„Das dürfen wir nicht verdrängen“

„Das dürfen wir nicht verdrängen“

Datum:
Ort:
Hamburg
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2 MIN

An der innerdeutschen Grenze markierten sie den Todesstreifen zwischen Diktatur und Demokratie: Grenzsäulen der DDR. Einer dieser Betonpfähle steht jetzt in der Führungsakademie der Bundeswehr. Das Relikt findet sich an dem Gebäude, das nach Admiral Dieter Wellershoff benannt ist; in seine Amtszeit als Generalinspekteur fiel die Wiedervereinigung 1990. Pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in die Erde eingelassen, erinnert die Säule an die Schrecken, aber auch an die Überwindung jahrzehntelanger Teilung.

Ein Soldat hält einen Kompass an die Grenzsäule. So prüft er, ob der Betonpfahl nach Ost und West ausgerichtet ist

Stimmt die Ost-West-Ausrichtung? Hauptmann Dirk Neumann von der Führungsakademie der Bundeswehr prüft per Kompass

Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel

Rund 400 Kilogramm schwer, insgesamt 3,25 Meter hoch, je 22 Zentimeter breit und tief, so lauten die Maße des schwarz-rot-goldenen Pfahls. Entlang der fast 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze, von der Ostseeküste bis nach Hof in Bayern, sollen Pioniere der DDR-Grenztruppen mehr als 2700 Exemplare aufgestellt haben. Sie waren Teil der Grenzanlagen mit Wachtürmen und Lichtmasten, mit elektrisch geladenen Zäunen, Tretminen, Hundelauf- und Selbstschussanlagen. Bei dem Versuch, die Sperren zu überwinden und in den Westen, in die Freiheit zu entkommen, starben Hunderte Menschen, Zehntausende wurden verhaftet. „Das dürfen wir nicht vergessen, das dürfen wir nicht verdrängen, auch wenn es wehtut“, sagt Oberstleutnant Peter Kanzler. Der Stabsoffizier arbeitet an der Führungsakademie im Informationsmanagement. Von 1984 bis 1990 war er Angehöriger der Nationalen Volksarmee (NVANationale Volksarmee), zuletzt als Leutnant im Nachrichtenbataillon 11 in Sachsen-Anhalt.

Die Grenzsäule steht auf einer Wiese, davor liegen Werkzeuge der Handwerker, die den Pfahl fest verankert haben

Steht in der Clausewitz-Kaserne am Admiral-Dieter-Wellershoff-Gebäude: die rund 400 Kilogramm schwere Grenzsäule

Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel

Als es draußen brodelte

Dass sich die Wende friedlich vollzog, dafür ist Kanzler dankbar. Zumal Volkspolizei, Staatssicherheit, Grenztruppen und NVANationale Volksarmee bereitstanden. Kanzlers Verband befand sich bereits in Alarmbereitschaft, als im Oktober 1989 die ersten Züge von der Prager Botschaft über Dresden nach Westdeutschland rollten. „Vom Koch bis zum Kommandeur war alles in der Kaserne. Die Lage – einfach nur chaotisch, trotz festgelegter Verfahren. Schließlich haben wir sogar die Rundumverteidigung der Kaserne ausgebaut.“ In dem damals 23-jährigen Offizier wurden die Zweifel, „ob das alles richtig ist, was wir hier tun“, immer größer. „Wir hatten ja schon 1988 mitbekommen, dass und warum es draußen brodelt.“

Chris Tiburski steht nahe der Grenzsäule und wird gerade von einem Offizier in den Ruhestand verabschiedet

An der Grenze zum Ruhestand: Stabsbootsmann Chris Tiburski (l.) wird von Oberst i.G. Michael Schlechtweg, Chef des Stabes der Führungsakademie der Bundeswehr, verabschiedet

Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel

Denkwürdiger Augenblick

Mit der Wiedervereinigung wurde Kanzler in die Bundeswehr übernommen. Zehn Jahre später ging Dirk Neumann zu den Streitkräften. Der heutige Hauptmann und Kasernenoffizier hat den Aufbau der längst außer Dienst gestellten Grenzsäule koordiniert. Mit einem Kompass sorgte Neumann sogar für die exakte Ost-West-Ausrichtung. Nun steht der Pfahl, fest verankert mit einem Betonfundament, in der Clausewitz-Kaserne in Hamburg. Und war bereits Kulisse für einen denkwürdigen Augenblick – als Stabsbootsmann Chris Tiburski, einst ebenfalls bei der NVANationale Volksarmee, Ende September in den Ruhestand trat. Für ihn schloss sich jetzt ein Kreis – an der Grenzsäule, als Symbol für die überwundene Teilung.

von Mario Assmann  E-Mail schreiben