Eine ungewöhnliche Geschichte: Wie ich drei Arme bekam
Eine ungewöhnliche Geschichte: Wie ich drei Arme bekam
- Datum:
- Ort:
- Kiel
- Lesedauer:
- 6 MIN
Nach einem Fahrradunfall litt Oberstabsarzt Ricardo F.* unter Schmerzen in seiner rechten Hand. Die zahlreichen Besuche bei Ärztinnen und Ärzten brachten keine Linderung. Der Mediziner erzählt seine persönliche Geschichte und wie er am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf Hilfe bekam.
Wenn Sie erwarten jetzt eine Jammergeschichte zu lesen, muss ich Sie leider enttäuschen. Sie können jetzt aufhören zu lesen und haben fünf Minuten gewonnen, um sich Ihrem Alltag zu widmen. Bevor ich den Artikel anfing zu schreiben, habe ich zwei Gutenachtgeschichten gelesen, ein Schlaflied gesungen und drei Becher Wasser geholt. Meine Kinder, meine Frau und meine Familie geben mir Kraft und haben mir geholfen.
Ich war ein durchschnittlicher Medizinstudent, mit einem durchschnittlichen Leben, gerade dabei, mit meiner Verlobten die Hochzeit vorzubereiten, und befand mich in Hamburg für meine Famulatur. Ich fuhr mit meinem Fahrrad entspannt ins Bundeswehrkrankenhaus, als plötzlich ein Autofahrer die Fahrertür öffnete. Es gab einen Knall und ich fiel auf meine rechte Hand. So fing alles an.
Nach dem Unfall
Um es kurz zu machen: Im Mai 2014 war der Unfall und es folgten viele, viele und noch mehr Arztbesuche und dennoch entwickelte sich bis 2016 ein Vollbild eines sogenannten CRPS. Sie können gerne im Internet nachlesen, was das ist, aber es bedeutet Schmerz! Beim Aufstehen, während der Arbeit, beim Fernsehen, beim Einschlafen: Schmerz, immer Schmerz im rechten Unterarm und der Hand. Allgegenwärtig sowie ein Funktionsverlust der Hand.
Nach einigen erfolglosen Therapieansätzen wurde mir 2017 das erste Mal gezielt medizinisch geholfen. Ich war aber bis dahin mit den Nerven, der Seele und dem Körper so ziemlich am Ende. Nebenher lief immer noch das Studium und ich schrieb Prüfungen. Inzwischen nur noch mit Links, denn ich konnte seit 2016 die rechte Hand nicht mehr verwenden. Kraft gaben mir meine Frau und meine Tochter. Dafür mussten beide aber meine Abwesenheiten und meine Stimmungen ertragen, die nicht immer gut waren.
Aussicht auf eine Reha-Maßnahme in Warendorf
Nachdem ich mit einigen Anstrengungen mein Studium abgeschlossen hatte, ging ich wieder nach Hamburg ans Bundeswehrkrankenhaus. Dort schlug mir ein Vorgesetzter vor, Kontakt zum Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) in Warendorf aufzunehmen. Das ZSportMedBw kannte ich nur in Verbindung mit Einsatzschädigungen und dem Karfreitagsgefecht. Halb mystisch und mehr als exklusiv, was eigentlich bis heute das Problem von Warendorf ist. Es kommen mehr Patientinnen und Patienten über Umwege als über den Truppenarzt nach Warendorf, so war es auch bei mir, und das möchte ich gerne ändern.
Dann kam Corona und auf einmal war alles anders und Therapien wurden verschoben. Ich half lange im Gesundheitsamt, bis ich im April 2021 zum Erstgespräch ins ZSportMedBw eingeladen wurde. In einer interdisziplinären Entscheidung und einem professionellen Assessment unter der Leitung von Oberstarzt Dr. Andreas Lison wurde dann festgestellt, dass bei mir erheblicher Rehabilitationsbedarf bestand. Ich konnte Ende November 2021 für drei Wochen nach Warendorf zu einer interdisziplinären Intensiv-Reha gehen. Das Angebot sollte mein Leben nachhaltig verändern.
Die Reha beginnt
Wir waren eine kleine Gruppe aus Patienten, jeder mit anderen Beeinträchtigungen und das Team aus Orthopäden, Internisten, Pharmazeuten, Physiotherapeuten, Sozialdienst, Ernährungstherapeuten und allen anderen holte jeden ab wo er stand. Wir als Patienten kamen schnell auch miteinander ins Gespräch und jeder hatte für den anderen ein offenes Ohr und eine Ermunterung. Es zeigte sich auch, dass wir trotzdem oft dieselben Sorgen und Nöte teilten, diese manchmal aber unterschiedlich bewerteten. Es half uns, unseren eigenen Standpunkt zu überdenken.
