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Lotsin in der Bundeswehr: „Ich bin in erster Linie eine Kameradin“

Lotsin in der Bundeswehr: „Ich bin in erster Linie eine Kameradin“

Datum:
Lesedauer:
4 MIN

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„Wenn irgendwas ist, dann melde dich.“ Für Hauptfeldwebel Jennifer M. ist das nicht einfach nur ein dahingesagter Satz. Die Lotsin hat ein offenes Ohr für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten im Standortbereich der Führungsakademie der Bundeswehr. 

Hauptfeldwebel Jennifer M. sitzt in ihrem Büro auf einer Couch und blättert Unterlagen durch

Hauptfeldwebel Jennifer M. ist seit dem 1. Oktober 2022 Lotsin für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten im Standortbereich der Führungsakademie der Bundeswehr

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Ihr Büro ist weitestgehend kahl. Ein Schreibtisch. Ein großes Sofa. Lediglich Bilder von ihren Hunden hängen an der Wand. „In meinem Dienstzimmer habe ich keine ,Hab-dich-lieb-Waren‘ und keine Urkunden. Meine Einsatzmedaillen liegen in der Schublade“, sagt Hauptfeldwebel Jennifer M. Ganz bewusst hat sich die Lotsin für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten dazu entschieden. Denn jede noch so klitzekleine Kleinigkeit könnte bei ihren Gesprächspartnern Erinnerungen wecken und eine Kettenreaktion hervorrufen. 

Hilfe für Ehemalige und Familienangehörige

Die Menschen, mit denen Hauptfeldwebel Jennifer M. spricht, sind nicht unbeschadet aus dem Einsatz zurückgekehrt. Sie kämpfen im Kopf mit dem Erlebten oder mit körperlichen Beschwerden. Einige von ihnen wollen zurück zur Bundeswehr. Andere können die Uniform nicht mehr sehen. Manchmal sind es auch die Familienangehörigen, die Hilfe erbitten. Mal geht es darum, Anträge auszufüllen. Ein anderes Mal um einen Arztbesuch. Oder darum, zurück in den Alltag zu finden. 

Hauptfeldwebel Jennifer M. geht mit ihren zwei Hunden im Wald spazieren

Bei einem langen Spaziergang mit ihren Hunden verarbeitet Hauptfeldwebel Jennifer M. die Geschichten, die sie tagtäglich als Lotsin hört. „Die eigene Psychohygiene ist wichtig“, sagt sie

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Geschützter Rahmen zum Reden

„Ich treffe mich da, wo sich die Leute am wohlsten fühlen – zu Hause, beim Spaziergang oder in der Kaserne. Manchmal auch ohne Uniform“, sagt Hauptfeldwebel Jennifer M., die seit dem 1. Oktober 2022 hauptamtlich Lotsin ist. Eine zweiwöchige Ausbildung im Zentrum Innere Führung hat sie auf ihre Aufgabe vorbereitet. Dort hat sie diverse Ansprechpartner kennengelernt, eignete sich Wissen über das Einsatzweiterverwendungsgesetz an und lernte bei Rollenspielen, wie diese sensiblen Gespräche geführt werden. 

„Bei Soldaten, die noch im Dienst sind, fällt es leichter auf, wenn etwas in Schieflage ist – vorausgesetzt das kameradschaftliche Umfeld stimmt. Es ist nicht mehr so verpönt, sich Hilfe zu holen. Wenn diejenigen noch ein intaktes soziales Umfeld haben und auch einen Partner – was nicht der Standard ist –, dann gucke ich auch darauf, wie es der Frau oder dem Mann und den Kindern geht: Was macht das mit denen und wie sieht es zu Hause aus?“, sagt die Lotsin. 

Sie selbst war bereits mehrmals im Einsatz. Sie weiß, wie das Leben im Camp ist. Was es bedeutet, „draußen zu sein“. „Ich frage nie aktiv nach, was im Einsatz passiert ist. Entweder wird es mir erzählt oder nicht.“ Für sie ist die Vertrauensbasis das Wichtigste, Verschwiegenheit wird großgeschrieben. Deshalb trifft sie schon vor den Gesprächen Vorkehrungen und schafft einen geschützten Rahmen. „Ich schließe beispielsweise die Fenster wegen der Geräuschkulisse. Ich gucke, dass es auf dem Flur ruhig ist.“ Es sind Erfahrungswerte. 

Hauptfeldwebel Jennifer M. unterhält sich mit ihrem Vorgesetzten

Als Lotsin für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten berät sie nicht nur Betroffene, sondern auch Vorgesetzte

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Beratung von Betroffenen und Vorgesetzten

Denn einmal triggerte ein Helm in Tropentarn, der auf ihrem Schrank platziert war, einen ihrer Gesprächspartner. „Die Person war dann wieder in Afghanistan, ist zusammengesackt, zitterte und hat etwas vor sich hin gestammelt. Und dann dachte ich mir nur, wie hole ich meinen Gesprächspartner jetzt wieder zurück?“ Bei einem anderen Termin wurde die Lotsin mit Suizidgedanken konfrontiert. Keine leichte Situation. Und so griff sie auf das Psychosoziale Netzwerk zurück, das Truppenpsychologen, Truppenärzte, das Sanitätsversorgungszentrum, die Militärseelsorge und den Sozialdienst beinhaltet. Denn: „Ich bin in erster Linie eine Kameradin. Ich vermittle an diese oder andere Beratungsstellen.“ 

Wie viele Personen sie als Lotsin betreut, dazu möchte sich die Soldatin nicht äußern. Nur so viel: „Genug, tatsächlich.“ Und denen sieht sie meist schon aus 30 Metern Entfernung anhand der Körperhaltung an, ob sie einen guten oder einen schlechten Tag haben. Doch nicht nur für die Betroffenen ist sie da, auch für deren Vorgesetzte. Denn auch diese fragen sich, wie sie Betroffene einbinden können, ohne diese zu überfordern. „Manchmal reicht es schon, wenn auf dem Flur eine Tür knallt. Das ist für manche Personen das Schlimmste, was passieren kann. Es sind aber alles erwachsene Menschen, die nicht bevormundet werden wollen. Es gibt nicht nur schwarz-weiß. Es gibt auch Grauzonen. Irgendwie finden wir Mittel und Wege“, sagt die Lotsin für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten, bevor sie sich auf dem Weg macht, zu ihrem nächsten Gespräch.

Zur Person

  • gelernte Industriekauffrau 
  • seit 2012 bei der Bundeswehr 
  • Ausbildung im Bereich militärische Sicherheit im Taktischen Luftwaffengeschwader 73 in Rostock-Laage
  • von Ende 2014 bis September 2022 Feldwebel im Bereich militärische Sicherheit an der Führungsakademie der Bundeswehr
  • Einsätze: von 2017 bis 2018 in Mali und von 2021 bis 2022 im Niger
  • Seit Oktober 2022: Lotsin für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten an der Führungsakademie der Bundeswehr
von Sophie Düsing  E-Mail schreiben

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