Lehrgangsteilnehmer entwickelt eigenes Wargame
Lehrgangsteilnehmer entwickelt eigenes Wargame
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 4 MIN
Die Corona-Pandemie, der Abzug aus Afghanistan, der gesperrte Suezkanal: Diese Situationen wirkten sich direkt oder indirekt auf die Gesellschaft aus. Doch wie kann ein Land strategisch darauf reagieren? Oberstleutnant Steven S. war Lehrgangsteilnehmer an der Führungsakademie. Er hat sich diese Frage mit einem selbstentwickelten Wargame beantwortet.
Karten, Plättchen, Würfel und eine Landkarte liegen auf dem Tisch. An jedem Platz steht zudem die Flagge der jeweiligen Spielnation. Jedes dieser Länder hat eine Fraktionskarte vor sich liegen. Auf dieser sind mit den dazugehörigen Punkten die Ressourcen „Budget“, „Macht“ und „Unterstützung in der Bevölkerung“ vermerkt. Auch die übergreifende Ressource „internationale Stabilität“ spielt eine wichtige Rolle.
Da jede Nation in den einzelnen Kategorien mit unterschiedlichen Ressourcenpunkten startet, werden diese auf einem Smartboard dargestellt. Jeder Spieler kennt seine Startpunkte und die der anderen. Er sieht jedoch nicht die nationalen Interessen, die seine Gegner verfolgen. Nur die gespielten Aktionen geben darüber Anhaltspunkte.
Internationale Events beeinflussen Strategien
„Es gibt insgesamt drei Szenarien: Europa & Naher Osten, Arktis und Südostasien. Eine Spielrunde dauert ein halbes Zeit-Jahr. Jede Runde beginnt mit einem internationalen Event, das Auswirkungen entweder nur auf gewisse Akteure oder auf alle Akteure hat“, erklärt der Offizier. Wie im echten Leben hat jede Nation eigene Interessen, die mit einer Strategie verfolgt werden. So wirken die verschiedenen Events auch unterschiedlich stark auf die einzelnen Spielnationen.
Nach jedem internationalen Event, wie dem Klimawandel, Flüchtlingswellen oder Großaufträge in der Rüstungsindustrie werden nationale Events eingespielt. Für jede Spielnation stehen dabei andere Ereignisse im Vordergrund. Für Deutschland sind es unter anderem die Naturkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die EUEuropäische Union-Ratspräsidentschaft oder die Bundestagswahl. Für Großbritannien ist es beispielsweise die „Operation London Bridge“, ein Plan der Regierung, der nach dem Tod der Queen die Aktivitäten regelt.
Schildkröten- und Hasenkarten
In den anschließenden Planungs- und Aktionsphasen überlegt sich jede Nation, wie sie vorgehen möchte, um beispielsweise die internationale Stabilität auf eine gewisse Anzahl von Punkten zu erhöhen. Gleichzeitig muss diese jedoch darauf achten, nicht die Unterstützung in der Bevölkerung zu verlieren, da natürlich Budgetpunkte zum Erreichen der Ziele eingesetzt werden müssen.
Diese Handlungen beeinflussen den Spielverlauf nicht nur des eigenen Landes, sondern auch der anderen Nationen. Des Weiteren kommen Schildkröten- und Hasenkarten zum Einsatz. Je nach Tier dauern die Vorbereitungen und die Umsetzung der entsprechenden Vorgänge, wie beispielsweise „Fregatte Bayern auf Mission Flagge zeigen im Indopazifik“ oder „Humanitäre Hilfe für Land X“ länger oder gehen schneller vonstatten. Neben freiwählbaren Aktionen gibt es auch jene, die nur durchführbar sind, wenn andere Akteure ebenfalls diese Karte spielen. Überzeugungskraft ist dann gefragt.
Spieler versetzen sich in die Gegner hinein
„Die Aktionen bewegen sich alle im ,DIME-Spektrum‘. Damit sind die Powervariablen der Nationen gemeint, also Diplomatie, Information und Intelligence/Geheimdienstwesen, Militär und Ökonomie. Deshalb heißt das Spiel auch ,DIME Domination‘. Mittlerweile wird DIME in Fachkreisen auch auf DIME-FIL, also Diplomacy, Information, Military, Economy, Finance, Intelligence, Law Enforcement ausgeweitet“, sagt Oberstleutnant S., der den zweijährigen Lehrgang für Generalstabs-/Admiralstabsdienst National (LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National) an der Führungsakademie der Bundeswehr absolviert hat.
