwitz weiter.
Neue Möglichkeiten werden diskutiert
Die Entscheidung für ein analoges Spiel statt einem PC-gestützten Spiel fiel bewusst: Ein Computer entscheidet strikt nach einem Algorithmus. Dieser würde somit die Rolle eines Schiedsrichters einnehmen. Menschen hingegen lassen vielfältige Ideen zu, solange sie realistisch sind. Das Spiel ist damit flexibler und glaubwürdiger. Zudem stehen die Spieler in einem ständigen Dialog miteinander. Da immer neue Szenarien möglich sind, muss sich auch das Spiel weiterentwickeln. Was sich nicht ändert, sind die Regeln. „Diese sind sehr komplex. Vor allem die Überlegungen, also die Mathematik, die hinter diesen Regeln steht. Schließlich wurden auch unterschiedliche Kräfteverhältnisse simuliert. Das erproben wir gemeinsam mit den Amerikanern, deswegen fliegen wir auch regelmäßig in die USA. Wir helfen ihnen, das Spiel mit ihren Lehrgangsteilnehmern zu spielen“, sagt Rackwitz. Das Kuriose daran: Die Amerikaner haben das Spiel zwar entwickelt, es jedoch erst in die Lehre eingeführt, als sie erfahren haben, dass die Führungsakademie der Bundeswehr dies getan hat. „Wir helfen den USUnited States Marine-Offizieren bei der Durchführung, umgekehrt helfen die Amerikaner uns“, betont Rackwitz, bevor er sich wieder an das Spielfeld setzt und mit den Gästen aus den USA über neue Möglichkeiten diskutiert.
Weiterführende Informationen zum Thema:
Auszug aus dem Marine Forum 11/2019: Seekrieg als Wesenskern. Die Neugestaltung der operativen Ausbildung im Admiralstabslehrgang von Sascha Helge Rackwitz