Streitkräftebasis
Multinationale Verlegung

„Host Nation Support ist eine Koordinationsaufgabe“

„Host Nation Support ist eine Koordinationsaufgabe“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
8 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Die vierte Rotation von USUnited States-Streitkräften (Atlantic Resolve) über die Drehscheibe Deutschland ist in vollem Gange. Die Streitkräftebasis vereint dabei alle benötigten Fähigkeiten und ist der entscheidende Akteur bei der Verlegung von Personal und Material. Im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr leitet Oberstleutnant Michael Zerreßen den Bereich Host Nation Support. Im Interview erklärt er, was die Bundeswehr bereits zum Host Nation Support für Atlantic Resolve geleistet hat und warum seine Aufgabe immer wichtiger wird.

Operation Atlantic Resolve

Die Streitkräftebasis der Bundeswehr leistet logistische Unterstützung bei der Verlegung des Materials und Ausrüstung der 2. Brigade der 1. USUnited States-Infanteriedivision aus Fort Riley/Kansas vom amerikanischen Transportschiff Resolve in Bremerhaven, am …

Bundeswehr/Nicole Diedrichsen

Herr Oberstleutnant, Atlantic Resolve geht in diesem Jahr in die vierte Runde. Wie verliefen die Verlegungen der USUnited States-Streitkräfte durch Deutschland aus Ihrer Sicht?

Die Verlegungen verliefen im Großen und Ganzen sehr gut. Die USUnited States-Streitkräfte verlegten bisher etwa 12.500 Fahrzeuge und Container über die Drehscheibe Deutschland nach Polen und wieder zurück in die USA. Bis Anfang 2017 wurden keine Transporte mehr in diesem Umfang durch Deutschland bewegt. Dabei wird bisher jedoch nur ein geringer Anteil der USUnited States-Brigade tatsächlich auf der Straße durch Deutschland gefahren. Im Wesentlichen wird das Material im Seehafen Bremerhaven bzw. derzeit in Antwerpen entweder direkt auf die Schiene oder auf Binnenseeschiffen nach Deutschland transportiert und dort auf die Bahn verladen.

Schließen ausländische Streitkräfte in Deutschland Verträge mit deutschen Unternehmen?

Ja, grundsätzlich können Streitkräfte fremder Nationen auch Verträge mit zivilen Unternehmen abschließen. Im Fall Atlantic Resolve ist dies Sache der USUnited States-Streitkräfte. Das geschieht im Allgemeinen aber immer erst dann, wenn die Bundeswehr die angeforderten Unterstützungsleistungen oder den Leistungsumfang nicht bereitstellen kann. Die Bundeswehr prüft dann zunächst, ob sie die Unterstützung durch Nutzung eigener Rahmenverträge gewähren kann. Wenn nicht, verweisen wir auf die Möglichkeit, die Unterstützungsleistungen durch Verträge mit Unternehmen in Deutschland zu sichern. Den Bahntransport beispielsweise haben die USUnited States-Streitkräfte gemeinsam mit der Deutschen Bahn vertraglich vereinbart.

In welchem Umfang leistet die Bundeswehr Host Nation Support für Atlantic Resolve?

Im Fall Atlantic Resolve unterstützt die Bundeswehr in erster Linie mit der Bereitstellung von Genehmigungen zum Marsch auf der Straße durch das Logistikzentrum der Bundeswehr – sogenannte Marschkredite. 
Den zweiten Schwerpunkt der Unterstützung bildet die Bereitstellung von Infrastruktur mit Real-Life-Support. Das heißt, wir stellen Unterkünfte und Quartiere für das Personal der USUnited States-Streitkräfte zur Verfügung. Dort werden die Soldaten während der Verlegung kurzzeitig untergebracht und verpflegt, Fahrzeuge abgestellt und betankt oder ein Gefechtsstand eingerichtet, um Straßenmärsche zu überwachen und zu führen. Dieser Real-Life-Support wurde beispielsweise an der Logistikunterstützungsschule der Bundeswehr in Garlstedt und auf einigen Truppenübungsplätzen eingerichtet. 
Den dritten Schwerpunkt bildet der Einsatz von Feldjägerkräften. Sie leisten den militärischen Verkehrsdienst zur Überwachung der Bewegungen auf der Straße und begleiten die Konvois auf besonders verkehrsintensiven Teilen der Straße sowie einen Teil der Materialzüge. 
 

