Konferenz zu Militärstrategie – Im Fokus: Russland und Afrika
Konferenz zu Militärstrategie – Im Fokus: Russland und Afrika
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 7 MIN
Es war die erste Konferenz zum Thema „Militärstrategie“ an der Führungsakademie der Bundeswehr. Während der zweitägigen Konferenz standen Russland und Afrika im Fokus. Was hat der flächenmäßig größte Staat im Osten vor? Wie wirken sich fremde Militärstrategien auf Afrika aus? Schaffen es die afrikanischen Staaten, eigene militärpolitische und -strategische Ansätze zu entwickeln? Sowohl die Teilnehmenden der beiden Generalstabs-/Admiralstabsdienstlehrgänge National sowie International als auch Experten aus Wissenschaft, Politik und Forschung sowie Studierende besuchten die Tagung. Zwei Tage wurde intensiv über Russlands Rütteln an der westlichen regelbasierten Ordnung und über Afrika im Aufbruch diskutiert.
Im März fand an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg die erste gemeinsame Konferenz zum Thema „Militärstrategie“ der Denkfabrik der Führungsakademie und der Fakultät Einsatz, Cyber- und Informationsraum, Streitkräftebasis statt. Fregattenkapitän a.D. Böhlke von der Fakultät ECSEngagement Control Station und Oberst i.G. Marahrens vom German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) waren die Organisatoren und Durchführenden. Die Konferenz war direkt in die aktuelle Lehre der Teilnehmenden der Lehrgänge Generalstabs-/Admiralstabsdienst National (LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National) und International (LGAI) eingebunden. Insbesondere für den LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National, der sich in seiner lehrgangsbegleitenden Studienphase intensiv mit dem Thema Afrika beschäftigt, brachten die Fokussierung auf militärstrategische Aspekte und der Austausch mit Experten aus aller Welt zusätzliche Perspektiven und Denkansätze.
„Strategisches Denken ist immer politisches Denken“ – das war ein Satz, der relativ früh fiel und der wie ein Credo über den Diskussionen schwebte. Ziel der Tagung war es, nationale und multinationale politische Zielsetzungen und deren Umsetzung in militärstrategische Ansätze in ihren Auswirkungen und Ableitungen bis in die taktische Ebene hinein zu betrachten.
Am ersten Tag wurde ausschließlich über Russland diskutiert. Prof. Dr. Joachim Krause, emeritierter Professor für Internationale Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor des dortigen Instituts für Sicherheitspolitik, hielt dazu die Keynote. In zwei anschließenden Podiumsdiskussionen vertieften Experten verschiedene Aspekte und Perspektiven hinsichtlich Russland und der russischen Militärstrategie. In der ersten Podiumsrunde eröffnete die Journalistin und Russlandexpertin Katja Gloger, basierend auf ihrer langjährigen Erfahrung in Russland, Innenansichten auf das Land, das Wesen der Menschen und ihre Kultur. Dr. Lukas Milevski, Dozent an der Universität Leiden, richtete seinen Fokus auf die baltischen Staaten und ihr Verhältnis zu Russland, während Prof. Dr. Mark Galeotti, Professor an der New York University, Einblicke in das militärische Denken Russlands vermittelte.
Russland als strategischer Rivale?
Russland wurde von der NATONorth Atlantic Treaty Organization ab Anfang der 1990er Jahre nicht als Rivale, sondern als möglicher neuer strategischer Partner angesehen. Nach dem Niedergang der Sowjetunion und den folgenden insbesondere wirtschaftlich schwierigen Jahren, wählte Russland jedoch einen anderen Weg. Aus russischer Sicht war das offensive Eingreifen der bis dato defensiv ausgerichteten NATONorth Atlantic Treaty Organization gegen den russischen Partner Serbien ein Wendepunkt. In der ersten Dekade der 2000er Jahre konnte das Land dank Öl- und Gaseinnahmen sein Bruttoinlandsprodukt fast verdoppeln. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 formulierte Präsident Wladimir Putin eine deutliche Gegenposition zur bestehenden Weltordnung. Seinen Worten folgten mit der Intervention in Georgien 2008, der großen Militärübung ZAPAD 2013, der Annexion der Krim 2014 und seit 2015 mit dem Eingreifen in den syrischen Konflikt auf Seiten des dortigen Machthabers Baschar al-Assad auch entsprechende Taten. Hinzu kommen die Versuche der Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahlen der USA und in EUEuropäische Union-Ländern. Vom strategischen Partnerschaftskandidaten hat sich Russland deutlich zum Rivalen entwickelt. Russland fordere immer klarer und direkter die westliche regelbasierte Ordnung heraus, sagte ein Teilnehmer, und habe sich als regionale Groß-macht seinen Weltmachtanspruch sukzessive zurückerarbeitet.