Meine Medikamente wurden überprüft und angepasst. Meine Haltung, mein Stand- und Gangbild wurden analysiert und mit den Physiotherapeuten korrigiert. Daraus entstand ein individueller Trainingsplan. Übrigens: Eine Erkenntnis in Warendorf war, dass Physiotherapie, die nicht anstrengt, nicht richtig gemacht wird! Es gab Gruppenschulungen, psychologische Gespräche, das soziale Umfeld und auch finanzielle Hürden wurden, wenn vorhanden, angesprochen und analysiert, meine Ernährung stand auf dem Prüfstand. Und dann sollte ich mich auch bei der Orthopädietechnik vorstellen. Denn wenn man nur mit einer Hand arbeitet, sollte man sich auch Einhandhilfen wenigstens einmal ansehen.
Als ich dort war, gefahren von einem einarmigen Kameraden, den das ZSportMedBw ins Leben und in den regulären Dienst zurückholte, wurde mir vieles gezeigt. Einiges war für mich wirklich nützlich. Nur, was es nicht von der Stange gab, war eine Anziehhilfe und eine Vorrichtung, damit ich mit rechts wieder etwas tragen kann. Hier traf ich auf den richtigen Mann an der richtigen Stelle. Gemeinsam planten und probierten wir den ganzen Tag. Nach sechs Stunden entstanden zwei Entwürfe für zwei persönlich erhebliche Alltagseinschränkungen.
Abschluss der Reha
Ich hatte viel Hoffnung, aber wenig Erwartung, dass die Entwürfe Realität werden. Schließlich ist die Bundeswehr nicht für ihre unbürokratischen Beschaffungswege bekannt. Aber wieder überraschte mich das ZSportMedBw. So wurde ich nicht nur mit der Aussicht auf eine dritte Hand als verfrühtes Weihnachtsgeschenk nach Hause entlassen, sondern auch einem Ernährungsplan, physiotherapeutischen Übungen und einem geänderten mind setting, also dem Gefühl, dass es vorangeht, ich doch noch etwas ändern kann, mein neues Leben dennoch erfüllt sein kann. Ich halte immer noch engen Kontakt mit den Ärztinnen und Ärzten im Zentrum und den Orthopädietechnikern, weil eine so komplizierte Hilfsmittelversorgung lange braucht, um das Beste zu erreichen.
Ein weiteres Geschenk konnte ich mir in den drei Wochen wieder hart erarbeiten: Vor dem Unfall war ich ein sehr guter Schwimmer, konnte aber nicht mehr schwimmen gehen, da jede Berührung des Armes stärkste Schmerzen auslöste. Doch in Warendorf wurde ich zum Schwimmen ermutigt. Nun, am Anfang war es hart, weil ich nicht wusste, wie ich mit einem Arm im Wasser und einem in der Luft schwimmen sollte. Zugegeben, es ist schwierig, aber jeden Tag zwei Stunden Üben half mir. Zum Schluss schwamm ich fast wieder wie früher, lange, viel und mit Begeisterung!
Fazit
Wenn man mich fragt, was das Wichtigste ist, was mir geholfen hat, so kann ich das nicht kurz beantworten: Nicht eine Sache alleine, sondern das gebündelte, hoch engagierte, hoch spezialisierte Angebot auf engstem Raum, ist das, was das ZSportMedBw auszeichnet und mir geholfen hat! Ich habe verstanden, dass Behinderung nicht mit meiner Funktionsstörung gleichzusetzen ist. Sie entsteht vielmehr, wenn man Rehabilitation mit intensiver Krankengymnastik oder Sport gleichsetzt. Und ich bin stolz darauf, den Weg nicht mit, sondern als Teil meines Reha-Teams gegangen zu sein und das bestmögliche auf meinem Dienstposten zurückgeben zu können.
Ich hätte dieses Jahr als Sportler an den Invictus Games teilnehmen können. Entschied mich jedoch dafür das Team Respect zu unterstützen. Das wird ein Bereich außerhalb der Wettkampfarena sein, der sich mit Events und interaktiven Angeboten mit dem Thema Rehabilitation und der notwendigen Weiterentwicklung beschäftigt. Denn: Es ist mir eine Herzensangelegenheit das Reha-Team am ZSportMedBw und die Legacy der Spiele im Bereich Rehabilitation und Inklusion zu unterstützen, damit andere Kameradinnen und Kameraden schneller die Hilfe erhalten, die sie benötigen. Daher wird man mich im September in Düsseldorf nicht in, sondern vor der Arena finden.