Atlantic Resolve

Angehörige der USUnited States-Army legen auf ihrem Weg ins Baltikum im Rahmen der Operation Atlantic Resolve einen Zwischenstopp auf dem Truppenübungsplatz Lehnin ein, am 10.01.2017.

Bundeswehr/Stefan Zimmermann

Wie und durch wen wird Host Nation Support bei der Bundeswehr beantragt?

Wann immer sich eine fremde Streitkraft durch Deutschland bewegen will, braucht sie eine Genehmigung. Diese wird über das Bundesministerium der Verteidigung erteilt. Dort werden Anträge auf Ein- und Durchreise fremder Streitkräfte geprüft und genehmigt. Dabei müssen auch die Inhalte der Transporte angezeigt werden, sofern es sich um Gefahrengüter oder gefährliche Stoffe handelt. Wenn zusätzlich Unterstützungsleistungen gefordert sind, dann geht dieser Antrag hier bei uns im Sachgebiet Host Nation Support im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr ein. Wir übernehmen dann die Koordinierung der angefragten Unterstützungsleistungen über die Landeskommandos. Grundsätzlich ist Host Nation Support eine Kann-Leistung, es besteht also kein Anspruch darauf. Wenn die Unterstützung leistbar ist, leisten wir sie.

Welche Rolle spielen die Landeskommandos dabei?

Sie fungieren als regionale Koordinatoren, denn Host Nation Support erfolgt regional und lokal. Das bedeutet, die durchreisenden Streitkräfte fordern in der Regel ganz bestimmte Unterstützungsleistungen an einem ganz bestimmten Ort an. Die zuständigen Landeskommandos klären mit den entsprechenden Dienststellen im Zuständigkeitsbereich, ob diese die beantragten Unterstützungen leisten können. Anschließend geht die Meldekette wieder zurück. Genehmigt wird der Support durch das Kommando Territoriale Aufgaben. 
Die Landeskommandos sind zudem der Ansprechpartner für die zivilen Partner im Bundesland. Wenn wir beispielsweise Unterstützung durch die Polizei benötigen, setzen sich die Landeskommandos über die Innenbehörden ihres Landes mit der Polizei in Verbindung und fragen die Unterstützung an. 
 

Porträtaufnahme eines Stabsoffiziers.

Oberstleutnant Zerreßen ist der zentrale Ansprechpartner, wenn es um Host Nation Support geht.

Bundeswehr/Ismael Akbar

Wer sind die Partnernationen, die sich gegenseitig Host Nation Support leisten?

Grundsätzlich kann jede ausländische Streitkraft, die nach Deutschland kommen möchte, Host Nation Support beantragen. Die häufigsten Anfragen kommen aber natürlich von unseren Bündnispartnern aus EUEuropäische Union und NATO. Zudem arbeiten wir im National Territorial Commanders Committee mit den Ansprechpartnern für Host Nation Support aus 25 europäischen Nationen und den USA zusammen. Sie sind gleichzeitig Ansprechpartner für uns, wenn wir uns im Ausland bewegen.

Das heißt, die Bundeswehr nimmt als Gastnation auch den Support anderer Streitkräfte in Anspruch?

Selbstverständlich. Wenn deutsche Soldaten an einer Übung beispielsweise in Polen teilnehmen, dann stützen wir uns dort – wenn möglich – auch auf Host Nation Support ab. Auch bei Auslandseinsätzen kommt eine Abstützung auf Host Nation Support in Frage. So wurde beispielsweise der Einsatz Active Fence in der Türkei durch die Host Nation unterstützt.

