„Als die Mauer fiel…“ – Mitarbeitende blicken zurück
„Als die Mauer fiel…“ – Mitarbeitende blicken zurück
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 7 MIN
Diese Nacht veränderte alles: das politische System, die Möglichkeiten zu reisen und vor allem die Gesellschaft. Der Sprecher der DDR-Regierung, Günter Schabowski, verkündete bei einer Pressekonferenz am Abend des 9.November 1989 die neuen Reiseregeln. Kurze Zeit später ist die Berliner Mauer gefallen. Vier Mitarbeitende der Führungsakademie der Bundeswehr blicken auf dieses geschichtliche Ereignis zurück und erzählen ihre persönliche Geschichte.
Überall waren bunte Lichter
Als sich das politische System änderte, war Oberregierungsrätin Melanie Schulz gerade mal neun Jahre alt. Verstanden, was in dieser Zeit passiert ist, hat die Grundschülerin damals in Gänze nicht. Sie merkte nur, dass ihre Eltern sehr kritisch waren. Ihr Vater hat sich in der Bürgerbewegung „Neues Forum“ engagiert und war dementsprechend viel unterwegs. Er war auch derjenige, der sie mit zu Montagsdemonstrationen in ihrer Heimatstadt Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) nahm. Gemeinsam mit ihm demonstrierte Melanie Schulz für eine demokratische Neuordnung.
Als die Mauer vor 30 Jahren gefallen ist, hat die damals Neunjährige bereits geschlafen. Von dem Ereignis erfuhr sie am nächsten Morgen von ihrem Vater. „Ich war ein stückweit fassungslos darüber.“ Denn ihr Vater wollte an diesem Tag nichts unternehmen. Sie musste also wie gewohnt zur Schule gehen. „Es waren nicht alle Mitschüler da“, erinnert sie sich heute. Eine Woche nach der Maueröffnung fuhr die gesamte Familie dann nach Aurich zu Freunden. „An der Grenze wurden wir gefragt, ob wir einen Stadtplan für Hamburg haben wollen“, sagt Schulz. Doch das verneinte die Familie. Mit einer Karte von ihrem Opa aus dem Jahr 1936 machten sie sich schlussendlich auf die lange Reise in den Westen. „Wir sind im Dunkeln in Aurich angekommen und dachten, dort ist Rummel. Überall waren bunte Lichter. Später stellten wir fest, dass es ein Einkaufszentrum war“, sagt sie und lacht. „Es war einfach aufregend.“ Heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, schaut sich Melanie Schulz ein Foto von damals an: In einem Bildarchiv fand sie eines von der Eröffnung des Brandenburger Tores am 22.Dezember 1989 in Berlin. Es weckt Erinnerungen an eine Zeit, die einfach alles verändert hat.
Nach Dienstschluss gleich zur „Zonengrenze“
Wo er am Tag des Mauerfalls – am 9.November 1989 – war, daran kann sich Oberstleutnant i.G. Jörg Barandat noch genau erinnern: Zur damaligen Zeit war er Hauptmann und Chef der vierten Kompanie im Panzeraufklärungsbataillon 10 in Ingolstadt. Ende August 1989 kam er an die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Hier absolvierte er bis zum 1.Dezember 1989 den Vorgängerlehrgang des heutigen Basislehrganges Stabsoffizier (BLSBasislehrgangs Stabsoffizier). „Mit unserem Dozenten aus dem Fachbereich Sicherheitspolitik und Streitkräfte (SPS) diskutierten wir intensiv die Lage. Es bestand Konsens darüber, dass die Staaten des Warschauer Vertrages (WVO) und Rates für Gemeinsame Wirtschaftshilfe (RGW) wirtschaftlich am Ende waren, und dass grundlegende Veränderungen bevorstünden. Dies spiegelte sich auch in den aktuellen Diskussionen wider, aber dass es dann so schnell gehen würde, damit hatte keiner gerechnet“, sagt Barandat. Am Abend des 9. November 1989 besuchte er das Volksfest „Hamburger Dom“. „Als ich gegen Mitternacht zur U-Bahn-Haltestelle ging, stand da ein Zeitungsverkäufer: ,Extrablatt! Die Mauer gefallen, die Grenze ist offen!‘ Mein erster Gedanke: Nun dreht die Springer-Presse aber völlig ab“, so Barandat.
Zurück in der Unterkunft schaltete er das Radio und den Fernseher an. Er verfolgte, was Günter Schabowski zu den neuen Regelungen für Reisen ins Ausland verbreitete. Anschließend liefen die Bilder von der Öffnung des Grenzübergangspunkts Bornholmer Straße in „Dauerschleife“. Es war eine kurze Nacht, so Oberstleutnant Barandat. Am nächsten Morgen ging es wieder in den Hörsaal. An die Worte seines Dozenten kann er sich ebenfalls noch erinnern: „Eigentlich müssten wir jetzt die Sektkorken knallen lassen, aber sie wollen ja in den nächsten Tagen gut ihre Prüfung bestehen?! Also, weiter geht’s im Unterrichtsstoff.“ Nach Dienstschluss ist er gleich zur „Zonengrenze“ nach Lauenburg gefahren: „Die Straßen waren geschwängert von Zweitakterabgasen - nie wieder in meinem Leben habe ich schlechte Luft mit solcher Freude eingesogen.“
Mauerfall lässt alte Liebe nach über 40 Jahren wieder entflammen
Als die Mauer fiel, war Fregattenkapitän Kirst Amenda gar nicht in Deutschland. Dennoch hat er eine ganz persönliche Mauerfallgeschichte – vielmehr eine Familiengeschichte. Zur damaligen Zeit war er als Leutnant zur See in der fliegerischen Ausbildung in den USA.
