Dialog statt Monolog: „Interkulturelle Kompetenz spart Blut“
Dialog statt Monolog: „Interkulturelle Kompetenz spart Blut“
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 6 MIN
Deutsche sind immer pünktlich. Asiaten sehen immer gleich aus und Italiener sind sehr emotional: Das, was hier so lapidar beschrieben wird, sind Stereotype. Eine Gruppe von Menschen wird auf bestimmte Eigenschaften reduziert. Da reicht es schon aus, einfach in einem bestimmten Land geboren zu sein. Es spielt keine Rolle, ob die Eigenarten wirklich auf den Einzelnen zutreffen. Doch was passiert, wenn Menschen mit ihren Vorurteilen konfrontiert werden? An der Führungsakademie der Bundeswehr passiert genau das: Bei der Veranstaltung „Dialog der Kulturen“ tauschen sich nationale und internationale Lehrgangsteilnehmende des Generalstabs- und Admiralstabsdienstes zu diesem Thema aus.
„Sobald Sie den Blickwinkel einer anderen Person einnehmen, ändern sich die Dinge“, sagt Brigadegeneral Holger Neumann zu allen Lehrgangsteilnehmenden. Und das ist genau das, was der Direktor Ausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr von den Anwesenden erwartet. Es soll diskutiert und damit der „Mut zum Diskurs“ gelebt werden. Ohne in ferne Länder reisen zu müssen, können die Lehrgangsteilnehmenden an der Akademie in fremde Kulturen eintauchen. Zwei Dinge sind dafür erforderlich: Sie müssen den Mut aufbringen, diese Themen mit Menschen aus anderen Kulturen offen anzusprechen und sich die Zeit nehmen, anderen zuzuhören. Im Lehrplan heißt dieses Vorgehen „Interkulturelle Kompetenz“. „Es geht nicht nur um den Anderen, also das Fremde, sondern auch um das Eigene, was uns ausmacht“, erklärt Oberstleutnant Dr. Uwe Ulrich von der Fakultät Politik, Strategie- und Gesellschaftswissenschaften. Der „Dialog der Kulturen“, der konzeptionell von der Wissenschaftlichen Direktorin Dr. Maren Tomforde von der Fakultät Politik, Strategie- und Gesellschaftswissenschaften verantwortet wird, wird als eine Plattform verstanden, sich mit eigenen und fremden Traditionen auseinanderzusetzen.
Typisch deutsch – Das sagen internationale Teilnehmende
Jeder Teilnehmende kann in dieser einen Woche aus insgesamt zehn Themenbereichen wählen. Die Offiziere setzen sich mit dem Kulturbegriff auseinander, sprechen über den Umgang mit anderen Nationen und darüber, was eine Identität ausmacht. Sie nähern sich dem Thema beispielsweise geschichtlich, diskutieren über Traditionen in den Streitkräften und vergleichen den Umgang mit fremden Kulturen in der Vergangenheit und der Gegenwart. Im Seminar „Kulturdimensionen im Dialog“ unter Leitung von Oberstleutnant Ulrich lernen die Teilnehmenden zum einen verschiedene Modelle kennen und diskutieren zum anderen über ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung. Letzteres kommt bei der Methode „Walk and talk“ zum Einsatz: Die nationalen als auch internationalen Lehrgangsteilnehmenden tauschen sich in Kleingruppen bei einem kurzen Spaziergang aus. Folgende Fragen sprechen sie dabei an:
- Was macht meine Kultur aus?
- Wie sehe ich die andere Kultur?
- Was vermute ich, dass andere von meiner Kultur denken?
- Welche persönlichen Erfahrungen mit fremden Kulturen habe ich gemacht?
„Kulturelle Erfahrungen sind vor allem subjektiv geprägt“, merkt ein Offizier an. Die Gespräche tragen dazu bei, sein eigenes Handeln zu reflektieren. So wurde eine Lehrgangsteilnehmerin gefragt, warum „die Deutschen“ so gerne auf Flohmärkte gehen. „Die Frage habe ich mir so noch nie gestellt“, sagt sie lächelnd. „Für uns ist Kultur selbstverständlich, wir denken nicht darüber nach“, ergänzt ein anderer Seminarteilnehmer. Für das eine oder andere Schmunzeln sorgen auch die Eindrücke, die die internationalen Lehrgangsteilnehmer bisher von Deutschland gesammelt haben. So stellt ein Offizier aus Argentinien fest, dass der Straßenverkehr in Deutschland strikt geregelt ist. „Rote Ampeln werden von allen akzeptiert“, sagt er etwas verwundert. Zudem habe er noch nicht bemerkt, dass Hunde übereinander herfallen würden: „Sogar die Tiere akzeptieren in Deutschland die Normen.“ „Die Deutschen“ seien gut organisiert, alles ist sauber und ordentlich, merkt ein chinesischer Lehrgangsteilnehmer an. Zudem wisse jeder, was er im Unternehmen oder beim Militär für Aufgaben erledigen müsse. „Die Deutschen haben keinen Spaß, sie müssen immer arbeiten“, stimmt ein Stabsoffizier aus Mali ein. Gespannt hören die deutschen Lehrgangsteilnehmenden zu. Das eine oder andere Mal pflichten sie den internationalen Lehrgangsteilnehmenden bei. „Wir machen uns einen enormen Stress und lassen uns wenig Freiheiten“, gibt ein deutscher Lehrgangsteilnehmer zu. „Man könne sagen, wir leben manchmal in einem Hamsterrad“, sagt ein anderer, bevor der rege Austausch weiter geht. Schließlich ist dieser Dialog der Kern der Veranstaltung. Denn: „Interkulturelle Kompetenz spart Blut, schweißt zusammen und schon die Nerven“, sagt Ulrich.