Eine Spielrunde dauert eine bis anderthalb Stunden. Sie endet mit der Auswertephase. „Die Teilnehmenden versuchen, die Strategie der anderen Nationen zu erklären: Was waren deren Interessen und wie sah die Strategie aus. Anschließend erläutert der Akteur, wie er wirklich vorgegangen ist“, so der Heeresoffizier und ergänzt: „Das ist ein interessanter Aspekt. Schließlich müssen sich die Spieler zum einen in die Rolle der anderen hineinversetzen und zum anderen selbst eine Nation spielen.“
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
Einige Wargames hat Oberstleutnant S. bereits in seiner Laufbahn erlebt. Sie helfen in der Entscheidungsfindung und schaffen es bedingt die Brücke vom Theoretischen ins Praktische zu schlagen. Bei einem seiner Lehrgangs-Seminare, hier ein Seminar zum Thema „Strategic Wargaming“ von Oberstleutnant i.G. Thorsten K., kam dem damaligen Lehrgangsteilnehmer schlussendlich die Idee für seine Projektarbeit.
„Wir haben im Hörsaal vier Ideen für Strategic Wargaming entwickelt. Nach dem Seminar hatte ich die Idee, aus dem groben Konzept unserer Tischreihe, eine Projektarbeit zu entwickeln“, so Oberstleutnant Steven S. Ziel war es, das Spiel einmal auf dem Basislehrgang für Stabsoffiziere (BLSBasislehrgangs Stabsoffizier) zu spielen. Da das aber so gut funktioniert hat, wurde es seither in einem weiteren BLSBasislehrgangs Stabsoffizier-Hörsaal gespielt, beim „InnoDay 2021“ an der Führungsakademie vorgestellt und beim Masterstudiengang „Militärische Führung und Internationale Sicherheit“ (MFISMilitärische Führung und Internationale Sicherheit) als Seminarbestandteil eingesetzt. Die Anwendungsgebiete sind für den Erfinder vielseitig: Nicht nur beim BLSBasislehrgangs Stabsoffizier könnte es ein Bestandteil werden, sondern auch generell in sicherheitspolitischen Seminaren.
"Ich wünsche mir, dass Wargaming in der Ausbildung einen noch größeren Stellenwert einnimmt."
Weiteres Kapitel „Wargame“
Das Spiel ließ den ehemaligen Lehrgangsteilnehmer jedoch nicht los. Bei einer weiteren Projektarbeit entwickelte er das Wargame weiter. „Ich habe es dann so vorbereitet, dass es quasi von Dozenten und Dozentinnen an der Führungsakademie und auch außerhalb genutzt werden könnte. Ich habe alles digitalisiert. Die Spielkarten können damit fortwährend angepasst und neu erstellt werden. Zudem habe ich einen Trailer in Zusammenarbeit mit dem ‚Moderne-Ausbildungs-Technologie‘ (MAT)- Autorenteam der Führungsakademie angefertigt. Dieser zeigt, wie das Spiel funktioniert.“
Die Spielkiste hat Oberstleutnant Steven S. an die Führungsakademie übergeben. Seinen zweijährigen Lehrgang hat der 36-Jährige erfolgreich abgeschlossen. Das Kapitel „eigenes Wargame“ wird ihn jedoch noch eine Weile beschäftigen. Für den Masterstudiengang Militärische Führung und Internationale Sicherheit (MFISMilitärische Führung und Internationale Sicherheit), den er auch parallel zu seinem Lehrgang an der höchsten militärischen Ausbildungsakademie absolviert hat, möchte er das Thema „(War)gaming“ hinsichtlich implizierter Chancen und Grenzen im Rahmen der Abschlussarbeit noch einmal aufgreifen. Spätestens dann holt er die Karten, Plättchen, Würfeln und die Landkarte aus seinem digitalen Fundus wieder heraus.