Von dem geschichtlichen Ereignis in seiner Heimat erfuhr Fregattenkapitän Amenda zufällig über die Nachrichten im Fernsehen. Seine persönliche Geschichte beginnt jedoch kurze Zeit später mit einem Brief, den seine Oma aus Erfurt zugeschickt bekam. „Meine Oma ist Eckernförderin und mein Opa war als Bootsmann bei der Marine dort eingesetzt“, sagt Fregattenkapitän Amenda. Nach dem Krieg wollte sein Großvater zurück nach Thüringen. Seine Oma wollte ihre Heimat jedoch nicht verlassen. Die Konsequenz: Sie ließen sich 1946 scheiden. Seitdem gab es keinerlei Kontakt zu ihm. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, bekam seine Oma kurze Zeit später diesen besagten Brief aus Erfurt. In diesem erkundigte sich sein Opa nach den gemeinsamen Kindern und erzählte, wie sein Leben in den vergangenen Jahren verlaufen ist. Er war unter anderem bei der Polizei, womit jeglicher Westkontakt damals ausgeschlossen war. Kurze Zeit später besuchte „Opa Alfred“, wie er nun von allen genannt wurde, Eckernförde.
Dadurch lernte Fregattenkapitän Amenda seinen Großvater und seine Mutter ihren Vater kennen. „Als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, fiel mir auf, dass er kleiner als meine Oma war und mit schwer verständlichem Dialekt sprach“, sagt Fregattenkapitän Amenda und lacht. Doch „Opa Alfred“ ging es mit dem Plattdeutschen wohl nicht anders, ergänzt er. Die Liebe zwischen seinen Großeltern flammte wieder auf.Im Sommer 1990 löste „Opa Alfred“ seinen Hausstand in Erfurt auf und zog wieder mit „Oma Gerda“ in Eckernförde zusammen. Der Höhepunkt folgte dann vier Jahre später: „Opa Alfred“ und „Oma Gerda“ heirateten 48 Jahre nach ihrer Scheidung, also im Jahr 1994, erneut - in ihrem Wohnzimmer und mit den eigenen Kindern als Trauzeugen – mit dabei war die komplette Familie.
Plötzlich verstummten die Podiumsgäste
Schon immer hat sich Oberstleutnant Dirk Nickels für Außen- und Sicherheitspolitik sowie Geopolitik interessiert. Im Herbst 1989 erfuhr der junge Offizieranwärter, der dem Panzerbataillon 513 angehörte, von einem Informationsabend in Flensburg. In diesem sollte es um die aktuellen Entwicklungen in Deutschland und Europa gehen. Das Thema weckte sein Interesse. Er nahm an der Veranstaltung teil. „Zu dieser Zeit liefen bereits die Demonstrationen in Leipzig, das Thema Wiedervereinigung war zwar insgeheim schon in mancher Munde, wurde aber noch nicht direkt ausgesprochen“, sagt Oberstleutnant Nickels. Dieses Thema sei offiziell noch nicht so vehement verfolgt worden. „Man hat aber schon gespürt: Da ist etwas im Busch“, so Nickels weiter. Im zweiten Teil dieser Abendveranstaltung fand eine Podiumsdiskussion statt. Als diese im vollen Gange war, kam eine Mitarbeiterin des Hauses herein und gab dem Moderator einen Zettel in die Hand. „Dieser guckte völlig irritiert und las den Zettel mit einer kurzen Verzögerung vor“, erinnert sich Nickels heute. Die Worte des Moderators hat er ebenfalls nicht vergessen: „Unsere Mitarbeiterin hat mir gerade eben eine Information hereingegeben, die für mich noch so unglaublich scheint, aber im Grunde genommen voll in unser jetziges Thema passt: Ich habe soeben erfahren, dass berichtet wird, dass die Mauer in Berlin geöffnet wurde.“ Die Diskussion im Saal verstummte - plötzlich waren alle Anwesenden sprachlos. Der Moderator löste in diesem Moment die Podiumsdiskussion auf: „Ich möchte das jetzt eigentlich auch so stehen und wirken lassen und die heutige Veranstaltung damit beenden. Wir sollten alle einmal rausgehen und uns davon überzeugen, ob das wirklich der Wahrheit entspricht.“
Der junge Offizieranwärter setzte sich sofort ins Auto und hörte Radio. Auf allen Sendern liefen entsprechende Berichte. Als er zu Hause angekommen war, verfolgte er die Nachrichten im Fernsehen und sah, wie die ersten Trabbis am Übergang in der Invalidenstraße „rüberkamen“ und die Menschen am Brandenburger Tor die Mauer „erstürmten“. „Ich kannte ja noch die Zone. Wir haben in der Zeit des Kalten Krieges unsere Stellungen für die Panzer im Grenzgebiet erkundet, sind privat ausschließlich auf den offiziellen Transitstrecken mit mulmigem Gefühl durch die DDR nach Westberlin gefahren. Mir war an diesem Abend sofort bewusst, dass das, was gerade passiert, ein Stück Geschichte ist. Die Bilder im Fernsehen und vor allem die Freude der Menschen an diesem Abend werde ich nie vergessen. Das war Gänsehaut pur.“