Innenpolitischen Schwierigkeiten begegne das russische Regime dabei auch mit einer offensiven, aggressiven Außenpolitik. Das führe zu einer Stabilisierung des eigenen Regimes und verstärke die Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Regierung. Putin habe Russland vor dem Kollaps bewahrt, aber auch Kleptokratie, Vetternwirtschaft und Korruption gestärkt. Ein Experte betonte, dass die Reformierung und Modernisierung des russischen Militärs ebenfalls Teil der Strategie sei. „Russlands Militärdoktrin befasst sich mit regionalen Konflikten“, hieß es dazu von einem Experten. Aber auch hybride Kriegsführung spiele eine große Rolle. Hier sei nur an das Prinzip der Maskirovka, die russische Doktrin zu militärischer Täuschung und Desinformation, erinnert. Das Ziel sei, die Europäische Union und den Westen prinzipiell zu destabilisieren. Was aber auch deutlich gesagt wurde: „Die russischen Streitkräfte sind noch nicht so stark, als dass wir aktuell eine Invasion Europas befürchten müssen.“
Konflikte schüren, Westen destabilisieren
Dennoch: die Militärübung ZAPAD 2017, mit der die russischen Fähigkeiten, die baltischen Staaten zu annektieren, in einem entsprechenden Szenario geübt wurden, habe die baltischen Staaten und Polen beunruhigt. Das aggressive Vorgehen Russlands in der Ostukraine und auf der Krim 2014/2015 hatte 2016 zur NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission Enhanced Forward Presence im Baltikum und Polen geführt, um einerseits die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke zu schützen und andererseits die Abschreckung gegen Russland zu stärken. Auch die Errichtung der Very High Readiness Joint Task Force der NATONorth Atlantic Treaty Organization, einem schnell verlegbaren Eingreifverband, diene dem Ziel der Abschreckung Russlands und der Rückversicherung der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner.
Fest stand für die Experten, dass Russland nicht an einem offenen Krieg interessiert sei – es bevorzuge vielmehr das Schüren kleinerer Konflikte und hybrider Vorstöße, um seine Nachbarn zu de-stabilisieren und den russischen Einflussbereich zu sichern. Nun sei die Frage, wie man diesen Risikokalkulationen entgegentreten könne, um dem militärstrategischen Spiel Russlands begegnen zu können. Die daraus resultierende Gefährdung durch Russland wurde dabei als hoch eingestuft. Der Verlust auch nur eines baltischen Staates könnte die Kohäsion des nordatlantischen Bündnisses insgesamt in Frage stellen. Einer der Experten erklärte mit Blick auf die baltischen Staaten aber auch, dass Abschreckung nur dann helfe, wenn sie auch als solche empfunden werde. „Wir wissen aber nicht, ob unsere Maßnahmen Russland tatsächlich abschrecken“, sagte er.
Russlands Blick auf die Welt
„Russland ist als Großmacht zurück“, das sei eine Tatsache, sagte ein weiterer Teilnehmer. Russland sehe sich selbst als großen Gewinner einer neuen Weltordnung, auch wenn das Bruttoinlandsprodukt kaum größer sei als das Spaniens oder Italiens. Es sei zudem damit zu rechnen, dass Putin sich weiter an der Macht halten wolle, da erst kürzlich die Verfassung entsprechend geändert worden sei. Bei Russland sei somit zu beobachten, dass es sich immer weiter von internationalen Normen und internationalem Recht entferne. Den Umgang des Westens mit Russland seit der Auflösung der Sowjetunion habe das Land als Demütigung empfunden. Das Militär und die militärpolitische Strategie spielen bei der Rückkehr an den Tisch der Großmächte eine wichtige Rolle. „Russland ist mächtig, unvorhersehbar und gefährlich“, wurde angeführt.