Damit kommen wir zur Frage nach den Kosten: Wer zahlt die Rechnung?

Host Nation Support ist kostenpflichtig. Das heißt, jede Leistung wird erfasst und durch das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBwBundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr) an die antragstellende Nation in Rechnung gestellt. Es gibt auch hier Ausnahmen, diese sind aber vertraglich zu regeln. Das NATO Status of Forces Agreement beispielsweise sieht vor, dass gewisse Leistungen, wie zum Beispiel die Bereitstellung von Kartenmaterial, kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. 

Wenn die Truppen fremder Streitkräfte durch Deutschland rollen, dann sorgt das auch für öffentliche Aufmerksamkeit. Wer ist für Öffentlichkeits- und Pressearbeit zuständig?

Die Hoheit über die Pressearbeit liegt ganz klar bei den Landeskommandos. Sie sprechen für ihr jeweiliges Bundesland. Wichtig ist, dass die Bevölkerung gut informiert wird, um Unsicherheiten zu vermeiden und zu erklären, was da genau passiert. Bei Atlantic Resolve arbeiten die USUnited States-Streitkräfte eng mit der Streitkräftebasis zusammen. Das halte ich für sehr sinnvoll, da gerade eine so große Operation öffentlich sichtbar ist und Aufmerksamkeit hervorruft. Da ist es wichtig, rechtzeitig und transparent zu informieren.

Operation Atlantic Resolve

Zivile LKWs mit amerikanischen Fahrzeugen auf dem Weg in Richtung Polen: Die 3. Brigade der 4. USUnited States-Infanteriedivision verlegt über Bremerhaven nach Polen. Im Rahmen des sogenannten Host Nation Support organisiert die Streitkräftebasis große Teile …

Bundeswehr/Ralf Wilke

Herr Oberstleutnant Zerreßen, die Sicherheitslage verändert sich weltweit. Wie wirkt sich das auf Host Nation Support aus. Wie lautet Ihre Prognose?

Seit Aufstellung des Kommandos Territoriale Aufgaben 2013 und damit der Einrichtung des Sachgebiets Host Nation Support, spüren wir eine stetige Zunahme der Anfragen auf HNSHost Nation Support-Unterstützung. Das muss nicht zwingend mit der Veränderung der Sicherheitslage zusammenhängen, die hohe Zahl an Übungsaktivitäten und den damit zusammenhängenden Transitbewegungen durch Deutschland stehen aber schon in einem gewissen Zusammenhang mit der neuen NATO Policy.
Neben der zahlenmäßigen Zunahme nehmen wir auch eine qualitative Steigerung in den Anforderungen wahr. Beispiel Atlantic Resolve: Das ist ja keine kleine Verlegung. Wenn eine gesamte Brigade transportiert wird, ist das eine komplexe Angelegenheit mit großem organisatorischen Aufwand. Die Operation Atlantic Resolve war der Beginn einer Reihe von Truppenbewegungen, zumindest der USUnited States-Streitkräfte. Die Kräfte und das Material werden in einem bestimmten Rhythmus – etwa alle neun Monate – ausgetauscht.
Die nächste Stufe der quantitativen und qualitativen Entwicklung von Host Nation Support in Deutschland werden wir im Jahr 2020 erleben. Hier planen die USUnited States-Streitkräfte die zeitgleiche Verlegung eines Divisionsäquivalentes, also ca. 5.000 – 7.000 Fahrzeuge und bis zu 25.000 Soldaten nach Europa. Deutschland wird wieder Transitland sein, dieses Mal auf diversen Wegen über den Norden, die Mitte und eventuell auch den Süden Deutschlands. Die Planungen hierzu sind schon angelaufen, aber noch in einem sehr frühen Stadium. 
 

