Kein Philosoph im Elfenbeinturm

Kein Philosoph im Elfenbeinturm

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
5 MIN

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Sie kann als Stützpfeiler der Bundeswehr angesehen werden – die Reserve. Denn sie hilft der aktiven Truppe, ihre Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören die Landes- und Bündnisverteidigung, der Heimatschutz und das internationale Krisenmanagement. Auch bei der Führungsakademie der Bundeswehr sind Reservistinnen und Reservisten eingesetzt.

Dr. Arnd May sitzt mit einer Soldatin in einem Besprechungsraum und unterhält sich. Im Hintergrund ist ein Monitor zu sehen

Dr. Arnd May unterhält sich mit einer Soldatin zum Thema „WehrMedizinEthik“

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

In welchen Bereichen die Reservistendienstleistenden an der höchsten militärischen Ausbildungsstätte in Deutschland arbeiten, mit welchen Herausforderungen sie sich tagtäglich auseinandersetzen und wie ihr Leben außerhalb der Bundeswehr aussieht, darüber berichten sie in unserer Serie: So auch Fregattenkapitän Dr. Arnd May. Er unterrichtet „WehrMedizinEthik“ an der Fakultät Sanitätsdienst und Gesundheitswissenschaften.

Wenn Fregattenkapitän Dr. Arnd May Lehrgangsteilnehmende mit Fällen aus dem Alltag und dem Einsatz konfrontiert, dann endet das meist in lebhaften Diskussionen. Er legt sprichwörtlich den Finger in die Wunde, wenn er wissen möchte, nach welchen Maßstäben Verletzte versorgt werden sollen. So gut wie nie sind alle einer Meinung. Oft endet es für den einen oder anderen in einem moralischen Dilemma. Doch dazu später mehr.

Eine wegweisende Begegnung

Schon während seiner Schulzeit interessierte sich Dr. Arnd May für die Angewandte Ethik. Durch einen privaten Kontakt lernte er einen renommierten Medizinethiker aus den USA kennen. „Ich war begeistert davon, was er mir über sein Tätigkeitsfeld berichtet hat“, sagt der Reservist. Bevor er jedoch seinen Traum mit einem Studium verwirklichen konnte, ging es für den damals Wehrpflichtigen zur Bundeswehr. Er diente 15 Monate lang beim Wachbataillon.

„Mir ist besonders ein Staatsempfang in Erinnerung geblieben: der Besuch von Michail Sergejewitsch Gorbatschow beim Bundespräsidenten“, sagt er. Doch auch die anderen großen Zapfenstreiche interessierten ihn sehr. „Wir haben alles das gemacht, was der Protokolldienst bereithält.“

Anschließend studierte er in Göttingen und Bochum an den staatlichen Universitäten Philosophie mit dem Nebenfach Öffentliches Recht, Schwerpunkt Völkerrecht. Er beschäftigte sich damals wie heute mit den Fragen zur Patientenverfügung, dem Lebensende und der Hospizarbeit. „Ich wollte damit nie private Ereignisse verarbeiten, sondern interessierte mich einfach für die Themen.“

„Eine freche Wahrnehmung“

Vor seiner Promotion absolvierte er eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Der Grund: Er ärgerte sich über Chefärzte, die ihm als „Philosoph im Elfenbeinturm“ unterstellten, gar keine Ahnung von dem Berufsfeld zu haben. „Schon eine freche Wahrnehmung“, sagt er und lacht. Ein Medizinstudium passte nicht in seinen Lebensplan, die dreimonatige Ausbildung hingegen schon.

Im Rettungsdienst lernte er, dass dort wenig Zeit für eine Ethikberatung sei. „In der Kürze der Zeit geht es um Intuition, um Bauchgefühl.“ Es war eine Erfahrung, die er heute nicht missen möchte. Später arbeitete er zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an mehreren medizinischen Fakultäten, bevor er sich schrittweise mit der Dienstleistung Ethikberatung selbstständig machte.

„Ethikberatung wird immer von Außenstehenden angeboten. Es gibt ein Behandlungsteam, in diesem sind beispielsweise Pfleger, Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten. Vertreter dieser Gruppe setzen sich bei einer Ethikberatung mit Ärzten, Ethikern, Seelsorgern und Juristen zusammen und versuchen, einen Konflikt zu lösen.“ Dr. Arnd May moderiert diese Gespräche und berät die Anwesenden.

Dr. Arnd May blickt in die Kamera. Hinter ihm ist ein Gebäude der Führungsakademie der Bundeswehr zu sehen

Sein erster Reservistendienst war im Jahr 2009. Seither ist Dr. Arnd May regelmäßig in Hamburg

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

So kam er an die Führungsakademie

Durch einen Zufall kam Dr. Arnd May im Jahr 2006 an die Führungsakademie der Bundeswehr. Er nahm an einer Konferenz zum Thema Wehrmedizin teil, bei der es um die besonderen Herausforderungen im Sanitätsdienst ging. Für die höchste militärische Ausbildungsstätte in Deutschland stand bereits fest: Das Thema soll auch in den Modulen und Lehrgängen eine Rolle spielen. Dafür war Dr. May genau der richtige Mann.