Auf einem weiteren Panel diskutierten Roger McDermott vom King’s College über Russlands Fähigkeit zur netzwerkzentrierten Kriegsführung, Prof. Dr. Beatrice Heuser von der Universität Glasgow über die politische Dimension von Militärübungen, Una Hakvåg, Wissenschaftlerin aus Norwegen, über ihre Forschungen zur russischen Anti Access/Area Denial-Strategie und Dr. Belen Rodriguez, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Strategic Communication Centre of Excellence der NATONorth Atlantic Treaty Organization, zu russischen Informationsmanipulationen.
Streitkräfte modernisiert
Russland habe seine Streitkräfte in Bezug auf elektronische Kampfführung – dies umfasst im Westen auch unter dem Begriff „Cyber“ geführte Fähigkeiten – massiv modernisiert und neue Fähigkeiten aufgebaut. Tatsächlich experimentiere und nutze Russland in der Ukraine und in Syrien permanent Systeme der elektronischen Kampfführung. Das strategische Interesse sei es, die gegnerischen Streitkräfte durch elektronische und informationstechnische Störmanöver blind und taub zu machen. Aber es gehe auch darum, komplexe Systeme, in denen unterschiedliche Waffensysteme miteinander interagieren, zu stören und den Gegner somit kampfunfähig zu machen.
Auch über die politische Dimension von Militärübungen wurde diskutiert. Militärübungen dienen auf der einen Seite als Rückversicherung für Verbündete und auf der anderen Seite als Abschreckung. „Das Risiko von Zwischenfällen und einer Eskalation ist aber immer da“, sagte eine Expertin. Eine weitere Frage, über die diskutiert wurde, betraf die russische Anti Access/Area Denial-Strategie am Beispiel der Exklave Kaliningrad. Welche Bedrohung gehe davon für die NATONorth Atlantic Treaty Organization aus? Die Einschätzungen waren unterschiedlich. Die Möglichkeit der Lufterfassung und -bekämpfung könne die baltischen Staaten unter Umständen von den anderen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Staaten abkapseln. Allerdings behauptete ein Teilnehmer, dass der taktische Wert dieser Luftvereidigungstechnik nicht von so großem Wert sei, wie es überall publiziert und intoniert werde. Indes beschäftige diese Luftverteidigungstechnik die NATONorth Atlantic Treaty Organization auf strategischer Ebene sehr wohl. Auch die strategische Informations- und Desinformationskampagnen aus dem russischen Raum wurden besprochen und durch eine Expertin analysiert und dargestellt.
Nach den Podiumsdiskussionen ging es für die rund 100 Teilnehmenden in acht thematisch unter-schiedliche Gruppen. In diesen vertieften Offiziere, Experten und Wissenschaftler die spezifischen Themen des Vormittags, wie beispielsweise die politische Dimension von Militärübungen. Korvettenkapitän Jens Parnow, Offizier des LGANLehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst National, sah darin ein spannendes Format: „Ich finde es gut, dass wir uns auf Kleingruppen verteilen. Es war interessant, heute zu hören, wie die Sicht Russlands auf den Westen ist. Wir gehen immer davon aus, dass sie automatisch so denken wie wir. Aber diese neue andere Innenansicht Russlands fand ich gewinnbringend. Das hilft auch uns, besser zu reflektieren.“ Sein Lehrgangskamerad Oberst Niklaus Jäger, Offizier der Schweizer Armee, äußerte sich ebenfalls sehr positiv: „Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir nur über die einzelnen Werkzeuge gesprochen. Heute haben wir mit der Keynote und den Podiumsdiskussionen und insbesondere in den Kleingruppendiskussionen die Möglichkeit der Zusammenführung in ein umfassendes und übergreifendes Gesamtbild erhalten. Es war ein sehr bereichernder Tag.“