Operation Atlantic Resolve

Die 3. Brigade der 4. USUnited States-Infanteriedivision verlegt über Bremerhaven nach Polen. Im Rahmen des sogenannten Host Nation Support organisiert die Streitkräftebasis große Teile der logistischen Unterstützung, wie z.B. die Unterstützung durch die

Bundeswehr/Alyssa Bier

Auf was muss sich Deutschland als „Drehscheibe“ für solche Truppenbewegungen einstellen? Vor welcher Herausforderung steht die Bundeswehr?

Nun, wir werden uns darauf einstellen müssen, zukünftig weiterhin hoch frequentierter Gastgeber und Transitland zu sein. In den 80er Jahren hatten wir für Host Nation Support noch exklusive Ressourcen und Strukturen, beispielsweise Transport- und Nachschubbataillone. 
Die Struktur und die Ausstattung der Streitkräfte wurden in den letzten Jahrzehnten jedoch an die aktuellen Bedürfnisse und Aufträge der Bundeswehr angepasst und die vorgehaltenen HNSHost Nation Support-Strukturen aufgegeben.

Die Herausforderung besteht in meinen Augen nun darin, herauszufinden, wie wir die umfangreichen HNSHost Nation Support-Bedürfnisse unserer Verbündeten und Partner mit den aktuellen Ressourcen der Bundeswehr unterstützen können. Hier müssen wir uns in Zukunft gegebenenfalls anders aufstellen. Auch die Möglichkeiten zur Abstützung auf Ressourcen Anderer, wie beispielsweise Bund und Länder oder gewerbliche Unternehmen in Deutschland, spielen hier eine wichtige Rolle. Bis jetzt funktioniert jedoch noch alles ganz gut.
Mittlerweile hat sich seit den ersten Bewegungen Anfang 2017 ein sehr gutes Netzwerk der relevanten Partner und zuständigen Stellen für die Unterstützung solcher großen Truppenbewegungen etabliert. Auch die Verfahren zur Vorbereitung und Durchführung der Unterstützung haben sich basierend auf den ersten Erfahrungen weiterentwickelt. 

Abschließend zu Ihnen persönlich. Was genau ist Ihre Rolle? 

Host Nation Support ist eine Koordinationsaufgabe. Als Stabsoffizier und Sachgebietsleiter bin ich für die Koordination von Host Nation Support in der Bundeswehr zuständig und damit auch der erste Ansprechpartner für die Streitkräfte fremder Nationen. Ich bin derjenige, der weiß, an wen man sich in der Bundeswehr wenden muss, wenn man bestimmte Unterstützungsleistungen benötigt.

Zusammen mit meinem 3-Mann starken Team arbeite ich vor allem eng mit den Landeskommandos und den anderen Fähigkeitskommandos zusammen. Ist also beispielsweise Logistik-Unterstützung gefordert, sprechen wir das Logistikkommando der Bundeswehr an. Wir suchen die Unterstützungsleistungen in der Bundeswehr zusammen und schnüren daraus schließlich ein Paket, welches wir dann den Gast-Streitkräften zur Verfügung stellen.
 

Operation Atlantic Resolve

Die 3. Brigade der 4. USUnited States-Infanteriedivision verlegt über Bremerhaven nach Polen. Im Rahmen des sogenannten Host Nation Support organisiert die Streitkräftebasis große Teile der logistischen Unterstützung. Schwere Fahrzeuge wie Panzer werden auf der …

Bundeswehr/Alyssa Bier

Sie sind also sehr gut vernetzt?

Ja! (lacht). Auf diesem Dienstposten lernt man sehr viele Menschen kennen, und das ist wichtig. 
Host Nation Support kann man nicht lernen. Die Arbeit basiert in erster Linie auf unseren Grundlagendokumenten und lebt vor allem von der Vernetzung mit den richtigen Leuten und von der Erfahrung.

von Susanne Lopez  E-Mail schreiben

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.