Zurück im Leben – zurück in den Dienst
Zurück im Leben – zurück in den Dienst
- Datum:
- Ort:
- Warendorf
- Lesedauer:
- 6 MIN
Ob Unfall oder schwere Krankheit – die Folgen sind oft dramatisch für die Betroffenen. Der diesjährige Internationale Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember ist eine Gelegenheit, das Bewusstsein für ihre Herausforderungen zu schärfen. Leutnant Niklas K. verlor sein rechtes Bein, doch er kämpft sich zurück ins Leben. Stets an seiner Seite: Familie, Freunde und die Bundeswehr.
Drei Tage im künstlichen Koma, eine Woche Intensivstation und weitere Wochen Krankenhausaufenthalt – es war ein Motorradunfall mit schweren Folgen. Für den fast noch frischen Fahranfänger Leutnant Niklas K. wird der Motorradausflug am Tag der Deutschen Einheit vor vier Jahren für immer in Erinnerung bleiben. Die Landstraße war beliebt unter den Motorradfahrern an diesem Tag. Er fuhr mit 80 km/h in eine Kurve, wollte einem entgegenkommenden Fahrer ausweichen und zog die Vorderradbremse. Sein Motorrad fuhr gerade heraus aus der Kurve. Bei Bewusstsein und unter Adrenalin spürt er zunächst keine Schmerzen. Das viele Blut jedoch gab ihm zu denken: „Als ich mein Bein gesehen habe, war mir klar, dass es weg ist.“
Raus aus dem Tief durch Motivation und Willen
Als der junge Offizieranwärter aus dem künstlichen Koma erwachte, wurde ihm die Realität erst richtig bewusst: „Verdammt, mein Leben ist vorbei.“ Wie viele andere Menschen in solchen Lebenssituationen fragte er sich, wie sein Leben überhaupt weitergehen soll. Das Prozedere bei Amputationen ist bereits Standard: Nach Verlegung von der Intensivstation lernen die Patienten viele alltägliche Dinge des Lebens erst wieder neu - angefangen vom sich Aufrichten im Bett bis hin zum selbstständigen auf die Toilette gehen. Die physischen Herausforderungen sind das eine, die mentalen das andere. Zwar wurde Niklas K. auch psychologisch unterstützt, doch erst ein Gespräch mit einem anderen Patienten mit ähnlichem Schicksal gab ihm ein Ziel. Er könnte ein normales Leben führen - mit Prothese. Von da an lautete die Frage: „Was muss ich machen, um das zu bekommen?“
Reha als Ziel
In den Wochen der Genesung im zivilen Krankenhaus wurde auch über die Möglichkeiten der Rehabilitation gesprochen. Doch hier schaltete sich früh die Bundeswehr ein. Nach dem Anruf vom Rehabilitations-Team am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) in Warendorf stand fest: Weihnachten wollte Niklas K. bei seiner Familie sein und anschließend in die Reha nach Warendorf. Am Zentrum stehen die Patientinnen und Patienten und ihre bestmögliche dienstliche sowie private Teilhabe im Mittelpunkt. Ob einsatzgeschädigt, Unfall oder Krankheit, dienstlich oder privaten Ursprungs - das Recht auf Rehabilitation ist unabhängig von der auslösenden Ursache. In einem kameradschaftlichen Umfeld arbeitet das Team interdisziplinär zusammen – mit Spezialisten aus der Orthopädie, Allgemein- und Ernährungsmedizin, Psychotherapie, Sozialdienst, Physiotherapie und Technikern für Hilfsmittel wie Prothesen, Orthesen und Rollstühle. Wie alle zu Rehabilitierenden am ZSportMedBw durchlief auch Niklas K. ein Assessment, um seine Rehabilitationsziele mit ihm festzulegen und diese Schritt für Schritt durch gezielte Interventionen zu erreichen.
