Reservistendienst im Wald der Erinnerung
Reservistendienst im Wald der Erinnerung
- Datum:
- Ort:
- Schwielowsee
- Lesedauer:
- 4 MIN
Stabsunteroffizier Stephan Gorn ist Gästeführer im Wald der Erinnerung. Er leistet Reservistendienst im Einsatzführungskommando der Bundeswehr und kann bei den Rundgängen durch die Gedenkstätte seine Erlebnisse als aktiver Soldat ebenso einbringen, wie die Erfahrungen aus seiner Zeit als Krankenpfleger.
„Hier schließt sich für mich der Kreis“, sagt Stabsunteroffizier Stephan Gorn. Er blickt auf die Stelen mit den Namen der Gefallenen. Zu jedem Namen kennt er eine Geschichte über den Tod und das Leben des jeweiligen Menschen. Oft erzählt er diese Geschichten und hält damit die Erinnerungen wach. Gedenken im Gespräch . Gorn führt Besuchsgruppen durch den Wald der Erinnerung bei Potsdam. Zehn Monate im Jahr leistet er hier Reservistendienst und geht damit zugleich einer Herzensaufgabe nach: „Kameradschaft ist keine Worthülse“, sagt er, „Ich kann sie hier ausleben. Etwa, indem ich traumatisierte Kameraden bei ihrem Besuch durch die Gedenkstätte begleite.“
Erfahrungen weitergeben und anderen zuhören
Tod und Verwundung gehören zu den Gefahren im Dienst bei der Bundeswehr, dass erlebte Stabsunteroffizier Gorn in seiner Zeit als aktiver Soldat. 1992 wurde er Fallschirmjäger. 1993 ging er mit dem Fallschirmjägerbataillon 263 in den Einsatz nach Somalia. Damals war er 20 Jahre alt und erlebte, wie im Gefecht von Mogadischu amerikanische Kameraden fielen. Er selbst setzte seine Waffe gegen Menschen ein, wie er erzählt, und stand am Flughafen Spalier, als die gefallenen Kameraden ihre letzte Heimreise antraten. Diese Erfahrungen bringt er in seine Führungen mit ein und erzählt offen, aber ohne Pathos, von seinen Erlebnissen. Seine große Stärke aber ist das Zuhören. Die Angehörigen Verstorbener, wie auch Kameradinnen und Kameraden, die selbst Ähnliches erlebt haben, erzählen ihm ihre Geschichten, ihre Sorgen, ihre quälenden Gedanken. Und diese wiederum erzählen vom Leben der Kameradinnen und Kameraden, die sie im Wald der Erinnerung betreuen.
Lebensweg als Reservist und Pfleger
Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr wurde Stephan Gorn Krankenpfleger. Menschen zu helfen, das ist seine Lebensmission und war es auch schon als Soldat. In der Pflege arbeitete er in verschiedenen Kliniken der Region, studierte Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Krankenhausmanagement und wurde schließlich Abteilungsleiter. Im Management kamen ihm am Ende aber der Dienst an den Patienten und die Menschlichkeit zu kurz. „Ich habe mich nicht mehr im Krankenhaus gesehen“, erzählt er über seine Lebenswende. Er wurde Patientenberater und suchte nach neuen Möglichkeiten. Und fand sie in der Reserve. Als 2013 die Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie (RSU) Brandenburg aufgestellt wurde, war er als einer der E rsten mit dabei und engagierte sich in der Kompanie für den Heimatschutz. 2017 verlegte er seinen Schwerpunkt auf die Gästeführungen im Wald der Erinnerung.
Raum für persönliches Gedenken
Der Wald der Erinnerung ist einer der emotionalsten Orte der Bundeswehr und liegt auf dem Gelände der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Schwielowsee bei Potsdam. Dort hat auch das Einsatzführungskommando seinen Sitz. Die Gedenkstätte wurde 2014 eingeweiht und ist der persönlichen Trauer der Betroffenen gewidmet. Sie ist eine Ergänzung zum Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin. Im Wald der Erinnerung stehen die Ehrenhaine aus den Einsatzgebieten der Bundeswehr. Auf steinernen Stelen sind die Namen und Lebensdaten aller in Einsätzen Verstorbener angebracht. Im Wald haben Angehörige und Kameradinnen und Kameraden die Möglichkeit, Verstorbenen einen Baum zu widmen und dort ganz persönliche Erinnerungsstücke oder Tafeln anzubringen. Zu fast jedem Stück kennt Stabsunteroffizier Gorn die Geschichte. Wenn ein kleines Erinnerungsstück von einem der Simse an den Stelen herunterfällt, weiß er, zu welchem Namen es gehört und oft auch, wer es abgelegt hat. „Ich bin ein Vitae-Nerd“, ein Lebenslaufexperte, sagt Gorn von sich selbst. Mit den Geschichten und Lebenswegen hinter den Namen hält er die Erinnerungen wach.
Erfahrungen aus dem Zivilberuf hilft beim Dienst
Der Heimatschutzkompanie wird er auch weiterhin verbunden bleiben, ebenso wie der Krankenpflege. Während er keinen Reservistendienst leistet, arbeitet der 49-jährige Familienvater im Krankenhaus. Als Pfleger, nicht als Manager. 2020 in der Corona-Pandemie unterstützte er für drei Monate ein Bundeswehrkrankenhaus in Berlin als Intensivpfleger. 2021 war er mit der Heimatschutzkompanie bei der Fallwildsuche im Osten Brandenburgs, einem Einsatz der Reserve zur Eindämmung der Schweinepest. Er sagt: „Heimatschutz ist heute wichtiger denn je.“ Beordert ist er jedoch im Besucherdienst des Presse- und Informationszentrums des Einsatzführungskommandos, als ausgebildeter „Sammlungsführer der Bundeswehr“. Er nennt seinen Job kurz „Guide“.
„Ich kann im Wald der Erinnerung beide Berufe zusammenbringen“, erzählt Stabsunteroffizier Gorn, „das macht für mich den Reiz aus.“ Als sensibler Zuhörer für trauernde oder traumatisierte Soldatinnen und Soldaten ist er Kamerad und bietet durch Zuhören und Gespräche echte Hilfe, indem er eigene Erfahrungen aus dem Einsatz teilt. „Das ist hier auch eine Stätte der Therapie“, sagt er. Für ihn als professionellen Menschenkenner hat der Wald der Erinnerung viele Dimensionen über das Gedenken hinaus. „Es ist auch eine Stätte der Aus- und Fortbildung, gerade für die Jüngeren. Es ist eine Begegnungsstätte, eine Stätte der Selbstversicherung.“