Offiziere beschäftigen sich mit ziviler und militärischer Kultur
Mit einem ganz anderen Thema beschäftigt sich hingegen der Lehrgang „zivile und militärische Kultur in den Auslandseinsätzen“. Als Gastdozent konnte Dr. Christian Braun von der gemeinnützigen Gesellschaft Engagement Global, einer Unterorganisation vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, gewonnen werden. Welche Schwerpunkte werden in der zivilen Entwicklungspolitik gesetzt, welche Eindrücke haben zivile Mitarbeiter in Auslandseinsätzen in Mali sammeln können und wie lief die Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivilisten ab – das sind nur einige Fragen, mit denen sich die Teilnehmenden intensiv beschäftigen. Mehrere Referenten schildern den Lehrgangsteilnehmenden ihre Erlebnisse. So wird unter anderem der Aufgabenbereich eines zivilen Beraters vorgestellt, der unter anderem als Kommunikationsschnittstelle zwischen dem Kontingentführer und dem Botschafter fungiert. Zudem berichten die Referenten beispielsweise davon, wie wichtig es ist, die zivile Perspektive einzunehmen, um ein Gesamtverständnis vom Konflikt zu erhalten. „Wir machen uns frei von unserem militärischen Denken und versuchen, etwas über die zivile Natur der Bevölkerung zu erfahren. Wann wird gekocht, wann führt man sein Gebet durch, was ist das durchschnittliche Einkommen, wie läuft das tägliche Leben ab und wann geht man auf das Feld arbeiten – alles Fragen, die man sich als Militär sonst nicht stellt“, fasst ein Lehrgangsteilnehmer das Gehörte zusammen.
Internationale Lehrgangsteilnehmende bringen Licht ins Dunkel
Einblicke in die Kulturen in Süd- und Ostasien bekommen die Teilnehmenden zudem beim „Regionalen Informationstag“. Hier präsentieren die internationalen Soldaten die Besonderheiten ihrer Länder. Sie sprechen unter anderem über geschichtliche Ereignisse, über die wirtschaftliche Situation und darüber, wie das Militär in der Mongolei, Japan, Südkorea, China, Indonesien, Thailand und Singapur aufgebaut ist. Doch bevor diese loslegen, stellt der ehemalige Regionaldirektor der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Hans-Hermann Dube, die „deutsche Perspektive“ auf die Länder vor. Diese sei eine individuelle Sicht, die sich aus Interviews im Bekanntenkreis und aus Medienrecherche zusammensetze, betont er immer wieder. So fragt er die Lehrgangsteilnehmenden vor den Vorträgen, was ihnen beispielsweise zu Indonesien einfällt.
Korruption, Tourismus, Bali, holländische Kolonie, größtes islamisches Land der Erde rufen die Anwesenden in den Saal. Anders seien die Meinungen bei den Befragungen im Bekanntenkreis ausgefallen: „Die Durchschnittsdeutschen haben keine Vorstellung von Indonesien. Es werde faktisch nichts mit dem Land verbunden“, sagt Dube zu seiner nicht repräsentativen Umfrage. Ähnlich sieht es bei Thailand aus – es sei vor allem als Urlaubsland bekannt, aber wenige wissen, dass das Land von einem König regiert werde. Zu Singapur hat er hingegen eine persönliche Meinung, da er dort oft beruflich unterwegs war: „Ich habe mich noch nie so sicher gefühlt wie in Singapur.“ Dann sind die ausländischen Teilnehmer an der Reihe. Sie berichten von der Bevölkerungsstruktur und von Besonderheiten ihrer Kultur. „Mit einem Euro kann man eine Mahlzeit genießen oder sich die Haare schneiden lassen“, sagt Korvettenkapitän Agung Maulana aus Indonesien. Dass Singapur übersetzt die „Löwenstadt“ heißt, berichtet Major Eng Siong Ong den Anwesenden und gibt einen Einblick in die Geschichte des Stadtstaates. „Das Königreich Thailand ist Deutschland weit voraus“, sagt Oberstleutnant Wuthisak Nga-Sa-Nga und erntet dafür zuerst verwunderte Blicke. Dann klärt er die Anwesenden auf - er meine damit die Zeitverschiebung. Bevor die Vortragenden die Bühne wieder verlassen, stehen sie noch Rede und Antwort für Fragen aus dem Zuhörerraum. So interessieren sich die Anwesenden unter anderem dafür, wo die Streitkräfte aus Singapur üben, ob die verschiedenen Nationen gemeinsam etwas gegen den Klimawandel unternehmen und was die einzelnen Länder über die Seidenstraßenpolitik Chinas denken.
Getreu dem Motto auch Essen gehört zur Völkerverständigung haben internationale Teilnehmende Leckereien aus ihren Ländern im Gepäck. So laden beispielsweise die 20 internationalen Stabsoffiziere des nationalen Generalstabs- und Admiralstabsdienstes zum „Abend der Nationen“ ein. Bei Wein aus Frankreich, Paella aus Spanien oder Rentier-Frischkäse aus Finnland werden alle noch unbeantwortete Fragen geklärt. Denn Kultur geht schließlich auch durch den Magen.