Im Jahr 2009 begann sein erster Reservistendienst. „Die vergangenen Jahre bin ich immer auf vier bis sechs Wochen im gesamten Jahr gekommen. Immer dann, wenn es um den Lehrgang „Grundlagen Führung und Operationsplanung für angehende Stabsoffiziere“, Führungskräftetrainings oder Module ging, bin ich aktiv geworden. Meine jetzige Reservedienstleistung geht wegen eines größeren Projekts noch bis Ende August 2021.“

Er legt den Finger in die Wunde

In seinem Unterricht konfrontiert er die Teilnehmenden mit verschiedenen Situationen, die sie in ihrer Laufbahn erleben könnten. Beispielsweise mit dieser: Im Einsatz gibt es eine Intensivstation mit zehn Betten, sieben davon sind frei. Es gibt aber 20 behandlungsbedürftige Menschen. Wer soll behandelt werden? Was ist mit denen, die nicht aufgenommen werden können? Und was ist, wenn weitere Verletzte eintreffen? Heißt es dann beispielsweise: „Tut mir leid, ich habe keine Kapazitäten mehr für amerikanische Soldaten, weil ich hier afghanische Zivilsten behandle?“

Oder werden die afghanischen Zivilisten gar nicht aufgenommen, um diese Situation zu vermeiden? „Beide Entscheidungen können Trigger für Posttraumatische Belastungsstörungen , kurz PTBSPosttraumatische Belastungsstörung, sein“, sagt Dr. May und ergänzt: „Diese Fragen sollten vor dem Einsatz diskutiert werden.“

Das richtige Vorgehen

Schon die Auseinandersetzung mit diesen Themen führe häufig zu Konflikten oder auch mal zum moralischen Dilemma, doch: „Es gibt die eine richtige Lösung. Nämlich wenn ich feststelle, welche Ethiktheorie ich vertrete“, so der Reservist.

Wer sich beispielsweise für den Gleichbehandlungsgrundsatz entscheidet, der behandelt alle Menschen – unabhängig vom Status. Bei einer medizinischen Reihenfolge werde zudem bei den Verletzten nicht nach bestimmten Merkmalen geschaut. Es spiele demnach keine Rolle, ob der Verletzte Zivilist oder Soldat ist, welches Geschlecht er hat oder ob er unter- oder übergewichtig ist. Hingegen schließt eine rein militärische Logik  die Zivilisten gänzlich aus – es sei denn, sie sind einsatzrelevant wie beispielsweise Dolmetscher.

Und was ist eigentlich mit Zwangsbehandlungen auf Weisung der Nachrichtendienste, weil der Verletzte als Informationsquelle identifiziert wurde? Wird er behandelt, weil er durch seine Informationen Soldaten schützen würde, auch wenn er nicht mehr leben möchte?

„Es stellt sich immer die Frage, ob es ethisch vertretbar ist. Ich rede nicht über Recht. Das ist im Hintergrund wichtig, aber als Ethiker nicht spannend. Und deshalb würde ich nie die Frage stellen, ist es strafbar oder erlaubt. Ich würde fragen, ist es ethisch zu rechtfertigen“, sagt Dr. May.

Er hat Spaß daran, mit „Menschen, die eine militärische Entscheidungslogik“ haben, zu diskutieren. Gleiches verfolgt auch die interdisziplinäre „Hamburger Arbeitsgruppe WehrMedizinEthik“, kurz HAWE, an der Führungsakademie der Bundeswehr. Mit Beiträgen möchte sie diese neue Disziplin verstärkt in den Fokus rücken, so der Reservist weiter.

Seine Wünsche

Diese Gespräche würde der 51-Jährige gerne auch verstärkt innerhalb der Bundeswehr führen, wie er sagt. Er wünsche sich dabei eine stärkere Vernetzung, bei der über die „WehrMedizinEthik“ als Disziplin gesprochen wird. Für den Unterricht wären auch Simulationstrainings oder Programme, die speziell für den Sanitätsdienst entwickelt wurden, hilfreich, ergänzt er.

Bald steht der Reservist wieder vor Lehrgangsteilnehmenden und konfrontiert sie mit ihrer Berufsethik. „Ich gehe dann auf das Bauchgefühl ein und ergänze dieses um eine gewisse Theoriepalette. Man könnte sagen, bei der Ethikberatung geht man vom Gefühl zum Argument.“ Dr. May hält sich dann jedoch mit seinem Urteil zurück:

„Ich stelle lieber Fragen, als mit meiner eigenen Meinung ins Rennen zu gehen und zu dominieren.“

von Sophie Düsing  E-Mail schreiben

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