Truppenpsychologie in Zeiten der Pandemie
Truppenpsychologie in Zeiten der Pandemie
- Datum:
- Ort:
- Deutschland
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Soldatinnen und Soldatinnen werden in der Amtshilfe auch mit Situationen konfrontiert, die sie aus der Kaserne nicht kennen. Der Kontakt mit gebrechlichen Menschen, die vielleicht dem Tode nahe sind, kann zur Belastung werden. Truppenpsychologen sagen aber auch: Viele Kameraden und Kameradinnen gehen aus der Corona-Hilfe gestärkt hervor.
Ein junger Soldat meldet sich im Rahmen der Amtshilfe zur Unterstützung in einem Altenheim in der süddeutschen Provinz. Er sieht Menschen an der Schwelle des Todes. Spürt ihre Einsamkeit, hört von Angst und Schmerzen. Eindrücke, die ihn auch nach Dienstschluss beschäftigen. Er schläft schlecht, fühlt sich bedrückt. Zeit für ein Gespräch mit dem Truppenpsychologen?
René Klein arbeitet als Truppenpsychologe beim Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Berlin. Hier wird seit knapp einem Jahr die truppenpsychologische Unterstützung von Soldaten und Soldatinnen in der Corona-Hilfe koordiniert. René Klein: „Wichtig ist, dass wir – ähnlich wie bei der Flüchtlingshilfe – immer einen aktuellen Blick auf die Lage haben und wissen, wo Einsatz der Kameraden und Kameradinnen in der Corona-Hilfe zur Belastung wird.“ Das psychologische Lagebild wird regelmäßig über die Regionalen Führungsstäbe gemeldet.
Konfrontation mit Trauer, Leid und Tod
Klein, der seit dem Jahr 2000 als Psychologe für die Bundeswehr arbeitet, erinnert sich noch gut an die Reaktionen von Soldaten und Soldatinnen, die in der Flüchtlingshilfe eingesetzt waren. „Da standen plötzlich Menschen mit Kriegserfahrungen vor ihnen, Menschen ohne Schuhe, Menschen, die von ihren Angehörigen getragen werden mussten, weil sie keinen Rollstuhl hatten.“
Derart drastische Erfahrungen sind im Rahmen der Pandemiebekämpfung selten, doch auch hier werden junge Bundeswehrangehörige plötzlich in Situationen geworfen, die sie verkraften müssen. „Da gibt es vielleicht zum ersten Mal den Kontakt mit gebrechlichen Menschen, andere Soldaten und Soldatinnen werden durch Begegnungen in Pflegeheimen an ihre eigenen, vielleicht erst kürzlich verstorbenen Großeltern erinnert“, sagt René Klein. In solchen Fällen ist die Arbeit der Truppenpsychologen gefragt.
Positive Erfahrungen im Rahmen der Amtshilfe
Besonders bedrückend entwickelte sich beispielsweise ein Amtshilfeeinsatz in einem bayrischen Seniorenheim: Die hygienischen Zustände dort waren katastrophal und schockierten die Soldaten und Soldatinnen vor Ort. „Wir haben zeitnah interveniert und bieten den betroffenen Kameraden und Kameradinnen auch eine entsprechende Nachsorge an“, so René Klein.
Die Kollegin Sophia Kuhn ist Truppenpsychologin im LogKdoBw mit Dienstort an der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt. Dort ist sie auch zuständig für die psychologische Betreuung der Soldaten und Soldatinnen. Sie hat sich zudem mit den möglichen Auswirkungen vom Einsatz in der Corona-Hilfe befasst. „Hervorzuheben ist, dass der Großteil der eingesetzten Soldaten uns von sehr positiven Erfahrungen im Rahmen der Amtshilfe berichtet.“
Den richtigen Umgang mit Belastungen lernen
Diese hohe Zufriedenheit überrascht die Psychologin nicht. „Die Soldaten und Soldatinnen erfahren ganz unmittelbar, dass sie eine sinnvolle Aufgabe erfüllen und direkt dazu beitragen, eine Problemlage zu bewältigen.“ Sie sehen ihren Beitrag für das Allgemeinwohl, sie erfahren Dankbarkeit von zivilen Kollegen, von Angehörigen, oder von Heimbewohnern. „Selbstwirksamkeit“ nennen Psychologen dieses Erleben eigener Stärken. Und genau das ist es auch, was beim Umgang mit möglichen Belastungen hilft, weiß Sophia Kuhn. „Wer Corona-Schnelltestungen in Pflegeheimen durchführt, ebnet den Bewohnern Wege aus ihrer Einsamkeit. Wer in der Kontaktnachverfolgung oder im Impfzentrum arbeitet, verhindert Ansteckungen.“ Soldaten und Soldatinnen, die sich die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit bewusstmachen, können nach Kuhns Erfahrungen in solchen Situationen besser zurechtkommen.
Leitfaden gibt Vorgesetzten Hilfestellung
Dann aber gibt es eben auch die anderen Fälle. Die Soldatin, deren Großmutter selbst gerade im Sterben liegt. Den Kameraden, der eine enge Beziehung zu einer Seniorin im Heim entwickelt – und mit ihrem plötzlichen Tod konfrontiert ist. Hier empfehlen die Psychologen den Soldaten und Soldatinnen, in sich hineinzuhören. „In den ersten Tagen und Wochen nach emotional belastenden Erlebnissen ist es normal, wenn ich traurig bin, schlecht schlafe oder gereizter bin als sonst“, sagt Sophia Kuhn. Diese Reaktionen seien Teil des Verarbeitungsprozesses und klingen in der Regel nach einer Weile von alleine ab. Sollten ungute Gefühle, Flashbacks, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen als Reaktion auf vermehrte Beanspruchung länger anhalten, bieten die Psychologen schnelle und unkomplizierte Unterstützung an – gerne auch per Telefon, immer unter strengster Einhaltung der Schweigepflicht.
„Wir können einfach anzuwendende Techniken vermitteln, die in derartigen Situationen gut helfen“, sagt Sophia Kuhn. Dabei geht es darum, eigene Stärken zu mobilisieren, etwas mehr Distanz zu Belastungssituationen zu schaffen und sich bewusst zu machen, dass die eigene Arbeit dazu beiträgt, schwierigste Situationen für Kranke, Angehörige oder Pflegeheimbewohner erträglicher zu machen. Vorgesetzte von Bundeswehrmitarbeitern, die in der Hilfeleistung Corona eingesetzt sind, bekommen jetzt vom Referat Truppenpsychologie der Streitkräftebasis einen Leitfaden an die Hand, der über die Möglichkeiten der psychosozialen Nachsorge informiert. „So können wir sicherstellen, dass Vorgesetzte angemessen reagieren, wenn Mitarbeiter in ihrem Bereich über emotionale Belastungen als Folge des Corona-Einsatzes klagen“, erläutert Truppenpsychologe René Klein – und betont: „Bei der großen Mehrheit des eingesetzten Bundeswehrpersonals sehen wir deutlich positive Effekte: Soldaten und Soldatinnen fühlen sich gestärkt und bestätigt durch die neuen Aufgaben.“
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