„Der Reha-Prozess ist astrein“
Das eingespielte Team kümmerte sich ab Tag eins bestmöglich um ihn mit einem Ziel: Der Soldat Niklas K. soll sein Leben wieder autonom gestalten und seinen Dienst wiederaufnehmen können. Bereits am ersten Tag war ein auf Prothetik spezialisierter Orthopädietechniker da, um gemeinsam mit dem Facharzt für Orthopädie, seinem persönlichen Physiotherapeuten und ihm die prothetische Versorgung zu planen und den Prothesen-Schaft anzupassen. An Tag drei stand er bereits wieder auf zwei Beinen. „Das war ein unglaublicher Motivationsschub.“ Ab dann hieß es üben, üben, üben. In den ersten drei Wochen Intensiv-Reha lernte er erstmal stabil zu stehen sowie das Laufen mit Gehhilfen. Psychotherapeutische Unterstützung, Optimieren des Stoffwechsels und die sozialdienstliche Betreuung waren Voraussetzung für seine ersten Schritte. Dann folgten zwei Wochen Pause, um das Gelernte im Alltag eigenständig umzusetzen. Es folgten erneut drei Wochen Intensiv-Reha: Gehen lernen ohne Gehhilfen, Koordination verbessern und Abläufe automatisieren. Seine Bein-Prothese kann durch einen eingebauten Computer eigenständig verschiedene Bewegungsarten erkennen und stellt sich selbst auf die Gegebenheiten ein – denn Gewichtsverlagerung, Abstützung und Koordination sind beispielsweise beim Treppensteigen und Gehen unterschiedlich. Zusätzlich kann er die Prothese mittels einer App für besondere Aktivitäten wie Fahrrad fahren oder Schlittschuhlaufen steuern. In einer weiteren Woche wurden Spezialbewegungen wie beim Schwimmen erlernt. Aber stets wurden über das physiotherapeutische Training hinaus alle körperlichen, seelischen und sozialen Folgen seines Unfalls systematisch erfasst, Zwischenziele vereinbart und deren Erreichen überprüft.
Wie geht es beruflich weiter?
Der heute 23-Jährige hat seinen Mut nicht verloren und sich mit viel Arbeit und Motivation in sein Leben zurück gekämpft. Allen Herausforderungen zum Trotz konnte er an seinem Karriereweg als Logistik-Offizier anknüpfen, ist Schießausbilder geworden und führt demnächst selbst eine Logistikeinheit. Mittlerweile steht seine Verpflichtungszeit von 13 Jahren fest. Auch ein Auslandseinsatz oder die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten sind nicht ausgeschlossen.
Doch ganz so klar war es lange Zeit nicht – zu lange für Niklas K.: „Es hat fast eineinhalb Jahre gedauert, bis ich die feste Zusage bekommen habe, ob ich auf die 13 Jahre Verpflichtungszeit festgesetzt werde. Bis dahin war ich wie in einem Schwebezustand und wusste nicht, ob das alles umsonst war.“ Seine Motivation hat er sich nicht nehmen lassen und Stärke bewiesen. Seine nächsten Ziele: Snowboard fahren im Winterurlaub, an den Invictus Games in Kanada teilnehmen, seinen Segelschein absolvieren und Berufssoldat werden.
„Anderssein ist normal“
Leutnant Niklas K. möchte den Menschen zeigen, dass er sein Schicksal als neuen Lebensabschnitt begreift und mit seiner Beeinträchtigung seinen eigenen Hobbies nachgehen kann. Es sind die Gespräche mit anderen Betroffenen, sein starkes familiäres Umfeld und auch die medizinische Unterstützung, die ihm dabei geholfen haben. Barrieren zu überwinden und abzubauen ist eine Jedermanns-Aufgabe.
„Wir sollten verstehen, dass Behinderung keine Eigenschaft darstellt, sondern entsteht, wenn bleibende Beeinträchtigungen auf Barrieren treffen“, sagt dazu Oberstarzt Dr. Lison, Leiter des ZSportMedBw. Rehabilitation habe die Aufgabe, solche Barrieren systematisch zu erkennen und in einem interprofessionellen Team zusammen mit dem Patienten aus dem Weg zu räumen. Dadurch werde Rehabilitation zu einem Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Soldatinnen und Soldaten wie Leutnant Niklas K. leisteten mit Mut, Willen und Entschlossenheit ihren Dienst in den Streitkräften, dies sei für die militärische Gemeinschaft und die Auftragserfüllung unverzichtbar. Aber auch Veranstaltungen am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung seien wichtig, um das Bewusstsein für die Entstehung von Behinderung und die Vielfalt von möglichen Barrieren zu entwickeln. Das „Team Respect Area“ des Sanitätsdienstes bei den Invictus Games in Düsseldorf habe dieses Ziel erfolgreich verfolgt: „Die größte Barriere ist in unseren Köpfen und nennt sich Berührungsangst. Diese zu überwinden ist für mich eine Frage der Haltung und der Moral der Truppe“.
Denn: Rehabilitation ist ein Recht. Dazu gehören medizinische, soziale und berufliche Aspekte. Das hat auch die Bundeswehr verstanden – das ganzheitliche Konzept der Rehabilitation mit dem Ziel einer am militärischen Bedarf ausgerichteten, individuell bestmöglichen Teilhabe am Dienst und am gesellschaftlichen Leben ist vor dem Hintergrund einer möglichen Landes- und Bündnisverteidigung unverzichtbar. Nun gilt es, die Rehabilitation in einem gemeinsamen Ansatz durch Sanitätsdienst- und Sozialdienst sowie der Personalführung aus einer Hand weiter zu entwickeln, Wissen zu vermitteln und Verantwortlichkeiten festzulegen kurz: Barrieren abzubauen, Behinderung zu vermeiden und Einsatzbereitschaft zu stärken.